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Sternenseelen

von

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Neugier im Fremden

Nach einem versucht unauffälligen Durchatmen machte er einen Schritt nach vorne und die exotisch anmutende Frau im Türspalt ging zurück, um ihn einzulassen. Kaum hatte er den Raum ganz betreten, wurde die Tür schon wieder geschlossen und die Frau blieb hinter ihm stehen. Attur sah sich um. An einer Wand lehnten zwei düstere Gestalten, hochgewachsen, aber beinahe dürr erschienen sie. Eine von ihnen rauchte übelriechenden Tabak; sie beide starrten ihn an. An den Gürteln trugen sie lange, gekrümmte Säbel in teuer mit Edelstein verzierten Scheiden und ihre enganliegenden Gewänder zeugten von außergewöhnlichen Stoffen, welche man in ganz Perron nicht fand.

Erneut erklang ein Schrei, dieses Mal war er ein wenig lauter, weil er nicht mehr durch die Tür gedämpft wurde.

»Halt still, du Dummkopf! Trink lieber noch etwas Brandy und beiß die Zähne fester zusammen«, zischte kurz darauf eine leise, raue Stimme dem Schreienden erzürnt entgegen. Attur sah in die Richtung, aus der er die Stimmen hörte. Doch dort befand sich nur ein lumpiger, großer Vorhang, der den Blick auf alles, was sich dahinter befand, verwehrte.

»Was wünscht dein Herr von mir?« Die Stimme war dunkel, schwer und rau. Sie sprach von Erfahrung und zugleich von unglaublicher Dominanz. Attur drehte seinen Kopf zu einem Tisch in der anderen Ecke. Auf dem danebenstehenden Stuhl saß ein Mann. Auch sein Gesicht konnte er nur schwer erkennen, weil es im Zimmer so dämmrig war. Doch ganz klar ersichtlich war, dass der Mann eine Augenklappe trug und sich vom dahinter versteckten Auge über die Wange hinunter tiefe Narben zogen.

»Junger Neno, antworte.« Die Aufforderung riss Attur aus seiner Musterung und er senkte demütig seinen Kopf.

»Das hier ist für Euch.« Er ging auf den Mann zu und streckte beide Hände mit dem Beutel und dem Brief nach vorne, sodass der andere ihm beides abnehmen konnte. Dann sah er wieder auf, beobachtete, wie Harlekin den Beutel auf den Tisch stellte und das Siegel des Briefes mithilfe eines Messers zerbrach. Er faltete den Brief auseinander und überflog die Zeilen darauf, was im Halbdunkel sicher schwer war, den Mann aber nicht zu stören schien. Währenddessen hörte man von hinter dem Vorhang im Zimmer ein Wimmern. Attur sah erneut dorthin, doch seine Aufmerksamkeit wurde sogleich wieder auf Harlekin gerichtet. Dieser lachte kurz auf.

»Lord Haver hat sich nicht geändert…« Er legte den Brief beiseite und widmete sich dem schweren Beutel. Die Schnurr hatte er schnell gelöst; dann drehte er den Beutel um und schüttete die Sternsteine allesamt auf den Tisch neben sich.

 

Ihre Größe machte mitunter den Wert aus; diese hier waren ungefähr zwei Fingerglieder groß und rund. Das Besondere - was sie von normalen Steinen unterschied - war, dass sie einen ungewöhnlichen, geheimnisvollen, goldenen Schimmer ihr Eigen nannten. Ihre Konsistenz war löchrig, porös und großporig, wobei sie durchaus ein paar Stürze auf den Boden aushielten, bevor sie in kleinere Teile zersprangen.

Die Summe, die dort auf dem Tisch lag, war immens. Wenn Attur daran dachte, dass er diese den ganzen Weg über bei sich getragen hatte… Hätte er diesen Beutel an Nikyla verloren, er verwettete seine Seele darauf, Rick hätte ihn zu Tode geprügelt. Harlekin hingegen schien gar nicht überrascht über diese Menge an Sternsteinen. Nur zu gerne würde Attur wissen, was in dem Brief stand. Wofür war diese große Bezahlung? Doch fragen war natürlich undenkbar. Er war nur der Überbringer und hatte nicht das Recht, mehr darüber zu erfahren. Außerdem war er heilfroh, wenn er wieder aus dem Zimmer gehen durfte, denn er fühlte sich hier ausgesprochen unwohl.

Die zwei Männer an der Wand hatten angefangen, leise zu tuscheln. Jedoch in einer Sprache, die Attur nicht verstand und ebenso wenig kannte. Harlekin und seine Gefährten schienen größtenteils nicht aus Perron zu stammen. Denn in diesem Land gab es weder rothaarige Frauen noch eine zweite Sprache oder derart extravagante Gewänder. Aber Attur kannte sich zu wenig mit den verschiedenen Ländern des Weltenreiches aus, um bestimmen zu können, woher sie stammen mussten.

Harlekin stand auf und ging auf den Sklaven zu. Er war noch ein Stück größer als erwartet, denn nun da er aufgestanden war, erkannte man erst seine hünenhafte Gestalt. Er umfasste Atturs Unterkiefer mit der Hand und zwang ihn zum Fenster hinüber. Dort zog Harlekin den Vorhang ein Stückchen zur Seite, bevor er Atturs Gesicht im Tageslicht musterte und ein wenig hin und her drehte. Dabei blieb sein eigenes im Dämmerlicht verborgen. Attur musste der Sonne wegen blinzeln.

»Dein Herr ist ein grausamer Mann, junger Neno. Obwohl er mich kennt, schickt er mir doch einen Jungen mit solch seltenem Aussehen, ohne ihn mir als Bezahlung anzubieten.« Attur schlug die Hand an seinem Gesicht weg und wich einen Schritt zurück.

»Ich möchte auch gar nicht als Bezahlung gelten. Ich bin nur der Überbringer.« Harlekin lachte belustigt und dunkel.

»Wenn man sich doch nur aussuchen könnte, als was man gilt, junger Neno. Sklaven werden täglich verkauft und bekommen neue Herren. Warum sollte es ausgerechnet dir anders ergehen?« Er sah Attur streng an. Der Mann vor ihm hatte recht. Es gab keine Garantie, dass die Familie Haver ihn ewig bei sich behielt. Möglicherweise käme der Tag, an dem er verkauft werden würde. Die Unsicherheit, ob sich sein Leben dadurch verbessern oder nur noch schlimmer würde, ließ Attur schaudern. Er wollte gar nicht daran denken.

Sein Gegenüber seufzte und fuhr mit seiner Hand durch das sandfarbene, ungewöhnliche Haar des Jungen.

»Aber so gerne ich dich als Bezahlung fordern möchte und als meinen Diener nähme, ich weiß, wie speziell Lord Haver sein kann. Hätte er dich mir verkaufen wollen, so hätte er es getan. Ihm muss etwas an dir liegen. Also keine Angst.« Harlekins Lippen verzogen sich zu einem amüsierten Grinsen, während er durch Atturs Haare wuschelte wie bei einem Kind.

»Ich diene meinem Herrn bereits fast mein ganzes Leben«, erwiderte Attur überzeugt davon, dass dies der Grund dafür war - jedoch wahrscheinlich auch der einzige. Harlekin ließ den Vorhang wieder zurück in seine Ausgangsposition gleiten, sodass auch Atturs Gesicht nicht mehr im Licht lag und ging zurück zum Tisch, wo er sich erneut auf den Stuhl niederließ.

»Vesil, bring mir Tinte, Feder und Papier.« Eine der düsteren Gestalten an der Wand löste sich und trat auf einen schmalen Wandschrank zu, aus welchem er das Geforderte entnahm und zu seinem Herrn an den Tisch brachte. Dabei erkannte Attur weitere edle Verzierungen am Gewand von Vesil. Es sah beinahe so aus, als wären goldene Fäden in den Stoff gesponnen, welche grazile Muster formten. In Perron trugen nur adelige Männer solche schmucken Kleider; selbst dann nur zu gehobenen Anlässen. Wer waren diese Männer und woher kamen sie, dass sie derartig Wertvolles beinahe alltäglich trugen? Kaum war Vesil Harlekins Aufforderung nachgekommen, fand er sich wieder neben der anderen hageren Gestalt an der Wand ein. Er schien ihre Sprache also ebenso gut zu verstehen, wie die, mit der er eben selbst leise gesprochen hatte.

»Bringe das hier deinem Herrn.« Attur wurde ein Brief mit unbekanntem Siegel hingehalten. Es zeigte das Abbild einer Maske. Sogleich nahm er ihn an und richtete seinen Blick auf Harlekin.

»Lasse ihn nicht warten, er fiebert diesem Schreiben sicherlich bereits entgegen.« Ein düsterer Ausdruck verdunkelte Harlekins schemenhaft erkennbares Gesicht.

 »Ich hoffe auf ein Wiedersehen mit dir, junger Neno.« Attur empfand definitiv nicht so; er wünschte sich, diese Ansammlung von Exoten nicht so schnell erneut zu sehen. Doch anmerken ließ er sich dies nicht zu offensichtlich, lieber nickte er stumm und drehte Harlekin den Rücken zu. Sein Blick glitt über die beiden Männer, die ihn weiterhin aufmerksam musterten, dann huschte er weiter zu der rothaarigen, schönen Frau. Sie lächelte ihm entgegen, bevor sie die Tür öffnete, sodass er hindurch schlüpfen konnte.

Kaum stand er draußen, fiel die Anspannung förmlich von ihm ab und er atmete erleichtert aus. Harlekin war ihm nicht ganz geheuer, vielleicht seiner Dominanz wegen, die sich in seinem ganzen Verhalten widerspiegelte. Attur starrte auf den Brief in seiner Hand. Besser er brachte ihn schnell zu Draper. Kaum dass er den Schankraum wieder betreten hatte, warf der Schankwirt ihm einen neugierigen Blick zu. Attur jedoch ignorierte ihn einfach und verließ die Schänke. Was interessierte ihn auch dieser wissbegierige Hüne, der doch nur hoffte, aus seinem Wissen eine gute Geschichte oder Sternsteine herausschlagen zu können?

 

Mit dem Brief fest in der Hand eilte Attur geschwinden Schrittes zurück zum Anwesen seiner Herren. Dort angekommen lief er durch die Küche, in der seine Mutter gerade dabei war, das Mittagessen fertigzukochen. Sie lächelte ihm gutmütig entgegen, bevor sie sich wieder ihrer Arbeit widmete. Draper war sicher in seinem Arbeitszimmer zu finden. Er stieg die ausladende Treppe hinauf und wollte gerade nach dem Knauf greifen, als sich die sauber gearbeitete Tür bereits öffnete. Heraus kam sein junger Herr, der - überrascht wegen Attur, der nun direkt vor ihm stand - abrupt stehen blieb. Der Sklave machte einen Schritt zurück, um Draper nicht so ungebührlich nahe zu sein, bevor er ihm den Brief übergab.

»Dies hat Harlekin mir für Euch mitgegeben.« Sofort nahm Draper ihm die Botschaft ab und kehrte zurück in sein Arbeitszimmer. Attur folgte ihm hinein und beobachtete, wie der andere beschwingt das Siegel brach, um den Inhalt zu lesen. Drapers sonst so kühles Gesicht drückte mit jeder gelesenen Zeile mehr Zufriedenheit aus. Dann erhob er seinen Kopf und sah Attur unverhohlen an. Dieser senkte sogleich demütig den Blick, da es sich nicht gehörte, seinen Herrn derart direkt und respektlos anzusehen.

»Er hat sicherlich sein Interesse an dir bekundet.« Es klang mehr nach einer Feststellung denn einer Frage. Trotzdem nickte Attur überrascht. Drapers Gesichtsausdruck wurde nachdenklich, bevor er den Blick abwandte.

»Du kannst nun gehen und deinen anderen Arbeiten Folge leisten.« Nachdem Attur entlassen war, verließ er das Arbeitszimmer und schloss hinter sich die Tür.

»Wen haben wir denn da?«, erklang eine widerlich süßliche Stimme den Gang entlang. Attur verspürte den Drang, sie zu ignorieren und weiterzugehen, doch dies würde nur Schmerzen und Züchtigung bedeuten. So blieb er stehen und drehte sich leicht zu Rick, der langsam auf ihn zukam.

»Was hast du denn im Arbeitszimmer meines Bruders zu suchen, kleiner Bastard?« Der Sklave senkte seinen Blick deutlich tiefer als zuvor bei Draper.

»Ich habe einen Brief übergeben.« Rick blieb vor ihm stehen und tippte sich mit dem Zeigefinger ans Kinn.

»Von wem könnte dieser Brief denn gewesen sein?« Es war nicht ersichtlich, ob das eine rhetorische Frage oder eine Frage direkt an Attur gestellt war. Nichtsdestotrotz antwortete Attur vorsorglich, in der Hoffnung, das Richtige zu tun.

»Von Harlekin.« Der überraschte Blick, welcher sich dann schnell in einen interessierten wandelte, entging ihm nicht, obwohl er nicht lange in Ricks Augen währte.

»Ich habe eine Aufgabe für dich: Geh hinüber zum Haus des Statthalters. Sie brauchen noch ein paar helfende Hände für die Erweiterung des Westflügels. Dein kleiner Freund ist auch schon dort. Und wehe dir, du trödelst!« Attur nickte heftig, bevor er mit schnellen Schritten den Gang entlang lief, um Ricks Zorn ja nicht auf sich zu ziehen. Aus dem Augenwinkel sah er noch, wie der junge Herr die Tür zum Arbeitszimmer aufmachte und dort eintrat.

 

Wen Rick mit seinem kleinen Freund wohl gemeint hatte? Doch er würde es wohl erst erfahren, wenn er beim prunkvollen Haus des Statthalters ankam. Auf dem Weg dorthin grübelte er noch ein wenig über Harlekin und dessen Kameraden nach.

Ganz geheuer waren sie ihm wirklich nicht gewesen. Sie erschienen so fremd und erhaben. Die Frau war so wunderschön gewesen. Was sie wohl bei einem Mann wie Harlekin suchte? Wobei Attur ja nicht einmal wusste, wer oder was dieser überhaupt war. Er könnte theoretisch sogar eine Person von adeliger Herkunft sein. Die große Summe an Sternsteinen und die hochwertigen Kleider würden dafür sprechen. Allerdings fand Attur keinen Grund, warum eine solch reiche und wichtige Person dann in einer kleinen Stadt wie Rhodohr unterkommen sollte; noch dazu in einem Drecksloch wie ihrer Schänke.

Es gäbe doch viel bessere Orte. Sicher würde man Harlekin als Mitglied des Adels ins Haus des Statthalters einladen. Wobei sein Name keinesfalls dafür sprach, dass er zur gehobenen Gesellschaftsschicht gehörte. Attur hatte nicht einmal einen Nachnamen erfahren. Vielleicht war es ein Pseudonym. Und da waren auch noch dessen exotische Gefährten. War der Mann womöglich ein Adeliger oder eine wohlhabende Person aus einem fremden Land, die nicht erkannt werden wollte? Doch selbst dann blieb die Frage, weshalb er sich in dieser unwichtigen Stadt aufhielt. Attur seufzte und verzog unzufrieden ob der fehlenden, klaren Antwort sein Gesicht. Aber eigentlich ging es ihn sowieso nichts an. Das alles waren Geschäfte zwischen anderen und seinen Herren, die er nicht zu verstehen hatte. Er hatte schon häufiger als Bote fungiert und war schon dem einen oder anderen merkwürdigen Vogel begegnet. Wenngleich Harlekin ihm wohl erstmal im Gedächtnis bleiben würde.

Bald hatte Attur Rhodohr erreicht und befand sich wieder auf dem Marktplatz, wobei er stehen bleiben musste, da er sich plötzlich in einer Menschentraube wiederfand. Verwirrt sah er sich um, in der Hoffnung, den Grund für diese Ansammlung zu entdecken. Doch er war zu klein, als dass er über die Umstehenden hinüber sehen hätte können. So blieb ihm nichts anderes übrig, als sich durch die Menschenmasse durchzudrücken. Er war schmal, sodass es ihm nicht schwer fiel, bis zum vorderen Ende zu gelangen, ohne die anderen Leute allzu sehr mit seinem Gedränge zu verärgern. Dabei stolperte er etwas zu weit, denn die Leute hatten eine Gasse gebildet, um Platz für einige Pferde zu machen. Sogleich machte Attur einen Schritt zurück, um wieder mit in der Reihe zu stehen und nicht zu sehr aufzufallen. Allem voran ritten zwei Reiter auf braunen Pferden, an ihren Hüften je ein Schwert befestigt. Dann folgte ein Kriegspferd. Es war ein gewaltiges, pompöses Wesen, das einem normalen Pferd durchaus glich. Nur mit dem Unterschied, dass es ein Stockmaß von gut sechseinhalb Fuß, Pranken mit robusten, starken Krallen statt Hufen und scharfe, lange Eckzähne besaß.

Es war ein Tier, das man in Perron nur allzu selten antraf. Ursprünglich stammte es aus Tinon, dem fernen Osten, von dem es hieß, dass die Sonnen sich stetig abwechselten und somit niemals untergingen und die Sommer ewig hielten. Mit den Jahrzehnten hatten sich ein paar davon in das restliche Weltenreich verteilt, doch angeblich war es ihnen nur in Tinon und den dortigen Wetterlagen möglich, Fohlen zu gebären, weshalb sie immer seltener wurden, je weiter man sich vom Osten entfernte. Im Westen, in Perron, gab es sie deshalb beinahe gar nicht. Attur fragte sich noch immer, wie Beldur - der das Kriegspferd stolz und erhaben ritt - an eine solche Kostbarkeit gekommen war. Am wahrscheinlichsten war, dass Prinz Altair - der Sohn des Herzogs ihrer Region - eine nicht ganz unwichtige Rolle bei der Beschaffung gespielt hatte. Vielleicht ein Zuvorkommen, da ihre Familien in naher Zukunft verknüpft würden.

Selbst das Zaumzeug und der Sattel des Kriegspferdes waren aus teuerstem Leder, die Riemen und Metallringe glänzten im Sonnenlicht von Sultas und die wilde Mähne - pechschwarz wie auch der restliche Körper - wehte im leichten Wind und glänzte gesund und kräftig. Es war ein wahrlicher Augenschmaus, ein solches Wesen zu betrachten und ein bewunderndes Raunen ging durch die Menge hinter Attur. Beldur erhielt dadurch die Anerkennung, die er sich wohl immer gewünscht hatte, schon seit er in der Wiege gelegen hatte. Nur besaß man ebenso gehörigen Respekt vor diesem Tier; so groß und ungeheuerlich wie es war. Anstelle von Hufgetrappel vernahm man das Kratzen der gewaltigen Krallen im kiesigen Untergrund und der lange Schweif schwang hin und her, sodass man Acht geben musste, davon nicht getroffen zu werden; denn dahinter verbarg sich augenscheinlich einiges an Kraft. Doch Kriegspferde waren äußerst ruhige und gelassene Tiere, denn schließlich mussten sie sogar in Kriegs- und Kampfessituationen die Ruhe bewahren und durften nicht türmen. Sie waren heiß begehrt in den kleineren Grenzscharmützeln zwischen den verschiedenen Ländern, die es immer mal wieder gab. Doch Attur interessierte sich dafür nicht sonderlich. Er war ein einfacher Sklave, da musste er sich über derlei Dinge keine Gedanken machen. Das war die Aufgabe der mächtigen Männer ihres Landes.

Nach dem Kriegspferd, auf welchem Beldur wie der Weltenkönig selbst thronte, folgte eine Sänfte, getragen von vier starken Männern. Sie war aus edlem Holz und verkleidet durch pure, leicht geraffte Seide. Attur wusste genau, wer dort saß und transportiert wurde. Eine zarte, schlanke Hand glitt durch den Spalt zwischen den hochwertigen Stoffen und schob sie ein Stück beiseite, sodass Atturs Blick auf das anmutige, sanfte Gesicht der jungen Frau fiel, welche dadurch offenbart wurde. Ihr rabenschwarzes, langes Haar war kunstfertig in einer aufwendigen, grazilen Hochsteckfrisur zur Schau gestellt, was ihr Gesicht schmaler wirken ließ. Dünne, beinahe zerbrechlich scheinende Goldkettchen waren mit ihrem Haar verwoben und ihr dunkelrotes Kleid wurde ebenso von sanftem Gold geziert. Doch sie hätte ebenso gut in Lumpen vor ihm stehen können, für ihn wäre sie trotzdem wunderschön gewesen. Ihr Anblick raubte ihm den Atem und als ihre dunklen, wachen Augen ihn erfassten, zeichnete sich ein kaum merkliches Lächeln auf ihren blutroten Lippen ab. Erkannte er da sogar ein freches Funkeln in ihrem Blick? Für einen winzigen Moment? So wie sie es früher oft völlig ungeniert in seiner Gegenward gezeigt hatte? Allerdings war es zu schnell wieder verschwunden, sodass Attur nicht mit Sicherheit sagen konnte, ob es nicht doch nur seine Einbildung gewesen war.

»Aus dem Weg!« Die strenge Stimme des Sänftenträgers riss Attur aus dem Bann, den Rhez über ihn gelegt hatte. Er musste ein paar Mal blinzeln, bis er verstand, dass er unbewusst einen Schritt vor gemacht hatte und somit der Sänfte den weiteren Weg erschwerte. Sofort trat er zurück und sah erneut hinüber zu dem Spalt im Stoff, doch die haltende Hand war verschwunden und mit ihr der Ausblick auf Rhez.

»Dummer Junge«, hörte Attur noch von dem Sänftenträger. Die Wut packte ihn, doch anstatt auf den Mann loszugehen, machte er auf dem Absatz kehrt und schob sich grob und ohne Rücksicht durch die Menge. Warum er wütend war? Vielleicht, weil der Mann ihn beleidigt hatte. Viel eher aber, weil Rhez in so unglaublich weite Ferne geglitten war und er sie nicht mehr zu fassen bekam. Sie war versprochen. An Prinz Altair. Schon bald würde sie ihn zum Gemahl nehmen und aus Rhodohr fortziehen, um bei ihm zu leben. Für sie und ihre Familie war es eine große Ehre und zugleich Aufstiegschance, doch für Attur das Schrecklichste, was ihm hätte passieren können. Er vermisste die gemeinsamen Nächte mit ihr auf den Wiesen nahe dem Stadtrand. Vermisste ihre warme Hand in seiner, wenn sie ihn freudig mit sich zog, auf ihren Streifzügen unter dem Sternenhimmel.

Doch das alles gehörte längst der Vergangenheit an. Eine Adelige und ein Sklave? Ein Wunder, dass ihre Eltern es Rhez als Kind erlaubt hatten. Wie sehr wünschte Attur sich diese glücklichen, unbeschwerten Tage zurück; allerdings gab es keine Möglichkeit, sie auch nur ein einziges Mal wieder zu erleben. Alles, was ihm blieb, war der trügerische Nachgeschmack des Himmels, von dem er einst kosten durfte. Es gab Tage, da wünschte er sich, sie nie kennen gelernt zu haben. Dann würde es nun nicht so weh tun, sie so nah und gleichsam so fern zu wissen; so unerreichbar für ihn.



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