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My Precious Story

von

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I'm still searching for that story we always dreamt of

„Denkt dran“, rief Frau Lindberg in die Runde, „am Montag treffen wir uns um 6 Uhr vor der Schule. Dass mir ja keiner zu spät kommt! Ich kenne euch doch!“ Dabei schielte sie auf zwei Jungen, die anscheinend beste Kumpel waren und die Klasse lachte.

„Frau Lindberg, die Zimmeraufteilung?“, rief ein Mädchen.

Meine Klassenlehrerin hielt inne und schlug dann die Hände über dem Kopf zusammen. „Oh stimmt. Danke, dass du mich erinnerst. Also, Leute! Es gibt nur Doppelzimmer. Und jeweils nur zwei Jungs oder zwei Mädchen in einem Zimmer. Unser Reisebus ist voll belegt, also können wir keine Babys mit nach Hause nehmen.“ Die Klasse feixte.

„Findet euch mal schnell zu Pärchen zusammen, damit der Streit nicht Montag früh losgeht.“, schrie die Lehrerin schon fast, da alle bereits auf Klassenfahrt eingestellt waren und wild durcheinander redeten. Doch die Pärchen waren schnell gefunden. Nur ich stand am Ende blöd rum und hatte niemanden. Gut, dachte ich mir, dann kann ich eben alleine in einem Einzel… „Nein!“, schrie es plötzlich neben mir, „Das ist zu viel des Guten!“ Ich drehte mich um und neben mir stand Erik.

„Du?!“, fragte ich gespielt angeekelt und machte eine Handbewegung. Die anderen lachten.

„Sag bloß nicht, mit dir will keiner in einem Zimmer schlafen? Ich dachte du bist so beliebt?“, fuhr ich fort und grinste ihn an. Die anderen konnten ihr Kichern kaum unterdrücken, doch damit das Ganze nicht noch peinlicher wurde, mischte sich die Lehrerin ein.

„So Jungs, ihr beide in einem Zimmer. Das wird wohl nicht so kompliziert sein. Keine Widerrede!“ Erik wollte gerade widersprechen, doch ein Kumpel zog ihn von mir weg. Ich schüttelte den Kopf und meinte zu Svea: „Das kann ja was werden…“ Sie nickte und bedauerte mich.

Am Abend erzählte ich meiner Mutter davon.

„Das ist doch die perfekte Gelegenheit ihm ins Gewissen zu reden, oder?“, fragte sie mich.

„Ja schon, aber wer weiß, ob er privat noch schlimmer ist. Der träumt dann noch nachts von seinen Freundinnen und macht bestimmt komische Geräusche“, beschwerte ich mich. Schon bei dem Gedanken daran, kam mir das Gruseln. Meine Mutter fand den Gedanke eher lustig.

„Ach komm schon. Vielleicht ist er in Wirklichkeit ein totales Weichei. Du kennst doch diese Jungs, die immer so tun, als wären sie die Aufreißer schlechthin, aber in Wirklichkeit haben sie nur ihre Mutter nackt gesehen.“ Ich lachte bei dem Kommentar und biss in meinen Apfel. Kauend überlegte ich nach einer passenden Antwort. „Du meinst also, dass er nur wenige Freundinnen hatte?“, fragte ich sie. „Nun ja“, entgegnete sie mir belustigt, „ich tippe da eher auf gar keine Freundin.“ Ich sah sie erstaunt an. „Meinst du?“ Wenn ich daran dachte, musste ich lachen.

Ich bin wirklich glücklich darüber, dass ich mit meiner Mutter über solche Themen reden kann. Sie ist eine sehr offene Frau und auch immer ehrlich zu mir. Wenn ihr etwas nicht gefällt, sagt sie mir das klipp und klar. Ob wohl andere Kinder, auch eine solche Mutter haben? Ich bin mir nicht so sicher.

Gemeinsam packten wir dann noch meinen Koffer und schrieben eine Liste, was wir morgen zum Samstag noch alles kaufen müssen.
 

Am nächsten Tag gingen meine Mutter und ich in den Supermarkt. Ich trug wie immer Kleidung, die mich nicht wirklich als einen Jungen zu erkennen gab. Doch sah mich keiner komisch an, weil jeder dachte, ich wäre in Mädchen. Auch eine Gruppe Jungen, welche bestimmt wenige Jahre älter waren als ich, befanden sich zwischen den Regalen und beredeten eine Party am Abend. Sie kauften diverse Chipssorten und Bierflaschen. Als einer von ihnen mich sah, kam er auf mich zu. Ich legte gerade eine Packung Äpfel in den Einkaufswagen, als ich ihn aus den Augenwinkeln sah.

„Hey Kleine“, begann er und kam aufdringlich nahe, „heute Abend steigt eine Party bei mir. Kommst du vorbei?“ – „Wieso?“, fragte ich unschuldig und sah ihn mit großen Augen an. Langsam hatte ich Gefallen daran gefunden, andere Leute zu veralbern.

Er strich mir eine Strähne aus dem Gesicht und lächelte mich an: „Du bist echt supersüß. Meine Kumpels und ich würden sich freuen, wenn wir heute Abend Gesellschaft hätten.“ Die anderen Jungs grinsten und winkten mir.

„Ihr findet mich also süß?“, erkundigte ich mich und musste sehr aufpassen, dass ich nicht laut loslachte. Meine Mutter stand nur ein Regal entfernt und hörte zu.

„Ja klar“, sagte er wieder und streifte meinen Arm. Ich lächelte ihn an und er lächelte zurück. Wahrscheinlich dachte er, dass ich gleich zu sagen würde, denn er wusste nicht wie sehr ich mit mir zu kämpfen hatte. Am liebsten hätte ich ihn ausgelacht.

„Du, oder besser gesagt ihr, seid sehr oberflächlich“ Ich blickte abwechselnd zu ihm und zu seinen Freunden. Diese hatten sich inzwischen auch genähert.

„Wieso?“, fragte einer der anderen sichtlich verwirrt.

„Tja…“, begann ich und sah zu Boden. Als ich aufblickte fuhr ich fort: „Ihr findet mich nur wegen meinem Aussehen so süß, oder? Was ist mit meinem Herzen? Findet ihr das auch süß?“ Ich verzog mein Gesicht und der erste Junge meinte: „Natürlich, so ein süßes Mädchen hat bestimmt auch so ein süßes Herz. Ich finde das gerne heraus heute Abend.“

Ich konnte mein Kichern fast nicht mehr unterdrücken. Einige ältere Damen lauschten bereits unserem Gespräch. Sie standen mit ihren Einkaufswagen etwas weiter weg, aber für mich standen sie immer noch in Hörweite. Ich schnappte auf, wie eine der Damen zu ihrer Freundin sagte: „Die Jugend von heute. Wann merkt der Bursche endlich, dass seine Angebetete kein Mädchen ist?“ Die Freundin lachte. Mehr hörte ich nicht.

„Du kennst mein Herz nicht“, sagte ich ihm, ohne meinen Blick von ihm zu lösen, „Und außerdem hab ich gar nicht gedacht, dass du vom anderen Ufer bist.“ Ich sah die Fragezeichen förmlich über ihren Köpfen und musste wieder grinsen. „Mein Herz ist männlich.“

Der Junge, welcher mich als erstes angesprochen hatte, starrte mich an und den anderen klappte die Kinnlade runter. „Mund zu, sonst kommen die Fliegen!“, sagte ich lachend und ging zu meiner Mutter. Doch nur wenige Sekunden später kam der Junge wieder auf mich zu und schrie halb: „Das war nur ein billiger Trick! Du bist doch kein Junge!“ Ich lachte wieder, nahm seine Hand und schob sie unter meinen Rock. Er erstarrte vor Schreck, schrie dann auf und rannte zu seinen Kumpels. Innerhalb von weniger als 5 Minuten waren sie auch schon durch den Ausgang aus dem Supermarkt verschwunden.

Meine Mutter hörte kaum mehr auf zu lachen und auch ich fand das Zusammentreffen äußerst amüsant. Die alten Damen hatten auch ihren Spaß. Jetzt konnten sie ihren Enkeln was erzählen.

Zu Hause packten wir den Rest zusammen und ich stellte mich den ganzen Sonntag seelisch und moralisch darauf ein, dass ich mir nun mit Erik beinahe eine Woche ein Zimmer mit Bad teilen müsste. Der bringt mich doch morgens um, wenn ich früh aufstehe und mich style, dachte ich. Aber was soll’s. Das ist seine gerechte Strafe.
 

Am Montagmorgen ging Erik mir die ganze Zeit aus dem Weg. Mir machte das nichts aus, schließlich hatte ich meine Freundinnen. Wir tauschten uns auf der Fahrt über diverse Dinge aus, lasen Zeitschriften und spielten Stadt-Land-Fluss. So viel Spaß hatte ich schon lange nicht mehr. Auf dem Weg nach Deutschland hielten wir in Kopenhagen um gemeinsam etwas zu essen. Fast die ganze Klasse saß in einer Ecke, außer Erik und seine Freunde. Wir teilten uns alle mehrere McDonalds Menüs, sodass jeder von jedem etwas essen konnte. Einige Mädchen wunderten sich, weil ich so viel essen konnte und trotzdem scheinbar nicht zunahm. Wir hatten so viel Spaß und selbst die 2 Lehrer beteiligten sich an unserem ausgelassenen Gespräch, sodass keiner Lust hatte wieder in den Bus zu steigen.

Satt und zufrieden versuchte ich den Rest der Fahrt zu schlafen, aber die anderen hielten mich wach. Nach weiteren 3 Stunden kamen wir endlich in Berlin an und ich warf mich zuerst auf das schöne Bett in meinem Hostelzimmer. Dass Erik auf dem Bett daneben saß und ein langes Gesicht zog, ignorierte ich gekonnt und begann seelenruhig meine Sachen auf dem Nachttisch zu verteilen. Ohne ihn zu beachten, belagerte ich auch das Bad, um mich dann auf mein Bett zu setzen und zu lesen. Das Zimmer war so groß wie ein ganz normales Doppelzimmer. Es gab einen kleinen Schrank und zwei Regale, sowie für jedes Bett einen Nachtschrank mit einer Nachttischlampe. Der Blick aus dem Fenster war nicht sonderlich spektakulär, aber wenn man sich weit nach draußen beugte, konnte man sogar den Fernsehturm sehen.

„Denk ja nicht, mir macht das Spaß“, begann Erik plötzlich und ich zuckte zusammen. Seine Stimme war leiser als sonst. Ich drehte mich um und legte das Buch zu Seite.

„Sind ja nur vier Nächte“, meinte ich und stand auf, „Wir sollten langsam runter. Die Lehrer machen noch eine Belehrung und geben uns den Plan.“ Ich legte das Buch auf das Bett und öffnete die Tür. Erik rannte fast an mir vorbei und nahm die Treppe anstatt den Fahrstuhl. Und das im 5. Stock!

Als ich unten ankam, fragen mich die anderen, wo denn Erik sei.

„Der ist die Treppe gelaufen. Fragt mich nicht warum“, erklärte ich ihnen und gesellte mich auf das Sofa im Aufenthaltsraum, wo wir uns gerade befanden. Als Erik ankam, grinsten einige meiner Mitschüler und auch ich wollte ihn am liebsten damit aufziehen.

Der Plan für die nächsten Tage stand. Heute gingen wir nirgendwo mehr hin, denn es war schon 19 Uhr. Morgen wollten wir eine Stadtrundfahrt machen, bei der wir am Brandenburger Tor und am Alexanderplatz aussteigen wollten. Mittwoch hatten die Lehrer vor, mit uns in das Berliner Stadtgeschichtsmuseum zu gehen. Danach durften wir auf den Kurfürstendamm und anschließend am Abend ins Hard Rock Cafe. Darauf freute ich mich schon besonders.

Donnerstag stand ein Besuch des deutschen Bundestags auf dem Plan und den Rest des Tages hatten wir Freizeit.

Ich war zufrieden mit dem Plan und freute mich schon auf viele lustige Stunden mit meinen Freunden. Das einzige, was mir gegen den Strich ging, war Eriks dummes Gesicht. Aber dagegen konnte ich nicht viel machen.
 

Am selben Abend lag ich mit dem Rücken zu Erik im Bett und las mein Buch. Auch er las irgendetwas, aber ich hatte nicht genauer hingesehen.

„Johio“, begann er plötzlich. „Ohne Schminke siehst du voll anders aus.“

Ich drehte mich zu ihm. „Ach ja? Sag bloß, du hast mich vorhin angesehen.“

„Ist ja logisch. Schließlich muss ich deine blöde Visage noch ein paar Tage ertragen.“, entgegnete er mir und sah mich an.

„Und das ‚anders‘. War das jetzt positiv oder negativ zu verstehen?“ Ich merkte, dass die Frage ihm ganz und gar nicht gefiel. Wie erwartet, antwortete er „Neutral“.

Ich seufzte und vertiefte mich wieder in mein Buch. Insgeheim erwartete ich, dass er mich wieder ansprach, doch er sah mich nur still an. Das sah ich aus den Augenwinkeln.
 

Entgegen meiner Erwartungen hatte ich diese Nacht himmlisch geschlafen. Ich stand auf und sprang unter die Dusche. Halblaut sang ich ein Lied und schrubbte mir die Haare. Als ich mich gerade abtrocknete, fiel mir auf, dass ich meine Klamotten auf dem Bett hatte liegen lassen. Also band ich mir ein Handtuch um die Hüften und rubbelte meine Haare so, damit sie nicht mehr tropften. Erik schlief eh noch, von daher musste ich mir garantiert keinen dummen Kommentar von ihm anhören.

Ich öffnete also die Badtür und schlich nur mit einem Handtuch bekleidet zu meinem Bett. Und ich erschrak höllisch, als ich sah, dass Erik bereits aufgewacht war. Er starrte mich entgeistert und drehte sich mit einem Ruck um. „Zieh dir was an, verdammt!“, schrie er von unter der Decke hervor.

„Jaja“, sagte ich seelenruhig und fügte noch hinzu: „Rede mit mir nicht, wie mit einem Mädchen.“ Ich zog mich fertig im Bad an und begann mich zu stylen. Ich ließ mir dabei alle Zeit der Welt. Irgendwann stürmte Erik ins Bad und forderte mich auf, das ganze Beautyprogramm draußen weiter zu machen. Auf eine Diskussion hatte ich so früh am Morgen noch keine Lust, also nahm ich meine Schminke und mein Haarspray und machte im Zimmer weiter.

Als Erik aus dem Bad raus war, ignorierte er mich wieder gekonnt und ging früher als ich zum Frühstücksraum.

Irgendwann war ich dann auch endlich soweit und bediente mich an dem leckeren Buffet. Ich setzte mich zu meinen Freundinnen und hörte, wie Erik über mich schimpfte.

Heute war die Stadtrundfahrt geplant. Nach dem Frühstück holten wir unsere Sachen und vor allem Ersatzakkus für unsere Kameras und folgten unserer Lehrerin. Der zweite Lehrer unterhielt sich mit einigen Jungs über Fußball. Für mich zählte er schon fast nicht mehr als Lehrer, sondern eher als Ersatzschüler. Kaum sahen wir den roten Doppelstockbus für die Rundfahrt, stürmten wir schon kreischend los, um auch ja einen Platz oben zu bekommen. Ich saß bei Svea und Marit.

Während der Fahrt machte ich sehr viele Fotos und konnte aber trotzdem noch mit meinen Freundinnen über Dies und Jenes reden.

Am Brandenburger Tor gönnten wir uns einen Hot Dog zum Mittagessen und genossen die Sonne. Es war ein richtig schöner Sommertag. Nicht zu heiß und nicht zu kalt. Auf dem Platz tummelten sich noch viele andere Schulklassen, sowie Touristen aus aller Welt. Ich fand es schon immer interessant, Menschen zu beobachten, also saß ich des Öfteren still da und verfolgte die Leute mit meinem Blick.

Am Nachmittag kamen wir am Alexanderplatz an. Dort hatten wir auch Freizeit, sodass ich und viele andere Mädchen eine große Kiste Donuts kauften. Mit den Kisten in einer schönen Tüte verpackt, streiften wir dann durch das große Shoppingcenter und hatten jede Menge Spaß. Zu viel Spaß sogar, da wir beinahe die vereinbarte Zeit vergaßen. Schließlich gab es hier doch so viele schöne Läden.

Mit einem Eis in der Hand trotteten wir wieder zum Treffpunkt. Auch die andere Mädchengruppe hatte sichtlich zugeschlagen bei den Einkäufen, denn jede von ihnen trug mindestens einen Beutel.

Als wir am Abend wieder im Hostel waren, sagte ich zu Marit: „Weißt du… ich bin echt froh, dass ihr alle so lieb seid. Auch wenn das der erste Tag in Berlin ist, aber so viel Spaß wie heute hatte ich noch nie mit anderen.“ Ich lächelte sie an und ein paar andere Klassenkameraden kamen hinzu.

„Ich könnte mir niemals vorstellen, mit meiner früheren Klasse auf eine Klassenfahrt zu fahren.“, setzte ich fort und sah meine neuen Klassenkameraden an. Wenige Sekunden später umarmten sie mich alle gemeinsam und ich freute mich total. Meine Klassenlehrerin stand am Rand und beobachtete das Ganze. Auch sie lächelte.
 

Später stand ich gerade im Bad und entledigte mich meines Schmuckes und entfernte die Schminke aus dem Gesicht. Dabei sag ich eine erfundene Melodie. Ich warf mir schnell meine Schlafkleidung über, um dann so schnell wie möglich in mein Bett zu springen. Schließlich wartete mein Buch auf mich und ich war gerade an einer äußerst spannenden Stelle. Erik war noch bei seinen Freunden. Wer weiß, wann er wiederkam. Ich trat also aus dem Bad und war gerade auf dem Weg zu meinem Bett, als mich jemand an meinem Arm festhielt. Erschrocken drehte ich mich um und blickte in Eriks Gesicht. „Was ist?“, fragte ich genervt und stellte mich auf eine neue Moralpredigt ein.

„Du…“, begann er und lies nicht von mir ab, „…bist du schwul.“

„Diese Frage!!!“, schrie ich fast. Eigentlich wollte ich das nur denken, jedoch rutschte es mir unüberlegt raus. „Auf die Frage habe ich schon lange gewartet. Noch keiner hat sie mir bis jetzt gestellt.“ Erik lies meinen Arm nicht los, sondern drückte noch fester zu.

„Aua, du tust mir weh“, jammerte ich und versuchte mich loszureißen.

„Beantworte meine Frage!“ In seiner Stimme lag ein drohender Ton.

„Nein“, antwortete ich, „ich stehe auch auf Mädchen.“ Das ‚auch‘ in meinem Satz hatte seine Augen weiter öffnen lassen.

„Beides also?“, fragte er und lies mich los. Ich umfasste die Stelle, die er festgehalten hatte. Sie war rot und brannte fürchterlich.

Dann nickte ich und wollte zu meinem Bett gehen, doch er hielt mich wieder fest.

„Was ist?“, fragte ich genervt, „Ich will ins Bett.“

Er sah mich an und wendete den Blick nicht von mir. Ich hörte ihn etwas flüstern, doch ich verstand es nicht. „Was hast du gesagt?“ – „Nichts“ war seine Antwort, doch ich könnte schwören, er sagte etwas wie: „Wenn du doch nur ein Mädchen wärst.“

Ich grinste leicht und sah ihn an. Jetzt hatte ich richtig Lust darauf, ihn zu ärgern.

„Hast du schon mal einen Kerl geküsst?“, fragte er mich wieder. Was sollte die Fragerei? Trotzdem antwortete ich geduldig: „Ja, hab ich. Und?“

„Wie ist das so?“, erkundigte er sich weiter und so langsam wurde mir das zu blöd. Er soll mir endlich sagen, was das sollte. Hatte er etwa ernsthaft vor, meine Welt verstehen zu lernen? Der Gedanke schien mir genauso irrsinnig wie grotesk.

Und das sagte ich ihm auch: „Du bist irgendwie eine groteske Persönlichkeit. Einerseits spielst du dich vor anderen immer auf, als wärst du sonst wie cool und gibst mit deinen Beziehungen an und hinten rum unterhältst du dich mit mir über so etwas. Das passt doch nicht zusammen, oder?“

„Jetzt sag endlich!“ Er beantwortete meine Frage nicht, sondern drückte meinen Arm noch fester.

Ich verzog mein Gesicht und meinte: „Sowas kann man nicht erklären. Oder kannst du beschreiben, wie es ist mit einem Mädchen zu schlafen, Mr. Oberplayer?“

Er schluckte und sah mich an. Dann sagte er: „Es ist schön und geil. So und jetzt du!“

Nun konnte ich nicht mehr vor Lachen und riss mich sogar von ihm los. „Schön und geil…“, prustete ich immer wieder und ich merkte, dass er langsam die Geduld verlor.

„Was ist daran so witzig?“, fragte er mich und ich hatte schon Tränen in den Augen vor Lachen.

„Schön und geil. Das kannst du deiner Oma erzählen.“, antwortete ich ihm und hörte auf zu lachen. „Du hast noch nie mit einem Mädchen geschlafen, oder Erik? Küssen war doch das höchste bis jetzt, oder?“ Er starrte mich entgeistert an. Kein Wort brachte er mehr über die Lippen. Auch ich blieb stumm und wartete auf seine Reaktion. Ich hatte definitiv ins Schwarze getroffen und fühlte mich ihm ein weiteres Mal haushoch überlegen. Mein Soll war erfüllt.

„Wieso…“, begann er plötzlich, „Du bist seit ungefähr einem Monat hier und trotzdem weißt du mehr, als alle anderen?! Wie kommt das?“ Er war schockiert und durcheinander. Das sah ein Blinder. Ich schaute ihn ruhig an und ließ in schimpfen. Als Antwort gab ich ihm nur: „Ich kenne Menschen. Unterschätze mich nicht.“ Dann setzte ich meinen Weg zu meinem Bett fort. Als ich mich hinsetzte und mein Buch nahm, zog er mich hoch und presste mich gegen die Wand, an der mein Bett stand. Das alles ging verdammt schnell und wehren konnte ich mich deshalb auch nicht.

„Was soll das?“, flüsterte ich unsicher. Meine Überlegenheit löste sich in diesem Moment in Luft auf.

Erik starrte mich an. „Ich hasse dich. Ich hasse dich so sehr, dass ich schon gar keine Worte mehr dafür finde. Du bist an allem Schuld. An Allem!“ Ich zuckte zusammen und reagierte nicht auf seine Beleidigungen. Mit einem Ruck packte ich ihn und nun war er derjenige, der an die Wand gedrückt wurde. „Keine Spielchen hier“, flüsterte ich. So langsam hatte ich die Situation wieder im Griff und mein Selbstbewusstsein kam aus einem hintersten Loch wieder hervor.

„Du hast gesagt, man kann es nicht erklären… wie es ist… mit einem Jungen.“, stotterte Erik vor sich hin und ich wartete. Die Spannung, welche in der Luft lag war nahezu spürbar, selbst für einen Außenstehenden 3 Zimmer weiter. Mach endlich, dachte ich, länger halte ich das nicht mehr aus.

„Dann zeig es mir!“, sagte Erik bestimmt, „Küss mich!“

Ich sah im entsetzt in die Augen. Dann lächelte ich und näherte mich mit meinen Lippen seinem rechten Ohr. Ich ließ mit der rechten Hand sein Handgelenk los und strich seine Haare zurück.

„Für die Folgen hafte ich aber nicht, ja?“, säuselte ich ihm ins Ohr. Ich spürte, wie sein Körper erzitterte und er sich verkrampfte. Ohne eine weitere Vorwarnung legte ich meine Lippen auf die Seinen und küsste ihn. Lang und intensiv. Zu meiner Überraschung erwiderte er den Kuss und ich stellte fest, dass er wirklich ein ziemlich guter Küsser war. Meine rechte Hand fuhr erst durch seine Haare und dann wanderte sie an seinem Arm nach unten zu seinen Hüften. Ich spürte, wie sich seine Hände auf meinen Rücken legten und er mich näher an mich heranzog. Seine Küsse wurden immer intensiver, sodass ich mich ernsthaft fragte, ob er wirklich nur küssen wollte, um zu sehen wie es mit einem Jungen ist. Langsam fuhr ich mit meiner Hand in seine Unterhose, die er zum Schlafen trug. Er stöhnte leise auf, löste sich aber nicht von mir. Also ließ ich meine Hand etwas tiefer in die Unterhose gleiten und streichelte ihn an seinen Oberschenkeln. Bei dem nächsten Kuss berührten sich unsere Zungen und ich spürte, wie erregt er war. „Verdammt“, hörte ich ihn hauchen, als er sich kurz von mir löste. Ich grinste ihn an und sagte: „Was ist denn mit dir los? Das bisschen rumgeknutsche macht dich schon so an?“ Ich zog meine Hand aus seiner Unterhose. „Du hattest wirklich noch nie ein Mädchen im Bett, deshalb bist du so notgeil.“ Nach dieser Feststellung küsste ich ihn noch einmal sanft und ließ dann von ihm ab. Er sah mich fordernd an, doch mehr bekam er nicht von mir.

„Es ist schon spät und ich bin müde“, sagte ich gähnend und legte ich in mein Bett. Erik stand unschlüssig da und sah mich an. „Aber…“, begann er.

„Mehr ist nicht drin heute“, unterbrach ich ihn und schaltete mein Nachtlicht aus. Nun bewegte auch er sich in sein Bett und grummelte vor sich hin: „Ich hasse dich. Warum tust du das mit mir?“ Ich grinste im Dunkeln und sagte: „Du wolltest es. Und wie gesagt, ich hafte nicht für Folgen und Nebenwirkungen.“

„Nebenwirkungen“, sagte er leise, „dass ich nicht lache.“

Irgendwann fiel ich in einen traumlosen tiefen Schlaf.
 

Am nächsten Morgen saß ich mit meinen Freunden am Frühstückstisch und lies mir nichts anmerken. Erik hingegen zog ein noch längeres Gesicht als eh schon und schimpfte auf alles und jeden.

„Boa, die Marmelade ist ja heute echt widerlich.“, hörte ich ihn meckern.

„Hey Erik“, versuchte sein Kumpel Anton auf ihn einzureden, „Die Marmelade kann ja wohl nichts dafür. Aber hey, wofür überhaupt. Hat dein kleiner Johio dich geärgert?“ Die anderen am Tisch feixten und Erik warf ihnen einen bösen Blick zu. „Der Kerl ist ein Arschlosch!“, sagte er für alle hörbar und sah mich finster an. Ich grinste blöd und widmete mich dann lieber wieder meinem leckeren Toast.

An diesem Tag passierte nicht viel. Wir gingen ins Museum, welches sich als total interessant erwies, liefen den berühmten Kurfürstendamm entlang und gingen abends ins Hard Rock Cafe essen. Einige Mädchen hatten behauptet, dass der Kurfürstendamm etwas von der 5th Avenue in New York hätte, jedoch war in Wirklichkeit noch nie eine von ihnen dort. Auch ich kannte diese berühmte Luxusstraße nur aus dem Fernsehen, von daher wollte ich keinen Vergleich ziehen.

Gemeinsam saßen wir abends in besagtem Cafe und ich war ehrlich gesagt enttäuscht von dem teuren Essen. Mein Brötchen war angebrannt und die Pommes schmeckten bei McDonalds um Längen besser, als hier.
 

Am Abend legte ich mich früh ins Bett, da ich irgendwie ziemlich müde war. Erik befand sich noch bei seinen Kumpels und spielte bestimmt Flaschendrehen. Das Gekreische konnte man noch mehrere Zimmer weiter hören und regte mich auf. Ich machte mich bett-fertig und schlief auch schnell ein.

Irgendwann in der Nacht spürte ich plötzlich, wie sich meine Matratze nach unten bewegte. Davon wurde ich geweckt, rührte mich aber nicht. Jemand saß auf meinem Bett, das spürte ich. Da ich auf dem Rücken lag, hatte ich große Probleme meine Augen geschlossen zu halten und auch nicht loszulachen. Als nächstes spürte ich eine Hand in meinem Gesicht. Sie streichelte meine Wangen und fuhr mir kurz durch die Haare. Ich genoss die Berührungen, obwohl ich bereits wusste, dass dies kein geringerer als Erik war. Letztendlich hatte ich mich inzwischen damit abgefunden. Mit seinen und mit meinen Gefühlen. Ich war nicht blöd, ich wusste wie er fühlte. Nur war ich mir nicht so ganz im Klaren, warum ich mich auch in ihn verliebt hatte. Doch das war erst einmal egal. Ich ließ ihn mich streicheln. Auf einmal spürte ich seinen Atem dicht an meinem Gesicht. Er roch leicht nach Cola. Bier war schließlich nicht erlaubt und meine Klassenlehrerin hatte generell etwas gegen Alkohol, weshalb sie alle Rucksäcke, Koffer und schließlich auch Zimmer genaustens unter die Lupe genommen hatte.

Im nächsten Augenblick küsste er mich leicht. Ganz sanft, als hätte er Angst, dass ich aufwachen würde. Dann streifte er mit einem Finger über meine Lippen und flüsterte kaum hörbar: „Ich liebe dich.“
 

Am nächsten Morgen ließ ich mir nichts anmerken und behandelte Erik so wie immer. An sein langes Gesicht hatte ich mich bereits gewöhnt. Trotzdem merkte ich, dass ich ihn häufiger anlächelte. Doch auch er tat so, als wäre am Abend nichts passiert, schließlich lebte er mit dem Glauben, dass ich geschlafen hätte. Irgendwie stimmte mich das traurig, denn eigentlich wünschte ich mir nichts sehnlicher, als dass er mir endlich seine Gefühle gestand. Und zwar wenn ich wach war!

Der Ausflug zum Bundestag war recht interessant und besonders die Glaskuppel hatte es mir angetan. Ich schoss viele schöne Fotos gemeinsam mit meinen Freunden und freute mich schon darauf, sie entwickeln zu lassen. Des Öfteren nahm ich wahr, wie Erik mich beobachtete. Als wir zufällig nebeneinander standen, sah er mich von der Seite an und drehte aber schnell seinen Kopf wieder weg.

Ich seufzte leise und begab mich dann mit meinen Freundinnen auf Shoppingtour. Wie üblich versorgte ich mich zunächst mit einem leckeren Cappuccino von McDonalds und etwas zu essen, um danach Marit, Svea und ihre Freundinnen beim Klamottenkauf zu beraten. Einige Deutsche sahen uns verwirrt an, da sie uns nicht verstanden, doch das war mir egal. Ich fand es cool, dass keiner unsere Sprache sprach.

Pünktlich und um einige Geldeinheiten ärmer, aber zufrieden, kamen wir im Hostel an. Ich warf die Tüten auf mein Bett und begann im Zimmer umherzuwandern. Dabei sammelte ich mein Hab und Gut ein und versuchte es im Koffer und meinem Rucksack zu verstauen. Auch Erik war inzwischen da und beobachtete mich dabei.

„Sag mal, wie viele Sachen hast du eigentlich?“, fragte er belustigt.

„Weiß nicht. Jedenfalls sind es zu viele. Ich bekomme den Koffer nicht mehr zu.“ Ich stöhnte und zerrte an dem Reißverschluss. Nur noch das Nötigste hatte ich auf meinem Bett liegen lassen. Das kommt später in meinen Rucksack.

Plötzlich stand Erik auf und half mir mit meinem Koffer.

„So, zu. Hast du auch nichts vergessen?“, fragte er mich mit einer Stimme, die ich noch nie bei ihm gehört hatte.

„Nein“, antwortete ich und stand auf. Er stand direkt vor mir. Ich sah zu Boden und meinte: „Das ist die letzten Nacht hier. Irgendwie bin ich traurig.“

Erik trat einige Schritte weg, sodass ich meinen Koffer weiter in Richtung Tür ziehen konnte. Unsere Blicke trafen sich und in mir verbreitete sich ein Gefühl, welches ich nur selten so erlebt hatte. Auch er starrte mich an und hatte einen seltsamen Glanz in den Augen. Erik kam einige Schritte auf mich zu und ich sah zu ihm auf. Er war nur wenige Zentimeter größer als ich.

Ich näherte mich ihm und stand nun dicht vor ihm.

„Ich…“, begann Erik heiser, doch ich legte nur meinen Finger auf seine Lippen und bedeutete ihm zu schweigen. Dann küsste ich ihn. Innig und voller Leidenschaft. Ich wusste ganz genau, dass heute womöglich unsere letzte Nacht sein könnte. Nach den Sommerferien könnte er alles wieder vergessen haben, oder alles leugnen. Doch daran wollte ich noch nicht denken. Das einzige, was ich wollte war er. Hier und jetzt. Ich hatte mich zusammengerissen, doch das konnte ich nun nicht mehr. Und tief im Inneren wusste ich, dass er genauso fühlte. Er schloss mich fest in seine Arme und küsste mich wieder und wieder. Der Kuss wurde wilder und ich hatte das Gefühl, gleich zu zergehen, wenn nicht sofort etwas passierte. Bei dem Gedanken stieß ich ihn nach hinten und wir beide landeten auf seinem Bett. Ich erwartete Widerstand, aber er ließ es geschehen und küsste mich umso mehr.



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