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Geister für Anfänger

Mit dem Tod fängt alles an
von

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Zentralfriedhof

Hart schlug ihm die kalte Nachtluft ins Gesicht, als Aramis aus dem warmen Kirchengebäude hinaus in die dunkle Nacht trat. Hastig zog er den Reißverschluss seines schwarzen Mantels zu und schlang sich seinen alten Schal enger um seinen dürren Hals, bevor er sicheren Schrittes seine Tour über den Zentralfriedhof begann. Unsicher flackerte das Licht seiner alten Laterne in ihrem Glasgehäuse hin und her. Doch eigentlich brachte sie Aramis nicht viel, ihr Licht war zu schwach, als das er mit seinen alten Augen noch sonderlich weit hätte sehen können. Aber sie war ein Geschenk seines Vater gewesen, der sie von seinem Vater bekam, der sie wiederum von seinem Vater bekam. Sie alle waren Friedhofswächter gewesen und hatten mit dieser Laterne in ihren Händen die nächtliche Sicherheit der Gräber garantiert.

Schwer Atmend lief Aramis zwischen den Grabsteinen hindurch, seine Füße fanden beinahe von alleine ihren Weg- sooft waren sie schon unendlich lange Nächte immer den selben Wegen gefolgt. Egal wie viele Gräber in den letzten Jahrzehnten hinzu gekommen waren und wieder verschwanden, es war, als hätten seine Füße einen eigenen Verstand. Kurz blieb Aramis an einem der ältesten Gräber des Zentralfriedhofs stehen. Das Grab mit dem riesigen Steinengel stand bereits vor über fünfzig Jahren dort – damals, als er seine erste Schicht angetreten hatte, fragte er sich noch, wie ein so reines Wesen, einen so verbitterten Gesichtsausdruck haben konnte.

Heute, im alter von fast Siebzig, wusste er warum.

Nichts was mit dem Tod zu tun hatte, war gerecht, rein oder freundlich – auch kein Engel.

Der Tod machte kein halt vor Kindern, nahm sich nicht zurück Frauen vom Kindsbett aus mit zu nehmen. Ihm war es egal, ob der Tote ein Sünder oder Heiliger war. Er kam und nahm sich die Seelen der Menschen ohne Rücksicht, ohne Sinn.

Ein Hustenanfall ließ Aramis erneut inne halten.

Zu oft hatte er Frauen gesehen die stundenlang an den Gräbern ihrer neugeborenen Kinder saßen und flehten und bettelten, dass dies nur ein böser Alptraum sei – doch keine Tränen dieser Welt konnten die Toten zurück bringen.

Aramis hatte seine Runde beinahe beendet, als er über dem ältesten Abschnitt des Friedhofs lief. Feiner Nieselregen durchweichte langsam seinen dunklen Mantel, als er an einem der Gräber einen Schatten bemerkte, der tiefer war, als ein Schatten sein dufte. Vorsichtig näherte er sich der Gestalt, die bewegungslos vor der Grabstelle hockte. Aramis wusste, dass es nur einen Weg gab, herauszufinden, wie viel Angst er vor diesem Schatten wirklich haben musste. Vorsichtig legte er seine faltige Hand auf die Schulter der Person, die sich darauf langsam zu ihm umdrehte. Der Schatten überragte Aramis mit Leichtigkeit und blickte ihn stumm an. Im Laufe seiner Dienstzeit hatte Aramis bereits allerhand erlebt;

Jugendlichen, die es überaus amüsant fanden, rote Farbe über Grabsteine zu schütten und Satan anzurufen bis hin zu Vollwaisen, die sich im Schutze der Nacht aus den Waisenhäusern schlichen und zum Grab ihrer Eltern kamen. Aber es waren ihm auch schon Dinge begegnet, die schon lange nicht mehr unter 'harmlos' zu finden waren – das waren die Dinge, vor denen sich selbst ein alter Friedhofswächter fürchtete, wenn er in die dunkle Nacht hinaus trat und mit seiner kleinen Laterne zwischen den Gräbern entlang ging. Aber dieser Schatten war keine Gefahr, das wusste Aramis, als er in die ihm so bekannten grünen Augen sah. Der Dämon vor ihm lebte seit Jahrhunderten in dieser Stadt. Erleichtert ignorierte er den Schmerz in seiner Brust, der sich zu einem tauben Gefühl in seinen Arm ausbreitete.



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