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Wahr oder nicht wahr?

Die einseitige Liebe der Merope Gaunt
von

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Heimliche Beobachtungen

Das alte Kleid kratzte unangenehm an ihrem Körper, aber Merope wagte es nicht, etwas dagegen zu unternehmen. Das Kleid war alt - bestimmt hatte es schon ihre Urgroßmutter getragen.

Ihr Vater konnte es sich nicht leisten ihr ein neues zu kaufen und selbst, wenn er es gekonnt hätte - er hätte es nicht getan. Viel lieber hätte er ein neues Messer für ihren Bruder besorgt oder ihm neue Kleidung spendiert.

Morfin Gaunt war eben das Lieblingskind von Marvolo. Für Merope empfand er die meiste Zeit nur Verachtung - und manchmal auch Befriedigung, wenn sie eine neue, warme Mahlzeit auf den Tisch stellen konnte.

Aus der gesamten, restlichen Familie Gaunt war Merope die einzige, die kochen konnte. Sie sicherte ihrer aller überleben und bekam dafür nichts als Spott und Hass.

Früher war die Familie Gaunt einer der reichsten und bekanntesten Familien der Zauberer gewesen. Aber ihre Familie war nie sonderlich klug gewesen und so hatten der Mangel an Vernunft und die Prunksucht dazu geführt, dass das gesamte Familiengold lange vor Marvolos Geburt verschwendet gewesen war.

Sie drei waren nun die letzten der alten Familie und selbst in der Zaubererwelt für ihre labile und gewalttätige Veranlagung bekannt. Ihre Familie hatte immer viel Wert auf die Reinheit des Blutes gelegt und deshalb nur innerhalb der Familie geheiratet und neue Kinder gezeugt. Meist heiratete man Cousins oder Cousinen.

Merope war nicht gut im zaubern. Manchmal meinte sie sich an frühe Zeiten aus ihrer Kindheit erinnern zu können, in der ihr die Magie sehr leicht gefallen war, aber inzwischen waren die einfachsten Zaubersprüche ein Kampf für sie.

Marvolo - ihr und Morfins Vater- schätzte Magie mehr als alles andere in der Welt und sah es als die größte Schande an, dass seine Tochter ein Squib zu sein schien. Ihnen allen war bewusst, dass das nicht stimmte - wenn es darauf ankam, konnte Merope zaubern.

Aber solange sie nicht bewies, dass sie genauso viel Magie in sich trug wie Morfin und Marvolo würde sie die Verstoßene bleiben.

Sie seufzte und fuhr mit der Hand ihr Kleid hinunter. In einer kleinen, angenähten Tasche konnte sie ihren abgenutzten Zauberstab erfühlen. Zu gerne hätte sie ausprobiert, ob es jetzt mit dem zaubern klappen würde, aber ihr Bruder saß in dem Sessel am Kamin und warf in minütliche Blicke zu.

Morfin hatte eine eklige, ungepflegte Gestalt. Sein dichtes Haar war so verfilzt mit Schmutz, dass man die Farbe nicht mehr erkennen konnte. Früher waren sie einmal schwarz gewesen, aber das war lange her. Von Kämpfen mit Schlangen, Prügeleien mit seinem Vater und Schlägerein mit den Muggeln fehlten ihm ein paar Zähne. Er hatte kleine, dunkle Augen, die immer in die entgegengesetzte Richtung zu schauen schienen.

Morfin trug immer ein blutiges Messer bei sich und auch jetzt lag es neben ihm auf der Sessellehne. Meistens tötete er damit seine Schlangen, aber manchmal wurden auch sie oder die Muggel damit verletzt.

Er ließ eine lebendige Schlange durch seine dicken Finger schlängeln und sang ihr leise auf Parsel zu:
 

"Zischle, zischle, kleine Schlange,

schlängle dich am Boden hier.

Bist du nicht gut zu deinem Morfin,

nagelt er dich an die Tür." *
 

Merope hatten die kleinen Tiere immer leidgetan - es war öfter vorgekommen, dass sie eine vor ihrem Bruder gerettet hatte, bevor er sie umbringen und an die Tür nageln konnte.

Aber es gelang ihr lange nicht immer - in diesem Moment baumelte eine tote Schlange an ihre Haustür genagelt im Wind. Morfin trieb den Nagel immer direkt durch das Auge der Schlange und Merope versuchte jedesmal die Augen zu schließen, wenn sie vor die Tür ging.

Sie ertrug es nicht, die armen und gequälten Tiere zu sehen und zu wissen, dass sie sie vielleicht hätte retten können.

"Warum starrst du so?", fragte ihr Bruder sie angriffslustig. Er sprach immer noch Parsel - eine Angewohnheit, die er nie würde ablegen können. Marvolo hatte ihm beigebracht stolz auf diese Begabung zu sein und sie nicht zu missachten, indem er sie ignorierte.

Bei Merope war es ihm nicht ganz so wichtig - wenn sie mit ihm oder Morfin sprach, musste sie Parsel benutzen, aber wenn sie ins Dorf ging oder alleine war, war es ihr erlaubt, die menschliche Sprache zu verwenden.

"Ich warte, bis das Wasser warm ist.", flüsterte Merope leise und deutete mit einem Kopfnicken auf den Herd.

Bald war Mittagszeit und Merope musste zusehen, wie sie Morfin und Marvolo eine warme Mahlzeit auf den Tisch bringen konnte. Dazu hatte sie nur wenig Mittel zur Verfügung und auch diese Mittel waren von schlechter Qualität.

Morfin zögerte kurz, bevor er seinen Blick wieder von seiner Schwester abwandte und weiter mit der Schlange sprach.

Erleichtert atmete Merope durch. Kurz ließ sie ihren Blick durch den Raum schweifen, um sich von ihrem klopfenden Herzen abzulenken.

Der Hauptraum ihres Hauses diente sowohl aus Wohnzimmer als auch als Küche. Eine zerstörte Mauer, von der nur wenige Überreste zu sehen waren, trennten die beiden Räume voneinander.

Zwei Türen zweigten vom Hauptraum weg - hinter einer war das spärliche Bad und hinter der anderen der Schlafraum. Nur ein Bett stand darin und dieses durfte nur von Morfin und Marvolo benutzt werden. Merope musste auf dem Boden schlafen.

Den größten Teil des Tages befand Merope sich in der Küche und wurde vom Wohnzimmer aus von ihrem Vater oder ihrem Bruder beobachtet.

In der Küche befand sich nur ein schwarzer, verrußter Herd, auf dem Merope täglich kochen musste. Über diesem Herd hing ein altes, brüchiges Regal, auf dem sich verwahrloste Töpfe, Pfannen und Einmachgläser stapelten.

Es gab im gesamten Raum nur ein Fenster, das sich glücklicherweise direkt neben dem Herd befand. Oft hatte Merope nach draußen gestarrt und von einem Leben jenseits der Verachtung und des Hasses geträumt.

Das Wohnzimmer war ein einsamer Raum. Ein rauchender Kamin war in die Wand eingebaut und ein einsamer, schmutziger Sessel stand davor. Wenn Marvolo ihn nicht ausdrücklich verlangte, nahm Morfin ihn in Anspruch. Nur ein einziges Mal in ihrem Leben hatte Merope auf ihm gesessen.

Ein kleines Sofa stand in der Mitte des Zimmers und davor ein alter Tisch. Auch ein kleiner Holzstuhl stand am Rande des Raumes. Dieser kleine, unbequeme Stuhl war der einzige den Merope jemals hatte benutzen dürfen.

Vorsichtig sah Merope wieder zu ihrem Bruder. Seine Stirn war in tiefe Falten gelegt und seine kleinen, dunklen Augen leuchteten unheilvoll. Offenbar hatte die Schlange ihn verärgert - Merope kannte den Ausdruck in seinen Augen nur zu gut.

Bedächtig betrachtete Merope die Schlange auf seinem Schoß genauer. Sie schien sehr klein zu sein, beinahe so klein, wie die Babyschlange, die Morfin mal aus dem Wald mitgebracht hatte. Ihre Schuppen glänzten in einem wunderschönen, hellen Grünton.

Sie bewegte sich unruhig und versuchte sich aus Morfins Fingern zu winden. Es so aus, als wolle sie sich lieber etwas bewegen, als die ganze Zeit auf seinem Schoß zu liegen. Augenblicklich wusste Merope, was ihren Bruder so verstimmt hatte.

"Morfin.", sagte sie leise, um ihn von der Schlange abzulenken. "Weißt du, wo Vater ist? Ich möchte ihn etwas fragen."

"Sei still!", fauchte Morfin seine Schwester agressiv an. "Ich bin hier nicht dein Diener - wenn du etwas von Vater möchtest, such ihn gefälligst selber! Aber pass dabei bloß auf, dass das Wasser nicht überkocht! Ich verlange heute eine anständige Mahlzeit von dir!"

Damit war sein kurzes Interesse an seiner Schwester verschwunden und er wandte sich wieder der Schlange zu. Seine Hand legte sich auf das blutige Messer, das auf der Sessellehne lag.

Gehetzt ließ Merope ihren Blick durch den kleinen Raum schweifen. Gab es irgendetwas, das sie tun konnte, um die kleine Schlange zu retten?

"Ich habe dich gewarnt.", murmelte Morfin der Schlange zu. "Ich habe dir gesagt, dass ich dich an die Tür nageln werde, wenn du nicht gut zu mir bist. Und es ist nicht gut von dir, wenn du versuchst, mich zu verlassen. Entweder du bleibst für immer bei mir oder ich töte dich jetzt. Verstanden?"

Offenbar nahm die kleine Schlange Morfin nicht sehr ernst -entweder glaubte sie nicht, dass er die Wahrheit sagte oder sie hörte ihm garnicht zu- denn sie versuchte weiterhin sich aus seiner Hand herauszuwinden.

Morfins Griff um das Messer festigte sich und er hob es langsam hoch. Er drehte die blutige Spitze zu dem Kopf der kleinen Schlange.

Was Merope in diesem Moment tat, war eine unüberlegte, verzweifelte Reaktion. Die kleine Schlange sah aus wie ein Baby und sie konnte doch nicht einfach zusehen, wie ihr Bruder ein so winziges, hilfloses Geschöpf tötete!

Sie hob ihren Arm und fegte mit einer kräftigen Bewegung ein paar alte Töpfe und Pfannen von dem brüchigen Regal. Es schepperte laut und Morfin ließ vor Schreck das Messer fallen.

Mit blitzenden Augen drehte er sich zu ihr um und sie beeilte sich auf die Knie zu kommen und die wertvollen Töpfe wieder einzusammeln. Ihr Herz pochte laut und schnell und sie hoffte tünlichst, dass nichts kaputt gegangen war.

"Wie ein dreckiger Muggel.", flüsterte Morfin beim Anblick seiner Schwester gehässig.

Merope zog eilig den Kopf zwischen ihre Schultern. "E-es tut mir so leid, Morfin! Das wollte ich nicht - bitte, glaub mir! Ich bring das auch ganz schnell wieder in Ordnung und ..."

"Jajaja.", unterbrach er sie harsch. "Rede nicht, sondern sorge dafür, dass es wieder in Ordnung KOMMT!"

Mit einem genervten Zischen bückte Morfin sich, um das Messer wieder vom Boden aufzuheben. Merope hob leicht den Kopf und betrachtete die Schlange. Ihre Augen waren angstgeweitet und sie schien endlich zu verstehen, dass Morfin seine Worte ernst gemeint hatte.

Entsetzt betrachtete die Kleine das spitze Messer, als Morfin sich wieder gerade hinsetzte.

Merope sah wieder auf den Boden zu den verbeulten Töpfen und konnte nur noch hoffen. Sie hatte für die Schlange getan, was sie konnte und nun musste die kleine es allein schaffen, sich zu befreien.

Sorgfältig stapelte Merope die zu Boden gefallenen Töpfe aufeinander und hob den Stapel auf ihre Arme. Wankend erhob sie sich wieder und beobachtete das sich ihr bietende Schauspiel.

Als Morfin sich gebückt hatte, hatte er den Griff um die Schlange etwas gelockert, um das Gleichgewicht halten zu können.

Die kleine hatte dies natürlich sofort genutzt und sich ein wenig befreit. Jetzt bewies sie Klugheit und versuchte nicht, sich vollkommen aus seinem Griff zu winden - er würde sie sofort wieder einfangen und töten.

Als er das Messer wieder an ihren Kopf setzte, schoss die Schlange blitzschnell vor und biss Morfin in die Handfläche. Morfin schrie sofort polternd auf und ließ die Schlange auf den Boden fallen.

Die kleine nutzte ihre gewonnene Freiheit und schlängelte sich schnell Richtung Tür.

Morfin achtete kaum auf sie - aus seiner Hand tropfte Blut zu Boden und an der Wunde konnte man deutlich Fleischfetzen erkennen. Merope drehte sich um, stellte die Töpfe schnell zurück, um ihr Lächeln vor ihrem Bruder zu verbergen.

Sie genoss die paar Sekunden, in der sie sich ihre Schadenfreude leisten konnte. Ihr Vater würde sie bestrafen, wenn sie zu lange zögerte, ihrem Bruder zu helfen.

Also wirbelte sie nach den paar Sekunden herum und lief aufgeregt zu ihrem Bruder hinüber.

"Morfin! Bei Salazar - was ist denn passiert? Warum blutest du?", sie war selbst überrascht, als sie das pure Entsetzten in ihrer Stimme wahrnahm. Manchmal entdeckte sie doch tatsächlich etwas neues an ihr - wie Schauspieltalent.

"Frag nicht so doof!", fauchte Morfin trotzdem. Befriedigt nahm sie seine schmerzverzerrte Stimme war. "Hol Vater her!"

Sofort tat Merope, was ihr aufgetragen wurde. Ihre Schritte trugen sie in den Schlafraum, in dem sie hoffte, ihren Vater finden zu können. Sie glaubte in Erinnerung zu haben, dass er sich in den frühen Morgenstunden dort hinbegeben hatte.

Tatsächlich fand sie ihren Vater in dem Zimmer vor. Er saß auf dem kaputten Bett und polierte mit einem schmutzigen Tuch den Ring, den er um den Finger trug. Seine langen, gelben Fingernägel kratzen leicht den Dreck von dem Schmuckstück. Merope hielt ein paar Sekunden inne.

Der Ring bedeutet ihrem Vater beinahe so viel, wie das Medaillon, das Merope um den Hals tragen durfte.

Sie persönlich fand den Ring hässlich. Ein schwarzer Stein war in die Mitte des Ringes eingearbeitet und hatte das Peverell-Wappen eingraviert. Marvolo prahlte immer damit, dass der Ring eines der wertvollsten Familienerbstücke war und sich schon seit jahrhunderten in ihrer Familie befand.

Merope hatte noch nie gesehen, dass ihr Vater den Ring abgenommen hatte - solange sie denken konnte, trug er ihn stolz am Mittelfinger zur Schau.

Ihr Blick wanderte nach oben zur Gestalt ihres Vaters. Das erste, was ihr immer auffiel, wenn sie ihren Vater ansah, war seine Größe. Er war erstaunlich klein und selbst Morfin hatte in schon lange überholt.

Wenn sie nebeneinander standen, konnte man sich beinahe einbilden, Morfin wäre der Vater und Marvolo der Sohn.

Marvolo hatte breite Schultern, aber lange, schlaksige Arme, was ihm ein leicht groteskes Aussehen verlieh. Er hatte ein runzliges Gesicht mit stechend hellbraunen Augen und nur kurzem Stoppelhaar auf dem Kopf.

"Vater! Morfin hat sich verletzt - er blutet ganz furchtbar!", rief Merope dann und ließ weiterhin das Entsetzen in ihrer Stimme klingen.

Mavolos Kopf ruckte sofort hoch und er legte das Tuch achtlos auf das Bett hinter ihm. So schnell, wie er aufgesprungen war und vor ihr stand, konnte sie gar nicht reagieren.

Er stieß sie grob zur Seite, und Merope prallte mit dem Kopf gegen den brüchigen Türrahmen.

Mit leichten Sternchen vor den Augen drehte sie sich um und beobachtete, wie Marvolo sich vor seinen Sohn kniete und dessen Hand genau begutachtete.

"Du!", fauchte er dann Merope an. "Geh in den Garten und hol die Medizin-Pflanzen für deinen Bruder!"

Merope sah das unheilvolle Glitzern in seinen Augen, welches ihr mehr als nur gut bekannt war - es bedeutete, dass er sie bewusstlos schlagen würde, wenn sie nicht sofort tat, was er ihr befohlen hatte.

Umso mehr beeilte Merope sich aus der Tür vor das Haus zu gelangen. Die Tür ließ sie einen kleinen Spalt aufstehen, falls die Schlange sich noch im Haus befinden sollte. Sie sollte schnell eine Möglichkeit finden zu fliehen und Merope wollte tun, was sie konnte, um zu helfen.

Das, was ihr Vater und auch ihr Bruder selten liebevoll "Garten" nannten, war nichts als ein überwuchertes Stückchen Wald.

Ihr kleines Häuschen stand nämlich etwas abseits des Dorfes Little Hangeleton. Es stand in einem kleinen Wäldchen und ganz dicht führt eine gewundene Straße daran vorbei.

Ein kleiner Feldweg führte die ersten Meter von der Haustür in den Wald hinein, bevor er sich im Nichts verlor.

Merope folgte dem Weg nur ein paar Meter, bevor sie tiefer in den Wald hineinlief. Sie musste nicht sehr tief hineingehen - nach ein paar weiteren Metern konnte sie die kleine Hecke sehen, unter der die Kräuter wuchsen, die ihr Vater verlangt hatte.

Leicht raffte sie ihr schmutziges, graues Kleid auf, bevor sie sich auf den Boden kniete. Für ein paar Sekunden schaute sie dabei in den Himmel.

Ein Stromschlag schien durch ihren Körper zu gehen, als sie den Stand der Sonne bemerkte. Schon früh hatte sie gelernt, an diesem Stand die Uhrzeit abzuschätzen und jetzt war gerade die Mittagsstunde überschritten worden.

Normalerweise kam um diese Zeit er vorbeigeritten. Er - das war Tom Riddle. Der gutaussehende, charmante Sohn des Gutsherren. Er war der reicheste Mann in der Stadt und er befehligte über alles, was jenseits des kleinen Tals lag.

Morgens ritt er immer mit seinem fuchsroten Pferd auf die Weiden und kehrt um die Mittagsstunde zurück ins Dorf, um sein Mahl einzunehmen.

Manchmal fuhr er mit der Kutsche, aber Merope liebte es ihn auf dem Pferd reiten zu sehen.

Überhaupt liebte sie alles an ihm. Seit sie ihn das erste Mal gesehen hatte, war sie unsterblich verliebt gewesen - sie hatte gerade Kräuter gesammelt und dabei merkwürdige Geräusche vernommen. Vorsichtig hatte sie die Blätter der Hecke zur Seite geschoben und dann hatte sie ihn das erste Mal gesehen.

Er war auf seinem Pferd direkt an ihr vorbeigeritten; an seiner Seite an junges Mädchen. Für sie hatte Merope keinen Blick übrig gehabt - bis sie um die nächste Kurve verschwunden waren, hatte sie ihre Augen nicht von Toms Gestalt lösen können.

Heute fiel es ihr nicht mehr so leicht, die Mädchen zu ignorieren. Wenn Tom jetzt mit einer Begleiterin vorbeiritt, konnte Merope nicht anders, als diese hübschen Mädchen mit sich selbst zu vergleichen.

Schon lange war sie zu dem Ergebnis gekommen, dass Tom niemals etwas von ihr wollen würde.

Sie war ein armes, hässliches Waldmädchen, das ihren Vater und ihren Bruder durchfüttern musste und keines der eleganten, schönen Dorfmädchen, mit denen Tom Kontakt pflegte.

Merope hielt ihre Gefühle vor jedem geheim - vor ihrer Familie, weil sie sie umbringen würden, wenn sie es wüssten und vor Tom, weil sie bei ihm nie eine Chance haben würde. Trotzdem schlich Merope sich zur Mittagsstunde manchmal nach draußen um einen kurzen Blick auf Tom erhaschen zu können.

Irgendwie musste sie ihre überschüssige Sehnsucht nach ihm ja stillen.

In der Ferne meinte Merope ein Pferdeschnauben zu hören. Eilig legte sie sich mit dem Bauch auf den Boden und schob die untersten Zweige und Blätter der Hecke zur Seite. Früh hatte sie dieses kleine Schlupfloch entdeckt, das garantierte, dass Tom sie nicht dabei bemerken würde, wie sie ihn beobachtete.

Merope ließ ihren Blick langsam die Straße hinaufwandern - und tatsächlich. In schnellem Galopp kam ein fuchsrotes Pferd auf sie zugeritten. Schon von Weitem erkannte sie den Reiter - diese schwarzen Haare, die muskulöse Statur und die sichere Haltung hätte sie überall erkannt.

Enttäuscht musste sie erkennen, dass Tom auch heute nicht allein ritt. Auf einem jungen, grauen Pferd ritt ein hübsches Mädchen neben ihm her. Sie schienen sich angeregt zu unterhalten und Merope fühlte den bekannten Stich der Eifersucht in ihrem Herzen.

"Reiten wir morgen auch zusammen aus, Tom?", hörte sie die helle Frauenstimme sagen.

"Natürlich, Cecilia.", antwortete Tom und Merope seufzte auf, als sie seine Stimme hörte. "Allerdings muss ich morgen schon früher wieder heimkehren, weshalb unser Ausflug etwas kürzer werden müsste."

"Wann musst du den zurück in dein Herrenhaus?", wollte Cecilia wissen.

"Schon um zehn Uhr.", antwortete Tom bedauernd.

Cecilia lachte. "Weißt du - dann lass uns morgen früher losreiten! Holen wir die Zeit auf der anderen Seite wieder rein! Ich möchte keine Sekunde, die ich mit dir verbringen könnte, schlafen!"

Tom stimmte in ihr Lachen ein und Merope nahm dieses Geräusch ganz tief in sich auf. Sie liebte es, wenn Tom lachte - sie hörte ihn viel zu selten lachen.

"Was immer du wünscht, Liebling."

Damit ritten sie vorüber und Merope konnte bald nur noch ihre Sihouetten erkennen. Seufzend krabbelte sie wieder unter der Hecke hervor und machte sich mit zitternden Fingern an die Arbeit, die richtigen Kräuter für Morfin zu pflücken.

Sie konnte nur hoffen, dass ihr Vater ihr glaubte, wenn sie sagte, dass sie so schnell nicht die richtigen Kräuter gefunden und es deshalb so lange gedauert hatte.

Sie stand wieder auf und klopfte sich den Dreck von ihrem Kleid. Und außerdem musste sie hoffen, dass das Wasser nicht übergekocht war und sie damit noch eine vernünftige Mahlzeit herstellen konnte.

Im Laufschritt machte sie sich auf den Weg zurück zu ihrem Haus und bereitete sich innerlich auf eine mögliche Bestrafung ihres Vaters gefasst.



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