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Memori3s

von

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Licht ins Dunkel

„Hades hat nicht untertrieben, du bist wirklich gut.“

Zeus‘ plötzliches Auftauchen riss sie aus ihrer Starre und ließ sie vor Schreck fast aufspringen. Aus weit aufgerissenen Augen sah sie zu ihm hinauf. Sie war so sehr in ihrer Entdeckung vertieft gewesen, dass sie überhaupt nicht gemerkt hatte, dass er den Raum betreten und sich neben sie gestellt hatte.

Persephone schluckte ihren Schock hinunter und machte sich so Luft für eine Wut, die sich zunehmend in ihrem Bauch zusammenzog. Sie wollte Antworten!

„Bin … bin ich das?“, fragte sie beherrscht und deutete auf Izumis Steckbriefbild. Dieses Mädchen glich ihr wie ein Zwilling, die Frage hatte für Persephone somit schon rhetorischen Status erhalten. Dennoch wollte sie es aus seinem Mund hören; es war einfach zu absurd, beinahe Filmreif!

Zeus nahm sich Zeit und folgte ihrem Fingerzeig langsam mit den Augen.

„Du warst sie“, entgegnete er dann betont und suchte ihren Blick im blass gewordenen Gesicht. Entschuldigend hob er die Schultern. „Bitte verzeihe mir, aber ich muss auf das Präteritum bestehen, immerhin ist Izumi Kato offiziell tot.“

Ihre Atmung beschleunigte sich und sie spürte, wie ihre Wut ihre Kehle hinaufkroch und dabei einem Hustenreiz glich, dem man nur schwer unterdrücken konnte.

„Aber ich lebe!“, rief sie aufgebracht und sprang dann doch auf, um so Zeus‘ ausdruckslosem Gesicht etwas näher zu kommen. Er hatte es gewusst, die ganzen zweieinhalb Monate lang, und ihr alles verschwiegen, dafür wollte sie ihm nun das personifizierte schlechte Gewissen ins Gesicht meißeln!

„Wieso kann ich mich an nichts erinnern?“, fragte sie weiter, doch noch immer zeigte sich keine Regung in Zeus‘ Zügen. Sie presste die Lippen aufeinander und deutete auf Toshihikos Bild. „Ist das auch wahr? Ist Äneas mein Bruder? Warum weiß ich davon nichts?“ Sie würde sich nicht mehr weiter für dumm verkaufen lassen! Zeus‘ durchdringender Blick haftete bis zur Unerträglichkeit auf ihr, bevor er die Augen abwandte und abermals auf den Bildschirm heruntersah.

„Weil Toshihiko Izumis Bruder war. Persephone und Äneas haben kein solches Verhältnis.“ Seine Stimme passte perfekt zu seinem unbeeindruckten Gesichtsausdruck. Persephones Gesicht dagegen durchlief erneut in wenigen Sekunden duzende Emotionen. Zuletzt konnte sie ihr Gegenüber nur verständnislos anstarren.

„Was ist das für eine Logik?“, platzte es aus ihr heraus. „Erklären Sie mir das! Warum…?“ Sie spürte, wie ihre Stimme versagte. Sie holte tief Luft und fühlte im selben Moment die Tränen in den Augen aufsteigen. Diese ganze emotionale Achterbahnfahrt machte sie fertig und sie hasste sich selbst dafür, dass die Situation sie so durchschüttelte. Sie schluckte vergeblich gegen das beklemmende Gefühl in ihrem Hals an. Zeus sah sie neutral an, unbeeindruckt von ihren Wutausbrüchen, und ließ ihr die Zeit, sich zu sammeln. Schließlich fegte sie ihren Kopf frei von allen gegensätzlichen Stimmen, die ihr zusprachen, die Fassung nicht zu verlieren oder sie dazu anstachelten, ihre Wut ihm ungefragt ins Gesicht zu schmeißen und ließ sich stattdessen von ihren Gefühlen lenken.

„Ich kann mich an so viele banale Dinge erinnern! An die riesige Hüpfburg zu meinem zehnten Geburtstag, dass ich die Ferien früher oft auf dem Land verbracht habe, an meine Vorliebe für Orangeneis! Aber meinen Namen, meine Familie, dass ich einen Bruder habe, das alles habe ich vergessen?“ Ihre Stimme wurde immer hysterischer. Zeus antwortete ihr weiterhin nicht. Nur langsam beruhigte sich ihr Puls mit der Zeit etwas. Sie atmete tief durch, zog lautstark die Nase hoch und wischte sich die verdammten Tränen von der Wange. „Was ist mit mir passiert? Warum glauben alle, dass ich tot bin?“ Ihre Hände zitterten und waren eiskalt. Sie war sich sicher, dass sie in ein paar Minuten zusammenklappen würde, würde sie sich nicht bald ganz beruhigen.

Nach einer gefühlten Ewigkeit brach Zeus‘ Augenkontakt endlich ab und er senkte seinen Blick um eine Nuance, nur kurz, dann sah er wieder auf, doch diesmal hatte sich etwas in den dunklen Augen etwas verändert.

„Dein Vater hat lediglich einen Tatort ohne Leichen gefunden, an dem das Blut deines … von Toshihiko und Gewebespuren von Izumis Kleidung gesichert wurden“, begann er. Er sprach weiterhin im sachlichen Tonfall, jedoch langsamer als zuvor, als erzähle er ihr das alles nur ungern. „Er hat nach euch suchen lassen, doch als weitere Kleidungsstücke und Blut in einem abgelegenen Waldstück gefunden wurden, ließ er die Suche nach euch einstellen. Das viele gefundene Blut konnte größtenteils seinem Sohn zugeordnet werden, weshalb die Pathologen seinen Tod als sehr wahrscheinlich hielten; das reichte ihm wohl aus, um weitere Nachforschungen als fruchtlos anzusehen. Er ist nie an die Öffentlichkeit gegangen, weil er nicht wollte, dass sein Name im selben Atemzug mit so einer pikanten Angelegenheit genannt wird. Er wollte kein negatives Aufsehen erregen. Deshalb gab es auch keinen offiziellen Nachruf. Die Polizei hat den Fall noch nicht ad acta gelegt, aber für eure Familie liegt der Fall klar auf der Hand.“

Persephone ließ die Worte widerwillig auf sich wirken. Ihr Herzschlag hatte sich von Satz zu Satz wieder beschleunigt und nun pochte er ihr bis zum Hals hinauf. Ihr Körper fühlte sich nun endgültig dumpf und taub an, ausgelaugt, wie nach einer unglaublichen Anstrengung. Blind tastete sie nach ihrem Stuhl und setzte sich, den Blick ins Leere gerichtet. Sie brauchte etwas Zeit, um die Informationen zu verarbeiten. Man hatte sie also tatsächlich für Tod erklärt. Das klang so falsch, so absurd, dass sie wahrscheinlich losgelacht hätte, wäre ein Anderer betroffen gewesen. Aber warum? Wie war es soweit gekommen? Sie glaubte nicht, nein, sie wusste, dass Zeus sie nicht anlog. Etwas an seiner Erzählung ließ sie dennoch verwirrt die Stirn runzeln.

„Was für ein Tatort?“

Drei Sekunden verstrichen schweigend, dann setzte er sich seufzend neben sie und suchte mit der gewohnten Ernsthaftigkeit ihren Blick.

„Es gibt Regeln hier bei Olymp, Persephone. Eine davon - wahrscheinlich die wichtigste - ist, dass niemand die Wahrheit über seine Vergangenheit erfährt. Ich habe bereits viel zu viel erzählt.“

Die Aussage war deutlich. Sie war an eine Grenze gekommen, die er nicht bereit war, für sie weiter zu überschreiten. Immer noch liefen ihr vereinzelt Tränen über die Wangen und ihre Augen brannten, dennoch presste sie die Lippen aufeinander und reckte ihr Kinn herausfordernd vor. Trotzig deutete sie wieder auf die Steckbriefe. Sie würde jetzt nicht einfach wieder aufgeben!

„Ich habe das herausgefunden; den Rest kriege ich auch noch heraus!“

Mit einem Mal trat ein verschmitztes Lächeln in Zeus‘ Mundwinkel und im nächsten Moment streckte er eine Hand nach ihr aus, legte vorsichtig einen Daumen an ihren Wangenknochen und wischte ihr sanft eine Träne von der Haut. Persephone hatte nur schwer dem Drang standgehalten, vor der plötzlichen Nähe zurückzuweichen; warum sie dem bitter antrainierten Reflex nicht einfach nachgegeben hatte, konnte sie sich selbst nicht erklären. Vielleicht weil es Zeus war; der mächtige, unnahbare Anführer, der stets seine Emotionen mit einer beneidenswerten Standhaftigkeit unter Verschluss hielt, dass er das Buch mit sieben Siegeln war, das Persephone immer sein wollte. Angst zeigen und vor Berührungen zurückweichen waren Zeichen von Schwäche, die, so hatte sie gelernt, sofort zu ihrem Schaden ausgenutzt wurde. Sie wollte ihre Gefühle nie wieder preisgeben – vor niemanden und schon gar nicht vor ihm!

Seine Hand verweilte noch ein, zwei Sekunden an ihrer Wange, in denen sie ihn weiterhin selbstsicher musterte und den aufkommenden Instinkt in straff nach hinten gezogenen Schultern versuchte zu entladen, dann zog er die Finger zurück und setzte lächelnd zur Antwort an. In seinen dunklen Augen blitzte es frech auf.

„Ich muss dich enttäuschen, du wirst nichts weiter finden. Dafür hat Hades schon vor Monaten gesorgt.“

Sie verengte die Augen und presste ernst die Lippen aufeinander. Das stumme Gefecht zwischen ihnen zog sich Sekunden hin, dann brach zu ihrer Verwunderung Zeus den Blickkontakt ab und fuhr sich seufzend durch die rabenschwarzen Haare.

„Andererseits kann sich dein Halbwissen als sehr gefährlich herausstellen – vor allem, wenn du dich gegenüber Hades versprichst“, sagte er leise und seine Stimme klang dabei so, als hätte er mit sich selbst gesprochen. Wieder herrschte eine kurze Stille zwischen ihnen, in der Persephone immer ungeduldiger wurde. Nachdem Zeus seine Sitzposition in aller Ruhe der Bequemlichkeit angepasst hatte, holte er Luft und fing an:

„Ich kann dich beruhigen, du bist lebendiger denn je. Und Äneas war dein Bruder. Früher ward ihr Blutsverwandte, ja, aber jetzt sieht das offiziell anders aus, verzeih, auf diese Unterscheidung muss ich Wert legen.“

Und so begann er zu erzählen.
 

Es kam Persephone wie Stunden vor, die Zeus vor ihr saß und diese ganzen unglaublichen, völlig abstrusen Geschichten erzählte. Er beschrieb zunächst ihr erstes Aufeinandertreffen, die Szene in der dunklen Gasse, wie sie, Hades und er selbst, beinahe im letzten Moment dazu gestoßen waren und alles beendet hatten; über die Tatsache, dass er und sein Partner an diesem Abend zwei Menschen getötet hatten, ließ er nur wenige, gelassen gesprochene Worte fallen, die ihr im Gegenzug einen mächtigen Schauer über den Rücken jagten.

Bis hierhin hatte sie nur stumm genickt und die Informationen versucht zu verarbeiten. Zeus erwähnte, dass Hades nachträglich Informationen zu ihrer Familie gesucht hatte; danach stand für sie auch fest, dass Olymp für die offensichtlich falsch gelegten Spuren verantwortlich war, auch, wenn Zeus darüber kein weiteres Wort verlor. Es konnte nur so gewesen sein, dass die Organisation dafür gesorgt hatte, dass sie und Äneas für den Rest der Welt als tot galten; es war der einfachste Weg, um Unannehmlichkeiten für die Anführer im Keim zu ersticken.

Dann erzählte er ihr von Memoria und von da an rutschten seine Erklärungen immer weiter für sie in die Kategorie Märchen ab. Ihr Blick wurde mit jedem Satz skeptischer, bis Zeus sich erhob und ihr bedeutete, ihm zu folgen. Nach nicht einmal fünf Minuten musste sie sich eingestehen, zukünftig doch an Aberglaube und Fabelgeschichten glauben zu müssen. Zeus verbrachte mit ihr nicht viel Zeit in dem kleinen, behandlungsähnlichen Raum, in dem dieser merkwürdige Stuhl stand, den er als seine und Hades‘ Erfindung vorstellte. Er erklärte ihr in groben Zügen, wie sie funktionierte und sie hörte schweigend zu, versuchte sich auf das Gesagte zu konzentrieren und nicht ihren Verstand zu verlieren. Hinnehmen war dabei die wohl beste und einfachste Strategie.

Zeus fragte sie zuletzt, ob sie noch Fragen hätte, doch sie schüttelte nur benommen den Kopf und drehte sich unaufgefordert zum Gehen um. Ohne einen Einwand, folgte der Ältere ihr aus dem Raum wieder raus auf die endlos scheinenden Gänge von Olymp. Erst hier wagte Persephone es, tief durchzuatmen. Ihre zitternden Hände versuchte sie in den Taschen ihrer Strickjacke zu verstecken.

„Überprüft Hades deinen Laptop?“

Die plötzliche Frage riss sie aus den Gedanken und fragend sah sie zu Zeus, der einen Schlüssel seines schweren Bundes ein paar Mal im Schloss umdrehte und die Tür so zusperrte. Als er sich dann zu ihr umdrehte, zuckte sie verspätet mit den Schultern.

„Ich soll ihn manchmal in seinem Büro lassen. Er hat es mir noch nie gesagt, aber ich bin mir sicher, dass er dann die Festplatte untersucht. Er traut mir nicht.“

In stummer Übereinkunft setzten sie sich in Bewegung und gingen langsam zurück in Richtung Aufenthaltsraum. Zeus neben ihr fuhr sich seufzend durch den dunklen Schopf und strich sich so die Haare aus der Stirn. Selbst in dem gedämpften Licht erkannte Persephone den deutlich grauen Ansatz, der so zum Vorschein kam. Sie hatte sich nie wirklich Gedanken über das Alter von Zeus oder Hades gemacht; paradoxerweise hatte der ältere der beiden Anführer ein wesentlich jünger aussehendes Gesicht, das sein wahres Alter wohl sehr gut kaschierte. Nach den Erzählungen über die Geschichte dieser Organisation, die sie hier und da bei Zeiten aufschnappte, mussten die beiden Götter auf die Fünfzig zugehen.

„Das tut er gewiss nicht“, unterbrach Zeus ihre Überlegungen und sie brauchte einen Moment, um den Faden ihres immer noch laufenden Gesprächs wieder aufzunehmen. „Ich glaube sogar, dass er selbst mir nicht mehr ganz traut. Naja, er war noch nie jemand gewesen, der irgendwem sein blindes Vertrauen schenkte, so ist er eben.“ Zeus verfiel erneut in sein bekanntes Schweigen, währenddessen Persephone über das Gesagte nachdachte und dabei kurz über das leise und unauffällig gesprochene „mehr“ stolperte, doch da hatte der Mann neben ihr schon wieder Luft geholt, um dem Dialog eine neue Wendung zu geben. „Zur Sicherheit solltest du dafür sorgen, dass er nicht zurückverfolgen kann, nach was du heute Abend gesucht hast.“

Sie wollte schon nicken, doch dann zögerte sie doch und runzelte leicht besorgt die Stirn.

„Werden Sie ihm nicht davon erzählen? Von … gerade eben, meine ich?“, fragte sie vorsichtig und suchte seinen Blick. Geheimnisse vor Hades zu haben, kam ihr wie ein Spiel mit dem Feuer gleich. Natürlich konnte man mit den Fingern über eine Kerzenflamme streichen, ohne sich sofort zu verbrennen; doch wurde man zu übermütig und verweilte zu lange in den Flammen, konnte das schmerzhafte, bleibende Folgen nach sich ziehen. Und für Hades schien der Göttervater pures Öl zu sein, mit dem man nicht einmal in die Nähe seines Feuers kommen sollte. So viel hatte selbst sie schon in der recht kurzen Zeit, die sie erst Olymps Mitglied war, mitbekommen.

Zeus erwiderte ihren Blick und sah zu ihr herab. „Ich berichte ihm, dass du nun über Memoria Bescheid weißt; über deine Nachforschungen verliere ich besser kein Wort.“ Mit einem Mal wurde sein Blick durchdringender und Persephone fühlte sich mental nackt und schutzlos ausgeliefert, dass sie am liebsten vor ihm zurückgewichen wäre. „Und du solltest ebenfalls darüber schweigen. Über alles, was ich dir gerade erzählt habe“, fügte er ernst hinzu.

Etwas schnürte ihre Kehle zu und sie verspürte den Drang, gegen dieses Gefühl an zu schlucken. Zögernd brachte sie ein Nicken zustande. Etwas an seinen Worten macht sie stutzig und so fragte sie vorsichtig nach:

„Wissen alle über … über diese Maschine Bescheid?“

„Nein, wir erzählen nur langjährigen Mitgliedern von ihr. Wir müssen denjenigen vertrauen können, verstehst du? Das bei jemandem einzuschätzen, ist manchmal gar nicht so leicht. Ein weiterer Grund, warum du mit niemandem über diesen Abend reden solltest. Jetzt, da du eingeweiht bist, verlangen wir von dir noch mehr Treue. Das ist der Preis für deinen Schutz, den wir dir hier bieten.“

Seine Augen ruhten weiterhin ernst und auch mit einer unheimlichen Kälte auf ihr, sodass sie sich beeilte zu Boden zu schauen, nachdem er verstummt war. Sie bogen in einen neuen Gang ein, auf dessen Hälfte sich der Aufenthaltsraum befand. Persephone hatte auch nach den Monaten, die sie nun schon bei Olymp war, das Gefühl, noch nicht alle Gänge und Ecken von dem unterirdischen Labyrinth gesehen zu haben und es passierte ihr regelmäßig, dass sie sich durch Unaufmerksamkeit hier unten verlief und mehr durch Zufall, wie es ihr immer vorkam, wieder in bekannte Gänge zurückfand. Sie fand es bemerkenswert, mit welch traumwandlerischer Sicherheit sich manche Mitglieder hier unten bewegten.

Bis sie ihr Ziel erreichten, herrschte eine gewohnte Stille zwischen ihnen. Dann ergriff Zeus von neuem das Wort.

„Ich habe das von Äneas gehört“, begann er und augenblicklich fuhr Persephones Kopf herum, um ihn aus aufmerksamen Augen anzusehen. „Herakles war vor ein paar Stunden bei mir und erzählte von dem Unfall.“

Die Erinnerung an das, was heute Mittag geschehen war, ließ ihr Herz wieder anfangen schneller zu schlagen. Seit ihrer Begegnung in dem Kaufhaus mit ihren … mit Izumis alten Freundinnen, hatte sie nicht mehr daran gedacht und das versetzte ihr einen tiefen Stich in der Magengegend. Sie fühlte sich, als hätte sie ihren Partner verraten und das versetzte ihr schmerzhafte Gewissensbisse.

„Konnten Sie vielleicht schon mit den Ärzten reden?“, fragte sie kleinlaut.

Zeus nickte. „Sie haben den Riss an der Luftröhre ohne größere Probleme wieder zunähen können. Morgen wirst du bestimmt zu ihm gehen können.“

Etwas fiel von ihr ab und erleichtert ließ sie die angespannten Schultern sinken.

„Auch ihm wirst du nichts erzählen.“

„Nein, werde ich nicht“, versprach sie, wenn auch mit einem unwohlen Gefühl in der Brust. In ihren Augen hatte Äneas ein Recht darauf, zu erfahren, was sie nun erfahren hatte; auch, wenn es etwas war, was nie für ihre Ohren und Augen bestimmt gewesen war. Zumindest der Teil mit ihrer Vergangenheit. Zeus hatte ihr erklärt, aus welchen Gründen Männer normalerweise Olymp beitraten. Weil sie etwas vergessen wollten. Das war es, womit Zeus und Hades ihre Mitglieder köderten. In ihrem Fall war es etwas anders gewesen, doch im Nachhinein hatte es dasselbe Ergebnis erzielt. Und jetzt, da sie wusste, was sie vergessen hatte, nun … vielleicht hätte sie sich tatsächlich dazu entschlossen, die Erinnerung an den Überfall aufzugeben. Es waren keine schönen Erinnerungen. Man hatte versucht, sie zu missbrauchen. Aber dass sie ihren Bruder in diese Sache mit hineingezogen hatte, konnte sie sich nicht verzeihen. Sie war – warum auch immer, das konnte selbst Zeus ihr nicht sagen – mit diesen beiden Typen aneinander geraten und sie war zu schwach gewesen, sich zu wehren. Äneas wollte ihr helfen und hatte es dadurch selbst am schlimmsten getroffen. Ihr gemeinsames Glück war es gewesen, dass Olymps Götter ihren Peinigern gefolgt und rechtzeitig dazwischen gegangen waren.

Die Vorstellung an das, was unter anderen Umständen hätte passieren können, jagte ihr einen eiskalten Schauer über den Rücken und fröstelnd zog sie die Schultern hoch. Zeus schien ihre bedrückenden Gedanken zu erahnen und sprach sie den restlichen Weg bis zum Aufenthaltsraum nicht weiter an; lediglich eine fürsorgliche Hand streichte einmal sanft über ihren Oberarm, so flüchtig, dass Persephone kaum die Zeit blieb darauf zu reagieren.

Als sie wieder im Türrahmen des Raumes standen, nickte der Göttervater kurz in Richtung des Tisches, auf dem ihr Laptop noch stand.

„Erledige noch das, worum ich dich gebeten habe und gehe dann schlafen“, sagte Zeus und wandte sich schon zum Gehen um. „Ich wünsche dir eine gute Nacht, Persephone.“

Sie erwiderte die Abschiedsformel murmelnd und wollte schon den Raum betreten, als ihr dann doch noch etwas einfiel, das ihr auf der Seele lag. Schnell sah sie in den Gang zurück. Das dämmrige Licht hatte Zeus schon halb verschluckt.

„Warum?“ Ihre Stimme hallte hörbar von den Wänden wider.

Zeus blieb stehen und schaute fragend zurück. „Warum was?“

In diesem Moment beschlich sie leichte Unsicherheit, ob sie überhaupt das Recht dazu hatte, ihre Frage weiter zu präzisieren. Sie biss sich auf die Unterlippe und haderte drei Sekunden lang mit den Worten, doch dann atmete sie tief durch und hob den Blick.

Keine Schwäche zeigen!

„Warum tun Sie das? Mit Memoria.“

Ein kurzes Schweigen. Ein musternder Blick aus nachtschwarzen Augen, unter denen sich ihre zurückgekehrte Selbstsicherheit wieder demütig zusammenkauerte.

„Du meinst, unseren Mitgliedern das Gedächtnis zu manipulieren?“, fragte er nach und seine dunkle Stimme wirkte noch dominanter, noch präsenter in dem vorherrschenden Dämmerlicht. Dann glaubte sie ein trauriges Lächeln auf seinen Zügen zu erkennen.

„Macht“, setzte er an und dieses eine Wort donnerte durch ihre Gedanken wie ein mentaler Paukenschlag. „Sie ist wie eine Droge: hat man einmal von ihr probiert, ist man süchtig nach ihr.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Thuja
2014-07-14T16:40:05+00:00 14.07.2014 18:40
Wie soll man so eine grenzenlose Genialität nur würdigen????
Ich weiß es nicht.
Ich weiß es einfach nicht.
Ich weiß nur eins: Ich bewundere dich und jedes Kapitel, was du schreibst
Jeder Satz von dir ist meisterlich ... weltmeisterlich :)

Das war wirklich eine Überraschung, als auf einmal Zeus hinter ihr stand. Aber eine positive Überraschung. Wäre es Hades gewesen...O_o…. nicht auszumalen.
Zeus hat ihr mit seiner souveränen Art (für die man ihn einfach lieben muss) ein wichtiges Geheimnis anvertraut. Jetzt weiß sie auch über Memoria Bescheid. Muss schon irgendwie komisch sein, wenn man weiß, dass das Gedächtnis bewusst gelöscht wurde und ich kann mir lebhaft vorstellen, dass man das erstmal für ein Märchen hält, wenn man so etwas erzählt bekommt :).



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