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you are still written in the scars on my heart

dominique & james
von

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we will come clean

you are still written in the scars of my heart
 

we will come clean
 

+++
 

Dominique lag wach in ihrem Bett. Es war nicht das erste Mal in dieser Woche, in diesem Monat, dass sie keinen Schlaf fand, obwohl die Erschöpfung an ihr zehrte. Sie wollte schlafen, ihre Gedanken abstellen und einfach für ein paar Stunden Ruhe finden. Nur ein kleines bisschen Abstand von der Realität ihres Lebens.
 

Sie drehte sich auf ihre linke Seite, starrte an die dunkle Wand, die sich nun genau vor ihren Augen befand und wünschte sich, er wäre bei ihr und würde sie in seine Arme nehmen. Sie wollte seine Nähe, seine Wärme spüren.
 

Wütend auf sich selbst schlug sie die Decken zurück, in welche sie sich vor Ewigkeiten eingewickelt hatte. Ihr war kalt, die ganze Zeit über, einfach immerzu. Gänsehaut breitete sich sofort auf ihrem Körper aus, denn ihr dünnes Nachthemd bot ihr nicht viel Wärme.
 

Sie griff nach ihrem Zauberstab und der Schachtel Zigaretten, die auf dem Nachtisch lagen und ging leise und bedächtig ins Wohnzimmer. Eigentlich gab es keinen Grund, sich ruhig zu verhalten. Niemand war hier - in dieser großen Wohnung mit den vielen Räumen und den weichen Teppichen und den bunten Wänden und den Möbeln für zwei Personen, nicht für eine - außer ihr. Und Merlin, wie sie das hasste.
 

Vielleicht hätte sie sich eine neue Wohnung suchen und nicht an dieser hier hängen bleiben sollen. Aber wie immer hatte sie nicht einsehen wollen, das vorbei auch vorbei bedeutete. Sie hatte schon immer zu sehr an der Vergangenheit gehangen. Es fiel ihr einfach schwer, auf das Morgen zuzugehen und das Gestern zu vergessen, hinter sich zurückzulassen, als hätte es nicht existiert und sie nicht geprägt und nicht einen Teil ihres Lebens ausgemacht.
 

Mit bebenden Fingern zog sie eine Zigarette aus der kleinen Pappschachtel und zündete sie an, bedacht, so viel Qualm wie möglich zu erzeugen. Er würde ausrasten, wenn er wüsste, dass sie in der Wohnung rauchte. Aber nein, wahrscheinlich nicht, denn er wohnte nicht mehr hier und damit hatte sich das auch erledigt.
 

Sie rauchte eine Zigarette nach der anderen, während sie durch jeden Raum der Wohnung lief, überall den beißenden Rauch hinterließ, nicht, dass es sie stören würde. In seinem alten Arbeitszimmer blieb sie schließlich stehen. Es hatte sich nicht viel verändert, sie hatte nicht die Kraft und Lust, sich mit seinen Sachen zu beschäftigen und er hatte kaum etwas mitgenommen.
 

Papiere stapelten sich auf dem antiken Holzschreibtisch, sowie alte und neue Federn, Tintenfässer und anderes, unnützes Zeug. Regale gefüllt mit Büchern standen herum. Die Wände waren beklebt mit Zeitungsartikeln und Ausschnitten aus Büchern und Magazinen, sowie Bildern von der Familie. Sie würde gerne alles abreißen, verbrennen, besonders die Familienporträts. Aber sie kannte ihn, oh ja und wie, und sie wusste, dass er wahrscheinlich alles mit einem Dauerklebefluch befestigt hatte. Merlin, sie hasste diesen Raum. Er schien ihr ins Gesicht zu schreien: das alles hattest du einmal, aber nicht mehr, nie mehr.
 

Sekunden später war sie aus dem Raum geflohen und hatte sie Tür hinter sich zugeschmissen. Schwer atmende sank sie gegen den Türrahmen und ließ sich auf den Boden gleiten. Die noch brennende Zigarette fiel ihr aus der Hand, doch sie kümmerte sich nicht um den dunklen Brandfleck, der zu ihren Füßen entstand. Ihretwegen konnte das ganze, verdammte Haus abfackeln - mit ihr.
 

+++
 

Ein lautes Klopfen an der Tür weckte Dominique am nächsten Morgen. Sie stöhnte leise vor Schmerz, als sie ihren Kopf hob und feststellte, dass sie letzte Nacht an die Tür gelehnt eingeschlafen war. Natürlich, typisch. In ihrem Bett fand sie keine Ruhe, aber hier.
 

Sie rappelte sich vom Boden auf und registrierte den verkohlten, schwarzen Fleck im Teppich, gleich neben der Zigarette. Vielleicht sollte sie aufhören zu rauchen.
 

Das Klopfen ertönte erneut und sie lief zur Tür, warf dabei einen Blick auf die Uhr über dem Kamin im Wohnzimmer. Schon nach elf Uhr. Ihr fiel auf, dass sie nicht wusste, was für ein Wochentag es war. Musste sie heute noch auf Arbeit?
 

Mit einem genervten Seufzen öffnete sie die Tür und sah sich ihren Cousinen Rose und Lucy gegenüber.
 

„Was wollt ihr hier?“, fragte sie und ließ die Begrüßung direkt wegfallen.
 

Lucy rümpfte die Nase und verengte ihre Augen zu Schlitzen. Dominique wusste wie sehr sie es hasste, wenn jemand patzig mit ihr umging. Nicht, dass es sie besonders interessierte. Rose hatte einen besorgten Ausdruck im Gesicht, was Dominique viel schlimmer fand als Lucys bösen Blick. Sie hasste es, wenn Rose sie so ansah.
 

„Guten Morgen, Dome. Wie geht es dir?“, begann Rose auch sofort mit sorgenvoller Stimme und trat einen Schritt auf sie zu.
 

„Du siehst fürchterlich aus“, merkte Lucy an und Dominique zeigte ihr emotionslos den Mittelfinger.
 

Sie stand noch immer in der Tür und hatte nicht vor, wegzutreten, um ihre Cousinen hereinzubitten. War es zu schwer zu verstehen, dass sie ihre Ruhe wollte?
 

Rose schien schließlich zu kapieren, dass Dominique nicht in der Stimmung für Besuch war, was sie nicht davon abhielt, ihren Mund für einen ihrer bekannten Moralpredigten zu öffnen: „Hör mal, Dome, so kann das mit dir nicht weitergehen, wirklich nicht. Du sitzt jetzt seit einem Monat in dieser Wohnung rum, verlässt sie nur zum arbeiten und … sieh mal, das ist doch kein Leben. Wir wollen alle nur das Beste für dich, wir alle Sorgen uns. Ich weiß, dass es schwer ist, aber du musst weitermachen und -“
 

„Oh Merlin, halt den Mund, Rose! Ich will das nicht hören. Es geht mir gut und ich brauche euch nicht und verdammt, woher will einer von euch wissen, was das Beste für mich ist? Ihr wisst nicht einmal, was los ist, also tut nicht so, als hättet ihr von irgendetwas eine Ahnung.“
 

Rose schnaufte verärgert. „Wie sollen wir auch wissen, was das Problem ist, wenn du nicht mit uns redest? Du weißt, dass du das kannst, oder nicht?“
 

„Nun, jeder Blinde kann sehen, dass das alles etwas mit James zu tun hat“, wandte Lucy in ihrer gewohnt ungerührten Art ein. „Ich meine, alles war schön und gut - und dann zieht er einfach aus und du verlässt deine Wohnung nicht mehr.“
 

Dominique versuchte, eine ausdruckslose Miene zu wahren, was ihr mehr oder weniger gelang. Gegen ihr rasend klopfendes Herz konnte sie nichts tun, aber das konnte ja niemand sehen. Natürlich lag Lucy mit ihrer Vermutung goldrichtig.
 

Rose drehte sich mit einem vorwurfsvollen Blick zu Lucy um. „Danke, Luce, das war wirklich der beste Weg, dieses offensichtlich sensible Thema anzusprechen“, erklärte sie sarkastisch.
 

„Könnt ihr mit euren bescheuerten Theorien vielleicht jemand anderen nerven? Mir geht’s gut, und selbst wenn nicht - mit James hat das alles überhaupt nichts zu tun“, fauchte Dominique ihre Cousinen an und trat einen Schritt zurück, um die Tür zu schließen.
 

Lucy schob ohne weitere Bemühungen ihren Fuß zwischen Tür und Rahmen. „Einen Moment noch, Dome. Oma Molly will, dass du am Sonntag zum Familienessen kommst. Deine Eltern und Geschwister erwarten dich dort, also versuch gar nicht erst dich zu drücken. Ich glaube, Tante Fleur jagt irgendwas in die Luft, wenn du wieder nicht auftauchst. Also beweg' deinen Arsch dorthin, verstanden?“
 

Mit einem wütenden Blick und einem abrupten Nicken knallte Dominique schließlich die Tür zu. Sie hörte Rose und Lucy einen Moment lang erzählen, konnte jedoch nicht verstehen, was sie sagten. Dann war alles ruhig.
 

„Verdammte Scheiße!“, fluchte sie halblaut vor sich hin, während sie sich ihren Weg zurück ins Wohnzimmer bahnte, um nach ihren Zigaretten zu suchen. So ein Familienessen hatte ihr gerade noch gefehlt. Und natürlich musste Lucy unbedingt James erwähnen. Sie zitterte, als die Kälte der letzten Nacht sie wieder einholte.
 

Ja okay, natürlich hatte sie gelogen. Ihre gesamte Situation hatte mit James zu tun. Alles in ihrem Leben schien an ihn gebunden zu sein. Und wie traurig war das denn bitte?
 

Sie atmete den Zigarettenrauch so lange und tief ein, dass ihr schwindelig wurde und sie sich am Sofa festhalten musste.
 

Es war ihr schon bewusst, dass es komisch auf ihre Familie und Freunde wirken musste, James‘ plötzlicher Auszug, nachdem die beiden über vier Jahre zusammengelebt hatten. Denn in ihren Augen, für sie alle, gab es immer nur Dominique und James - die besten Freunde, die engsten Freunde, die zusammen durch dick und dünn gehen und sich alles erzählen und sich alles bedeuten und die immer, immer füreinander da sind.
 

Ganz offensichtlich war es nicht mehr so.
 

Und ganz offensichtlich hatten alle Familienmitglieder und Freunde den entscheidendsten Punkt in der Freundschaft zwischen Dominique und James übersehen:
 

Nämlich, dass sie viel, viel mehr waren, als nur beste Freunde.
 

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James war schon seit sie denken konnte einfach da gewesen. Immer an ihrer Seite, irgendwie. Und seit sie sich erinnern konnte, gab es sie nur im Doppelpack, ob nun als Siebenjährige oder als Siebzehnjährige.
 

Besonders während ihrer gemeinsamen Hogwartsjahre hatten die beiden immer ein Team gebildet, aber auch davor schon, und auch noch lange danach. Natürlich hatten sie beide viele Freunde, verstanden sich auch mit ihren Geschwistern und den restlichen Cousins und Cousinen gut - aber zwischen James und Dominique hat es immer diese spezielle Verbundenheit gegeben, dieses gewisse Etwas.
 

Manche würden es vielleicht Seelenverwandte nennen, aber Dominique glaubte nicht an solche Dinge.
 

Um ehrlich zu sein, konnte sie heute nicht mehr sagen, wann aus James mehr als nur ein Freund geworden ist. Sie konnte sich nicht einmal an den ersten Kuss erinnern, was ihr im Nachhinein betrachtet ziemlich traurig vorkommt. Aber der Wandel in ihrer Beziehung wurde nicht durch einen Kuss vollzogen. Er hat sich über Wochen und Monate gezogen und erstreckt und plötzlich, statt sich nur zu umarmen, küssten sie sich zur Begrüßung. Es war so einfach, so leicht, so natürlich und so, wie es bestimmt gewesen war - von Anfang an.
 

Dann fing auch die Geheimniskrämerei an, das Versteckspielen - aber darin waren die beiden schon immer gut gewesen, also störte es sie nicht besonders. Es war nichts Neues, nichts, worauf man sich einstellen musste und nichts, das eine besondere Anstrengung von ihnen verlangte. Es lag ihnen im Blut, Dinge miteinander zu teilen, von denen kein anderer wusste.
 

Es kümmerte sie nicht, dass sie vor ihren Freunden und Familien ihre tiefe Zuneigung füreinander verbergen mussten und es war aufregend, am Weihnachtsabend vom Fuchsbau in die Felder zu schleichen, um dort in einem mitgebrachten Zelt ungestört miteinander schlafen zu können. Es war schön, niemals langweilig und immer genau das, was sie wollten.
 

Und sie hatten es geschafft, bis zum Ende, ihre Beziehung geheim zu halten. Vielleicht hätte es Dominique klar sein müssen, dass es genau dieser Aspekt war, der früher oder später alles zerbrechen würde wofür sie so lange still und leise gekämpft hatten. Das es die ganze Geheimniskrämerei war, die ihre Welt letztendlich erschüttern und zerfallen lassen würde.
 

Es war nur natürlich, dass es irgendwann einfach nicht mehr gereicht hatte - nur sie beide gegen den Rest der Welt. Das James irgendwann nicht mehr so weitermachen konnte. Dominique hatte es erwartet. Sie hatte gespürt, dass etwas nicht stimmte und sie hatte stumm die Stunden gezählt.
 

Drei Wochen und sechs Tage hatte James am Ende gebraucht, um ihr zu sagen, dass er so nicht weiterleben wollte. Und dann hatte er ihr ein Ultimatum gestellt, bei dem sie nur verlieren konnte: Entweder, sie würden ihrer Familie die Wahrheit erzählen oder ihre Beziehung wäre vorbei.
 

Und was hatte Dominique dazu sagen sollen?
 

Zwei Tage später war er gegangen.
 

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Sie wusste wirklich nicht, was sie aus ihrem Leben machte. Während James über die Jahre hinweg hart gearbeitet hatte und einer der begehrtesten Journalisten Londons geworden war, hing sie in ihrem fortschrittslosen Dasein fest, arbeitete hin und wieder in der Bar, über der sie ihre Wohnung gemietet hatten und verzweifelte langsam, weil sie niemals das schaffen würde, was sie so sehr wollte.
 

Oder vielleicht wollte sie es nicht genug, kämpfte nicht genug dafür. James hatte immer gesagt, dass er an sie glaubte, an ihr Talent, daran, dass sie es schaffen würde, ein Buch zu schreiben, so, wie sie es sich schon seit der dritten Klasse gewünscht hatte.
 

Aber das war jetzt sowieso egal.
 

James war weg und wirklich, Dominique hatte jegliche Hoffnung in sich selbst schon vor langem aufgegeben. Und sowieso, wer würde ein Buch lesen, das eine verbitterte, verzogene und verwöhnte Fünfundzwanzigjährige geschrieben hatte? Niemand. Denn eine Person wie sie hatte der Welt sowieso nichts zu sagen.
 

Und jetzt stand sie hier, vor ihrem Spiegel, in ihrem viel zu großen, viel zu verlassenen Schlafzimmer. Die Zigarette in ihrer linken Hand glühte vor sich hin, das Glas mit dem letzten Schluck Rotwein in ihrer rechten Hand zitterte bedrohlich.
 

Traurig. Wann hatte sie angefangen, sich vor Familientreffen Mut anzutrinken?
 

Sie schmiss die Zigarette in das Weinglas und stellte dieses dann auf ihrem Schminktisch ab. Dann griff sie zu Puder, Rouge und Mascara, sowie Eyeliner und Lippenstift, um ihrem Gesicht etwas Farbe und Leben zu verleihen.
 

Merlin, sie sah wirklich fürchterlich aus.
 

Doch mit roten Lippen und schwarzen Augen wirkte sie nahezu wie ihr altes Selbst. Das fröhliche, unbekümmerte Selbst mit James an seiner Seite, welches zwar so einige Probleme hatte, aber sie alle irgendwie bewältigen konnte.
 

In ihrem Kleiderschrank fand sie nichts, was ihren Vorstellungen entsprach. Alle ihre Klamotten waren zu bunt, zu hippiemäßig. Und das wollte einfach nicht mehr passen. Ohne James war sie nicht diese Person mit Blumenkränzen im Haar und bunten Ketten um den Hals.
 

Ohne James war sie irgendwie farblos.
 

Merlin, wann war sie diese fürchterliche, unzufriedene, selbstsüchtige Person geworden? Sie konnte sich selbst nicht mehr ertragen und ein oder zwei weitere Gläser Wein erschienen ihr durchaus reizvoll.
 

Sie griff nach einer engen, schwarzen Jeans, die sie immer in der Bar trug und suchte dazu einen übergroßen, grauen Pullover aus den Tiefen ihrer Kommode. Sie wusste gar nicht, dass sie so etwas Formloses besaß, doch jetzt, wo sie es trug, empfand sie es als unglaublich tröstend. Beim nächsten Einkauftrip musste sie mehr von dieser Sorte kaufen.
 

Ohne darüber nachzudenken fummelte sie ihre Haare zu einem unordentlichen Zopf zusammen und dachte über einen Haarschnitt nach.
 

Wann hatte sie begonnen, sich so gehen zu lassen? James hin oder her, das war nicht mehr sie selbst. Andererseits, jedes Selbst, das sie kannte, war an James gebunden. Seit sie denken war James bei ihr gewesen. Wer ist also Dominique ohne James? Wer ist das?
 

Sie wusste es nicht und jetzt war nicht die Zeit, es herauszufinden. Mit Zauberstab, Zigaretten und Hausschlüsseln in der Hand flohte sie sich zum Fuchsbau, bevor sie ihre Meinung ändern und in ihr Bett zurückkriechen konnte.
 

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„Hallo Nana“, begrüßte sie ihre Großmutter gezwungen fröhlich und küsste sie auf die Wange, als sie die Küche betrat. Das Wohnzimmer war überraschenderweise leer gewesen und so vermutete Dominique alle anderen im Garten.
 

„Dominique, mein Herzchen, wie geht es dir? Ich habe dich so lange nicht gesehen!“ Natürlich klang ihre Stimme vorwurfsvoll und Dominique konnte nichts gegen die Schuld tun, die in ihrem Magen brodelte. Oma Molly war wirklich in Ordnung; nächstes Mal würde sie sie nicht ignorieren - den Rest schon.
 

„Tut mir leid, nur ein schlechter Monat, aber jetzt bin ich ja da.“
 

„Na, dann bin ich beruhigt. Nun mach dich nützlich und bring die Schüsseln in den Garten.“ Ja, das war sie gewohnt. Oma Molly duldete keine Faulenzerei. Schön, dass sich nur ihr Leben in den letzten Wochen so drastisch verändert hatte und alles andere noch beim Alten war.
 

Sie schwang ihren Zauberstab und stärkte sich innerlich. Ja okay, James würde im Garten sein und ja okay, es war das erste Mal seit über vier Wochen, dass sie ihn sehen würde. Aber das war in Ordnung, das war weder gut noch schlecht. Es war einfach … einfach okay.
 

Zumindest konnte sie sich das einreden.
 

Mit den fliegenden Salatschüsseln bahnte sie sich einen Weg zur Hintertür und trat in den sonnigen, blumigen Garten. Sofort stieg Wärme in ihr auf, so wie sie sie schon seit Wochen nicht mehr gefühlt hatte und plötzlich war ihr der graue Pullover viel zu warm.
 

„Dome!“, klangen vereinzelte Rufe durch den Garten und das Lächeln, welches sich diesmal auf ihrem Gesicht ausbreitete, war nicht ganz unecht.
 

Sie manövrierte die Schüsseln vorsichtig auf den Tisch und umarmte dann einige ihrer Onkels, Tanten, Cousins und Cousinen. Sogar eine kurze Entschuldigung für Rose und Lucy brachte sie über die Lippen, was beide mit einem breiten Grinsen abwinkten.
 

Dann wurde sie zu Fred, Hugo und Lily gezerrt, die sich nahe des Gartenzaunes im Gras auf einer großen Decke versammelt hatten.
 

„Du siehst hübsch aus, Dome. Komplett anders als sonst, aber hübsch“, sagte Lily und küsste sie auf die Wange. Dominique lächelte dankbar, ließ sich neben Fred auf die Decke fallen und schloss die Augen.
 

Die Sonne war wirklich schön. Kaum zu glauben, dass sie den Sommeranfang verpasst hatte, während sie in ihrer Wohnung gesessen hatte. Alles roch so schön, und die Vögel zwitscherten, und alles war so farbenfroh und wunderschön und es war ihr egal, dass sich das alles verdammt klischeehaft anhörte - sie genoss es.
 

Plötzlich erstarb das Geplapper und Gekicher neben ihr und ein nahezu bleiernes Schweigen breitete sich über der kleinen Gruppe aus. Dominique fühlte Blicke auf sich, und einen ganz besonders, und sie würde diese Augen in jeder Situation ihres Lebens auf sich erkennen, sie musste nicht hinschauen um zu wissen, wer eben zu ihnen getreten war.
 

„Geh weg, James“, murmelte sie lustlos und rollte sich auf die Seite, weg von ihm.
 

„Können wir reden?“ Merlin, war seine Stimme schon immer so tief und schmeichlerisch und unwiderstehlich gewesen?
 

„Nein“, erwiderte sie stur und mit einiger Anstrengung.
 

Und dann waren die Geräusche wieder da, die Sonne, die Wärme, die Vögel, das Leben - und James war weg und sie fühlte sich furchtbar.
 

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Beim Essen begegnete sie seinem Blick zum ersten Mal und seine Augen drückten alles das aus, was sie fühlte. Das Schlucken fiel ihr plötzlich schwer und sie schob ihren Teller von sich, was ihre Mutter dazu veranlasste ihr zu sagen, wie dünn sie geworden sei.
 

Sie hielt das alles nicht aus.
 

Ohne ein weiteres Wort stand sie auf und flüchtete ins Haus und wenn sie nicht alles täuschte, dann war das letzte was sie aus dem Augenwinkel wahrnahm, wie sich alle Köpfe James zuwendeten. Na fantastisch!
 

Sie schmiss sich auf das alte, abgenutzte, unendlich gemütliche Sofa im Wohnzimmer ihrer Großeltern und plötzlich fühlte sie, wie heiße Tränen über ihre Wangen strömten und wow, das war das erste Mal seit in all der Zeit, dass sie tatsächlich weinte. Es fühlte sich so verdammt gut an!
 

Eine warme Hand strich ihr über die Schulter und sie wäre gerne weggezuckt, aber sie fand keine Kraft dazu, und den Willen schon gar nicht.
 

„Ich kann das nicht, James. Ich weiß, dass du mutig und unerschrocken bist. Ich weiß, dass du bereit bist, dieses Risiko einzugehen. Das es dich nicht umbringen würde, sie alle zu verlieren. Aber mich würde es umbringen. Ich hasse sie alle, weil sie der Grund sind, warum zwischen uns alles schief läuft, aber ich liebe sie zu sehr um sie zu verlieren“, schluchzte sie hilflos und rückte letztendlich doch von ihm und seiner wärmenden Berührung ab. „Es tut mir leid!“
 

Und bevor er die Chance hatte, etwas zu erwidern - wohl wissend, dass seine Worte sie auf jeden Fall verletzten würden - flüchtete sie erneut. Sie wischte sich hastig die Tränen aus den Augen, fischte eine Zigarette aus der Bauchtasche ihres Pullovers und zündete sie an der Hintertür an. Sie durchquerte den Garten ohne sich nach ihren Verwandten umzudrehen, nahm tiefe, beruhigende Züge des Nikotins und ignorierte die verwirrten, sorgenvollen Blicke, die ihr folgten.
 

Sie durchstreifte die nahen Felder, versuchte zu vergessen und apparierte schließlich nach Hause, lange nachdem die Sonne untergegangen.
 

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Die nächsten Tage vergingen schnell und verschwommen und Dominique trank zu viel billigen Wein und rauchte zu viele Zigaretten und sie verwüstete ihre Wohnung und ließ niemanden rein und ging selbst nicht raus.
 

Während einer Schicht in der Bar gab sie einem Gast in den heruntergekommenen Toiletten einen Blowjob und er gab ihr dafür ein paar Galleonen und sie fühlte sich widerlich und duschte die halbe Nacht und spürte, wie alles schief lief und sie nichts machen konnte. Oder vielleicht wollte sie einfach nicht.
 

Es hatte immer nur eine Konstante in ihrem Leben gegeben und das war James. Und ohne ihn geriet alles so bedrohlich ins Schwanken und sie wusste, dass sie nicht so viel trinken und rauchen sollte. Sie wusste, dass sie weitermachen und nicht hängenbleiben sollte.
 

Aber es fiel ihr so unbeschreiblich schwer.
 

Exakt zwei Wochen nach dem Familienessen, mitten in der Nacht, apparierte sie zu James‘ neuer Wohnung mitten in London. Sie klopfte und zitterte vor Kälte, weil sie nur ein dünnes Nachthemd und ihren alten Mantel trug. Außerdem war sie ungeschminkt, mit wirren Haaren und roten Augen, angetrunken. Sie hatte sich noch nie so würdelos gefühlt.
 

Aber James nahm ihre Hand, setzte sie in die Dusche und kümmerte sich mit sanften Worten und zärtlichen Händen um sie, wusch ihre Haare und ihren Körper und ihre Seele rein.
 

„Ich liebe dich“, flüsterte er wieder und wieder und wieder.
 

„Ich liebe dich“, murmelte sie zurück, kaum hörbar, aber aufrichtig.
 

Später, im Bett, in James T-Shirt, erzählte sie ihm von dem Mann in der Bar und James küsste sie heftiger und grober und besitzergreifender und unerwarteter als je zuvor und sie genoss es über die Maßen. Doch als er mit ihr schlief, war es das komplette Gegenteil von seinen rauen, drängenden Küssen. Er war liebevoll, langsam und Dominiques Herz schmerzte vor Liebe, Verlangen und Traurigkeit.
 

Am nächsten Morgen war sie weg, bevor er die Augen öffnete.
 

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Sie schmiss alle Zigaretten und alle Weinflaschen in den Müll, räumte das Chaos in der Wohnung makellos auf und stellte frische Blumen in die Vasen auf der Küchenanrichte und im Fensterbrett im Wohnzimmer, die sie in Oma Mollys Garten gepflückt hatte, als sie am Nachmittag zum Kaffee trinken dort gewesen war. Sie zog sich ihr Lieblingskleid an - weiß, mit grünen und roten Blümchen - und steckte einige Gänseblümchen in ihre geflochtenen Haare.
 

Es überraschte sie nicht, dass James am gleichen Abend an ihre Tür klopfte. Es war gruselig, wie gut sie ihn und sein Verhalten kannte. Es wunderte sie auch nicht, dass er wütend war. Und eigentlich war sie froh, dass sie sich auf all dies vorbereiten konnte, eben weil sie es wusste.
 

„Verdammt Dome, so geht das nicht! Du denkst vielleicht, dass das alles ein großer Scherz für mich ist, aber so ist es nicht! Wieso bist du heute Morgen abgehauen?“, schrie er ihr ins Gesicht, seine dunklen Augen zu Schlitzen verengt und er schmiss seine Jacke auf den Stuhl neben der Tür, auf dem sie immer gelegen hatte.
 

„Ich hatte Dinge zu erledigen“, gab sie ruhig zurück.
 

„Dinge, ja sicher! Musstest du dich wieder betrinken oder drei Schachteln Zigaretten am Stück rauchen? Das hört sich wie ein guter Plan an. Und wirklich wichtig!“
 

Dominique hatte auf diesen Vorwurf gewartet und er brachte zwar ihre Augen zum Brennen, doch die Tränen konnte sie zurückhalten. Sie holte kurz Luft.
 

„Nein, um ehrlich zu sein habe ich das Gegenteil getan. Aber das ist nicht wichtig.“
 

„Nicht wichtig? Was ist dann wichtig? Ich kann nämlich leider nicht erkennen, wo deine Prioritäten liegen!“ James senkte seine Stimme nicht.
 

„Ich war bei Oma Molly“, sagte sie gelassen.
 

„Das ist wirklich schön für dich. Weißt du, was ich gemacht habe? Ich saß in meiner Wohnung und habe mir den Kopf zerbrochen, wie ich ohne dich leben soll, bis ich festgestellt habe, dass das nicht möglich ist. Es geht einfach nicht. Ich kann dich nicht aufgeben und ich hasse dich dafür, wirklich! Du zwingst mich dazu, den Rest meines Lebens ein so großes Geheimnis vor meiner eigenen Familie zu bewahren. Ich weiß nicht, wie du glaubst, dass das alles funktionieren soll. Was ist, wenn ich dich heiraten will? Was ist, wenn wir einmal Kinder bekommen wollen? Das ist unter diesen Umständen alles komplett unmöglich. Und ich hasse dich, das ich so Vieles aufgeben muss, weil du zu verängstigt bist, diesen letzten Schritt zu gehen. Ich weiß, dass es schwer werden würde, aber ich weiß auch, dass diese Menschen unsere Familie sind, dass sie uns lieben und es irgendwann akzeptieren werden, auch wenn es ein paar Wochen, Monate oder vielleicht Jahre dauern wird. Aber okay, du willst das nicht und ich denke, ich muss mich damit abfinden. Lieber lebe ich ein Leben im Geheimen mit dir, als ein Leben komplett ohne dich.“
 

„Das ist nicht mehr nötig“, war alles, was sie auf seinen Monolog erwiderte.
 

„Ich … was? Ist das alles, was du dazu zu sagen hast?“
 

„Was willst du hören, ein „Ich hasse dich auch“ vielleicht?“
 

„Nein, ich … das meinte ich nicht so.“
 

„Ich weiß, es ist in Ordnung.“ Sie zuckte mit den Schultern.
 

„Nein, nicht wirklich …“ James hielt einen Moment inne und seine Stimme war ruhiger, als er fragte: „Was ist nicht mehr nötig?“
 

„Ich habe mit Oma Molly geredet. Und sie ist glücklich.“
 

„Das ist keine Antwort auf die Frage und … glücklich worüber?“
 

„Darüber, das wir uns so aufrichtig lieben. Ich habe ihr erzählt, dass wir schon seit der sechsten Klasse zusammen sind - ist dir klar, dass das schon neun Jahre sind? Neun Jahre, ist das nicht verrückt, James? Das ist fast ein Drittel unseres Lebens.“ Dominiques Augen leuchteten, das konnte sie spüren. Das breite Grinsen auf ihren Lippen schien James vollkommen aus dem Konzept zu bringen.
 

„Ich … ich - was?“
 

„Ich habe mit Oma Molly gesprochen und sie hat nichts dagegen, dass wir zusammen sind. Sie ist froh, dass wir uns haben, uns lieben und endlich den Mut gefunden haben, für unsere Beziehung gerade zu stehen. Ich habe keine Angst mehr vor allen anderen … Oma Molly unterstützt uns, James. Wir können zusammen sein und wir können heiraten und wir können Kinder bekommen und gemeinsam alt werden und wir müssen nie wieder lügen, James, nie wieder!“
 

James regte sich einige Momente lang gar nicht, doch Dominique sorgte sich nicht um ihn. Sie kannte ihn gut genug um zu wissen, dass er jeden Moment aus seiner Starre erwachen, sie in seine Arme nehmen und herumwirbeln wird. Dabei wird er strahlen wie die aufgehende Sonne und er wird seine gewohnte Wärme verbreiten und schließlich wird er laut lachen und sie küssen, wieder und wieder und wieder und sie so eng an sich ziehen, dass ihr das Atmen schwer fallen wird.
 

Dominique war nicht im Mindesten überrascht, dass er gleich nach all dem vor ihr niederkniete und sie bat, seine Frau zu werden. Nein, kein kleines bisschen …
 

+++
 

Als sie am Arm ihres Vaters durch die Kirche schritt, auf dem unendlich langen Gang immer weiter und weiter auf James zu, wusste sie, dass ihr Leben endlich so verlief, wie es sein sollte. Sie hatte hell-rosa Blüten in ihre Haare geflochten und ein Kleid gewählt, dass ihren leicht gewölbten Bauch gut versteckte und sie wusste endlich, worüber sie ihr Buch schreiben würde.
 

+++
 

ENDE
 

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Hallo liebe Leser,

freut mich, wenn ihr es bis hier hin geschafft habt. Ich hoffe, dass es euch gefallen hat und würde mich über Meinungen, Kritik oder was auch immer sehr freuen!
 

Liebste Grüße :)



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Farbwolke
2013-12-20T19:34:05+00:00 20.12.2013 20:34
Hallöchen :)
Was für ein wundervoller OS. Ich bin dahin geschmolzen, wenn ich ehrlich sein soll. Du hast das alles so toll beschrieben und dargestellt, dass ich keine Probleme bei der Story hatte sie zu verstehen. Was ich besonders gut fand, war als Lucy und Rose beiDome vor der Tür standen. Oder wie Dome mit ihrer Oma geredet hat, insgesamt war der One-Shot super klasse. Und ich freue mich über das Happy End bei Dome&James :)

Vielleicht schreibst du nochmal so ein tollen One-Shot?
Ich hoffe es :)

Grüße
Traumtaenzerin
Von: abgemeldet
2013-05-17T09:11:48+00:00 17.05.2013 11:11
Hallihallo meine Liebe :)

Ahhhh, was für ein unglaublich schöner OS! *_* Ich finde es gut, dass du auf die Problematik der Cousin x Cousine - Beziehung eingehst. Das fällt sonst - auch bei mir, wie ich leider gestehen muss >.< :D - immer so ein bisschen unter den Tisch. Denn auch wenn es gesetzlich nicht verboten ist, ist es ja trotzdem ein wenig ungewöhnlich. Deswegen finde ich den Grund, warum Dome es anfangs nicht ihrer Familie erzählen will, sehr nachvollziehbar. ^-^
Deinen Schreibstil liebe ich ja sowieso, das weißt du ja. xD :) :3 ❤ Und ich mag die Beziehung zwischen James & Dome. Dieses verstehen ohne Worte und dass Dome genau weiß, wie James reagieren wird. x3 Einfach toll! *-* :)

Ein wirklich toller Os! Ich mag ihn wirklich sehr! :3

Liebe Grüße :* ❤
Von:  Omama63
2013-05-15T17:05:21+00:00 15.05.2013 19:05
Ein super OS und ein schönes Ende.
Hat mir sehr gut gefallen.
Klasse geschrieben.


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