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Cream Tea: Darjeeling 96,5°

First Flush Black Tea (SFTGFOP 1)
von

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18. Dezember 1848

Westminster Abbey, London, Montag, 18. Dezember 1848
 

Das Läuten der Glocken verkündete das Ende der Beerdigung seines älteren Bruders. Rain stand vor dem Ausgang der riesigen Kathedrale und verabschiedete sich von den Gästen, die gekommen waren, um seinem Bruder Cloud Arthur den letzten Beistand zu erweisen. Der Sarg würde noch heute ohne Beisein der Verwandten des Toten in die Privatgruft der Herzoge von Rutherford gebracht und dort bestattet werden.

Schneeflocken fielen träge und in kleinen Bahnen auf die kalten, matschigen Gehwege von London. Außer des verhaltenen Geschwätzes der Trauernden war die Welt um Rain herum still an diesem tristen Morgen.

„Mein herzliches Beileid, Duke Rutherford“, verabschiedete sich ein weiterer seiner angeblichen Bekannten der High Society. Er konnte nicht einen einzigen Namen ohne seinen neuen Sekretär zuordnen und doch wussten alle, wer er war. Er war der neue „Duke Rutherford“ und die Menschen hatten diesen Titel schneller auf ihn umgewälzt, als er gedacht hatte. Ein Schauer lief über seinen Rücken.

„Euer Bruder war ein guter Mann. Dass er so plötzlich von uns scheiden musste, …“, führte der andere aus, obwohl Rain ihm gar nicht zuhörte. Mit einem Halblächeln, einer kühlen Miene und einem verhaltenen Kopfnicken entließ er den Mann aus seinem Sichtfeld. Es rückte ein Weiterer nach und danach noch einer und noch einer und …

Eine Hand legte sich auf seinen rechten Unterarm und Rain zuckte unmerklich zusammen, bevor er sich ein wenig zur Seite drehte und die ganz in schwarz eingehüllte Gestalt seiner Ehefrau betrachtete. Minervas liebliches Gesicht war mit einem ebenso schwarzen Schleier verhüllt, doch er konnte den ermutigenden Blick aus ihren Augen förmlich unter seiner Haut brennen spüren. Sie war das Einzige, was ihn jetzt erreichen konnte. Sein Halt.

„Duke Rutherford, verzeiht meine Ungehörigkeit. Ich fürchte, wir haben nicht die Ehre gehabt, einander vorgestellt zu werden. Mein Name ist Mortimer John McFarlane. Meine Tochter war die Patentochter Eures verstorbenen Bruders, Gott habe ihn selig. Mein herzliches Beileid.“

Rain fuhr herum und betrachtete intensiv das Gesicht des Mannes und der Frau, die an seinem Arm hing und obwohl diese schwarz trug und ein anständig betroffenes Gesicht zog, ließ der tiefe Ausschnitt an ihrer Ernsthaftigkeit zweifeln. Lord McFarlane und seine Ehefrau, Lady McFarlane. Er ließ seinen Blick nur kurz vollkommen unbeeindruckt über sie gleiten, bevor er sich dem Mann zuwandte, der ihn angesprochen hatte. Er war Ende vierzig, Anfang fünfzig vielleicht und ein ziemlich alter Mann. Seine Falten waren Furchen, die von harter und mühsamer Arbeit sprachen. Mag sein, dass es keine Feldarbeit oder Fabrikarbeit gewesen war, die diesem Mann so zugesetzt hatte, aber Händler und Kaufmänner, sowie Seefahrer, Soldaten und Kapitäne verstanden die Strapazen, die ein Gewerbe mit sich brachte.

Der Baron trug inzwischen feine Stoffe, die der Mode folgten, was Rain insgeheim bewunderte, denn der Mann hatte sich sein Fabrikimperium aus dem Nichts aufgebaut. Das letzte Mal, als Rain ihm über den Weg gelaufen war, war schon eine ganze Weile her. Er vermutete, dass sein Bruder Cloud damals gerade die Patenschaft über Lord McFarlanes Tochter übernommen hatte, da war sie gerade wenige Wochen alt, und da hatte der Mann weder besonders viel Geld, noch ein gut laufendes Gewerbe gehabt, eine mittelgroße Familie und einen niederen Adelstitel. Sie waren einander nicht vorgestellt worden, weil Rain es aus Prinzip vermieden hatte, sich unter das Schöne Volk zu mischen – schon damals, als er bloß ein griesgrämiges, kleines, vernachlässigtes Kind war.

Rain brachte es schließlich über sich, zu nicken und das Beileid zu akzeptieren. Der Mann hatte von Herzen gesprochen – eine Seltenheit –, obwohl seine Frau dieser Ansicht nicht zu folgen schien. Sie schaute Rain mit glitzernden Augen an, die ihm einen Schauer über den Rücken jagten. Rain schaute demonstrativ weg.

„Euer Bruder hat uns zu seinen Lebzeiten sehr geholfen, wofür ich mich in absehbarer Zukunft bei Euch gerne revanchieren würde, Duke Rutherford.“

„Ich bitte Euch, macht Euch keine Umstände“, antwortete die zarte Stimme Minnies, als Rain nichts erwidern mochte. Minnie. Seine Rettung. Wie nahm sie wohl die Veränderung auf, die ihnen beiden bevorstand und vollkommen überraschend noch dazu? Er hätte sich nie erträumen lassen, jemals diesen Titel zu tragen! Und jetzt war er Herzog.

„Solltet Ihr jemals etwas brauchen, wendet Euch an mich“, widersprach der Baron und warf sowohl Minnie als auch Rain einen wohlwollenden Blick zu. Rain nickte wieder und ließ den Blick über die Schlange der Beileidwünschenden, sowie die Gruppen der Trauernden, die etwas abseits standen, schweifen. Sein Blick blieb dabei an den Kindern Lord McFarlanes hängen. Du liebe Güte! Ein ganzer Pulk!

Rain blinzelte und begann, zu zählen. Zwei Frauen, beide verheiratet und die ältere der beiden mit zwei eigenen Kindern, ein Mann, ebenfalls verheiratet und mit Kind, ein jung aussehender Mann, die Patentochter seines Bruders, ein jüngerer Jugendlicher und … sechs? Ja, sechs kleine Mädchen. Zwölf eigene Kinder und drei Ehepartner sowie drei Enkelkinder.

Rain blinzelte erneut und zählte noch einmal, nur um sicher zu gehen. Er spürte, wie Minnie, die sich bei ihm eingehakt hatte, seinen Arm drückte und er wandte sich wieder seinem Gesprächspartner zu. Lord McFarlane hatte den erstaunten Blick Rains nicht übersehen und seine Wangen hatten sich verfärbt.

„Mein ganzer Stolz“, murmelte er verlegen und Rain betrachtete die Familie noch einmal neugierig.

„Was für ein ausgesprochen großer Segen!“, stimmte Minnie dem Mann gutherzig zu. Wie gut, dass er Minnie hatte, die sich immer einer Antwort erbarmte. Ohne sie wäre er wohl als unhöflich abgestempelt worden.

„Der Kindersegen in meiner Familie war groß, wahrlich. Zu meinem Bedauern musste ich dafür den Tod zweier Ehefrauen in Kauf nehmen. Beide im Kindbett“, flüsterte der Baron und überblickte seine Familie mit einem Hauch von bitterer Traurigkeit. Ein Stich durchfuhr Rain, so schmerzhaft, dass er unwillkürlich zusammenzuckte. Er konnte den Mann verstehen. Auch er hatte seine erste Frau im Kindbett verloren. Rosetty Sara und sein ungeborenes Kind waren nun schon zwei Jahre tot und doch schmerzte ihr Tod ihn immer noch tief in seinem Herzen. Die Angst, dass auch Minnie wie Rose sterben konnte, war groß, zumal auch Minnie seit einer ganzen Weile ein Kind unter ihrem Herzen trug. Rain warf Minnie einen liebevollen Blick zu, den sie zurückgab. Aus reiner Gewohnheit ließ er seinen Blick einmal über ihren Leib gleiten, um sich zu vergewissern, dass es ihr gut ging. Sie drückte seinen Arm und er stieß langsam den angehaltenen Atem aus. Als er sich Lord McFarlane zuwandte, lächelte der Mann traurig und sagte:

„Ich sehe, Ihr versteht mich gut. Ein Jammer, dass so viele gute Menschen von uns gehen müssen.“

Rain stimmte dem Mann zu und betrachtete noch einmal die Familie. Dieses Mal blieb sein Blick an der Patentochter seines verstorbenen Bruders hängen. Wie hieß sie doch gleich? Noch bevor er weiter darüber nachdenken konnte, unterbrach der Baron seine Gedanken und stellte sie leise vor, da sie noch nicht ihr Debüt in der Gesellschaft hatte und es davor verpönt war, Aufmerksamkeit auf junge Mädchen zu lenken:

„Meine Tochter, die ehrenwerte Miss Juliana Paulette McFarlane. Die Patentochter Seiner Lordschaft, Gott sei Seiner gnädig!“

„Natürlich. Mein Bruder hat in seinen Briefen von ihr berichtet“, antwortete Rain schließlich etwas steif und schaute dem Mann tief in die Augen, bevor er fortfuhr:

„Mir würde es Freude bereiten, ihre Fortschritte auch weiterhin verfolgen zu dürfen. Ich mag nicht ihr Pate sein, aber ich möchte Seiner Lordschaft den Wunsch erfüllen, den er in einigen Briefen an mich äußerte.“

Lord McFarlane schien zunächst erstaunt, dann zunehmend erfreut, bevor er hastig seinen Dank kundtat. Sein Kopf und Körper neigten sich dabei mehrfach prekär tief gen Erdboden in überschwänglichen Verbeugungen. Rain nahm den Dank mit einem einfachen Nicken an.

„Ich sollte Euch nicht weiter aufhalten, Duke Rutherford. Mein tiefempfundenes Beileid für Euren Verlust“, wiederholte der Mann noch einmal, seine Familie tat es ihm nach und die große Gruppe verließ den Platz vor der Kathedrale.

„Was für eine respektable Familie“, flüsterte Minnie neben ihm und Rain stimmte ihr insgeheim zu, doch er konnte in den Gesichtern anderer Trauernden sehen, was seiner gutgläubigen Frau entgangen war. Lord McFarlane war im Adel nicht ganz so beliebt, wie Minnie es wohl glauben mochte. Kein Wunder: Kaufmänner oder Händler oder Fabrikanten, wie er einer war, waren nicht besonders gut angesehen. Kein Adeliger arbeitete für seinen hohen Stand. Wer es doch tat, war nicht adelig. Außerdem war Lord McFarlane nicht von Geburt an Baron, sondern durch einige glückliche Umstände und einer vorteilhaften Ehe mit einer seiner vorigen Frauen zum Baron geworden. Noch ein Nachteil.

Rain schmunzelte, als ihm die Ironie der ganzen Situation bewusst wurde, doch noch bevor er weiter darüber nachdenken konnte, wandte sich eine seiner älteren Schwestern, die er, zugegeben, heute eines der wenigen Male in seinem Leben getroffen hatte, an ihn und sagte:

„Duke Rutherford, wünscht Ihr eine solche Bekanntschaft wirklich fortzuführen? Es wird für vorteilhaft erachtet, mit dem heutigen Tage einen Punkt an des Briefes Ende zu setzen.“

Prudence Rubinia, Ehefrau von Lord Carl Stephen Hampton, 12. Earl von Derby. Er hätte wissen sollen, dass allein ihr Name schon aussagte, was für einen Charakter die Frau mit sich brachte. Minnie und er schauten seine Schwester eine Weile an, bevor er sich dazu entschloss, zu antworten.

„Ich sehe keinerlei Grund, einen Punkt zu setzen, wo keiner verlangt wird. Der Brief ist noch nicht zu Ende geschrieben, Lady Hampton. Zudem unterscheidet sich Lord McFarlanes Situation nur wenig von meiner eigenen und meine Bekanntschaft pflegt Ihr auch.“

Seine Schwester sog scharf die Luft ein und schaute ihn aus blitzenden Augen an. Nun, er besaß jetzt einen höheren Stand als Lord McFarlane, aber auch er war nur ein zweiter Sohn gewesen und hatte durch eine Erbschaft seitens seines Onkels ein Gewerbe erhalten, mit dem er in kürzester Zeit stinkreich geworden war.

Kein Adeliger arbeitete. Wenn er es doch tat, war er nicht adelig.

Dass jetzt gerade er, Rain Noel Carradine, den Titel seines verhassten Vaters über seinen älteren Bruder vererbt bekam, war geradezu lächerlich.

Von dem Tag an, als Duke Cloud Arthur Carradine von Rutherford, Yorkshire, seinen tragischen Kutschenunfall hatte, war er ein Duke, ein Herzog. Und das, obwohl er ein Schifffahrtsimperium zu kontrollieren, darüber hinaus noch den Tod seiner eigenen Mutter im Kindbett nach seiner Geburt verschuldet hatte, welcher seiner Familie das „Licht“ ihrer Existenz gestohlen hatte und eine Frau gegen den Wunsch seiner Familie geheiratet hatte, die keine anständige Mitgift noch einen außergewöhnlich guten Titel – oder überhaupt einen – mit sich brachte.

Und jetzt hatten die hochwohlgeborenen Töchter – und sein „Adoptivbruder“ – ihn an der Backe.

Weil er der einzig überlebende männliche Erbe war und somit Anspruch auf den Titel hatte.

Ironie des Schicksals.

Sein Vater würde sich im Grabe umdrehen!

Rain kicherte leise.



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