Gedankenversunken blätterte Mamoru in einem von den vielen Lehrbüchern vor sich. In den letzten Tagen hatte er sein Studium eindeutig vernachlässigt. Zu oft schlich sich eine kleine Blondine in seine Gedanken und brachten ihn dazu, lieber vor sich hin zu starren, als sich auf seine Vorlesungen zu konzentrieren.
Auch jetzt würde er seine Finger lieber für etwas anderes benutzen, als nur einen Stift zu halten.
Seufzend ließ er sich gegen die Lehne des großen Sofas fallen.
Seit dem Tag, als er Bunny nach Hause begleitet hatte, war fast eine Woche vergangen. Ob er es zugeben wollte oder nicht, er vermisste sie.
Er könnte sie besuchen gehen. Ihre Adresse herauszufinden war nicht das Problem. Ein Blick in Motokis Notizheft und er wüsste dazu noch die Telefonnummern und Körbchengröße aller paarungswilligen Damen in ganz Tokio.
Aber selbst wenn er dann vor ihrer Tür stand. Was wollte er sagen?
`Hey, wollen wir mal wieder U-Bahn fahren?´ , Mamoru fuhr sich kopfschüttelnd mit beiden Händen durch seine schwarzen Haare.
Es war nicht das erste Mal, dass er sich in Tagträumen verlor, wenn er an die ganz besondere Bahnfahrt dachte. Bunnys leises Seufzen hallte in seinem Kopf wieder und er war sekunenlang nicht ansprechbar.
So war es auch gestern, als er die Zeit seiner Mittagspause dazu nutzte, aus dem Fenster zu starren und zufrieden in sich hinein zu lächeln.
Er hatte nicht einmal bemerkt, wie Ami das Zimmer betreten hatte und ihre schwere Schultasche auf den Boden fallen ließ.
Erst das mehrmalige Rufen seines Namens hatte ihn aus seiner schönen Gedankenwelt gerissen.
»Was ist nur los mit dir in der letzten Zeit?« , fragte sie ehrlich besorgt.
Er erwiederte ihre Frage nur mit einem unverständlichen Stirnrunzeln, was Ami dazu bewegte, ihm zu antworten: »Immer, wenn ich dir begegne, hast du diesen merkwürdigen Gesichtsausdruck.«
»Ich weiß nicht, wovon du sprichst.«
Ami sah ihn mit durchdringendem Blick an.
»Mamoru, ich kenne dich langsam gut genug, um zu wissen, dass du irgendwas vor hast.«
Er schaute sein Gegenüber leicht überrascht an. War er wirklich so leicht zu durchschauen?
»Hat es was mit diesem Mädchen von meiner Schule zu tun?«
Mamoru wurde wieder einmal bewusst, warum er mit Ami nur befreundet war. Eine Beziehung zu einem Mädchen, dass ihm so ähnlich war und förmlich seine Gedanken lesen konnte, wäre nie und nimmer eine Erfüllung. Es war ihm wesntlich lieber, wenn eine gewisse geheimnisvolle Distanz zwischen ihm und einer Frau bestand, die er nach und nach durchbrechen könnte.
Ami deutete sein Schweigen mit einem Ja und sprach weiter: »Findest du es richtig, dass du sie so durcheinander bringst?«
Der Schwarzhaarige starrte sie irritiert an? Er brachte Bunny durcheinander? Wie kam Ami auf so eine These?
»Ich habe zwei Kurse mit ihr und in beiden ist sie kaum ansprechbar.«
Das war interessant. Mamoru hätte nicht gedacht, dass er solch einen Einfluss auf das blonde Mädchen hatte. Ja, sie waren sich näher gekommen. Sehr sogar. Aber er hatte sie weder gedrängt, noch in irgendeiner anderen Art und Weise zu ihrem Tun überredet. Ohne ihr Einverständnis würde Mamoru sich augenblicklich zurückziehen.
»Warum bist du eigentlich hier?« , er hatte keine Lust, sich mit Ami über sein Gefühlsleben zu unterhalten. Und erst Recht hatte er keine Lust, dass sie ihn mit ihrem berühmten vorwurfsvollen Blick segnen würde, wenn sie erfährt, was sein Plan sein würde und wie weit er schon vor dem vermeintlich erfolgreichen Abschluss dessen stand.
Ami ging in die Hocke und holte einen weißen Briefumschlag aus ihrer Lederschultasche heraus.
»Ich wollte dich bitten, mich zu einer Party zu begleiten.« , erklärte sie, während sie zwei silberne Karten aus dem Umschlag fischte.
Mamoru nahm sich eine der Karten, die sie ihm hinhielt und studierte den Text darauf.
»Eine Wohltätigkeitsveranstaltung?«
Ami nickte: »Ich soll in Vertretung meiner Muttter dort auftauchen.«
»Und du brauchst noch eine männliche Begleitung?«
Ami zuckte mit den Schultern.
»Sozusagen. Bei dir weiß ich wenigstens, dass du nichts von mir erwartest.«
Ja, Ami war wirklich nur eine Freundin. Seit ihrer ersten Begegnung vor einem Jahr hatte er nie auch nur darüber nachgedacht, ihr in irgendeiner Art und Weise nahe zu kommen. Sie war quasi wie eine kleine Schwester für ihn.
Mamoru öffnete wieder die Augen und kehrte aus seiner Erinnerung zurück.
Und blickte direkt in Motokis helle blaue Augen.
Erschrocken wich Mamoru zurück. Soweit das auf der Couch noch möglich war.
»Hast du geschlafen?« , Motoki grinste ihn frech an.
Stirnrunzelnd sah der Schwarzhaarige seinen Freund an.
»Was machst du schon hier? Bist du Freitags nicht immer Ewigkeiten in der Bibliothek?« , das letzte Wort betonte er extra.
Motoki zog seine helle Jeansjacke aus und warf sie achtlos in eine Ecke des Wohnzimmers, was Mamoru dazu veranlasste, die Augenbrauen hochzuziehen. Er hasste Unordnung, ganz besonders, wenn sie von einem Anderen in seinen eigenen vier Wänden verursacht wurde.
»Ich muss mich noch fertig machen für heute Abend.« , erklärte der Blonde und besah sein Profil in der Spiegelung der verchromten Dunstabzugshaube in der offenen Küche. »Ich muss einen perfekten Eindruck hinterlassen.«
»Hast du wieder eine neue Austauschstudentin kennengelernt?«, Mamoru räumte, mal wieder, Motokis liegengelassene Klamotten weg.
»Nein nein. Bunny hat mich auf eine Wohltätigkeitsveranstaltung eingeladen.«
Mamoru horchte auf. Wohltätigkeitsveranstaltung?
»Im Anwesen Aino?« , fragte er.
Motoki nickte überrascht : »Ja, du weißt davon?«
»Ich wurde von Ami eingeladen. Aber wir kommt Bunny an die Karten?«
Motokis Grinsen wurde noch breiter, als er Mamoru genauso eine silberne Karte vor die Nase hielt, wie er gestern von Ami überreicht bekam.
»Du hast dir wohl die Gastgeber nicht durchgelesen?« , fragte der Blonde.
Mamoru blickte noch einmal auf die Karte und las laut vor: »Es laden ein die Kanzlei Aino & Tsukino. Und?«
So langsam ging ihm das Grinsen seines Mitbewohner auf die Nerven. Konnte er ihm nicht endlich erklären, warum diese Party so wahnsinnig wichtig für ihn war?
Motoki holte tief Luft und antwortete nach endlosen Sekunden nun doch: »Kenji Tsukino gehört zu den besten Anwälten in ganz Japan und zufällig ist er auch noch der Vater von Bunny.«
Mamoru starrte sein Gegenüber geschlagene zwei Minuten lang einfach nur an. Zum ersten Mal seit sehr langer Zeit wusste er nicht, was er sagen sollte oder ob er Motoki einfach nur eine verpassen sollte.
»Das ist also der Grund, warum du plötzlich dein Beuteschema geändert hast. Du willst über Bunny an ihren Vater ran?« , Mamoru versuchte wirklich sich zu beherrschen, konnte aber trotz allem nicht verhindern, dass seine Stimme bebte.
Motoki nickte: »Genau! Eigentlich der perfekte Plan.«
»Wenn man davon absieht, dass du sie am laufenden Band betrügst und ihr Vater dir daher wahrscheinlich den Kopf abreissen wird. Oder etwas für dich noch viel Wichtigeres.« , Mamoru konnte sich trotz seiner Wut ein süffisantes Grinsen nicht verkneifen.
»Solange keiner von Beiden etwas erfährt ist alles gut. Und wenn ich erst einmal in die Kanzlei rein gekommen bin, werde ich plötzlich so viel zu tun haben, dass ich keine Zeit mehr für eine Beziehung habe.« , wiegelte Motoki ab. Und fügte lachend hinzu: »Und bis dahin, kann ich ja noch etwas Spaß mit ihr haben.«
»Ich dachte, sie ziert sich.«
Motoki seufzte: »Ja, das stimmt wohl. Aber du vergisst etwas sehr Entscheidendes. Auf der Party heute Abend wird Alkohol ausgeschenkt.«
»Bist du ernsthaft schon so weit gesunken?« , Mamoru machte sich lieber erst einmal einen Kaffee. Eine seltsame Angewohnheit von ihm. Immer, wenn er sich ablenken wollte, befüllte er seine Kaffeemaschine. Es war so etwas wie ein beruhigendes Ritual.
»Man muss seine Chancen nutzen.« , versuchte Motoki zu erklären. »Und ich quäle mich schon viel zu lange mit ihr herum. Irgendwann will ich auch mal zum Stich kommen.«
»Sehr nette Umschreibung.« , momentan tendierte er wieder zu der These, dass nur ein ordentlicher Schlag auf den Hinterkopf seinen Mitbewohner zur Vernunft bringen könnte.
»Ich bin nur ehrlich. Nicht mal fummeln ist bei ihr drin. Dieses ewige Getue macht mich noch ganz verrückt.« , beschwerte sich Motoki weiter.
Mamoru lächelte innerlich. Was er in den letzten beiden Tagen alles über Bunny erfuhr war wirklich äusserst interessant.
»Vielleicht solltest du deine Taktik ändern.« , riet er seinem Freund.
»Das sagt ausgerechnet der, der seinen Kopf lieber zwischen Bücher steckt, als zwischen die Beine einer Frau.« , gab Motoki ihm zur Antwort.
Mamoru hatte kein Interesse, etwas darauf zu antworten. Er kannte die Wahrheit, das reichte ihm voll und ganz und gab ihm eine gewisse Genugtuung.
Viel wichtiger war allerdings die Tatsache, dass er in wenigen Stunden Bunny wiedersehen würde. Und das könnte durchaus interesaant werden, befand Mamoru und nahm einen Schluck Kaffee.