Zum Inhalt der Seite

Utopia

NaNoWriMo-Arbeit
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

2

„Scheiße, wie viele sind das?!“
 

„Bleib doch stehen und frag nach!“
 

Blind durch die Stadt zu laufen war eines jener besagten Selbstmordkommandos, aber eine andere Wahl hatten sie nicht, wenn die geschätzte Zahl gut und gerne 50 Infizierte betrug.

Mehr oder weniger zumindest; eher mehr, wenn der Blick über die Schulter denn genug erhaschte.
 

„Wenn einer von euch dramatisch auf die Fresse fällt, sich was bricht und dann heldenhaft zerfleischt wird, bring ich den Rest um!“, fauchte der Schwarzhaarige unter ihnen, ehe sie endlich einen vielversprechenden Unterschlupf fanden; dass auch dort genug hocken konnten, war klar aber was hatten sie schon sonst für eine Alternative.
 

Uriel stemmte sich gegen das schwere Holzbrett, rückte es dann mit der Schulter auf die Seite und ließ die anderen drei hineinlaufen, ehe er selber durchschlüpfte und schnell den Eingang verbarrikadierte.
 

„Wenn hier auch welche sind, sind wir tot“, murrte Setsuna und hielt sich die Seite, atmete gepresst ein und aus.
 

„Da draußen aber auch“, murmelte Uriel und rückte ein Stück weiter in den Gang hinein; es war dunkel, stickig und es ließ sich keines Falls vermuten, wie wenig oder viel Platz sie hier hatten. Oder was sonst noch lauerte.
 

„Klingt wie ein idealer Auftakt zu unserer kleinen Reisegruppe“, vernahm man dann die Stimme des Schwarzhaarigen, welcher im matten Licht nahe bei Raphael stand.

Dieser bedachte ihn mit einem schnellen Blick, ehe er – erneut – nur Wert auf Uriels Meinung zu legen schien.
 

„Wenn es dir nicht passt, gehen wir eben alleine weiter. Wir sind keine Helden, die sich schnelle Sympathie erschleichen können. Es war nur eine fixe Idee und wir hätten uns jedem angeschlossen, der nicht direkt mit einer Waffe auf uns zielt.“
 

„Das Problem werden wir bald eh nicht mehr haben, wenn wir hier heile rauskommen wollen“, antwortete der Mann mit dem langen Haar entnervt und schob dann mit einer Hand Raphael zur Seite. Warum ausgerechnet er selber in diese unfreiwillige Rolle eines Anführers gerutscht war, konnte Uriel nicht einmal sagen aber vielleicht war das wieder so eine Körpergrößen-Sache. Zumal fühlte er sich mindestens für Setsuna verantwortlich .
 

„Ich bin kein Babysitter, wenn ihr Probleme bekommt, löst ihr die gefälligst selber. was hab ihr für Ausrüstung dabei?“
 

„Zaphikel“, erklang Raphaels Stimme und Uriel schaute wieder zu ihnen, bis er das ausgesprochene Wort als Namen erkennen konnte. Bisher war dieser nicht gefallen, doch der Angesprochene ließ seinen Rucksack von der Schulter gleiten und kramte im Halbdunkeln umher, ehe er zwei simple Handfeuerwaffen hervorholte, eine an den Blonden reichte.
 

Sowohl Uriel als auch Setsuna versteiften sich in ihrer Körperhaltung und aus einer Art Reflex heraus glitt die Hand des Größten zur eigenen Hüfte, wo seine eigene Pistole verweilte. Von Raphael beobachtet sah er, wie dessen Hände langsam nach oben glitten, dann drehte er den Lauf seiner Waffe auf sich selber und hielt sie dem anderen hin.
 

„Nimm, wenn du dich dann besser fühlst. Die beiden, irgendwo eine Taschenlampe ohne Batterien und etwas Proviant. Uns ist viel abhandengekommen, als wir das letzte Mal laufen mussten.“
 

„Was hast du mit dem Arm gemacht? In der Gasse?“ Die Hand wurde nach der Waffe ausgestreckt und selbst als er sie hielt, konnte er ihm noch nicht wirklich vertrauen. Leute wie Raphael waren selten teamfähig und schienen mehr auf ihren eigenen Vorteil aus.

Was diesen Zaphikel betraf… zu dem hatte er noch keine eigene Meinung, aber auch er schien eigentlich niemand zu sein, der sich von Hübschlingen herumkommandieren ließ.
 

„Reine Neugierde. So nah komme ich ihnen selten, ohne dass man nach mir greift.“
 

„Laufen viele kranke Typen rum heutzutage. Der ist einer davon, war aber vorher schon so“, kam die stichelnde Stimme des Schwarzhaarigen, woraufhin Raphaels Kopf in dessen Richtung ruckte. Auch ohne seine Augen erkennen zu können wusste Uriel, dass er ihn böse anstarrte.
 

„Ich bin Mediziner das ist rein berufliches Interesse.“
 

„Du bist kein ausgebildeter Arzt.“
 

„Aber fast“, schnappte er und in seiner Stimme schwang verletzter Stolz mit.
 

„Wegen deinem Plastikköfferchen aus Kindertagen?“
 

„Wollt ihr euch ein Zimmer mieten? Wir gehen dann weiter…“
 

Das war nun Setsuna, der sich schon an Uriel vorbeigeschoben und vorangetastet hatte, jedoch schnell von den anderen verfolgt und eingeholt wurde. Schweigen kehrte ein, was die Nerven bis zum Zerreißen spannte. Jedes Geräusch war eine potenzielle Gefahr und ohne nennenswertes Licht waren sie ziemlich aufgeschmissen.
 

„Was ist das hier für ein Gebäude?“
 

„Keine Ahnung, irgendein Bürokomplex vielleicht. Scheint der Hintereingang gewesen zu sein.“
 

„Wir gehen grad nach oben, oder? Schon mal überlegt, wie wir wieder Parterre erreichen? Ich mein, wenn ihr fliegen könnt super, herzlichen Glückwunsch und so aber…“
 

„Wollen wir uns darüber Sorgen machen, wenn es soweit ist? Wieso ist es hier so dunkel? Haben die keine Fenster oder was?“
 

„Schnauze jetzt! Da war was.“
 

Wenigstens blieb niemand stehen, doch die Atmosphäre zwischen ihnen veränderte sich wieder. Keiner sprach ein Wort und die Bewegungen schienen zögerlicher; niemand war scharf drauf, einen malmenden Kiefer am Arm zu spüren.
 

„Hier ist was“, murmelte Setsuna. Leises Quietschen ertönte, als er sich gegen eine Tür stemmte und sie dann doch leichter aufschwang, als man hätte vermuten sollen.

Immerhin sahen sie etwas, doch viel half ihnen das nicht. Unter ihren Füßen dünner Teppich, einige Rollläden waren heruntergelassen und verdeckten einen Teil der bodenlangen Fenster. Anders als erwartet waren sie nicht kaputt, das war aber auch schwer bei einer Außenanlage.
 

Schreibtische reihten sich in kleinen Boxen an einem langen Gang aneinander, verlassene Arbeitsplätze. Papiere säumten einen großen Teil des Bodens, hier und da hatte jemand seine Tasse nicht weggeräumt.
 

„Schämt euch, ihr überstürzten Opfer“, murmelte Zaphikel und nahm eine der Tassen in die Hand, spähte in den angetrockneten Rest und zog dann rasch seinen Rucksack auf, wickelte sie in einigen Tüchern und verstaute so ein paar Trinkbecher. Ein Luxusproblem, sicherlich aber nicht unnütz.
 

Setsuna tat es ihm gleich und durchsuchte mehrere Abteile nach Brauchbarem, mehr als ein paar Kugelschreiber und zwei Scheren fand er jedoch nicht.
 

„Sind sie eigentlich reingekommen?“, ließ sich Raphael vernehmen und auch er spähte um die Ecken, schien aber eher nach Gefahren Ausschau zu halten. Eine Rolle, die ihm irgendwie nicht stand.
 

„Sieht nicht so aus“, antwortete Zaphikel und spähte aus einem Fenster heraus, welches ihre Startposition gut im Blick hatte.
 

„Frage mich nur, wo die alle hergekommen sind… es war doch recht ruhig. Hat so gewirkt, als wären sie aufgehetzt worden.“
 

„Kann man die überhaupt aufhetzen?“, fragte Setsuna und setzte sich auf einen der Schreibtische, zog ein Stück von dem Brot hervor, welches sie vor einem Tag gefunden hatten. Ohne die beiden Neuankömmlinge auch nur eines Blickes zu würdigen teilte er mit Uriel, kaute dann nachdenklich.
 

„Stelle ich mir schwierig vor, das Einzige was geblieben ist, ist ein reiner Fresstrieb. Du kannst ihnen eine Waffe ins Nasenloch stecken und sie würden nicht auf die Idee kommen, abzurücken.“
 

Raphael tat es dem anderen Blonden gleich und ließ sich auf einem der Tische nieder, fuhr sich mit einer Hand über den Unterarm und ließ dann den Nacken knacken.

„Was haltet ihr von einer Pause? Da unten kommen wir nun eh nicht weiter und hier scheint es relativ leer zu sein. Außerdem hab ich Hunger.“
 

„Schade, dass wir hier kein Feuer zünden können.“
 

„Wenn dich Kohlenmonoxyd nicht stört, könnten wir das schon machen. Ich hänge allerdings am Sauerstoff, tut mir Leid.“
 

„Verzichte, vielen Dank auch.“
 

Vertrauen würde Uriel ihnen dennoch anfangs nicht, das war in ihrer Zeit ein wahres Luxusgut geworden und da er stets sparsam gelebt hatte, erwartete er auch von sich selber nicht allzu viel in diesem Bereich.
 

„Wieso rennt ihr eigentlich alleine herum, wenn ihr unbedingt zu einer Gruppe dazugehören wollt?“, schlug dann auch sein Misstrauen wieder zu, was Setsuna die Augen rollen ließ, doch das wurde einfach ignoriert.
 

Die beiden Angesprochenen wechselten einen Blick, dann erbarmte sich dieses Mal Zaphikel, der an etwas klobigem Reis kaute: „Wir waren ja nicht alleine. Eigentlich zu fünft, aber als wir losgegangen sind um Proviant zu finden, waren die anderen weg. Sah alles schwer nach einem Angriff aus.“
 

„Sie leben aber noch“, schoss Raphael direkt dazwischen und starrte auf seine Hände hinunter und Uriel war sich auf einmal sicher, dass weiteres Nachfragen zu sehr viel Problemen führen konnte.

Dennoch schien Zaphikel seine Meinung zu teilen, denn auch er bedachte den Blonden mit einem schweigsamen, wenngleich auch vielsagendem Blick: Blut und verschwundene Gruppenmitglieder waren eigentlich ziemlich eindeutig.
 

„Wir suchen sie“, wurde dann weiter erklärt, allerdings wieder von Raphael.
 

„Bevor du fragst: Wir haben keinen Anhaltspunkt, wo sie sein könnten… nur, dass unser alter Unterschlupf gestürmt wurde, sonst würden wir uns nicht durch die Stadt schlagen.“
 

Bitterkeit lag in seiner Stimme, das schienen mehr als nur zufällige Mitreisende gewesen zu sein.
 

„Nach wem halten wir denn Ausschau? Vielleicht haben wir sie ja gesehen“, murmelte Setsuna, wirkte aber tödlich desinteressiert, was ihm keine Sympathiepunkte einbrachte.
 

„Drei Typen. Ein dürrer Blonder, ein hübscher Schwarzhaariger und sein kleiner Bruder, rote Haare. Yue, Sakuya und Michael.“
 

„Wenn wenigstens eine Frau dabei wäre“, seufzte Setsuna, fing sich damit einen kurzen Moment Hass ein. Abwehrend hob er die Hände, kam dann vom Tisch herunter und streckte sich.
 

„Ist ja gut, so war das gar nicht gemeint. Ist schlimm, Leute zu verlieren. Hab aber auch keine Gruppe gesehen, bei denen das passt. Na ja Einzelne, nur Haarfarben sind keine so coole Beschreibung.“
 

Raphael schaute ihn noch einige Augenblicke aus gefährlich funkelnden Augen an, ehe er sich demonstrativ wieder Uriel zuwandte und dann vor den Bruchteil eines Atemzuges den Blick senkte.
 

„Yue ist schwer zu beschreiben, weil er ein ziemliches Jedermanns-Gesicht hat. Seine Haare sind gefärbt, bis etwa zum Kinn. Wenn sie ihm nicht ausgegangen sind, raucht er wie ein Schlot.“
 

„Idiot“, murrte Zaphikel und lehnte mit dem Rücken an eine der Pappwände.
 

„Schon paar Mal wegen ihm entdeckt worden. Na ja, Sakuya ist auch nicht besser.“
 

„Richtig, aber an jemanden wie Sakuya erinnert man sich eigentlich. Auffallend attraktives Gesicht und eine ziemlich autoritäre Ausstrahlung.“
 

„Muss nicht viel sagen, um die Leute um den Finger zu wickeln“, bestätigte Zaphikel und kramte wieder in der Tasche herum, rückte alles etwas dichter zusammen.

„Anführer-Charakter.“
 

„Und Michael“, fuhr Raphael fort, ignorierte das Gewühle neben ihm „ist… nun ja.“

„Klein“, kam es wieder von der Seite, woraufhin Raphael ihm einmal gegens Bein trat, dafür aber nur einen schiefen Blick erntete.

„Ist doch so.“
 

„Ja, ist ja gut… er ist ziemlich klein, hat tomatenrotes Haar mit einem langen Zopf… man würde sich an sie erinnern, glaub mir. Besonders die beiden Brüder.“
 

„Luzifer und sein Stellvertreter.“
 

„Zaphikel halt jetzt die Backen!“
 

„Was man kriegt ja nichts aus dir raus! Ich würde die immer noch nicht erkennen, wenn ich nicht schon Kilometer vorher Gänsehaut bei deren Anwesenheit kriegen würde! Also passt auf: Yue ist ein kleiner Trottel, klebt aber dauerhaft an Sakuyas Seite. Beide rauchen wie ein Schlot und wenn‘s geht kifft sich der Blonde gerne mal die Birne dicht. Ich weiß nicht, wie Konfliktfähig er bisher ist, aber er kann Kritik scheiße verarbeiten. kriegt nichts auf die Reihe. Sakuya dagegen ist der geborene Anführer. Sagt nicht viel und wenn, immer nur übertrieben intelligentes Zeugs. Sein kleiner Bruder, Michael, ist der Teufel auf zwei halben Beinen: Frag nicht wie, aber wo er ist, brennt die Erde.“
 

„Aha“, brachte Uriel nach der Informationsflut hervor und versuchte, in seinen Erinnerungen nach passenden Gesichtern zu suchen.
 

„Nicht ‚aha‘, das mein ich ernst: Es brennt. Gib ihm einen Bindfaden und genug Zeit dann legt der dir diesen Gebäude in Schutt und Asche.“
 

„Es reicht“, zischte Raphael, der bei den Ausführungen immer düsterer geschaut hatte. Anscheinend schien er es besten Falls wirklich auf einen Streit anzulegen, doch entweder war Zaphikel damit vertraut oder aber klug genug, er schenkte ihm nur eine Grimasse und winkte dann ab.
 

„Also“, unterbrach dann Setsuna die Spannung zwischen ihnen „wir sind immer noch auf der Suche nach Proviant. Ich würde ja auch hier schlafen wollen, aber…“
 

„Da gibt es kein Aber“, mischte Uriel sich ein und streckte sich nun ausgiebig.
 

„So sicher waren wir seit Tagen nicht und zu viert haben wir eine mehr als ausreichende Wache. Immer zwei, dann muss im Fall der Fälle nicht immer der geweckt werden, der gerade schläft. Oder etwa nicht?“ Das war weniger eine Frage als ein Entschluss, aber auch die beiden „Neuen“ schienen ähnlicher Ansicht zu sein, denn mehr als ein müdes Nicken folgte nicht von ihnen.
 

„Es wird eh bald dunkel und draußen stromern noch genug herum“, meinte Zaphikel, fuhr sich durch das dunkle Haar.
 

„Wir sollten trotzdem noch einmal schauen, ob wir auch wirklich alleine sind… wir hatten schon einige unangenehme Momente, in denen wir uns sicher gefühlt haben. Und weil wir klüger sind als jeder Horrorfilmregisseur auf dieser verdammten Welt werden wir uns nicht aufteilen oder fragen, ob da jemand um die Ecke lauert.“
 

„Klingt vernünftig, bin dabei.“
 

-
 

„War das Zufall, dass wir uns getroffen haben?“
 

Raphael schaute bei der Frage auf, spielte dann jedoch wieder mit dem Messer herum, welches Uriel ihm nach einigem Zögern überlassen hatte.
 

„Wir haben nach niemandem Ausschau gehalten, wenn du das meinst. Ich war froh, eure Stimmen gehört zu haben und du hast nicht gerade wie jemand reagiert, der einem sofort das Hirn wegpustet. Eher so, als habe man dir das schon öfter angedroht.“
 

„Verrückte Zeiten.“
 

Ein bestätigendes Nicken, sie hatten ein paar der Pappwände abgerissen und vor die Fenster gestellt, sodass immerhin das Licht einiger Kerzen zwischen ihnen flackern konnte, ohne dass man von der Straße aus sofort Verdacht schöpfte.
 

„Ist doch komisch“, begann dann der Blonde dieses Mal und legte das Messer neben sich, faltete die Hände im Schoß.
 

„Ich meine… sie waren so dicht hinter uns und wir haben ja nun kein festes Eisentor verriegelt. Hast du nicht auch damit gerechnet, dass sie zumindest versuchen, den Eingang zu durchbrechen? So kenne ich sie gar nicht… Das macht mich nervös, ich hatte mir gerade wieder Sicherheiten aufgebaut.“
 

Uriel schaute zu ihm, lehnte dann den Kopf an die Wand hinter sich und schloss die Augen, seufzte leise. Es war mitten in der Nacht, die Sonne war vor Stunden untergegangen und die Uhr an seinem Handgelenk ließ eine vage Vier erahnen. Sie hatten sich bereits abgewechselt, nachdem Setsuna und Zaphikel die erste Schicht übernommen hatten was bedeutete, dass er ab jetzt bis zum nächsten Abend durchgehend wach bleiben würde.
 

„Ich weiß es ehrlich gesagt nicht, mir kam das auch alles viel zu einfach vor. Wenn ich es ihnen intellektuell zutrauen würde, könnte man das hier für eine Falle halten aber dazu scheinen sie mir ehrlich zu hirnlos.“
 

„Trotzdem sollten wir morgen wieder aufbrechen. Ich fühle mich zu unsicher, wenn etwas nicht Verdächtig ist.“
 

Er konnte das nur nickend bestätigen und wie er befürchtet hatte stellte Raphael sich im Laufe der Nacht als ziemlich intelligent heraus.

Kaum zwanzig Jahre alt, mitten im Medizinstudium und mit einer gesunden Portion Selbstbewusstsein bestückt. Er schien einen ziemlichen Komplex gegenüber dem verschwundenen Rothaarigen entwickelt zu haben, was sich in übertriebenem Beschützerinstinkt äußerte. Der Einzige, der ihm dabei im Weg gestanden zu haben schien war der ältere Bruder, an dessen Seite der Jüngste wohl klebte.
 

Wie auch er schloss Uriel nach all den Beschreibungen aus, dass die drei voneinander getrennt wurden und eine wirklich nennenswerte Spur konnte er leider auch nicht beitragen.
 

„Tut mir Leid, dass eure Freunde verschwunden sind“, brachte er dann hervor und schaute hin und wieder zur Tür, die sie die ganze Nacht im Visier behielten. Neben ihm zuckte der andere mit den Schultern.
 

„Wir finden sie schon, das sind verdammt zähe Burschen.“
 

„Und du? Bist du auch so zäh?“
 

Er wollte ihn nicht verspotten, doch scheinbar fasste es sein Gesprächspartner vorerst so auf, weswegen er kurz die Nase rümpfte, dann den Kopf von einer Seite auf die nächste abwog.
 

„Ich würde mich nicht als lang ersehnten Helden bezeichnen. Wenn ich muss, kann ich mich zur Wehr setzen aber eigentlich muss ich es nicht haben, an vorderster Front zu stehen und alle Kampfbereitschaft auf mich zu ziehen. Ich hab kein Problem damit mir die Hände schmutzig zu machen aber der toughe Part sollte doch bei denen bleiben, die ihn ausfüllen können.“
 

Er streckte ein Bein und drückte den Rücken durch, schnalzte dann mit der Zunge.

„Mein Auftreten würde niemanden in Angst versetzen. Es gibt Menschen, denen ist diese Rolle ins Gesicht geschneidert. Ein einziger Blick und ihr Gegenspieler bekommt weiche Knie. Eine Bewegung in seine Richtung und besagte Knie lassen nach. So bin ich nicht. Zaphikel schon eher, ich nicht.“
 

„Der?“

Uriel konnte sich nicht helfen aber er musste amüsiert klingen. Nicht, weil er es Zaphikel nicht zutrauen würde, aber… okay, doch. Das tat er wirklich nicht.
 

Raphael lachte leise, was jedoch nicht sehr ehrlich klang und richtete einen Blick auf die beiden schlafenden Personen etwas weiter hinten, in zwei alte Decken eingeschlagen und den Kopf in den Armen.
 

„Warte ab, wenn die Zeit kommt. Er hat uns schon öfter gerettet.“
 

„Gibt es über ihn auch was zu erfahren?“
 

„Nicht viel, nichts Großes. Frag ihn bei Gelegenheit selber. Normales Leben bis hierhin, sehr traditionelles, altes Familienleben.“
 

„Daher der Kimono?“
 

„Ja und weil er nichts anderes gefunden hat bisher.“
 

-
 

Die Enttäuschung war gelinde gesagt groß: Nach einem erfolgreichen Start in die Stadt – entgegengesetzt Uriels Meinung war das Gebäude nicht über ihnen zusammengebrochen – hatten sie eine beachtliche Menge von Konserven und abgepacktem Fertigessen gefunden. Frisches Obst war natürlich keines dabei, aber in einem Geschäft hatte die Tiefkühltruhe noch funktioniert und so hatten sie zumindest für diesen Tag Fleisch und Gemüse gefunden, was sie bis spätestens zum Mittag verwenden wollten.
 

Dann jedoch viel der Rest ihrer Ausbeute ziemlich kläglich aus, immerhin hatten sie eine Hose und ein schlichtes Shirt für Zaphikel gefunden, welcher den Kimono dankbar weggesteckt hatte.
 

Begegnungen mit Zombies gab es wenige, vereinzelte. Wenigstens schienen ihre neuen Partner – man wurde sie ja nicht los, wenn man sie einmal an den Hacken hatte – ebenso deutlichen Respekt vor den Untoten zu haben, denn auch sie liefen lieber, statt sich idiotisch in den Kampf zu stürzen. Was nicht bedeutete, dass sie es nicht doch schafften; Raphael traf sehr zielsicher mit seinem Messer unter den Kiefer eines Zombies und schob es bis nach oben durch und Zaphikel erledigte einen weiteren mit einem gezielten Schuss.
 

Setsunas Baseballschläger war ebenso vom Blut benetzt und Uriel büßte ebenso zwei Patronen ein, aber immerhin ließen sie so allmählich die Stadt hinter sich.
 

„Ein Auto wäre eine gute Lösung, meint ihr nicht auch?“, ächzte Zaphikel, der das Gewicht der gefundenen Nahrungsmittel geschultert hatte und nunmehr seit vier Tagen vehement Hilfe ausschlug.
 

„Ich meine… hat wer einen Führerschein? Braucht doch eh keiner mehr. Es liegen so viele rum und Benzin ziehen wir uns einfach wo raus.“
 

„Klingt ganz gut, laufen nervt ziemlich und mit einem Auto wären wir zudem auch sicherer.“
 

„Keine schlechte Idee“, räumte auch Uriel ein, aber er kannte die Realität: Gute Autos waren längst weg. Natürlich half jeder schnell zurückgelegte Kilometer aber wenn sie in einen Schwarm gerieten und ausgerechnet dann die Kiste versagte… na, danke auch.
 

„Wenn wir wirklich was Gutes finden. Wir nehmen aber nicht die nächste Schrottkarre.“
 

Ein kleiner Hieb in die Seite und Setsuna hatte seine Aufmerksamkeit gewonnen.
 

„Aber Uriel. Du bist ein Autonarr? Sag das doch gleich. Wir finden sicher was Cooles. Mit Bodenbeleuchtung?“
 

„Genau, Essen auf Rädern“, maulte er zurück und schüttelte den Kopf, ließ dann seine Hand über den gespannten Maschendrahtzaun gleiten. Als er sie ausstreckte, legte Setsuna einen Seitenschneider hinein und so arbeitete er sich durch das Geflecht.
 

„Hoffentlich kommen wir bald zu irgendetwas, das annähernd an einen Fluss erinnert. Ich muss mich dringend waschen“, seufzte Raphael von der Seite und rieb sich über die Augen, schaute einmal die Straße hinab, die sich schier endlos vor ihnen erstreckte.
 

„Sieht schlecht aus. Ich hab eine ungefähre Ahnung, wo wir sind und ehrlich gesagt meine ich, dass wir mindestens zwanzig Kilometer freie Straße vor uns haben. Kein Unterschlupf, nichts zum Übernachten – deswegen: Auto. Stehen doch genug rum, wir können immer noch wechseln. Guck, da.“
 

Natürlich gab es davon genug und wenn er mit seiner Sorge alleine war, würde Uriel eben nachgeben und sie besten Falls in der Hölle für die Ewigkeit mit „Ich hab’s euch ja gesagt“ belehren.

Er nickte also, zuckte danach jedoch mit den Schultern. Zaphikel rollte mit den Augen, spazierte dann zu den verwaisten Fahrzeugen und inspizierte sie von innen: Einmal fiel ein Schuss, von dort entfernte er sich jedoch schnell wieder.
 

„Wenn du weiter rumballerst, kommen die anderen auch bald angerannt.“ Raphael folgte ihm langsam, machte sich aber nicht die Mühe, dort hineinzuschauen.
 

„Bin ja schon fündig geworden. Hey, Knirps. Hilf mal mit.“
 

„Wer? Ich?!“
 

„Klar du, bis Michael wieder da ist, bist du der Knirps. Raphael, wenn du mich erschießt hören die anderen das und kommen bald angerannt.“
 

„Dann halts Maul.“
 

Setsuna schnaufte, kam der frechen Aufforderung aber nach und nahm den dünnen Schlauch entgegen, schaute dabei höhnisch auf den Schwarzhaarigen.
 

„Was hast du eigentlich nicht in deiner Tasche, hm?“
 

„Was zum Vögeln. Gib her jetzt.“
 

Es dauerte nicht lange, dann hatten sie einige der Tanks geleert und einen recht beträchtlichen Vorrat an Benzin gewonnen – Kanister waren das geringste Problem, wenn überall Autos herumstanden.
 

„Da. Stabil, geräumig und nicht so sperrig. Sonst noch Wünsche, oh mein Kapitän?“
 

„Warum ein Minivan? Ich find den nicht sehr wendig.“
 

„Lass mich fahren, dann siehst du es ja.“
 

Das schien eh schon geklärt zu sein, denn in Zaphikels Hand lag der Schlüssel. Bereit, diesen wieder abzugeben, schien er keines Falls zu sein und so ergab Uriel sich seinem Schicksal und nahm im inneren des Wagens Platz, streckte die Füße aus.

Raphael gesellte sich zu ihm, woraufhin Setsuna den vorderen Platz mit einnahm und unerwartet Pflichtbewusst den Sicherheitsgurt anlegte – immer noch besser als aus der Scheibe zu fliegen.
 

-
 

„Glaubt ihr den Mist von der sicheren Zone in Tokyo?“

Das war Raphaels Stimme, die nach über einer halben Stunde die Stille wieder durchbrach. Sie hatten sich an einer Art Baggersee niedergelassen und die gewünschte Körperpflege betrieben und spätestens jetzt war Uriel sich sicher, dass Raphael ein wirklich attraktiver Mann war – so ganz ohne Dreck und frisch gewaschen.
 

„Ich glaube, gerade Tokyo ist eine Todesfalle.“
 

Setsuna hatte sich in die Sonne gesetzt und sein kurzes Haar war bereits jetzt wieder trocken – ein Zustand, von dem Uriel in den nächsten Stunden träumen durfte.
 

„Denke ich auch“, bestätigte Raphael dann die eigene Frage und schien froh, dass nicht nur er es so sah.
 

„Ich weiß ehrlich gesagt nicht, wo wir nun hinsollen“, meinte Uriel und setzte sich neben Setsuna, band sich die Stiefel wieder fest.
 

„Eine Aufgabe ist ganz schön und gut aber ich wäre gerne an einem sicheren Ort, von wo aus wir auch etwas leben können ohne Gefahr zu laufen, in Stücke gerissen zu werden.“
 

„In den Filmen gibt es immer eine sichere Stadt“, murmelte Setsuna und blickte auf seine eigenen Füße, als ein verächtliches Schnauben ertönte.
 

„In den Filmen erinnert sich die Protagonistin auch trotz Gedächtnisverlust an ihre Kung-Fu Fähigkeiten. In den Filmen überleben Freunde und Familie. Wir haben ja nicht einmal einen Bösewicht, gegen den wir kämpfen. Nur diese sabbernden Mistviecher.“
 

„Das waren mal Menschen.“

Zaphikel blickte verträumt in den Himmel, dann wieder zum Rest.
 

„Ich meine… wie krass ist das? Richtige Menschen und wir töten sie, wenn wir nicht anders können… oder sie fressen uns. Ich hätte nie gedacht, zu was ein Kiefer in der Lage ist.“
 

„Das kann ich dir gerne erklären aber mehr als siebzig Kilo kannst du damit locker reißen. Knochen sind da wirklich kein Hindernis, Haut und Fleisch schon gar nicht… wenn du wolltest, könntest du dir selber die Finger abbeißen.“
 

Einen Moment lang blickte er Raphael mit einer Mischung aus Ekel und Abneigung an, rümpfte dann die Nase.
 

„Ich verzichte, mag meine Finger.“
 

Ein Schulterzucken, dann wandte der Blonde sich wieder ab und bohrte seinen Finger in den feuchten Boden, an dem sie sich gerade befanden; dann horchte er auf und auch Uriel war sich sicher, sich nicht verhört zu haben: Stimmen.
 

Und zwar solche, die gerade an ihrem Auto plünderten!
 

„Hey!“ Zaphikel sprang auf und rannte den kurzen Hang hinauf, dicht gefolgt von den anderen drei, als sie zwei Männer erblickten, die sich schon an ihren Rucksäcken zu schaffen gemacht hatten und jetzt gefährlich auffällig Blickkontakt mit dem Schlüssel im Zündschloss gefunden hatten.
 

Mit einem bedeutungsschwangeren Klicken legte Zaphikel den Bügel seiner Waffe zurück und zielte dem ersten auf die Stirn, als auch der Rest ankam. Uriel baute sich unbewusst zu seiner vollen Größe auf und trat an die Seite des Schwarzhaarigen, blickte auf den Älteren mit den weißen Haaren, über dessen Gesicht ein fahles Grinsen huschte.
 

„Nett von euch, für uns zu sammeln.“
 

„Katan, die haben Knarren… komm jetzt.“
 

„Schnauze, Voice! Das ist ein Jackpot, den lass ich mir nicht entgehen!“
 

„Die haben Knarren!“
 

„Hör auf deinen kleinen Kumpel, Missgeburt.“ Zaphikel hatte scheinbar etwas wie persönlichen Besitz an diesen Dingen angemeldet und schien nicht bereit, dieser so schnell wieder abzugeben - nur gern, Uriel hatte sich auch an den Gedanken gewöhnt, ein Abendbrot zu bekommen. Ob er wirklich schießen würde?
 

„Ihr würdet echt auf Überlebende schießen?“
 

Dann ging es ziemlich schnell, denn der andere Dieb nahm plötzlich die Beine in die Hand und rannte die offene Straße hinab , als der Mann mit Namen Katan nach hinten schaute und einen unsicheren Schritt zurück tat, als sich schon die ersten Zähne in seinen Arm gruben.
 

„Scheiße!“
 

Uriel trat einen Schritt zurück und verfluchte die Felswand, die die weitere Sicht versperrt hatte – wo kamen die denn plötzlich her?
 

Schreie drangen durch die Luft, ein zweiter Untoter, ein weiterer… ein schneller Blick um die Ecke verriet mehr als beide Hände voll und ihr Auto war leider vollkommen umzingelt. In Fluchtrichtung des Jungen mit Namen Voice sah man auch jemanden heraneilen, was ihre Chancen gerade deutlich verschlechterte; auch, wenn Zaphikel schnell schaltete und zwei von ihnen anschoss, traf er leider nicht ihren Kopf und so blieb ihnen fast nur die Flucht ins Wasser.
 

Und dann lachte jemand; höhnisch, eigentlich nicht sehr laut und unter den Schreien von Katan schnell zu überhören.

Es war allerdings ein so absurdes Geräusch zu dieser wirklich grauenhaften Szenerie, dass es herausstach wie mit Neonfarben gemalt.
 

„Ihr seid ja ganz schön am Arsch, was?“



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück