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風の記憶 (Kaze no kioku)

Die Erinnerung des Windes
von

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Heimlichkeit

Kaya erwachte und schlug langsam die Augen auf, richtete sich auf. Ein Blick auf die mit Papier bespannten Türen, die zum Garten hinausführten, verriet ihm, dass die Sonne gerade aufging und den äußeren Gang nun mit rosa Licht erfüllte. Lautlos stand er auf und warf sich eine Haori* um die Schultern, schob die Tür auf und trat in den Garten, dem auch die Edle Dame Sachi Zugang hatte.

Tief atmete er die frische Morgenluft ein und setzte sich auf den Gang, lehnte sich gegen einen Pfeiler und sah auf den blühenden Kirschbaum in der Mitte des Gartens. Diese Art von Baum schien wohl der Liebling der Shogun-Familie zu sein, denn man konnte ihn überall auf dem Herrscher-Gelände finden… Zumindest an den Stellen, an denen er bereits mit seiner Herrin gewesen war und das war für ihn schon eine Menge. In den letzten Tagen brannte Sachi geradezu darauf, ihre Umgebung zu erkunden und mehr über das Palastleben zu erfahren, was natürlich zur Folge hatte, dass Kaya dadurch ebenfalls mehr lernte. Er fühlte sich fremd in dieser Umgebung mit all den Regeln, Aufgaben und Gesetzen. Das erste, was er hier wohl gelernt hatte, war die Rücksichtslosigkeit. Jeder versuchte, sich seinen eigenen Vorteil zu verschaffen und dabei war es gleichgültig, wie viel Leichen man dafür in Kauf nahm. Manchmal wollte er all das hier aufgeben und in sein Heimatdorf zurückkehren, um wieder so unscheinbar zu leben wie zuvor. Aber dann dachte er darüber nach, wie gut er es eigentlich hatte. Ein gemütliches Bett, viele Kimonos und immer genug zu essen. Und noch etwas hielt ihn davon ab, nach Hause zu wollen, oder besser jemand… Er hatte ihn bis jetzt zwar nur einmal gesehen, doch das reichte schon. Ein leises Seufzen entwich ihm und er schloss die Augen.

Es war ihm strengstens verboten, auch nur ansatzweise über ihn nachzudenken, denn in nicht allzu langer Zeit würde er sein neuer Herr werden und über ihn bestimmen. Trotzdem spukte er seit diesem Tag in seinen Gedanken herum und er brannte darauf, ihn wieder zu sehen.

Akira, der Kommandant der Armee des Shoguns und Verlobter Sachis… Kaya war viel zu schüchtern gewesen an dem Tag ihrer Begegnung und hatte kein Wort herausbekommen, allein wegen dem Status, den Akira besaß und dann auch wegen ihm selbst. Noch dazu wusste er zu dieser Zeit noch gar nichts über das Leben am Hof und wusste auch nicht wirklich, was er sagen sollte. Doch egal, wie oft er darüber nachdachte, wie es gewesen wäre, wenn er sich sofort mit ihm in der kleinsten Weise unterhalten hätte, es war nicht passiert und es würde auch niemals etwas ändern. Sachi würde Akira heiraten. Langsam stand Kaya auf und ging wieder in den Schlafraum und zog sich einen der wenigen schlichten Kimonos an, die er noch von zuhause hatte und band sich den Obi um. Ein Blick auf Takiko und Haruko sagte ihm, dass die beiden noch schliefen und so verließ er das Zimmer ein zweites Mal, allerdings in die andere Richtung, nämlich auf den Palastgang. Er hatte in diesem Nest von Vipern seinen kleinen Ruheort abseits des Gartens gefunden und eine Möglichkeit, Akira zu beobachten, ohne weiter aufzufallen. Wenn Takiko und Haruko andersweitig beschäftigt waren und Sachi nicht nach ihm verlangte, erkundete er den Palast auf eigene Faust und hatte so auch den kleinen Raum einige Stockwerke höher gefunden, zu dem er sich nun begab.

Die Kammer war voller Truhen mit alten wertvollen Kimonos, die nur noch selten oder zu besonderen Anlässen getragen wurden, was hieß, dass so gut wie niemand dort hinkam. Vorsichtig öffnete er die Tür, glitt hinein und schloss sie wieder, lauschte kurz und entspannte sich dann. Trotz ihrer Unauffälligkeit befand sich die Kammer noch immer inmitten von Zimmern mit den Konkubinen des Shoguns und so eine konnte ihn jederzeit beobachten. Langsam drehte er sich um und schlüpfte aus den Getas, ging dann auf das kleine Fenster zu und zog es auf. Sofort fuhr ein Wind durch den Raum und Kaya sah hinaus. Von hier oben hatte er den perfekten Blick auf einen Dojo, einige Meter vom Frauenpalast entfernt, der von einer hohen Mauer umgeben war. Leicht sah er zum Himmel, der nun langsam heller wurde und lächelte. Er würde nicht mehr lange warten müssen…

Die Zeit verging und auf einmal öffnete sich die Tür des Dojo und Akira trat hinaus. Sofort setzte Kaya sich auf und sah mit klopfendem Herzen zu ihm hinunter, erschauderte, als er sah, wie er sein Schwert zog und anfing zu trainieren. Er besaß die Wendigkeit einer Katze und das Schwert glitt ihm absolut gerade und geschmeidig durch die Luft, was ihn zu einem gefährlichen Gegner machen konnte. Wenn jemand so gut mit dem Schwert umgehen konnte, sollte man ihn niemals unterschätzen. Kayas Blick glitt von Akiras hochkonzentriertem Gesicht tiefer zu seinem freigelegten Oberkörper und ein roter Schimmer breitete sich auf seinen Wangen aus. Er sah so gut aus… Er schämte sich so sehr dafür, dass er nun so schamlos hier saß und ihn geradezu begaffte. Es stand ihm nicht zu… doch andererseits konnte er den Blick nicht abwenden, viel zu groß war das Verlangen nach diesem Mann.

So verfolgte Kaya Akiras Übungen bis zum Ende hin und schloss, nachdem der Kommandant wieder verschwunden war, das Fenster und zog sich seine Getas wieder an. Vorsichtig öffnete er die Tür und blickte sich auf dem Gang um, ehe er aus der Kammer ging und die Treppen hinuntereilte. Als er in dem Gang seines Gemaches entlangkam, eilte ihm bereits Haruko wie ein aufgescheuchtes Huhn und mit bedrohlich erhobenem Zeigefinger entgegen. „Kaya-sama, wo wart Ihr?! Wir haben uns schon Sorgen um Euch gemacht! Schnell, das Bad ist leer! Sachi no kimi will spazieren gehen.“ Sie holte aus dem Gemach Leinenhandtücher und scheuchte ihn durch das Gebäude, bis sie beim Bad angekommen waren, das sie sich mit den anderen Frauen teilten. Nur Sachi hatte in ihrem Gästegemach ein kleines Bad, das Kaya aber nur an dem Tag seiner Ankunft nutzen durfte. Haruko vergewisserte sich noch einmal, dass sie auch wirklich allein waren und zog Kaya schließlich in den rauchgeschwaderten Raum. „Diese ganzen Glucken waren zum Glück schon alle baden, Takiko-sama musste es miterleben.“ Sie schüttelte den Kopf. Haruko mochte den Frauenpalast nicht mit dem Getuschel, Geläster und Verrat. Sie zählte die Tage, bis Sachi heiratete und sie in Akiras Gemächern einziehen würden. Während Haruko sich darüber ausließ, wie nervig die ganzen Kurtisanen des Shoguns doch waren, wusch Kaya sich und glitt anschließend in das heiße Becken, seufzte leise auf. Es war jedes Mal stressig, ungesehen zu baden… Diese ständige Wachsamkeit, die Überprüfung, das Verstecken… Es belastete ihn, doch er wusste auch, dass ihm keine andere Wahl blieb und er war froh, dass Haruko und Takiko ihm so sehr halfen ihn schützten. Er stand nach einiger Zeit wieder auf und wickelte sich in ein Handtuch. Dieser Körper war nicht das, was seine Eltern sich gewünscht hatten und auch nicht das, was er wollte, doch alle hatten gelernt, damit umzugehen. Nur in einer Hinsicht waren sich seine Eltern immer uneinig gewesen und das war die Wahl des Heiratskandidaten. Sein Vater war schon immer für einen Mann gewesen, seine Mutter dagegen für eine Frau und Kaya selbst wäre dem ganzen am liebsten entflohen. Als solch ein Mensch, wie er es war, konnte er nicht erwarten, jemals eine Ehe zu führen, egal mit welchem Geschlecht. Und die jetzige Stellung machte es ihm auch nicht einfacher, all dem zu entkommen. Er war zwar die Oberste Kammerfrau von Sachi und in erster Linie für sie zuständig, doch auch hier am Hof konnte man um seine Hand anhalten. Ein seufzen entwich ihm, als Haruko ihn abtrocknete und wieder in den leichten Kimono kleidete und verließ mit ihr das Bad, betrat gleich darauf sein Gemach und ließ sich nun von ihr und Takiko ausziehen, frisieren und schminken, während er noch etwas aß. Sein Blick glitt zu dem Spiegel und er war jedes Mal aufs neue von der Kunst der beiden fasziniert, ihn zu einem lebenden Kunstwerk zu machen. Kaya schob das nun leere Tablett beiseite und stand auf, damit ihm Takiko in den Kimono helfen und Haruko ihm den Obi binden konnte. Bald darauf trippelte er fertig durch den Raum und öffnete die Verbindungstür, die in Sachis Gemächer führte und ließ sich auf die Knie sinken und verbeugte sich.

„Sachi no kimi, Ihr habt nach mir verlangt?“, fragte er leise und richtete sich auf. „Oh, Kaya-chan!“ Sachi strahlte und trat zu ihm, zog ihn hoch. “Ja! Akira-san möchte mit mir spazieren gehen und ich möchte, dass du mich begleitest.“ //Akira-sama…// Kurz verkrampfte er sich und nickte dann aber leicht. „Natürlich…“ Er schlüpfte in die bereitgestellten Getas und lief dann mit ihr aus dem Frauenpalast, sah leicht auf das Gebäude zurück. All diese Frauen dort taten ihm leid… Einmal hier eingezogen, verließen die 300 Frauen ihn nie mehr. Sie gehörten dem Shogun und niemand außer ihm durfte sie zu Gesicht bekommen. Manche hatten das Glück und wurden zu ihm in das Besuchszimmer des Frauenpalastes gebeten, andere würden bis zu ihrem Tod unangetastet dort leben**. Sachi konnte sich glücklich schätzen, „nur“ die Frau des Obersten Kommandanten zu sein.

„Sachi no kimi, es freut mich, dass Ihr Zeit für mich gefunden habt.“ Der Klang der Stimme riss ihn aus seinen Gedanken und er riss die Augen auf, verbeugte sich dann aber sofort. „Für Euch habe ich immer Zeit, Akira-sama. Ich hoffe, es stört nicht, wenn mich meine Kammerfrau begleitet?“ „Oh nein, natürlich nicht. Kaya-chan, wenn ich mich recht entsinne?“ Ein Kichern seitens Sachi wegen dem Suffix*** war zu hören und Kaya errötete, hob langsam den Kopf. „Ja, Akira-sama.“, hauchte er kaum hörbar und erschauderte bei dem Lächeln des Mannes, schlug sich innerlich. Er war wieder nicht in der Lage gewesen, mehr zu sagen und es ärgerte ihn so sehr. Akira wandte sich jetzt wieder Sachi zu und sie gingen den Weg entlang. Kaya folgte in einigem Abstand und bemühte sich darum, nicht zu sehr auf Akiras Stimme und seine Mimik und Gestik zu achten, doch immer wieder ertappte er sich dabei und dem Wunsch, an Sachis Stelle zu sein. Er schlug die Augen nieder und ging mit ihnen weiter, in seine eigenen Gedanken versunken. Vielleicht sollte er Sachi darum bitten, einige Freier für ihn zu suchen. Die Vorstellung, Akira mit Sachi verheiratet zu sehen, machte ihn mit jedem Tag, den er damit verbrachte, den Kommandanten bei seinen Schwertübungen zu beobachten, verzweifelter. Er brauchte jemanden, dem er sich zuwenden konnte, bei dem er vergessen und verdrängen konnte. Er konnte es nicht ertragen, diese beiden jeden Tag zusammen zu sehen, sein Herz schmerzte dabei so sehr.

Plötzlich stolperte er zurück und blinzelte leicht, wurde blass, als er das Hindernis erkannte. //Oh Gott… Oh nein…// „So in Gedanken versunken, Kaya-chan?“ Akira grinste ihn belustigt an und Sachi verdeckte ihren lachenden Mund mit einem Kimonoärmel. „V-Verzeiht mir, ich… ich bin ein Tollpatsch… B-Bitte…“ Kayas Gesichtsfarbe hatte sich mittlerweile ihn ein sattes Rot verwandelt und er verbeugte sich tief, traute sich nicht mehr, auf zu sehen, bis er plötzlich eine Hand am Kinn fühlte und dieses angehoben wurde. Braune, funkelnde Augen musterten ihn eingehend und Akira lächelte ihn an. „Kein Grund, sich zu entschuldigen. So ein Vögelchen wir Ihr es seid verletzt mich nicht.“, meinte er und ließ ihn langsam wieder los. Kaya hatte nach dieser Berührung das Gefühl, sein Gesicht würde in Flammen stehen und er senkte den Blick wieder, krallte die Finger in seinen seidenen Kimono und atmete tief durch. Diese Berührung hatte schon ausgereicht, um dafür zu sorgen, dass sein Herzschlag sich in seiner Schnelligkeit verdoppelt, wenn nicht sogar verdreifacht hatte. Er musste sich beherrschen… Wenn er sich nicht unter Kontrolle hatte, würde Sachi no kimi es merken und dann wäre alles zu spät. Nun folgte er den beiden weiterhin und blieb wachsamer, wollte auf keinen Fall, dass sich das eben geschehene wiederholte.

Diese Berührung war alles, was er je wollte… Und doch war ihm klar, dass er sie nie wieder spüren konnte. Wer wollte auch schon einen so missgestalteten Körper, wie er ihn besaß? Jeder würde sich davor ekeln, Akira sowieso. Der Kommandant wollte eine perfekte Frau, wie Sachi no kimi es war, nicht ein solches Monster wie Kaya. Ja, so war es. Also musste er ihn sich aus dem Kopf schlagen. Niemand durfte je etwas über ihn herausfinden und niemals durfte Akira mehr von ihm wissen, als dass er Sachis Oberste Kammerfrau war.

Niemals.

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Sooo, ich bin mal wieder beim Ende angekommen. :) Das nächste Kapitel wird auch bald hochgeladen. Vielen Dank fürs lesen!


Nachwort zu diesem Kapitel:
* = Eine Haori war eine Kimono-Überjacke, die etwa bis zu den Schenkeln ging und auf dem das Familienwappen zu sehen war. Haori wurden üblicherweise nur von Männern getragen, doch die Mode änderte sich dann und auch Frauen trugen sie.

** = Die Ôoku, wie der Frauenpalast des Shoguns auch genannt wurde, war ein Harem, in dem die Ehefrau und die Konkubinen des Shoguns lebten sowie die Töchter, Mütter und Großmütter. Gerüchte besagen, dass tausende von Frauen darin hausten, ich habe es aber auf 300 „minimiert“. Diese Frauen wurden meistens aufgrund des politischen Vorteils geheiratet und es kam auch wirklich vor, dass sie niemals eine Nacht mit dem Herrscher verbracht haben, trotzdem mussten sie in diesem Palast bis zu ihrem Tod bleiben und durften ihn nur mit einer Genehmigung verlassen. Kein anderer Mann außer dem Shogun durfte sie zu Gesicht bekommen und mit ihnen schlafen. Im Palast gab es auch einen Korridor, der nur vom Shogun benutzt wurde und den man „Korridor der Glocken“ nannte, da immer geklingelt wurde, sobald der Shogun ihn betrat. Dieser Korridor war der einzige, der die Ôoku mit dem Palast verband und war normalerweise abgeschlossen. Die Ôoku wurde 1607 von Tokugawa Hidetada gebaut. (Geschichtsstunde Ende.)

*** = Suffixe sind die Anhängsel bei japanischen Namen, wie –chan, -kun, -san undsoweiter. Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Kuran
2013-06-14T07:38:23+00:00 14.06.2013 09:38
Mich erfuellt es immer wieder mit Freude zu lesen, wie gut du Kaya inszenierst und wie sehr es mich an unsere rpg's erinnert! Du verwendest so viele schoene Beschreibungen und alles laesst sich ungemein fluessig lesen. Ich bin furchtbar gespannt, wie es weiter geht! ♥


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