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Evolution

Taito-Wichtel-FF für NeedYouInMyLife
von

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Raindrops & Tattoo Ink

Es war einer dieser unheimlich faulen Sonntage gewesen - klamm und grau und viel zu lang – an dem mir klar wurde, dass sich etwas zwischen uns entwickelt hatte, das ich eigentlich nicht wahr haben wollte. Wir schlenderten durch den Regen, der so stark war, dass er in zahllosen kleinen Bächen die Bürgersteige und Straßen flutete. Unsere Schritte plätscherten über den Gehweg und die Jeans klebten uns bereits an den Beinen, wir hätten frieren müssen... aber mir war warm. Mir war meistens warm, wenn du dabei warst. Und ich lächelte, grinste, lachte über deine Witze;

auch über die schlechten.

Ich sehe es immer noch genau vor mir, kann es abspulen wie einen Film, wie du dir die triefenden Ponysträhnen deiner Mähne aus der Stirn gestrichen und mich angegrinst hast. Ich kann noch den Griff deiner Hand spüren, die mich am Handgelenk in den überdachten Hauseingang zog, wo wir vor dem Regen Schutz suchten. Es war nicht wie in einer dieser Hollywoodschnulzen, es gab keine dramatische Musik, keine leidenschaftlichen, tiefen Blicke, mit denen man sich gegenseitig durchbohrt und keine Liebesschwüre. Nein, nichts dergleichen ist passiert... aber trotzdem erkannte ich es in dem Moment, als wir uns dort gegenüberstanden und dem Gewitter zuschauten. Der Gedanke war wie ein einzelner Tropfen, der sich stur an die Spitze eines Grashalms klammert und stundenlang dort festhängt, ohne zu fallen. Erst wenn es anfängt zu regnen, oder der Wind das Gras bewegt, löst er sich und fällt.

Wenn ich so darüber nachdenke, kam meine Erkenntnis wahrscheinlich ziemlich spät. Im Nachhinein habe ich erkannt, dass deine Gesten und Blicke sich schon längere Zeit vorher verändert hatten. Ich hatte es nicht gesehen und du hattest nichts gesagt. Und das war auch okay so, denn es hieß, dass trotzdem alles beim Alten bleiben würde.
 

*
 

An deinem neunzehnten Geburtstag regnete es auch. Trotzdem war es ein beschwingter Tag, vollgestopft mit guter Laune, Kuchen und später auch Alkohol. Koushiro, Mimi, Sora und Joe waren um Mitternacht verschwunden und ich half dir beim Aufräumen – wie immer. So groß war das Chaos nicht, aber du wärst trotzdem überfordert gewesen, weil du dich ständig von anderen Dingen ablenken lässt.

„Und, was sagst du?“

Ich war gerade mit dem Geschirr fertig geworden, als du mir breit grinsend das T-Shirt präsentiertest, das Mimi dir geschenkt hatte. Dunkelblau mit einem goldenen Stern in der Mitte und auf den Ärmeln. Es erinnerte mich an früher.

„Mimi hat einen guten Geschmack“, erwiderte ich, nachdem ich dich kurz gemustert hatte, und wandte mich dem Abtrocknen der Teller zu.

„Jetzt hör doch mal auf, zu arbeiten.“

„Ich bin sowieso gleich fertig.“

Auf einmal standest du direkt neben mir und ich fühlte deine Hand auf meiner Schulter.

„Danke für deine Hilfe.“

„Kein Problem.“

Ich ging zum Schrank und stellte das perfekt gereinigte Geschirr weg. Du bliebst an der Stelle stehen und sahst mich an.

„Bleib ruhig bis morgen. Dann musst du nicht raus in das Mistwetter.“

Ich schaute auf meine Uhr. Es war bereits nach um Eins. Eigentlich eine klare Sache, aber...

„Du siehst müde aus. Du willst doch jetzt nicht wirklich noch den ganzen Weg mit der U-Bahn nach Hause fahren? In diesem ekelhaft kalten Regen? Windig ist es auch. Total unangenehm... Weißt du, ich habe da ein warmes, weiches Bett, gleich hier nebenan...“

Ich lächelte leicht über deinen Überzeugungsversuch.
 

*
 

Als ich neben dir im Bett lag und dem Gewitter zuhörte, musste ich wieder an damals denken. Als wir noch Kinder waren, war alles so viel einfacher gewesen. Auch wenn 'einfach' vielleicht das falsche Wort für unsere Abenteuer in der Digiwelt war. Aber unsere Freundschaft war simpler gewesen, genauer definiert... Da gab es diese Gedanken noch nicht, die mich jetzt regelmäßig nervös machten, wenn wir allein waren. Neben Takeru warst du der wichtigste Mensch in meinem Leben. Mein bester Freund, mein engster Vertrauter, derjenige, auf den ich mich verlassen konnte, dem ich vertraute und der für mich da war, wenn ich ihn brauchte. Ich hätte glücklich darüber sein können, dass sich unsere Freundschaft so gut entwickelte... wie viele ehemalige Freunde entfernten sich mit der Zeit voneinander – bei uns geschah das nicht.

Neben mir raschelte es.

„Bist du wach?“

Ich rührte mich nicht und starrte weiter aus halb geöffneten Augen das Fenster an, an dem die Regentropfen wie Wasserfälle hinab liefen.

Ein paar Sekunden vergingen, bevor du näher an mich heran rutschtest und vorsichtig den Arm um mich legtest. Wahrscheinlich dachtest du, dass ich schlafe. Ich weiß noch, dass du unheimlich warm warst. Deine Umarmung wiegte mich schließlich trotz meiner unruhigen Gedanken in den Schlaf.
 

*
 

Es ging noch ein paar Tage so weiter. Die Blicke, die Gespräche, die Berührungen. Wir wussten beide, worauf es hinaus lief, aber keiner sprach die Sache direkt an. Das Problem war, dass unsere Standpunkte zu dieser Beziehung, die wir weiterhin als Freundschaft bezeichneten, so verschieden waren. Du suchtest immer wieder meine Nähe, umarmtest mich öfter und länger als allgemein angebracht, berührtest mich wie beiläufig an den Armen oder am Rücken, und dein Lächeln... dein Lächeln war für mich manchmal kaum zu ertragen. Du sahst zufrieden und glücklich aus bei alldem.

Ich hingegen fühlte mich zerrissen. Zerrissen von diesem Lächeln, das mir den Tag erhellte und mich zurück lächeln ließ. Zerrissen von den Umarmungen, von den normalen und den geheimen. Du warst der Mittelpunkt meiner Gedanken. Ich fühlte mich gut, wenn du nah bei mir warst, ich mochte deine Wärme. Aber ich spürte im gleichen Moment die Angst in meinem Bauch, die Schwere in meinen Armen, den Zweifel in meinem Kopf.
 

Du warst mein bester Freund.
 

So etwas wie Liebe ist verdammt zerbrechlich. Wenn ich höre, wie alle von der Liebe reden, wird mir schlecht. Das Beste im Leben, bis in alle Ewigkeit, Glückseligkeit. Die Wahrheit ist doch, dass nach der Liebe der Hass kommt, oder im besten Fall die Traurigkeit.
 

Meine Eltern waren das leuchtende Beispiel, aber bei Weitem nicht das einzige. Niemals wollte ich das, was wir hatten aufs Spiel setzen für etwas, von dem ich mir nicht mal sicher war, ob es existierte.

Also spürte ich weiterhin die Wärme deiner Umarmungen, aber wandte mich ab, wenn du mich zu lange ansahst, flüchtete aus tiefgründigen Gesprächen, indem ich dumme Witze machte und nahm mich zurück, bis diese Sache vorüber sein würde.
 

*
 

„Du bist nicht mehr ganz bei Trost.“

Mein Vater wedelte mit der Terminkarte des Tattoostudios.

Ich verschränkte die Arme und sagte nichts. War ja klar gewesen, dass er sich aufregen würde. Einfach abwarten, bis der Sturm vorbei war.

„Kommt gar nicht in Frage, dass du dich verunstalten lässt.“

Ich schüttelte den Kopf. „Ich bin glücklicherweise alt genug, um das selber zu entscheiden.“

„Auf dem Papier vielleicht, aber offensichtlich nicht im Kopf.“

Ich gab ein genervtes Grummeln von mir. Es war so typisch für ihn. Normalerweise bekam ich ihn kaum zu Gesicht, weil er seine komplette Zeit mit der Arbeit verbrachte – und wenn er dann mal einen einzigen Tag frei hatte, und versuchte, auf den neusten Stand zu kommen, was das Leben seines ältesten Sohnes betraf, dann regte er sich auf. Aber das musste er wohl, um wenigstens ein kleines bisschen das Gefühl zu haben, dass er seine Vaterpflichten erfüllte.

„Wie kommst du nur auf solche Ideen...“, grummelte er weiter und lief im Zimmer auf und ab während er immer wieder die Karte durchlas, als könne er es nicht glauben.

Wie kam ich nur auf die Idee, Dinge zu tun, die ich tun wollte? Dinge zu tun, die mir wichtig waren, aber andere nicht nachvollziehen konnten? Shame on me.

„Erwarte nicht, dass ich dich dabei unterstütze, dass du dir deine Zukunft kaputt machst.“

Oh wie dramatisch... Als ob ich etwas anderes erwartet hätte. Ich zuckte mit den Schultern.

„Alles klar“, erwiderte ich schließlich, schnappte ihm im Vorbeigehen die Karte aus der Hand und verließ die Wohnung.
 

*
 

„Genko“, formten deine Lippen, als ich dir die Karte zeigte. Von dir erhoffte ich mir eine andere Reaktion, als von meinem Dad.

„Der Termin ist ja erst in einem halben Jahr.“

„Die Zeit werde ich auch brauchen, um genug Geld zu sparen.“

„Du bist verrückt.“

„Danke, so ähnlich hat es mein Vater auch ausgedrückt.“

Du schütteltest heftig den Kopf. „Nein, ich meine das... im positiven Sinn.“ Mit einem Grinsen gabst du mir die Karte zurück. „Mir sagt man übrigens das Gleiche nach.“

Ich grinste zurück.

„Und was willst du dir tätowieren lassen?“

„Eine Kindheitserinnerung.“

Deine Augen wurden größer, ich hatte deine Neugier geweckt.

„Erzähl mir mehr.“

Ich grinste noch breiter. Und schwieg.

„Sag schon, was meinst du damit?“

Es gab nichts Amüsanteres, als deine wachsende Ungeduld zu beobachten. Dass ich dich nach Jahren noch immer auf die gleiche Weise aufregen konnte, war bezeichnend.

„Lass dich überraschen.“

„Nein! Du verrätst es mir jetzt!“

Auf einmal waren wir wieder elf Jahre alt.

„Nö.“

„Doch!“

„Nei-hein.“

„Oh doch, sonst prügle ich es aus dir raus!“

„Versuch's doch!“
 

Später erzählte ich es dir dann. Du lächeltest und nicktest als ich dir detailreich beschrieb, wie Garurumon meinen Rücken verzieren würde. In deinen Augen konnte ich diese Euphorie sehen, dieses Leuchten, das mir sagte, dass du mich bei meinem Vorhaben unterstützen würdest, dass du es nicht nur verstehen, sondern dich auch mit mir darauf freuen konntest – wie ein Freund. Aber dann...

„Das wird doch bestimmt... schmerzhaft, oder?“

Ich grinste. „Wahrscheinlich, ein bisschen.. wie Nadelstiche eben, die Farbe wird ja mit einer Art Nadel in die Haut gebracht.“

Dein Gesicht verlor etwas an Farbe. In diesem Moment erinnerte ich mich wieder daran, dass du Angst vor Nadeln und Spritzen hattest... etwas, das ich regelmäßig vergaß. Wahrscheinlich, weil es geradezu idiotisch albern war, dass ein tougher Sportler wie du Angst vor einem kleinen Pieks hatte. Aber ich mochte es, dass auch jemand wie du seine Schwächen hatte.

„Das wird wohl im Endeffekt trotzdem weniger wehtun, als die Kohle, die ich dafür aufbringen muss. Aber das ist es mir wert“, lenkte ich dich ab.

„Wie praktisch, dass du einer aufstrebenden jungen Band angehörst, um die sich die Clubs der Stadt nur so reißen!“

Wir lachten beide. Ich liebte deine maßlosen Übertreibungen, aber du hattest Recht damit, dass die Band meine beste Einnahmequelle sein würde. An kleine Gigs kamen wir sogar relativ gut heran, seit wir die Schwelle einer kleinen Schulband überschritten hatten, indem wir einige Songs auf Youtube eingestellt hatten. Unsere Musik kam erstaunlich gut an.

„Begleitest du mich? Vielleicht brauche ich dabei den Beistand meines besten Freundes, nur so zur Sicherheit.“

„Klar! Solange ich nicht hinsehen muss.“

„Abgemacht.“
 

*
 

Und so kümmerte ich mich die nächsten Wochen den Großteil meiner Zeit um die Organisation von Auftritten für meine Band. Vor allem nachdem mein Vater mir noch eine weitere Predigt gehalten und erklärt hatte, dass er mir zum Geburtstag aus diesem Grunde kein Geld schenken würde. Er wolle nicht, dass ich es für die Verschandlung meines Körpers und meiner Zukunft verwendete.

Ein Monat war bereits vergangen und ich war guter Hoffnung. Die Band war in Top-Form und allen gefiel mein verstärktes Engagement. Das mit dem Tattoo hatte ich jedoch keinem von ihnen erzählt.

Eine Stunde nach unserem Soundcheck öffnete das „Stripes“. Ich saß an der Bar und gönnte mir noch ein bisschen Flüssigkeit, für die Stimmbänder und so. Die Barkeeperin – Haruka - war eine hübsche Rothaarige, die mich zwischen dem Bedienen der anderen Besucher immer wieder ansteuerte.

„Schreibst du die Songs alle selber?“ Sie spülte zwei Gläser und schaute mich neugierig an.

„Die Texte schreibe meistens ich, die Melodien entwickeln wir gemeinsam.“

„Wow, das ist großartig, woher nimmst du die Inspiration? So einen Songtext zu schreiben ist doch bestimmt schwierig.“

Inspiration... „Nein, eigentlich... schreibe ich nur meine Gedanken auf und dann kommt irgendwie alles zusammen.“

„Hmm.. das nennt man dann wohl Talent.“ Sie zwinkerte mir zu und huschte zu einem anderen Gast.

„Entschuldigung, ich hab' dich noch nie hier gesehen, bist du öfter hier?“

Ich hatte gar nicht gemerkt, dass du dich neben mich gesetzt hattest.

„Kriegst du so tatsächlich jemanden rum?“, fragte ich und grinste.

„Sag du es mir.“

Ich zischte belustigt und nahm einen Schluck von meinem Bier.

„Und schon nervös?“

„Eigentlich nicht.“

Haruka kehrte zurück und musterte dich mit einem verschmitzten Lächeln. „Gehörst du auch zur Band?“

„Ich? Nein. Ich bin nur ein … Freund.“

„Hast du noch mehr so gutaussehende Freunde, Matt?“

„Nein.“ War auch besser so. Ich war ja schon mit diesem einen überfordert.
 

*
 

Ich war tatsächlich kaum nervös. Ich weiß nicht wieso, aber ich habe kein Lampenfieber. Ich gehe einfach raus auf die Bühne und tue das, was ich möchte. Gitarre spielen und singen. So war es auch an diesem Abend. Die Songs waren größtenteils neu, aber wir hatten uns halb tot geprobt, sodass es keine Unsicherheiten mehr gab. Ich trat ans Mikrofon und begrüßte die Meute. Die Lichter waren auf uns gerichtet, aber ich konnte dich trotzdem an der Bar sitzen sehen. Haruka stand nahe bei dir und schien eine Pause einzulegen, um uns zuzusehen. Ich zwinkerte dir zu.
 

A revolution has begun today for me inside

The ultimate defence is to pretend

Revolve around yourself just like an ordinary man

The only other option is to forget
 

Die Leute vor der Bühne tanzten, wippten im Takt, viele der Mädels in den ersten zwei Reihen hatten nur noch Augen für mich. Ich ließ meinen Blick durch ihre Reihen gleiten. Für mich sahen sie alle irgendwie gleich aus, aber wie sollte man auch in Sekundenbruchteilen und geblendet von grellen Lichteffekten alles erkennen. Das was wichtig war, konnte ich gut sehen...
 

Does it feel like we've never been alive?

Does it seem like it's only just begun?
 

Meine Hände spielten automatisch, schlugen die Saiten an, es war jedes Mal, als würde alles von selber ablaufen, als hätte und bräuchte ich gar keine Kontrolle darüber. Als würde ich mir selber dabei zusehen. Schließlich fanden meine Augen deine.
 

To find yourself just look inside the wreckage of your past

To lose it all you have to do is lie

The policy is set and we are never turning back
 

It's time for execution; time to execute

Time for execution; time to execute!
 

Es lag daran, dass wir nicht darüber sprachen.

Deshalb konnte ich darüber schreiben, darüber singen. Kryptisch vielleicht. Aber für mich war es die deutlichste Sprache, in der ich es sagen konnte. Es war meine Lösung für dieses Problem. Meine geheime Botschaft an die Welt, die mich für ein paar Minuten frei machte von meinen Zweifeln. In meinen Songs löste ich die Konflikte immer mutig. Vielleicht wäre ich das Risiko für dich sogar eingegangen. Aber ich hätte niemals den ersten Schritt gemacht.

Du hattest immer gesagt, dass du meine Songs mochtest. Manchmal erkanntest du die Anspielungen auf die Abenteuer unserer Kindheit. Aber das, was jetzt zwischen uns passierte, schienst du nicht zu sehen. Wahrscheinlich, weil du wusstest, dass es mit mir nicht einfach war. Wer kannte mich schon besser, als du...
 

Does it feel like we've never been alive?

Does it seem like it's only just begun?

Does it feel like we've never been alive inside?

Does it seem it's only just begun?

It's only just begun
 

Aber vielleicht hattest du auch nur genauso Angst um unsere Freundschaft, wie ich. Wir alle wissen, dass Veränderung normal und prinzipiell etwas Gutes ist. Aber wenn es um Dinge geht, die uns wichtig sind, dann wollen wir meistens, dass alles so bleibt, wie es ist.
 

The evolution is coming!

A revolution has begun!

The evolution is coming!

A revolution has, yeah!
 

*
 

Zu späterer Stunde kam die Musik vom DJ und wir saßen wieder an der Bar, tranken und scherzten während Haruka nicht locker ließ, gleichermaßen mit uns beiden zu flirten. Die Euphorie des kürzlichen Auftritts durchfloss mich noch und ich war in bester Stimmung. Gemischt mit etwas Alkohol führte das bei mir oft dazu, dass ich offener wurde, als ich wollte...

„Das erste Lied, das ihr gespielt habt, gefiel mir am besten.“

Ich horchte auf, sah dich gespannt an. Hattest du doch verstanden...?

Aber bevor du geantwortet hattest, schaltete sich Haruka wieder ein.

„Ja, mir auch. Du scheinst ein ziemlich tiefgründiger Typ zu sein, Matt. Auf jeden Fall hast du eine unheimlich schöne Stimme, so eindringlich und...“ Sie schüttelte den Kopf und gestikulierte über ihrem Kopf herum. „Ich kann's nicht gut beschreiben.“ Dann lachte sie und huschte zu den nächsten durstigen Kunden.

Ich hatte kaum richtig hingehört. Ich wandte meinen Blick wieder dir zu.

„Was gefiel dir an dem ersten Song?“, hakte ich nach.

Du beugtest dich leicht nach vorne, um mir ins Ohr zu flüstern.

„Time to execute~“

Deine Worten waren wie Eiswürfel, die meinen Rücken hinabglitten. Ich schauderte. Warum klangen die Worte bei dir so sexy? Als du dich wieder zurückzogst, trafen sich unsere Blicke. Meiner etwas verunsichert, deiner irgendwie... provokativ.

„Also der Text“, beantwortete ich meine Frage und fuhr mir gespielt lässig durchs Haar bevor ich nach meinem Glas griff, um mich unauffällig an irgendetwas festzuhalten.

Dein Blick ruhte weiterhin auf mir, deine braunen Augen, die sonst so offen und freundlich waren, wirkten ruhelos, als wärst du... auf der Jagd. Was war los? War das wieder einer dieser Träume, aus denen ich üblicherweise schweißgebadet und frustriert in einem völlig zerwühlten Bett aufwachte? Mein Herz schlug schneller.

„Wie lange kennt ihr euch schon, ihr zwei Süßen? Ihr seht so vertraut aus.“ Harukas aufgekratzte Stimme riss mich aus meinen Gedanken und aus der Trance, in die ich gefallen war. Ich räusperte mich.

„Seit neun Jahren... ungefähr...“ Eigentlich wusste ich es auf den Tag genau, aber ich wusste auch, dass es mehr als merkwürdig gewirkt hätte, das zu offenbaren: Heute waren es neun Jahre und neun Tage.

„Dann seid ihr richtige Kindheitsfreunde, was? Finde ich toll sowas. Oft lebt man sich ja auseinander wenn man älter wird.“

Ich nickte ihr zu und bemerkte, dass dein Blick noch immer auf mir ruhte. „Wir sind sowas wie ein Herz und eine Seele.“ Obwohl sich mir im Moment eher der Vergleich zu einem Jäger und seiner Beute aufdrängte...

„Für immer“, fügtest du noch an und nahmst den letzten Schluck von deinem Bier.

Den Rest der Zeit saß ich in krampfhafter Entspanntheit auf meinem Barhocker und kippte mir die Drinks runter, als gäbe es kein Morgen. Aber bevor ich völlig den Überblick verlor, gingst du dazwischen, legtest deine Hand auf meine und sahst mich sanft aber eindringlich an.

„Ich glaube, du hast langsam genug Matt, es ist auch schon ziemlich spät. Ich bringe dich nach Hause.“

Ich wurde an diesem Abend nicht schlau aus dir. Aber ich ergab mich und verließ mit dir den Club. Wir fuhren ein paar Stationen mit der U-Bahn, ich erinnere mich kaum noch daran, aber als wir die letzten Schritte zu meiner Wohnung zurücklegten, war ich wieder bei mir.

Wir standen vor dem Eingang, ich wollte irgendwas zu dir sagen. Danke, und, dass du mich nicht raufbringen müsstest oder so. Aber da ging auf einmal alles so schnell. Du drücktest mich sanft gegen die Wand am Hauseingang, ich sah nur noch dein Gesicht, deine Augen, ihr Blick jetzt zärtlich. Mein Herz machte einen Sprung und ich zuckte instinktiv zurück, als deine kühlen Hände mein Gesicht umfingen.

Es war unser erster Kuss und er war so verwirrend, wie etwas überhaupt sein konnte. Time to execute, schoss es mir noch durch den Kopf. Aber warum heute auf einmal? Was war heute anders?

Ich erinnere mich noch an das Prickeln auf den Lippen und den herben Geschmack des Biers und daran, wie meine Beine zitterten und du dich an mich schmiegtest, als wolltest du mich wärmen. Aber es lag nicht an der Kälte.

„Lass uns reingehen.“

Ich sah die Bilder, die Szenen unserer Freundschaft an mir vorbeiziehen, als wir den Flur durchquerten. Als wäre ich auf dem Weg zur Hinrichtung, dem Tod unserer Freundschaft. Ich verdrängte die dramatischen Gedanken.
 

Time for execution, time to execute

The evolution is coming...
 

Mein Vater war nicht zu Hause. Alles war dunkel. Du nahmst meine Hand, wir gingen in mein Zimmer, setzten uns nebeneinander aufs Bett und sahen uns sekundenlang einfach nur in der Dunkelheit an. Ich hörte meinen aufgeregten Herzschlag. Das alles war so unwirklich. Aber es war kein Traum.

Ich hatte das Gefühl, dass du etwas sagen wolltest, aber der Moment verstrich und du beugtest dich stattdessen vor und küsstest mich nochmal. Etwas in mir schrie auf. Der Teil von mir, der unsere Freundschaft um alles in der Welt schützen wollte. Auch wenn dafür etwas anderes unterdrückt werden musste. Nur war dieses andere im Moment so stark wie nie zuvor. Ich gab deiner drängenden Zunge nach, ließ dich mich küssen, küsste dich zurück. Für ein paar Sekunden erstarben die Zweifel und ich genoss einfach nur das Gefühl. Es war befreiend, es fühlte sich richtig an und... ich war verbundener mit dir, als jemals zuvor. Dass ich langsam nach hinten aufs Bett gesunken war und du halb auf mir lagst, bemerkte ich erst, als ich die Augen wieder öffnete.

„Tai was machen wir hier?“, fragte ich leise und konnte den Blick nicht von deinen Augen abwenden. Mein Gesicht glühte, ich zitterte noch immer ein wenig.

„Ich will nicht, dass wir uns fühlen, als wären wir nie wirklich am Leben gewesen.“

Ich runzelte die Stirn, bevor mir auffiel, dass das eine Zeile aus meinem Songtext war. Ich öffnete den Mund, um dir zu antworten, dass das alles ja nur ein dramatisch gestalteter Liedtext war, der nichts mit uns beiden zu tun hatte, aber du sprachst weiter.

„Matt, ich möchte nicht so weitermachen. Es fällt mir so schwer, immer so zu tun, als wolle ich dich nicht anfassen, dich nicht küssen, weil Freunde das nicht machen. Für mich ist es schon lange mehr. Und ich weiß, dass es dir ähnlich geht.“

Du strichst mir eine Strähne aus dem Gesicht, ein warmes Lächeln untermalte deine Geste. Du schautest mich an, wie einen wertvollen Schatz, den du um alles in der Welt beschützen wolltest. Ich war vollkommen durcheinander. Geborgenheit sickerte durch mich hindurch, es war angenehm, mit dir hier zu liegen, so nah. Ich wollte dich küssen. Ich wollte weitermachen. Aber da war auch weiterhin eine eiskalte Angst in meinem Magen, die mich zum Zittern brachte, mich davon abhielt, deine Zärtlichkeit zu genießen und die mir sagte, dass das hier der größte Fehler meines Lebens war. Ich wollte unsere Freundschaft nicht verlieren. Liebe würde das alles kaputt machen. Ich fluchte innerlich. Es war schon zu spät. Ich hatte die Gefühle schon lange, und jetzt war alles vorbei. Ich biss mir auf die Unterlippe.

Ich glaube, du konntest den Kampf in meinen Augen sehen.

„Ich weiß du hast Angst um unsere Freundschaft. Aber ich verspreche dir, ich werde immer dein bester Freund sein, egal was passiert. Selbst wenn wir uns streiten, selbst wenn es mit uns nicht klappt, ich könnte dich niemals hassen.“

Ich sah dein zuversichtliches Lächeln und wollte dir glauben. Ich bewunderte deinen Mut und wünschte mir, dass du mir ein bisschen davon abgeben könntest.

„Ich liebe dich.“ Deine Worte wärmten die kalte Angst in mir. Ich schlang meine Arme um deinen Nacken und zog dich zu mir heran.
 

A revolution has begun.
 

*
 

Als ich am nächsten Morgen aufwachte, glaubte ich zuerst, alles wäre nur ein Traum gewesen, aber da ich dich neben mir liegend fand, musste es wohl doch so geschehen sein. Übelkeit stieg in mir auf. Wir hatten alles falsch gemacht. Wir hatten eine Grenze übertreten, nichts würde mehr so sein wie vorher.

Während ich dich betrachtete, kamen die Erinnerungen der letzten Nacht in mir hoch. Wir hatten uns benommen wie instinktgesteuerte Tiere. Wir hatten für diesen kurzen Rausch unsere Freundschaft über den Haufen geworfen. War es das wert gewesen? Ein leises Kribbeln in meinem Bauch vermeldete die Antwort, aber ich unterdrückte das Gefühl. Nein, es war nicht richtig gewesen. Das hätte nicht passieren dürfen. Verdammt. Was sollte ich jetzt tun? Was sollten wir jetzt tun? Konnten wir zur Tagesordnung übergehen? Konnten wir so tun, als wäre das nicht passiert? Einen Moment lang bedauerte ich, dass wir nicht genug Alkohol getrunken hatten, um diese Erinnerung direkt auszulöschen.

Ich schüttelte kaum merklich den Kopf.

Kurz darauf bist du aufgewacht, hast geblinzelt, mich angesehen und gelächelt. „Guten Morgen.“ Deine Stimme war ein zartes Säuseln. Du zogst die Decke enger um unsere Körper und kuscheltest dich an mich. „Hast du auch so gut geschlafen?“

Mir steckte ein Kloß im Hals und das Zittern war wieder da. Du aber schienst da weitermachen zu wollen, wo wir gestern aufgehört hatten. Mir war kalt. Ich musste die Sache sofort klarstellen.

„Tai, wir... ich glaube, das war ein Fehler. Wir sollten versuchen, es zu vergessen und... uns wieder normal benehmen.“

Vorsichtig rutschte ich ein Stück weit von dir weg. Du hobst langsam den Kopf, dein Blick war plötzlich vollkommen wach... und ernst. „Beruhig' dich, Matt. Zwischen uns hat sich nichts geändert, und es muss sich auch nichts ändern, außer, dass wir uns nicht mehr verstellen brauchen. Wir haben dieses Spiel in den letzten Monaten bis zum Erbrechen gespielt und immer blieb da eine Unzufriedenheit zurück. Aber gestern Nacht war alles perfekt! Weil wir endlich wieder echt waren, uns nicht verstellt haben. Verstehst du? Unsere Freundschaft ist deswegen nicht verschwunden. Sie hat sich nur... weiterentwickelt.“

Wieder kam mir mein Songtext in den Sinn. Langsam hatte ich das Gefühl, dass dieses Lied im Grunde an allem schuld war. Ich dachte über das Gesagte nach und irgendwie schienst du genau die richtigen Worte gefunden zu haben, um die Angst in meinem Inneren wieder zurückzudrängen. Wir sahen uns ein paar Sekunden an, dein Lächeln war so ehrlich, so warm, so glücklich, viel glücklicher als sonst. Du hattest Recht. Ich war ein Angsthase. Als ich mich dazu durchrang, dein Lächeln zu erwidern und wieder etwas näher zu dir rückte, beugtest du dich herüber und gabst mir einen Kuss auf die Wange.
 

*
 

Die nächsten Wochen verliefen wie im Film. Wir waren wie verliebte Teenager... okay, wir waren verliebte Teenager. Auf jeden Fall erlebten wir eine ganz neue Freiheit. Da war kein Zögern mehr, kein geregelter Abstand. Wir wussten, was wir fühlten und wir zeigten es uns nun. Ich bereute die Nacht nicht mehr und auch die danach folgenden nicht. Ich war dir so dankbar, für deinen Mut, mich von diesem Schritt zu überzeugen. Ich liebte dich sehr und ich fühlte mich nicht mehr permanent schuldig am Tod unserer Freundschaft. Hin und wieder gab es aber Momente, in denen mich noch Zweifel heimsuchten. Zum Beispiel, wenn sich in mir Eifersucht regte, die ich vor unserer „Beziehung“ weit besser unter Kontrolle gehabt hatte. Irgendwie glätteten wir die Wogen aber immer.

Die Zeit verging wie im Flug. Ein Monat, zwei Monate, drei Monate... unsere Beziehung hatte mich erheblich von meinen Sparplänen abgelenkt, sodass ich mich nun wieder etwas stärker auf die Band konzentrieren musste, um rechtzeitig das Geld zusammen zu bekommen. Ich wollte niemanden anpumpen, vor allem nicht bei so etwas Persönlichem, wie meinem Tattoo. Es würde knapp werden, aber ich war dennoch zuversichtlich.

So kam ich in dieser Samstagnacht von einem Gig mit anschließender Bandparty. Meine Kollegen hatten gut einen getrunken, ich selber hatte mich zurückgehalten. So kam ich weit nach Mitternacht an meiner Wohnung an, Koji hatte mich begleitet, weil er selber nur ein paar Häuser weiter wohnte. Er war ziemlich blau und machte die ganze Zeit anzügliche Witze.

Gerade war er mit der Imitation meiner fiktionalen Weiberabenteuer beschäftigt. Ich hatte noch niemandem von uns erzählt.

„Ohhh Yama~ ja~ genau da~“, krächzte er, als ich die Stufen hinaufstieg.

Mein „Pssst“ ignorierte er gekonnt.

„Oh ja~ diese Noppenkondome sind schon echt geil~“

Ich runzelte die Stirn und schüttelte heftig den Kopf. Hoffentlich schliefen die Nachbarn fest genug.

„Aber richtig ätzend ist, wenn sie mit ihren Zähnen nicht aufpassen...“

„Okay Koji, gute Nacht, wir sehen uns“, verabschiedete ich mich hektisch und verschwand hinter der Tür. Der Hausflur war dunkel und still. Nochmal Glück gehabt. Ich stieg die Treppen zum ersten Stock hinauf und erschrak, als sich etwas in der Dunkelheit regte.

„Ist ja interessant.“

Überrascht von deinem nächtlichen Besuch blieb ich stehen. „Hallo Tai.“ Ich lächelte, freute mich über deinen Besuch, auch wenn ich schon recht müde war... das Bett war immer bequemer, wenn du mit mir darin lagst. Ich ging zu dir und wollte dich küssen, aber du wichst mir aus.

„Warum erzählst du deinen Bandkollegen sowas?“

„Was?“ Ich war völlig perplex.

„Noppenkondome?“

Ich spürte, wie mir die Röte ins Gesicht schoss. „Ich weiß nicht, wie er darauf gekommen ist, aber ich erzähle nichts intimes herum, Tai. Ich habe der Band noch gar nicht erzählt, dass wir zusammen sind.“

Du hobst zweifelnd eine Augenbraue. Ich konnte nicht glauben, dass wir hier über so etwas Lächerliches stritten. Um zwei Uhr morgens direkt vor meiner Wohnungstür.

„Glaubst du mir nicht? Koji war schon immer so drauf... wenn er getrunken hat, labert er immer solches Zeug, das hat nichts mit uns zu tun.“

„Und das mit den Zähnen?“ Deine Stimme war nun leiser und Verletzung sprach aus deinen Augen.

„Dafür gilt das selbe. Mensch Tai, glaubst du wirklich ich spaziere durch die Weltgeschichte und erzähle anderen Leuten pikante Geschichten aus unserem Sexleben? Ich dachte du kennst mich.“

Als dein Gesicht noch immer diesen leicht bitteren Ausdruck zeigte, stieg die alte Angst in mir auf, diesmal gemischt mit einer Prise Wut. Wieso führten wir diese Unterhaltung? Dass du es überhaupt für möglich hieltest, dass ich intime Details bei meinen Kollegen preisgab, versetzte mir einen Stich.

„Scheinbar lag ich damit falsch“, stellte ich fest und schloss die Tür auf.

Du hast keine Anstalten gemacht, mit hereinzukommen und auch nichts mehr gesagt. Wie ferngesteuert ging ich duschen, putzte meine Zähne und legte mich ins Bett. Bis dahin war mein Kopf leer gewesen, aber als ich nun unter der Decke lag, strömten die Gedanken auf mich ein. Ich war wütend auf dich, weil du dachtest, dass ich lüge. Ich war wütend auf Koji, obwohl er nichts dafür konnte. Ich war vor allem wütend auf mich selbst, weil ich mich überhaupt erst auf die ganze Sache eingelassen hatte. Toll, nun hatten wir also ein paar Monate Glück gegen bald zehn Jahre Freundschaft eingetauscht. Super.

Ich wälzte mich noch lange im Bett herum, bis ich endlich einschlafen konnte.
 

*
 

Ein paar Tage herrschte Funkstille. Ich quälte mich dazu, meinen Tagesablauf ganz normal durchzuziehen, obwohl mir permanent schlecht war und ich zu nichts wirklich Lust hatte. Du fehltest mir. Mehrmals nahm ich das Telefon in die Hand, aber ich rief dich nicht an.

Nach einer Woche warst du es schließlich, der sich bei mir meldete.

„Yama, du fehlst mir.“

Ich seufzte. Du fehltest mir auch. Aber das änderte nichts an der Sache.

„Es tut mir leid, dass ich so überreagiert habe. Ich weiß auch nicht, wieso ich auf einmal so empfindlich war. Es ist mir egal, was du deinen Kumpels erzählst.“

„Ich habe ihnen nichts erzählt verdammt!“ Meine Finger krümmten sich viel zu fest um den Hörer.

„Schon gut schon gut, ich glaube dir. Lass uns die Sache doch vergessen, Yama.“

„Nein. Du sagst, du weißt nicht, wieso du auf einmal so warst. Aber ich weiß es. Diese „Weiterentwicklung“ war ein Fehler. Du hast gesagt, wir würden trotzdem immer Freunde bleiben, aber als du noch mein bester Freund warst, hast du mir immer vertraut. Wir sollten das beenden Tai. Ich will unsere Freundschaft zurück.“

Ich spürte, wie Tränen in meine Augen schießen wollten, aber ich hielt sie zurück. Am anderen Ende der Leitung herrschte Stille.

„Matt, ich...“ Deine Stimme klang gepresst. „Ich will das nicht so einfach aufgeben.“

„Also war das Gerede, dass wir immer Freunde bleiben werden, egal was passiert, nur so dahin gesagt, ja?“ Jetzt kamen die Tränen doch durch und meine Hände zitterten. Ich legte auf, wollte nicht, dass du das ganze Ausmaß meiner Verzweiflung hören konntest. Ich warf das Telefon in die Ecke und ließ mich auf mein Bett fallen. Dann liefen die Tränen unaufhörlich. Ich weiß nicht, wann ich zum letzten Mal in meinem Leben so geweint hatte. Es musste in meiner Kindheit gewesen sein. Und ich fühlte mich in dem Moment auch wieder wie ein Kind, schwach, verletzlich, verzweifelt.... einsam.
 

*
 

Die Tage vergingen. Ich nahm deine Anrufe nicht mehr an. Ich wollte nicht weiter darüber diskutieren. Ich wollte zurück zu unserer Freundschaft, so wie du es mir am Anfang versprochen hattest. Aber du wolltest diese Beziehung weiterführen, die den ganzen Ärger erst heraufbeschworen hatte. Du hattest dein Versprechen nicht gehalten. Du warst nicht mehr mein bester Freund, sondern mein Ex-Lover.

Ich versuchte, mich auf die Band zu konzentrieren, aber es fiel mir schwer, die Fassade aufrecht zu erhalten. Auf meinen Tattoo-Termin hatte ich eigentlich gar keine Lust mehr. Das Tattoo hatte so viel mit der Freundschaft zu tun, die ich verloren hatte. Aber ich würde die Sache trotzdem durchziehen. Allein. Es würde mich ewig daran erinnern, welchen Fehler ich gemacht hatte.
 

*
 

Ich ziehe mein Shirt über den Kopf und setze mich rittlings auf den Stuhl, den mir Genko zugewiesen hat. Gleich geht es los, ich bin nervös. Ich starre auf die Wände, die mit Fotos und Skizzen von seinen Arbeiten verziert sind. Wir sprechen das Motiv nochmal durch, er zeigt mir das Bild, das bald meinen Rücken zieren wird. Garurumon und Greymon, und wir beide zu ihren Füßen. Jetzt wäre wohl die letzte Möglichkeit, die Sache abzublasen, oder? Aber ich bleibe dabei. Ich will so wenigstens die gute Zeit festhalten, die wir hatten.

Nachdem alles geklärt ist, sagt Genko, dass er noch kurz einen anderen Kunden vorbereiten muss. Ein Mitarbeiter setzt sich hinter mich, schabt mit einer Rasierklinge über die Schulterblätter, wäscht die Fläche ab, trägt die Skizze auf. Ich seufze. Nicht zum ersten Mal frage ich mich, ob es an mir lag. Vielleicht hätte ich deine Entschuldigung annehmen sollen und wir hätten so weiter gemacht. Wir waren doch glücklich. Andererseits... du hast dein Versprechen gebrochen. Wir sind keine Freunde mehr. Es war doch besser so.

„Setz' dich da hin, Gesicht zur Lehne.“

Ich blicke auf und erstarre. „Tai?“

Du schaust mich an und lächelst. „Hallo Matt.“

„Was machst du hier?!“ Perplex beobachte ich, wie du dich auf den anderen Stuhl setzt. Ein anderer Mitarbeiter kommt herbei und nimmt die selbe Prozedur an dir vor. Ich traue meinen Augen nicht. Was ist hier los?

„Ich habe dir doch versprochen, herzukommen“, erwiderst du und lächelst wieder. Es ist das Lächeln, das ich so vermisst habe. Warm und offen. Ja, du hattest es versprochen aber... das war vorher. Ich hätte niemals damit gerechnet, dass du auftauchen würdest. Das Kapitel hatte ich abgeschlossen.

„Aber... du wolltest ursprünglich nicht mal zusehen und jetzt... du lässt dich doch nicht wirklich tätowieren, oder?“ Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. Irritiert beobachte ich, wie der Assistent dir ebenfalls eine Skizze auf den Rücken aufträgt. Ich schüttle den Kopf. Das muss wieder einer meiner wirren Träume sein. Das kann unmöglich real sein. Du hast Todesangst vor Nadeln. Niemals würdest du...

Dann erkenne ich das Motiv. Garurumon, Greymon, wir beide. Das selbe Bild?

„So, da habe ich ja meine Tattoo-Zwillinge.“ Genko grinst uns an.

„Tattoo-Zwillinge und beste Freunde.“ Du zwinkerst mir zu.
 

*
 

Die Nadeln sirren. Es ist ein Gefühl irgendwo zwischen stechen, kratzen und ziepen, aber es ist erträglich. Ich hatte es mir schlimmer vorgestellt. Immer wieder blicke ich zu dir hinüber, du lächelst mir tapfer entgegen. Ich kann es immer noch nicht fassen. Einerseits, dass du dich jetzt tätowieren lässt, andererseits, dass es mit uns noch nicht zu Ende zu sein scheint. Du bist hier und du benimmst dich, als wäre alles okay zwischen uns. Ich will mit dir darüber reden, aber ich kann nicht, während uns alle zuhören. Also hänge ich weiter meinen Gedanken nach.

Mit der Zeit wird der Schmerz intensiver. Wahrscheinlich ist meine Haut inzwischen auch gereizt. Aber ich kann mich beherrschen. Dein Gesichtsausdruck wirkt sehr angespannt. Ich kann nicht anders, als dich für diese Aktion zu bewundern. Es ist verrückt und kopflos... aber auch verdammt mutig. Eben typisch du.

Nach ein paar Stunden sind wir fertig. Du atmest erleichtert aus. Jemand tupft meinen Rücken ab, dann wird alles mit einer Folie überklebt und mit Tape fixiert. Wir ziehen uns wieder an. Uns wird erklärt, wie wir die nächsten Tage und Wochen mit unserem neuen Körperschmuck umzugehen haben. Wir bezahlen. Woher hast du eigentlich das ganze Geld?!

Endlich draußen und mehr oder minder unbelauscht, ergreife ich die Initiative.

„Danke für deine Unterstützung.. auch wenn ich sie mir damals komplett anders vorgestellt hatte... Was hat das alles zu bedeuten, Tai?“

Du grinst schief, scheinst etwas mitgenommen von der Session zu sein.

„Matt. Ich habe dir versprochen, immer dein bester Freund zu sein, egal was passiert. Und das wollte ich dir heute ein für alle Mal beweisen. Es ist jetzt auf unseren Körpern verewigt, es wird sich niemals ändern, okay?“

Meine Mundwinkel zucken nach oben. Du legst mir vorsichtig eine Hand auf die Schulter.

„Nichtsdestotrotz liebe ich dich immer noch und ich wäre unendlich froh, wenn wir wieder ein Paar sein könnten. Ich habe dir damals nicht genug vertraut, das war dumm von mir, denn du bist der Mensch, dem ich von allen am meisten traue. Bitte verzeih mir.“

Mein Herz klopft wieder schneller. Ich überbrücke die Distanz zwischen uns und küsse dich.
 

It's only just begun.



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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

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Von:  Shirokko
2014-10-07T10:14:10+00:00 07.10.2014 12:14
Das war schön.
Manche Stellen waren ein bisschen hastig, aber alles in allem ein schöner Leseschmaus.
Dein Matt ist auch nicht so depressiv, wie er oft dargestellt wird.
Es wirkt aber, als wäre es nicht abgeschlossen. Als würde ein Satz fehlen. Schreibst du eine Fortsetzung?

Jedenfalls: Gut gemacht.
Antwort von:  Vidora
07.10.2014 12:37
Hi Shirokko,
danke fürs Lesen und deine Einschätzung :) Freut mich, dass es dir gefallen hat!
Ja, ich mag's auch nicht so besonders, wenn einer der Charas in so eine Depri-Schiene reingepresst wird (meistens ist es ja Matt), von daher versuche ich sowas natürlich zu vermeiden.
Diese Oneshot ist im Rahmen eines Wichtel-Events entstanden und war von Anfang an ohne Fortsetzung geplant. Ich glaube nicht, dass ich hieran noch anknüpfen werde und wüsste auch gar nicht so recht, wie ;) Die Perspektive, die ich gewählt hatte, war ziemlich experimentell für mich - ich glaube nicht, dass es den Leser oder mich selbst erfreuen würde, wenn ich das so auf Dauer durchziehen müsste :D Um die mögliche Geschichte ihrer Beziehung zu erzählen, würde ich lieber noch mal ganz frisch ansetzen - aber das wäre dann ohnehin eine andere FF.
Von:  NeedYouInMyLife
2014-01-23T18:03:55+00:00 23.01.2014 19:03
Da schaffe ich es dann auch endlich mal, mich zu melden.
Entschuldige für die Verspätung, aber ich bin momentan im Umzugsstress und das Kolleg wartet
mit dem Lernstoff natürlich auch nicht auf mich ._.

Nun aber zu meinem Kommentar, auf den du bestimmt eher gespannt bist ;)

Zu allererst möchte ich mich von Herzen bei dir bedanken und am liebsten knuddeln für
diese wundervolle Wichtel-Story :DD
Ich konnte es wirklich kaum aushalten, als ich die Sendung erhalten habe und war so kurz davor,
sie trotz der Abmachung im Zirkel früher zu lesen XD
Aber ich konnte mich noch zurückhalten ... gerade so, versteht sich XD (Hab' sie dann direkt morgens am 24.12. gelesen ;D)



Charaktere:
Taichi und Yamato sind trotz der Thematik Boys-Love IC geblieben.
Vielen Autoren fällt es verdammt schwer, die Charakterzüge, die sie von den Erfindern
bekommen haben, bei zu behalten, aber dir ist das wirklich sehr gut gelungen. Bravo :D
Auch die wirren Gedankenzüge und darauffolgenden Taten von Yamato sind sehr gut nachvollziehbar
und passen zu ihm.



Schreibstil:
Du hast einen tollen, flüssigen und gefühlvollen Schreibstil, der sehr gut erahnen lässt,
dass du dein Herzblut in deine Werke legst :)
Das gefällt mir sehr gut.
Zwar ist es schon einige Zeit her, dass ich die Geschichte gelesen habe (und mein Bruder
sitzt mir im Nacken, weil ich gerade seinen PC in Beschlag nehme), aber bis auf einzelne
Zeichensetzungsfehler (zwischen den drei Punkten (...) und dem Wort davor wird ein
Leerzeichen gesetzt), bin ich außerordentlich zufrieden :)
Aber das soll jetzt kein gravierender Kritikpunkt sein, sondern nur ein minimaler Hinweis ;)

Durch die Vielzahl verwendeter Adjektive konnte ich mich direkt in Matt hineinversetzen und
musste sogar Tränen vergießen ;w;
Ich hoffe das pusht dein Ego schön ;)



Formatierung:
Die Länge deiner Absätze ist angenehm zu lesen. Man wird nicht erschlagen von
endloserscheinenden Absätzen, die einem das Lesen wirklich vermiesen können ... -.-



Inhalt:
Nun wohl zum Ausschlaggebentsten aller Punkte XD
Nach einer kleinen Einführung durch gedankliche und melancholische Rückblicke seitens Yamato
wird man sofort in das Hier und Jetzt deiner Geschichte katapultiert, was keinesfalls
schlecht gemeint ist.
Diese Art des Schreibens gefällt mir sogar ziemlich gut, um ehrlich zu sein.
Dass du herumexperimentiert hast, ist mir persönlich nicht aufgefallen.

Besonders der vierte Absatz, in dem Yamato sich Gedanken darüber macht, was jetzt überhaupt
mit ihm und Taichi ist, hat mich zutiefst beeindruckt.
Ich bin ein sehr emotionaler Leser, zugegeben, aber diesen Zwiespalt, die die Liebe hervor-
bringen kann, kenne ich und mit Sicherheit viele deiner Leser.
Darum ist es so nachvollziehbar.

Meine liebste Stelle ist allerdings weiter am Ende; kurz nach dem Intervall des Dramas,
das du mit eingebaut hast.
Um genau zu sein, der vorletzte Absatz, als Yamato sich mutig dazu entschlossen hat, das Tattoo
stechen zu lassen und mit einem Mal Tai erblickt.
Ein schöner Moment, der mir persönlich wirklich gut gefallen hat.
Er zeigt deutlich, wie sehr Taichi in Yamato vernarrt ist und lässt einer alten Romantikerin
wie mir das Herz zusehends aufgehen :3



Sonstiges:
Der Titel, der Song und der Inhalt deiner Geschichte harmonieren wirklich sehr gut
miteinander :)
Zudem verbinde ich mit dem Titel auch die Serie Digimon an sich und der Song spiegelt
die Entwicklung der Gefühle beider wider.
Einfach nur klasse!


Fazit:
Eine wunderbare Geschichte! Ich bin wirklich total begeistert und weiß gar nicht, wie ich
mich angemessen dafür bedanken kann/soll xD
Also noch einmal: Danke, danke, danke!! *abknuddel* ^//^

Ich habe gemerkt, dass du dir wirklich Gedanken um meine Vorlieben und Abneigungen gemacht hast
und das du diese Geschichte nicht einfach nur so, sondern mit Herzblut und viel Mühe verfasst
hast :3


So, nun aber genug meinerseits (mein Bruder drängt mich auch schon ...).
Ich wünsche dir noch einen angenehmen Abend und hoffentlich frierst du dir bei diesen
kalten Temperaturen nicht die Finger ab, denn das wäre ein fataler Verlust für die Taito-Fans
hier auf Animexx .w.
Also bis zum nächsten Mal :)
Bei Zeiten werde ich definitiv mal deine FF's durchgehen ... das heißt, sobald ich Internet habe ._.

Bye bye und viele liebe Grüße <3
Antwort von:  Vidora
24.01.2014 10:14
Ich hatte ehrlich gesagt vermutet, dass du die FF nicht mochtest und mir aus Höflichkeit Äußerungen dazu ersparen wolltest. Dass dem nicht so ist, freut mich umso mehr!

Vielen Dank für dein Lob zum Schreibstil, der IC-ness (Sagt man das so?), dem Inhalt und allem anderen. Eins der tollsten Komplimente, die man als Autor bekommen kann, ist wohl, dass man die Gefühle des Lesers bewegen konnte. Es freut mich unheimlich, dass es bei dir so war, denn schließlich habe ich die FF für dich geschrieben ^.^

Dass mit den … wusste ich übrigens nicht (vielleicht irgendwann mal, aber wohl wieder vergessen). Von daher danke für den Hinweis ^^ Ob ich mir das diesmal allerdings merken kann, weiß ich nicht, denn es hat sich schon sehr eingeschliffen XD Ich werde es versuchen.

Danke, dass du dir die Zeit genommen hast, mir diesen Kommi zu schreiben! Ich bin sehr froh, dass dir die FF gefallen hat!
Von:  Naenia
2014-01-23T17:31:01+00:00 23.01.2014 18:31
Deine Geschichte hat mir heute die Zeit in langweiligen Vorlesungen versüßt und damit auch absolut den Tag gerettet. <3

Ich mag die Leichtigkeit der Erzählung, es wirkt alles vollkommen natürlich und ich mag die Beschreibung der Entwicklung ihrer Beziehung, wie ihr Verhalten so stark von Freundschaft und eben Mut beeinflusst werden - Das ist dir einfach so unheimlich gut gelungen!
time to execute... Das war so heiß, als er das zu Matt gesagt hat und ich war hin und weg. Mir hat sogar die Ich-Perspektive gefallen! Und das will wirklich was heißen, denn eigentlich bin ich für sowas nur ganz ganz schwer zu begeistern.
Hier war es aber wundervoll gestrickt und ich bin sehr glücklich darüber, dass ich die Geschichte lesen konnte. :3

Vermutlich haben sich vorhin alle gewundert, warum ich als einziger Mensch in der Masse so glücklich ausgesehen habe. Das war dank dir. :3
Antwort von:  Vidora
24.01.2014 09:53
Und Kommis wie dieser retten regelmäßig meinen Tag ^.^
Daaaaanke für das viele Lob, das mir wirklich viel bedeutet - gerade von jemandem, der so genial schreibt, wie du und an dessen Stil ich niemals herankommen werde.
Die Stelle, die du angesprochen hast ... <3 ich finde es immer wieder großartig, wenn Leser es genauso empfinden, wie ich es mir beim Schreiben vorgestellt habe ^_^
Danke! *knuff*
Von:  Schaput31
2014-01-23T10:56:52+00:00 23.01.2014 11:56
Oh mein Gott! Ich bin grad voll geflasht!
Ich bin ja normalerweise nicht so der TaixMatt Fan, aber diese Geschichte ist so gefühlvoll und romantisch geschrieben!
Und wie du die Eigenschaften ihrer Wappen so stark hast mit einfließen lassen, super!
Antwort von:  Vidora
23.01.2014 13:29
Hey,
danke für deinen lieben Kommentar! Vom Stil her war es ein bisschen experimentell; ich bin froh, dass es positiv rüberkommt ^^ Ich freue mich sehr, dass du die Geschichte mochtest ^_^ Dankeschön für dein Lob!


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