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Bittersweet

von

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I'm giving up the ghost of love...

Du bliest dir eine Haarsträhne aus dem Gesicht, den Blick aus dem Fenster schweifend. Die Bäume waren noch nackt und eine eisige Kälte fegte durch ihre kahlen Zweige. Der Winter lag über dem Land, aber zum Glück rückte Ostern schon in greifbare Nähe. Einige Wochen dauerte es noch, aber die Kinder auf der Station freuten sich wie verrückt auf die Eiersuche, die von den Pflegern organisiert wurde.

Dies war dein Zuhause seit fast einem Jahr. Eine Einrichtung für Kinder mit psychischen Krankheiten. Du selbst warst zwar kein Kind mehr, aber auf deinen Wunsch durftest du hier bleiben. Erwachsene waren dir ein Rätsel, ganz besonders die, die krank waren. Hier auf der Kinder- und Jugendstation gab es meist Diagnosen wie Autismus, Aggressionsstörungen oder wirklich gefährlichen Dingen wie Depressionen oder Essstörungen. Deine Diagnose war auch nicht ganz ohne: Paranoide Schizophrenie. Du wusstest nicht, wie lange du schon so krank warst, aber in deinem Kopf war es ein 'schon immer', also seit du klein warst. Stress riefen bei dir Anfälle hervor, die für dich schlimmer als alles andere waren. Es zog dich aus deiner Realität in eine andere Welt, eine Welt voller Hass, Angst und Leid. Die 'Dunkelwelt' nanntest du sie, ganz nach ihrem Aussehen getauft. Dunkelheit umschloss dich dort wie eine zweite Haut und dir fremde Stimmen redeten auf dich ein. Sie kommentierten deine Gedanken, dein Handeln; versuchten dich immer weiter in die Dunkelheit zu locken. Meist hocktest du dich zu Boden, die Arme um die angezogenen Knie geschlungen und weintest, bis die Realität langsam wieder in deinen Kopf kam. Es war kein schönes Leben das du hier führtest, aber immerhin musstest du keinen Hunger leiden und hattest ein warmes, weiches Bett. Auch wenn die Gesellschaft etwas gewöhnungsbedürftig war in dieser Klinik.

Die kleineren Kinder saßen nach dem gemeinsamen Abendessen im Spielraum, wo sich Kinderbücher, Brett- und Kartenspiele stapelten. Vier der Kinder saßen zusammen im Kreis, zwischen ihnen ein Bilderbuch. Gelangweilt gingst du auf sie zu, du hattest eh nichts anderes zu tun, und setztest dich zwischen Camille und Jackie.

„Was lest ihr denn da?“, fragtest du Camille, die große Augen machte und begann in ihren Haaren zu fummeln und diese Haar für Haar heraus zu reissen. Sie hatte eine Zwangsstörung, aber im Grunde war sie ein sehr umgängliches kleines Mädchen. Du nahmst ihre kleine Hand aus ihrem blonden Haar und sie lächelte verlegen.

„Das ist eine Geschichte über den Osterhasen und den Weihnachtsmann. Und die Zahnfee!“, erzählte sie freudig und zeigte dabei auf die jeweiligen Bilder im Buch. „Oh, und der Sandmann!“

Du hörtest brav ihren Erzählungen zu. Die Kinder kannten das Buch schon auswendig, erklärten dir jedes Bild ganz genau und machten dich sogar auf die kleinen Details aufmerksam. Was sollten sie denn auch den lieben Tag lang tun, wenn sie doch hier gefangen waren, genau wie du? Sie malten oft, zeichneten die Bilder aus den Büchern ab und dachten sich ihre ganz eigenen Geschichten aus, um mit sich selbst fertig zu werden.

„Und wer ist das?“, fragtest du und zeigtest auf das Bild einer schwarzen Gestalt. Ein Mann, mit schwarzen Gewand und einem diabolischen Grinsen. Jackie zog ihr Haarband enger und sah dann mit ihren wässrigen, blauen Augen zu dir hoch.

„Kennst du ihn nicht?“, fragte sie ernst und du nicktest als Antwort. Das Mädchen war dir ein bisschen unheimlich. Sie lachte nie und war immer todernst. So waren Erwachsene, aber keine kleinen Kinder...

„Das ist doch der Boogeymann!“, erklärte Thomas dir genervt und rollte überzogen mit den Augen. „Er heißt Pitch Black, das weiß doch jeder!“

Ja, jeder außer dir. Deine Mutter hatte dir nie irgendwelche Geschichten vor dem Einschlafen erzählt, woher solltest du denn so etwas auch kennen?!

„Pitch Black, achso. Glaubt ihr denn an ihn?“, fragtest du in die Runde der Kinder und alle quietschten und lachten auf.

„Nein!“, schrien sie im schiefen Chor und sprangen auf. „Er ist nur ein böser Traum!“ Lachend begannen die Kinder zu toben und zu hüpfen, bis Pfleger herbei geeilt kamen und die Rasselbande wieder beruhigten. Du starrtest auf das Abbild des Schwarzen Mannes herab und spürtest eine Vertrautheit seinem Namen gegenüber. Pitch Black... Du last den kurzen Kommentar unter der Zeichnung und dein Magen drehte sich um.

'Pitch Black, der König der Albträume, verbreitet Angst in den Träumen der Kinder. Er lauert unter den Betten, im Schatten, wo niemand ihn sehen kann und er doch alles sieht.'

„König der Albträume...“, murmeltest du und schlugst das Buch zu. Deine Krankheit und die gewaltigen Ängste, die du damit zu kompensieren versuchtest, gaben dir einen Gedanken vor, der sich in dein zerstörtes Hirn bohrte: Pitch Black existierte.
 

Dunkelheit schlich um dich herum wie eine jagende Katze. Düstere Worte drangen auf dich ein, Befehle, Beleidigungen und kleinere Sinnlosigkeiten. Diese Schwärze verschluckte alles, jeden kleinsten Funken Selbstachtung oder positiver Gefühle. Da war nur Angst, Verzweiflung und Einsamkeit. Dieses Gefühl war so immens, dass dein Atem zu brechen drohte. Dieser Druck, als würde das Leid der ganzen Welt auf deinen Schultern und auf deiner Brust liegen.

„Du hast Angst.“ Du hobst den Kopf von deinen angezogenen Knien an. Diese Stimme war neu, sie war dir absolut fremd. Wer war das? Diese Stimme war nicht in deinem Kopf, sie kam von außerhalb. „So ängstlich wie ein kleines Kind, dass sich vor dem Monster im Schrank fürchtet.“

„Wer bist du?“, fragtest du in die erdrückende Stille hinein und wartetest auf eine Antwort – wenn denn eine kam. Ein höhnisches Lachen folgte dem, kalt und rau.

„Du weißt wer ich bin.“ Eine Gestalt trat aus dem Dunkel und du erkanntest die schemenhaften Züge.

„Du bist Pitch Black.“, stelltest du nüchtern fest und versenktest das Gesicht wieder in den Armen. „Was willst du hier, in meiner Dunkelwelt?“

„Dunkelwelt? Was für ein passender Name.“ Das schwache Licht, das von dir ausging, ließ dich sein Gesicht wage zwischen deinen Fingern erkennen. War er auch nur eine Halluzination? Sicherlich war er das, denn was könnte er schon von dir wollen. Angst und Albträume hattest du mehr als genug... Jeder Tag war eine Qual für dich, ausnahmslos. Du versankst in deiner Krankheit, hoffnungslos. Als hätte man dir Steine an die Beine gebunden sankst du immer weiter, mit jedem Atemzug in deinem Leben. Doch die Angst war das einzige worauf du dich verlassen konntest. Sie war konstant, immer vorhanden und alles was du hattest. Deine Ängste umfassten alles, von ganz banalen Dingen wie Spinnen bis hin zu der Angst vor Menschen oder dem Tod. Also was wollte Pitch dir noch geben? Welche Angst könnte dich noch schockieren? Deine Frage sollte beantwortet werden, denn er streckte seine Hand nach dir aus, gab dem Albtraumsand unter seinen Füßen damit einen Befehl. Der Sand umschlang dich, drückte deinen Körper schmerzhaft zusammen, bis du keinen einzigen Atemzug mehr tun konntest. Panik ergriff dich, berauschte jeden deiner Gedanken und ließ dich jämmerlich wimmern.

„Hör auf!“, flehtest du bettelnd und Pitchs kaltes Lachen drang an deine Ohren. Er genoss es in vollen Zügen, dich so ängstlich und verzweifelt zu sehen. Mit einer fahrigen Handbewegung erlosch das Leben im schwarzen Sand und dein Körper war wieder befreit. Schluchzend rolltest du dich wieder zu einer Kugel zusammen und versuchtest das Beben in deinen Muskeln unter Kontrolle zu bringen.

„Warum tust du das Pitch“, jammertest du deinen Kniescheiben entgegen. „Warum? Warum ich?“

Sein Gesicht nahm einen abschätzigen Ausdruck an, als er dich zu dir herunter beugte.

„Weil du eine der letzten bist, die an mich glaubt. Niemand kann mich mehr sehen – außer dir.“, flüsterte er deinem Haarschopf entgegen und erhob sich wieder. Lautlos verschwand er in den Schatten deines Verstandes und ließ dich weinend zurück.

„Du bist nur eine Illusion!“, schriest du ihm nach. „Du bist nicht real, das macht alles mein Kopf!“

Pitchs diabolisches Lachen kam aus der Dunkelheit und umwaberte dich wie kalter Nebel.

„Red dir das nur ein! Aber ich verspreche dir, ich werde wiederkommen...“ Seine Stimme war wie ein Dolch in deinem Herzen. Er würde wiederkommen... Einerseits brachte dir das ein mulmiges Gefühl in der Magengegend, andererseits war er der erste, der in deine Dunkelwelt vorgedrungen war. Niemand hatte dich hier je erreichen können und er schien diese Fähigkeit zu besitzen.

Ja, dachtest du unter Tränen. „Bitte Pitch, komm mich besuchen in meinen dunkelsten Stunden.“



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