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Clear

Ruhe vor dem Sturm? oder der Anfang vom Ende
von

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Kapitel 1

Gehetzt rannte Clear durch die Straße. Immer wieder drehte sie sich um. Der Mann verfolgte sie noch immer. Sie rannte in eine dunkle Gasse und prallte unvermittelt gegen etwas Weiches. Ein Mensch. Rettung!

„Bitte helfen sie mir“, keuchte sie. Der Verfolger war am Anfang der Gasse angekommen.

„Sei nicht dumm, Mädchen“, sagte er und trat weiter in die Gasse.

„Bitte!“, flüsterte sie. Der junge Mann trat aus dem Schatten. Erschrocken heftete Clear ihren Blick an seinen linken Arm. Er war blutüberströmt. „Lass das Mädchen in Ruhe, verdammter Pisser!“, sagte er mit fester Stimme. Clear starrte auf den tiefen Schnitt in seinem Handgelenk. Warum schrie er nicht? Das musste doch weh tun. Langsam hob sie den Kopf und sah sich den Jungen genauer an. Er hatte schwarze Lange haare die ihm ins Gesicht fielen, seine dunkelblauen Augen wurden von schwarzem Kayal umrandet. Ihr Verfolger war verschwunden, doch der Zustand des Jungens verschlechterte sich zusehends. Keuchend stützte er sich mit der unverletzten Hand an der Mauer ab. Dann fiel er auf den Boden. Clear hätte schon viel früher handeln sollen.

„Mist!“, fluchte sie. Wie verrückt zerrte sie an ihrem T-Shirt, aber es wollte nicht reißen. Entschlossen zog sie es aus.

„ Hey... was machst du... da?“ fragte der Junge mit matter Stimme. Clear fand eine Scherbe und schaffte es einen Riss in den Stoff zu schneiden. Ruckartig zog sie ihn auseinander, worauf er sich teilte.

„Ich rette dein Leben. Wonach sieht’s denn deiner Meinung nach aus?“ fragte sie.

„Ist das... nicht ...der falsche...Zeitpunkt für... Sarkasmus?“ Seine Stimme war kaum noch zu hören und die Lücken zwischen den Wörtern wurden immer länger. Energisch band sie das abgerissene Stück um den Schnitt. Was sollte sie denn machen? Wenn sie in Tränen ausbrechen würde, würde ihr das auch nicht sonderlich helfen. Ein kühler Kopf war im Moment viel praktischer.

„Wehe, du fällst jetzt in Ohnmacht“, drohte sie und zog ihr Handy aus der Tasche.

„Ich... fall... nicht in... Ohn...macht. Ich... sterbe.“ Ein Lächeln umspielte seine Lippen.

„Nein tust du nicht! Erst mal fällst du in Ohnmacht!“ Hastig wählte sie die Nummer der Leitstelle. Schnell schilderte Clear was passiert war. Einige Minuten später hörte sie das Martinshorn. Dann rannten vier Sanitäter mit einer Trage in die Gasse.

„Was... hast... du ... gemacht?“, hauchte der Schwarzhaarige.

„Hilfe geholt“, sagte sie bestimmt, aber jetzt, wo sie nicht mehr ruhig bleiben musste, drehte sich alles um sie.

Im KTW wurden dem Jungen schon diverse Kabel angehängt. Clear nahm aus einer Eingebung heraus seine Hand. Inzwischen war er in Ohnmacht gefallen.

„Ist das dein Freund?“, fragte die Krankenschwester. Sie schüttelte den Kopf.

„Ich hab ihn zufällig gefunden.“

„Wahrscheinlich ist er stocksauer auf dich wenn er aufwacht“, redete die Krankenschwester weiter. Clear wusste, dass sie nur mit ihr redete um sie abzulenken. „Selbstmörder sind nicht sonderlich glücklich, wenn man ihnen das Leben rettet“, sagte Clear und zwang sich zu einem Lächeln.

Am Krankenhaus angekommen, ging alles schnell. Der Junge wurde in die Notaufnahme gesteckt. Später kam er dann in ein Zimmer im 2.Stock. Clear nahm sich einen Stuhl und setzte sich zu ihm. Auf dem digitalen Namensschild am Bett blinkte ein Name: Martina. Clear wunderte sich gerade über den Namen, als eine Schwester ins Zimmer kam und der Name verschwand. Er wurde aber nicht wie zu erwarten ersetzt, das Schild blieb leer.

„Er wird es überleben“, sagte diese zu ihr. „Es wurde eine Bluttransfusion durchgeführt und jetzt muss er sich erst mal ausschlafen. Du kannst jetzt heimgehen.“

Deutlicher ging es nicht, aber Clear überhörte den Wink einfach und blieb sitzen. Als das Licht ausgeschaltet wurde, saß sie immer noch da und betrachtete das schwarz geschminkte Gesicht des Jungen. Immer wieder griff sie nach seiner Hand um sich zu überzeugen, dass er noch lebte, obwohl das ständige Gepiepse des EKGs nicht zu überhören war. So schlief sie ein: den Kopf auf den Händen, in ihnen seine Hand. Sie erwachte erst, als er sich bewegte und leise stöhne.

„Ich hab immer gedacht der Himmel sei schöner... aber vielleicht bin ich ja auch in der Hölle gelandet“, flüsterte er.

„Tut mir leid“, sagte Clear.

„Ich hab dir glaube ich vorhin, so nebenbei, das Leben gerettet.“

„Dummkopf“, seine Miene verfinsterte sich.

„Danke für die Blumen“, auch ihre Züge waren nicht mehr entspannt.

„Du blickst echt gar nix, oder?“ Der Junge knöpfte sein Hemd auf und zeigte auf ein Tattoo, das rechts unter seinen Bauchnabel war. Es stellte einen kleinen Kompass dar, welcher nach Osten zeigte.

„Du hast ein Tattoo.“

In ihren Augen flammte die Erleuchtung auf.

„Du nicht. Sonst hättest du mich nicht gerettet“, stellte er fest. Clear schüttelte den Kopf.

„Jetzt muss ich dich töten“, sagte der Junge mit fester Stimme. Clears Augen weiteten sich.

„Glaub mir. Wenn ich dich töte, bist du besser dran. Denn wenn ich‘s nicht mach, dann entweder die East oder die West, die stehen nicht so auf Streuner wie dich.“ Clear riss sich zusammen.

„...Aber meine Mum hatte so eins. Die East regiert unser Viertel.“ Der Junge seufzte.

„Dann kann ich dich doch am Leben lassen. Wenn die East dein Viertel regiert, hätte es sowieso nicht mehr lange gedauert bis sie dich entdeckt hätten.“ Ruckartig zog er an der Injektionsnadel und ließ sie auf den Boden fallen. Dann befreite er sich von sämtlichen EKG-Kabeln.

„Egal was mit dir passiert, eines ist sicher, wir müssen hier weg.“, sagte er und nahm seine Kleider aus dem Schrank der gegenüber dem Bett stand. Das gleichmäßige Piepen wurde zu einem nervtötenden eintönigen „Piiiiieeeeeeeeeep“.

„Schnell“, sagte er und schlüpfte in seine Schuhe. Als Clear sich nicht bewegte griff er nach ihrer Hand und zog sie, an zwei verdutzten Krankenschwestern vorbei, ins Freie.

Der Mond schien in die kleine Gasse in der er sich seines Hemdes entledigte und seine schwarzen Sachen wieder anzog.

„Verdammt.“ fluchte er. „Ich bin unbewaffnet.“

„Aber in East...“, begann Clear verwundert.

„Die haben mich nicht in das in West gebracht?“ unterbrach er.

Sie schüttelte den Kopf. Der Junge atmete laut ein und setzte sich wieder in Bewegung. Clear rührte sich nicht.

„Kommst du?“ der Junge drehte sich um.

„Wie heißt du?“, fragte Clear.

„Warum willst du das wissen?“, fragt er zurück.

„Ohne Antwort komm ich nicht mit“, sie streckte ihm - kindisch wie sie war - die Zunge heraus.

„Florian. Und jetzt komm!“, sagte er genervt und zog sie mit sich. Irgendwann standen sie vor einer Eisentür. Florian klopfte und kurz darauf wurde sie geöffnet. Das enttäuschte Gesicht eines Jungen kam ihnen entgegen.

„Mist und ich hatte so gehofft, dass du diesmal abkratzt.“

„Hast ihr zu verdanken.“ sagte Florian und zeigte auf Clear.

„Dumme Schlampe“, fuhr der junge sie an. Clear zuckte zusammen.

„Mach dir nix draus“, sagte Florian. „Das ist deren Art nett zu sein.“ Er schlenderte an mehreren Türen vorbei von denen er die letzte öffnete.

„Hey Boss“, schrie er. „Wo bist du, Perverser?“ Ein Junge trat aus dem Schatten und auf Florian zu. Er hob mit seiner Hand Florians Kinn an.

„Wo warst du? Ich hab dich vermisst“, sagte er mit weicher Stimme.

„Du solltest dich bei dem Mädchen bedanken, sonst müsstest du dir jetzt jemand anderen suchen, an dem du deine Launen auslassen kannst.“ Florian zeigte auf sie. Der Junge drehte sich um.

„Dankeschön. Darf ich wissen wie du heißt?“

„C...Clear“, stotterte sie.

„Na, na... du wirst doch wohl keine Angst vor mir haben. Flo, was hast du ihr nur erzählt?“ Er kam auf Clear zu und verbeugte sich tief.

„Mein Name ist Tom. Freut mich.“ Er hob die Hand um Clear über die Wange zu streichen, doch Flo hielt sie in der Bewegung fest.

„Fass sie nicht an!“, sagte er schroff. Belustigt drehte Tom sich zu ihm um und fuhr stattdessen ihm über die Wange.

„Du hast dir doch hoffentlich nicht den Kopf gestoßen, dass du meinst das du mir etwas vorschrieben kannst. Muss ich dich zuerst daran erinnern wer hier das sagen hat?“, fragte Tom und drückte seine Lippen auf Flos.

Mit aufgerissenen Augen starrte Clear die Beiden an. Hinter ihr öffnete sich eine Tür, ein Mädchen kam heraus und zog sie in den kleinen Raum, aus dem sie gekommen war.

„Hi, ich bin Kaze“, sagte es.

„Clear,“ stellte Clear sich schon zum zweiten mal an diesem Tag vor. Schockiert starrte sie die Türe an.

„Warum hilft ihm niemand?“, fragte sie.

„Weil es keinen Sinn hat. Tom lässt sich ungern etwas vorschreiben und bei Flo setzt sein Gehirn vollkommen aus. Er hat mal auf einen eingestochen, der sich eingemischt hat.“ Kaze sah Clear an. Das rothaarige Mädchen bebte. Dann brach es unvermittelt in Tränen aus. Kaze legte ihren Arm um ihre Schultern.

„Schsch... Alles wird gut. Warum heulst du denn?“, versuchte sie Clear zu beruhigen.

„Sorry... Ich weiß es nicht. Wohl n bisschen viel heute“, antwortete diese und unterdrückte den nächsten Schluchzer. Kaze wartete, bis Clear sich beruhigt hatte, dann sagte sie: „Ich seh mal nach unsrem Emo“, stand auf und verließ den Raum. Clear folgte ihr.

Flo lag am Boden. Tom hatte sich über ihn gebeugt. Sein Kopf verschwand hinter Flos. Angewidert blieben Clear und Kaze stehen. Clear sah nicht, was Tom tat - und das war ihr nur recht - aber sie sah wie Flonur dalag und nichts tat. Das ließ in ihr eine Sicherung durchbrennen. Wütend über diese blinde ergebenheit griff nach dem erstbesten Gegenstand und zog ihn Tom über den Schädel. Dieser verlor das Bewusstsein und brach über Flo zusammen welcher sie daraufhin anstarrte. Nicht dankbar oder erleichtert, wie man es erwartet hätte, nein, sein Blick war eiskalt. Als hätte sie gerade den größten Fehler ihres Lebens begangen.

„Spinnst du?“, fragte er.

„ Ja.“ sagte sie. „100 prozentig bin ich nicht mehr ganz dicht. Aber das macht ja nichts. Ihr seid es alle nicht. Du nicht, sie nicht und es erst recht nicht!“

„ Es, genial das muss ich mir merken,“ lachte Kaze. Flo schob den bewusstlosen Tom von sich herunter, zog seinen Mantel an und ging ohne ein Wort aus dem Raum.

„Er hasst mich...“, stellte Clear fest.

„Flo hasst jeden,“ meinte Kaze. Clear kniete sich neben Tom. Kurz prüfte sie Puls und Atmung und stand dann auf.

„In ´ner viertel Stunde kommen wir wieder. Wenn er bis dahin nicht wach ist, ist er entweder tot oder ich steck ihn ins Krankenhaus!“ Kaze und sie traten in den Raum zurück aus dem sie gekommen waren. Eine Weile schwiegen sie sich an, bis Clear es nicht mehr aushielt und seufzend zu Tom ins Zimmer ging.

„Hol mich, wenn du Hilfe brauchst,“ rief Kaze ihr nach. Tom lag noch immer am Boden, sie stieß ihm mit der Schuhspitze in die Seite.

„Lebst du noch?“ fragte sie. Tom stöhnte.

„Na also, doch nicht tot,“ sie kicherte.

„Weiß gar nicht was daran so komisch ist. Ich hab Kopfweh,“ maulte Tom. „An dem du schuld bist wenn ich mich recht erinnere. Ich sollte mir eine gute Strafe für dich einfallen lassen.“ Tom grinste böse und stand auf. Bevor sie reagieren konnte hatte er Clears Arm schmerzhaft auf den Rücken gedreht, in dieser Position lief er auf den Tisch zu, der im Zimmer stand. Darauf war einiger Krempel. Mit sicherer Hand griff er nach seinem Taschenmesser.

„Wehe du schreist. Mein Kopfweh muss nicht noch schlimmer werden.“ Tom durchtrennte den Träger des Tops, das Kaze ihr anstatt des Krankenhaushemdes gegeben hatte. Clear zuckte zusammen, als das kalte Metall ihre Schulter berührte und der darauffolgende Schmerz lies sie erstarren.

» Er hat mal auf einen eingestochen, der sich eingemischt hat.« sagte Kaze Stimme in ihrem Kopf.

„Keine Angst, ich lass dich am leben. Ich brauch dich schließlich noch damit ich Flo quälen kann“, flüsterte Tom in ihr Ohr. Der Schmerz wurde stärker und verteilte sich über ihre rechte Schulter. Tom griff erneut auf den Schreibtisch, diesmal nach einer Metalldose, in der ein seltsames blaues Pulver war. Er steckte seine Finger hinein und berührte damit Clears Wunde. Sofort verwandelte sich der vorher stechende Schmerz in ein Brennen, das Clear vorkam, als hätte jemand auf ihrem Rücken ein Feuer entzündet. Tom betrachtete zufrieden sein Werk säuberte die Klinge und klappte das Messer wieder zu.

„Verschwinde,“ sagte er und lies Clear los. Sie rannte aus dem Zimmer Direkt in Kazes Arme. Sie besah sich die Wunde.

„War ja klar, das so was kommt.“, sagte sie und fuhr vorsichtig mit dem Finger über die Wunde.

„ Er ist echt ein Idiot. Er hat dir Flos Namen in deinen Rücken geschrieben und Tatoofarbe in die Wunde gestreut. In der Farbe ist ein Heilmittel. Es hat aufgehört zu bluten, aber jetzt bleibt die Farbe drin weil schon Haut drüber gewachsen ist. Leider bleibt der Schmerz noch drei bis vier Tage.“

„Das halt ich aus.“ Clear lächelte zaghaft. „Sorry wegen dem Top.“

„Schon ok.“ Sagte Kaze und verschwand um ihr zu ihrem eigenen Schutz einen Verband zu holen, welchen sie ihr sorgfältig anlegte. Sie nahm die durchtrennten Träger und band sie zusammen. Als der Stoff gegen die Wunde drückte, durchzog sie erneut starker Schmerz.

„Weißt du wo Flo jetzt ist?“

„Wahrscheinlich auf Streife. Warum?“

„Muss mit ihm reden. Wo ist er?“

„Meaning - Viertel. Du willst doch nicht etwa hinter ihm her?“ Kaze starrte Clear an.

„Wonach sieht’s denn aus?“ erwiderte sie patzig.

„Aber nicht in dem Zustand!“ sagte Kaze bestimmt.

„Welcher Zustand? Meine Schulter tut weh. Na und?“ Ohne auf Kaze‘s Proteste zu hören, verließ sie das Zimmer und lief zielsicher aus dem Gebäude. Sie selbst wohnte im Meaning-Viertel, deshalb holte sie die Jungen schnell ein. Flo erkannte sie an seinem langen Mantel schon von weiten. Sie folgte ihnen eine Weile um ihr Verhaltensmuster zu verstehen. Bald wusste sie, wie die Jungen laufen würden und nahm eine Abkürzung. Sie kannte die Straßen des Viertels so gut wie ihre eigene Hosentasche und bald sah sie die keine Gruppe vor ihr. Mit Schrecken bemerkte sie jedoch, dass Flo fehlte. In dem Moment senkte sich eine Hand auf ihre Schulter. Sie wurde umgedreht und gegen die Wand des Hauseingangs gedrückt, in dem sie sich befand.

„Was soll das?“, zischte Flo. Clear antwortete nicht. Durch den Druck, den Flo auf ihre Schultern ausübte, wurden die Schmerzen, die davor schon schlimm waren, unerträglich.

„Warum läufst du uns hinterher? Bist du noch ganz dicht?“ maulte er.

„Lass... mich... los“, keuchte sie. Flo nahm den Druck von ihrer Schulter und der Schmerz verringerte sich. Erleichtert atmete Clear aus. Flos fragender Blick lag auf ihr.

„Danke.“, sagte sie.

„Was ist los?“, wollte Flo wissen und Clear glaubte Sorge in seinem Blick zu sehen.

„Meine Schulter tut weh... mehr nicht... und durch den Druck ist es halt schlimmer geworden,“ erklärte sie. Noch ehe sie sich wehren konnte, hatte Flo sie umgedreht und ihr T-Shirt soweit nach oben geschoben, dass er ihre Schulter betrachten konnte. Plötzlich war Clear um den Verband froh, auf den Kaze bestanden hatte. Denn so konnte Flo nicht sehen was sich darunter verbarg.

„Was hat er mit dir angestellt?“, fragte er wie erwartet.

„Das ist nur die Strafe dafür, dass ich mich eingemischt hab.“

Wütend starrte Flo auf den Boden. Clear drehte sich zu ihm um.

„Warum machst du dir solche Sorgen um mich? Du wolltest mich töten...“

„Der Tod ist besser als das!“, unterbrach sie Flo.

„Das beantwortet meine Frage nicht!“

„Das verstehst du nicht.“ Flo drehte sich weg.

„Ich will es aber verstehen!“, entgegnete Clear.

„Nicht jetzt und vor allem nicht hier...“ Energisch griff Flo nach ihrer Hand und zog sie mit sich.

„Wo gehen wir hin?“, fragte Clear. Flo antwortete nicht, sondern zog sie zu einem leerstehenden Haus, von dem sie wusste, dass es immer abgeschlossen war. Doch Flo hatte einen Schlüssel, natürlich. Gespannt trat Clear ein... und fand sich in einem dunklen Gang der nur geradeaus ging. Er zog sie weiter, bis es heller wurde und sie im selben Haus waren, in dem sie losgelaufen war. Clear blieb stehen um sich zu orientieren, Flo ließ ihre Hand los und drehte sich zu ihr um. Zaghaft hob er seine Hand und strich ihr eine Strähne aus dem Gesicht. Ein warmer Schauer durchfuhr sie.

„Gar nichts verstehst du...“ sagte er liebevoll. Dann drehte er sich um, verschwand in einer Tür und ließ Clear verwirrt stehen.

„Was sollte das?“ fragte sie sich.

„Was sollte was?“ fragte Kaze, die aus einem Zimmer trat und sich zu ihr stellte.

„Gibt es hier zwei Leute, die Flo heißen?“ fragte Clear. Kaze schüttelte den Kopf.

„Das ist bei ihm immer so...im ersten Moment ist er nett und im nächsten unausstehlich“, erklärte Kaze und starrte in dieselbe Richtung wie Clear.

„Also ist das normal“, stellt sie fest. Kaze nickte.

„Du bist doch sicher müde Clear, es ist halb drei. Komm mit, du kannst bei mir auf dem Sofa schlafen.“ Damit packte Kaze sie und zog sie weiter in einen Raum. Das Sofa sah gemütlich aus. Todmüde ließ sie sich rückwärts aufs Sofa fallen, und hasste sich dafür, denn starker Schmerz durchzog ihre Schulter. Lange suchte sie nach einer bequemeren Lage, als sie diese gefunden hatte, war sie sofort eingeschlafen.

Irgendwann träumte sie wirres Zeug: Florian betrat das Zimmer. Kaze fuhr ihn an.

„Was machst du hier?“

Verwundert stellte Clear fest, dass das ein sehr realistischer Traum war. Flo legte ihr eine Hand auf die Wange.

„Was ist unter dem Verband?“ fragte er. Clear spürte dasselbe Kribbeln wie beim letzten Mal. Konnte man so realistisch träumen?

„Kein Tattoo, das ist es doch, was du darunter vermutest“, erwiderte Kaze. Flo atmete auf.

„Du hast, was du willst, jetzt verschwinde!“

„Warum bist du so unfreundlich zu Flo?“ fragte Clear.

„Weil er dich nicht wecken sollte.“

„Moment ... das ist gar kein Traum?“ fragte Clear verdattert.

„Nein... nicht das ich wüsste“, antwortete Kaze.

Clear richtete sich an Flo.

„Du willst unbedingt wissen, was unter dem Verband ist?“

„Ja“, antwortete er.

Gleichgültig zog Clear ihr T-Shirt auf und zeigte auf den Verband.

„Da irgendwo ist der Anfang... Überzeug dich selbst davon, dass kein Tattoo drunter ist.“

Flo und Kaze starrten sie entgeistert an. Sie saß jetzt schließlich nur noch im BH vor ihnen. Vorsichtig berührte Flo ihren Rücken. Die Kälte seiner Finger verursachte bei Clear eine Gänsehaut. An etwas Anderem konnte es nicht liegen, redete sie sich ein. Behutsam wickelte er den Verband ab. „Kaze komm her, ich hab ne Aufgabe für dich!“ hörte Clear Tom rufen. Seufzend verließ sie das Zimmer. Clear spürte wie Flo sich anspannte, als er alleine mit ihr war. Dann war der Verband komplett weg und Flo sah, was auf ihrem Rücken stand. Clear sah ihn an. Entsetzen und Ekel wanderten über sein Gesicht.

„Was hat er sich dabei gedacht“, knurrte er. Langsam legte er seine kalte Hand auf seinen Namen.

Clear erschauderte bei der Berührung und zu ihrem Entsetzen begann ihr Herz wie wild zu klopfen. Nein! Sie wollte sich nicht in diesen Jungen verlieben, das würde ihr nur Schwierigkeiten bringen.

„Und, was machst du jetzt?“, fragte Flo.

„Ich kann es ja durchstreichen, wenn es dem Herrn nicht passt“, erwiderte sie patzig.

„Ich hab nicht gefragt, was ich machen würde sondern was du machen würdest.“

„Ich geh jetzt nach Hause! So einfach ist das. Da kann ich zumindest noch n bisschen ungestört schlafen.“

Damit stand Clear auf, zog sich das T-Shirt wieder an und trat aus dem Zimmer. Mit Leichtigkeit fand sie in Richtung Meaning–Viertel aus dem Haus. Kurz vor ihrem Zuhause hatte Flo sie eingeholt. Seufzend bot sie ihm an mit rein zu kommen. Verwundert sah Flo sich im Haus um. Clear räumte diversen Müll vom Sofa.

„Setz dich, willst du was trinken? Kaffee, Tee, Wasser?“, fragte sie.

„Mach einfach Clear, ja?“

Also ging Clear in die viel zu kleine, viel zu unaufgeräumte Küche, räumte den Wasserkocher frei , füllte ihn mit Wasser und stellte ihn in die Halterung zurück. Das alte Ding brauchte ewig um das Wasser zum Kochen zu bringen. Dann suchte sie zwei Tassen, spülte sie unter laufendem Wasser und hängte zwei Teebeutel hinein. Endlich kochte das Wasser und Clear konnte den Tee aufgießen.

„Mal ehrlich, wie kannst du hier leben?“, fragte Flo.

„Ich bin hier nur zum Schlafen und zum Essen. Sonst bin ich irgendwo anders. Meistens arbeite ich. Wenn mein Chef mir Überstunden gibt, bekomm ich dort was zu essen.

Aber eigentlich zieh ich so um die Häuser und treff mich mit North-Mitgliedern. Hier“, sie hielt ihm eine Tasse hin.

„Du siehst also, ich bin kaum zu Hause, deshalb stört mich der ganze Müll nicht.“

„Danke...“ sagte Flo.

„Komm, wir gehen in mein Zimmer da ist am wenigsten Müll und wir können uns hinsetzen.“ Clear lief aus dem Zimmer und setzte sich in ihrem Zimmer auf ihr Bett. Flo setzte sich neben sie. Sie betrachtete ihn, wie er da saß und abwesend in seinen Tee starrte. Seine schwarzen Haare sahen aus wie Samt. Minutenlang saß er still. Die einzige Bewegung, die er machte, war ab und zu einen Schluck Tee zu nehmen. Clear ging aus dem Zimmer um sich neuen Tee zu holen. Als sie wiederkam, starrte Flo aus dem Fenster. Sie setzte sich wieder hin und vergnügte sich damit ihn zu beobachten. Gern hätte sie seine Haare berührt um herauszufinden ob sie wirklich so weich waren, wie sie aussahen. Schließlich hielt sie die Stille nicht mehr aus.

„Über was denkst du nach?“ fragte sie.

„Über vieles. Hauptsächlich über dich, wie du lebst, wie du denkst. Ich weiß beim besten Willen nicht, wie du es aushältst, so zu leben. Außerdem wundert es mich, dass du einfach so einen fremden Jungen das leben Rettest obwohl du kurz vorher selbst noch in solchen schwierigkeiten warst. Zudem als Streunerin wenn ganz klar is das dich kein Bandenmitglied sehen darf weil es sonst dich Pflicht hat dich aus zu liefern. Und dann lässt du mich zu dir in die Wohnung. Ich könnte sonst noch was mit dir anstellen, wenn ich wollte,“ antwortete Flo.

„So wie du dich mir gegenüber verhältst, willst du sowieso nichts von mir. Ich hab in der Zeit, in der ich allein leb ein gutes Gespür dafür bekommen, ob mir mein Gegenüber was will. Die Jungs aus der North mussten das auch erst begreifen. Aber als sie gemerkt hatten, dass sie nicht an mich rankommen, haben sie es gelassen“, meinte Clear gleichgültig.

„Warum hast du einem East-Mitglied das Leben gerettet wenn du North Freunde hast?“, fragte er.

„Ich wusste nicht, dass du zur East gehörst. Und Freunde würde ich die von der North nicht nennen. Ich häng halt mit ihnen rum... aber der eine ist weggezogen, weil seine Eltern beschlossen haben, dass er auf eine anständige Schule gehen soll und der andere ist tot... schon seit ‘ner Woche oder so. Ist von irgendeinem East erstochen worden.“

„Achso..., das tut mir leid.“

Clear lachte.

„Das muss es nicht.“

Plötzlich sah Flo sie an und seine Hand fuhr wieder über ihre Wange.

„Du bist meine eigene Hölle, was ich immer vermeiden wollte, hast du in kürzester Zeit wahr gemacht. Du darfst nie, gar nie, glauben, dass ich dich mag, oder gar liebe. Nie, hörst du. Ich kann dich nicht leiden!“, damit küsste er sie. Was Clear vollkommen verwirrte. Hatte er nicht gerade eben gesagt, dass er sie nicht leiden konnte? Flo löste sich von ihr und stand auf.

„Hast du mich verstanden?“, fragte er barsch.

Clear wollte den Kopf schütteln. Nickte aber.

„Gut. Komm mit, du hast ungebetene Gäste.“

Flo packte sie am Arm und zog sie aus dem Zimmer.

„Ok. Ich hab euch gehört, kommt raus. Los Phil, Marc, Karl. Raus aus euren Verstecken. Sie könnt ihr vielleicht täuschen aber mich nicht.“ rief er.

Drei Jungen wurden sichtbar. Der eine kam aus dem Schrank, der andere unter der Treppe hervor und ein anderer aus der Küche.

„Was wollt ihr hier?“, fuhr er sie an.

„Tom schickt uns. Du sollst zu ihm kommen. Die West stresst rum. Wir sollen dich begleiten.“ sagte der, der aus der Küche kam.

„Ah ja... klar.“ machte Flo schob die drei aus der Tür und verschwand.
 

Jetzt stand Clear alleine da. Verwirrt wie sie war. Ohne zu wissen, was so recht vor sich ging, starrte sie an die Stelle, an der bis vor Sekunden noch Flo gestanden hatte. Doch ein Rumpeln aus dem oberen Stock zog ihre Aufmerksamkeit auf sich. Sollten sich etwa noch mehr ungebetene Besucher im Haus aufhalten? Clear rannte nach oben und wäre fast mit zwei Jungen zusammengestoßen. Sie konnte gerade noch bremsen, da legten sich von hinten zwei Arme um sie und ihr wurde ein weißes Tuch ins Gesicht gepresst. Der Dunst, der von ihm aufstieg, ließ ihre Augen tränen. Sie wusste sofort um was es sich handelte. Geistesgegenwärtig hielt sie die Luft an.

„Kluges Mädchen.“ flüsterte eine Stimme an ihrem Ohr. „Aber irgendwann musst du Atmen. Ich hab Zeit.“

Wütend hielt sie weiter die Luft an.

„Die kann das ganz schön lange, Boss.“, sagte einer der Jungen vor ihr.

„Ja, aber nicht mehr lange genug.“

Clear hielt es nicht mehr aus. Sie musste einfach atmen. Vielleicht, wenn sie nur einmal ein- und ausatmete. Clear schnappte nach Luft und atmete den ekligen Dunst ein. Ein leises Klingeln fuhr durch ihren Kopf. Doch ihr Bewusstsein blieb.

„Du bist ganz schön hart im Nehmen“, lachte der Junge hinter ihr und auf ein Zeichen hin schlug ihr einer der Jungen vor ihr in den Bauch. Wieder schnappte sie nach Luft, diesmal vor Schmerz. Doch lang spürte sie ihn nicht, denn die Dosis des Dunstes war jetzt hoch genug, dass sie in tiefes Schwarz fiel

„Schlaf gut“, flüsterte der Junge an ihrem Ohr.


Nachwort zu diesem Kapitel:
ohje - das war also Kapitel eins ... ich hoffe es war nicht allzu unverständlich, und man verliert beim lesen nicht den Faden ... ich würde mich sehr über Kommantare freuen, wenn es gefällt lade ich mehr hoch =) Komplett anzeigen

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