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Asche und Staub

Marys Vermächtnis
von

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Jims Stärke

Einst gab es ein Licht, das selbst im tiefsten Dunkel noch leuchtete, eine Flamme, die niemals erlosch und einen Ort, der ihre Heimat war, doch das, was seit Jahren durch Jims Gedanken fegte, hatte all die Wärme und Geborgenheit dieser Zeit unter sich begraben.
 


 

Dieses Gesicht, das kaum gealtert war, sein strubbeliges, dunkelbraunes Haar und die grünen Augen, die hinter dicken Brillengläsern verborgen lagen, hatten sich in all den Jahren nicht ein bisschen verändert. Jack schien noch immer der Gleiche zu sein. Ein Foto, das nicht verblassen wollte, ein Mahnmal ihrer Jugendsünden und ein Zeichen dafür, wie sehr er selbst und Johnny sich mittlerweile verändert hatten. Er stand da, den Rucksack lässig über die Schulter geworfen und starrte ihn direkt an. Johnny verlor sich im Hintergrund und Jim war ehrlich gesagt überrascht, dass er sich nicht hinter dem Sofa versteckte oder gar aus dem Fenster gesprungen war. Da war doch irgendwo eine Feuerleiter gewesen…

„Hi“, sagte er schließlich und hätte sich im nächsten Moment auf die Zunge beißen wollen, denn es klang alles andere, als der Situation entsprechend. Andererseits, wie begrüßte man einen Freund, der sich gerade selbst aus der Psychiatrie entlassen und den man seit Jahren nicht gesehen hatte?

Es war ihrer aller Dummheit gewesen und Johnny war ein Idiot, wenn er tatsächlich glaubte, dass einer von ihnen Mary davon hätte abhalten können, in den See zu steigen. Keiner von ihnen hatte jemals darüber geredet. Schweigend waren sie in ein Leben zurückgekehrt, das nicht mehr ihres war und jeder war seiner Wege gegangen. Er schluckte hart und rieb sich mit dem Handrücken über den Augen, als würde das die Erinnerung vertreiben. Er musste sich wieder auf Jack konzentrieren.

„Ich hatte mir schon gedacht, dass du als erstes hierherkommen würdest.“

Jim versuchte zu lächeln, aber er war nicht sicher, ob es ihm wirklich gelang. Sein Körper fühlte sich seltsam taub an.

Jack nickte und sein Blick schien auf der Suche nach Johnny an ihm vorbei in die Wohnung zu gleiten. Für Jack würde Johnny die große Unbekannte sein. Alles das, was an diesem Treffen variabel und unvorhersehbar war. Er würde wissen, dass Jim selbst ihn niemals wegschicken würde, denn er hatte schon immer viel zu sehr auf seine Gutmütigkeit vertraut.

Er trat einen Schritt zur Seite und deutete an, dass Jack hereinkommen sollte. Der stürmte an ihm vorbei und er selbst schloss mit einem Seufzen die Tür. Erst jetzt fiel ihm auf, dass Jacks Kleidung komplett durchnässt war. Er hatte feuchte Spuren auf dem alten Teppich des Wohnzimmers hinterlassen und wenn er genau hinsah, konnte er feine Tropfen beobachten, die sich in seinem Haar verfangen hatten. Erst jetzt, in dieser unnatürlich-angespannten Stille nahm er das Prasseln des Regens an der Fensterscheibe zum ersten Mal wahr. Als er hergekommen war, hatte die Luft vor Hitze geflimmert.

Mittlerweile hatte Jack damit begonnen, den Inhalt seines Rucksacks auf dem Tisch in der Mitte des Zimmers zu entleeren. Jim erinnerte sich an die Bücher, die voller fixer Ideen waren. Eine Sammlung von Kindheitsträumen und Wunschvorstellungen, getrieben von dem Verlangen, die Wahrheit in Legenden zu sehen und mehr aus dieser Welt zu machen, als sie ist. Für Jack und Mary war die Realität nie genug gewesen, sie wollten Abenteuer und Magie. Es gab mal eine Zeit, da hatte Jim tatsächlich geglaubt, Jack und Mary hätten genug abenteuerliche Magie in ihrer Beziehung zueinander gefunden, aber träumende Wissenschaftler brauchten offenbar mehr, als nur die Menschen um sich herum.

„Ich weiß es jetzt“, fing Jack irgendwann an und Jim hatte das Gefühl, dass das der Beginn einer seiner wenig kohärenten Reden war.

„Es steht überall, ich konnte es nur nicht mehr sehen. Heute Abend stand ich draußen und dann wusste ich es. Am Himmel liegt ein Schatten.“

Jim konnte die zunehmende Anspannung in Johnnys Gesicht sehen, die zitternden Hände, die sich zu Fäusten ballten und er wusste, dass Jack nichts von all dem mitbekam. Jack blätterte sich durch Bücher und deutete auf aufgeschlagene Seiten, verlor sich in wissenschaftlichen Tiraden, die nicht mehr waren, als Theorien, gegründet auf märchenhaften Erzählungen von Ungeheuern und Drachen, von Chaos und Krieg, von Zerstörung und Erneuerung. Jim bekam Kopfschmerzen. Er hatte Jack damals die Bibelstellen gezeigt, die dieser nun gerne als Beleg für die Existenz übernatürlicher Wesen verwendete und heute kam es Jim lächerlich vor, dass er selbst an seinen Freund und dessen Ideen geglaubt hatte.

Draußen peitschte der Wind gegen das Fenster und sie hörten sein Heulen durch die schlecht gedämmten Wände des Hauses pfeifen. Ein Blitz durchbrach das Dämmerlicht im Wohnzimmer und die Lampe über dem Tisch flackerte bedrohlich. Es war allerdings kein Donner zu hören.

„Ich bin mir ganz sicher. Wir müssen nochmal dorthin, an den See. Wir müssen zurück, denn dort liegt der Schlüssel, wir haben keine Zeit mehr zu verlieren.“

Wieder ein Blitz und diesmal sah Jack wie Johnnys Mundwinkel bedrohlich zuckten, bevor er auf Jack zustürmte, ihn am Hemd packte und auf die Beine zog. Es sah ein wenig seltsam aus, denn Jack war schon immer etwas größer als Johnny gewesen, doch er wehrte sich nicht, sah sein Gegenüber nur mit interessiertem Blick an.

Jim hatte sich reflexartig auf das Paar zubewegt, doch als er eingreifen wollte, hob Jack die Hand.

„Ist schon okay, alles okay. Jim.“

Ob es das für Johnny auch ist? Jim hielt Abstand und beobachtete Johnnys Gesicht, sah den Kummer und den Zorn in seinen braunen Augen. Er hatte die Lippen fest aufeinander gepresst und Jim war nicht sicher, ob er etwas sagen wollte oder einfach nur daran dachte, sich mit Jack zu prügeln.

„Diesmal wird es anders.“ Jacks Stimme klang nun weicher, mehr nach dem Jack, den sie als guten Freund kannten. „Ich weiß es, vertrau mir. Noch dieses eine Mal, bitte. Ich kann das nicht ohne euch.“

Jim meinte, den fernen Glanz von Tränen in Johnnys Augen zu sehen, als das Zimmer wieder für den Bruchteil einer Sekunde in gleißendes Licht getaucht wurde. Johnnys Finger lösten sich langsam aus Jacks Hemd. Jim war erleichtert, konnte sich aber noch nicht wirklich wohl mit der Situation fühlen. Jack blickte Johnny noch für einen Moment nach und verfiel dann wieder in den Forschermodus. Jim setzt sich auf die Couch. Es machte den Anschein, als sei die Gefahr gewalttätiger Eskalation gebannt.

„Es wird nicht so sein wie damals. Diesmal wird es funktionieren. Alles musste so sein, versteht ihr? Mary ist immer noch dort und wir haben sie vergessen. Sie wartet darauf, endlich zu erfahren, wie die Geschichte weitergeht. Ihr Geist kann sonst nicht gehen.“

Jim spürte ein Ziehen in seinem Kopf, eine Kälte, die durch seinen Körper fuhr und ihm eisige Schauer über den Rücken jagte. Da war Etwas, das ihn einschnürte und sein Leben fest umklammert hielt. Vielleicht hatte er deswegen an keinem Ort auf dieser Welt Ruhe finden können, mochte es auch noch so schön gewesen sein.

„Ich kann sie hören. Es ist ihre Stimme, ich-“, will es wieder gut machen, dachte Jim, aber Jack kam nicht mehr dazu, es auszusprechen.



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