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Gessou

Das Lied des Mondes ~ Castle of Shikigami
von

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Das Lied des Mondes

Sein Berufswunsch war mit Sicherheit in diesen Zeiten ungewöhnlich und führte bei seinen Verwandten schon seit Jahren zu Stirnrunzeln. Nicht nur, dass man für seinen Berufswunsch mit Sicherheit keine Stellenausschreibung in der Zeitung fand, es war auch gänzlich unmöglich, einen Ausbilder dafür zu finden. Jedenfalls in den USA.

Aber welcher Junge wollte heutzutage denn noch Ninja werden?

Alles Zureden und an seine Vernunft appellieren war wirkungslos, Roy war fest entschlossen, eines Tages ein großartiger Ninja zu werden, um dann einem Samurai, den er bei seinem kurzen Aufenthalt in Japan getroffen hatte, zu helfen.

Nachdem alle Worte an ihm abgeprallt waren, hatten seine Eltern gehofft, er würde diesen Plan wieder verwerfen, so wie andere Kinder es aufgaben, Cowboy oder Astronaut werden zu wollen – und sie wären spürbar erleichtert gewesen, wenn seine Wünsche zumindest etwas derartiges und realisierbares gewesen wären.

Aber Roy blieb entschlossen und das äußerte sich darin, dass er Japanisch zu lernen begann, kaum dass er genug Geld gespart hatte, um sich Bücher dafür zu kaufen. Dieser Junge, der noch nicht einmal richtig Deutsch konnte, da er in den USA aufgewachsen war, setzte alles daran, die japanische Sprache zu erlernen.

Sein Wunsch änderte sich nie, egal wieviel Spott er über sich ergehen lassen musste und ungeachtet der Tatsache, dass er keine Freunde hatte, weil jeder nur über ihn lachte.

Wenn er vom Lernen müde wurde, ging er nicht nach draußen, um zu spielen. Er setzte sich dann in den Garten seiner Eltern und blickte in den Himmel hinauf, bis seine Gedanken wieder frei genug waren, um das Lernen fortzusetzen. Seine Entschlossenheit wankte dabei kein bisschen.

So auch in jener Nacht, in der er die Sterne betrachtete. Wann immer er diese betrachtete, war es ihm als würde sein Körper leicht werden und als würden sie ihm zuflüstern, dass er alles erreichen könnte, wenn er sich nur genug anstrengte. Oft sah er auch das Gesicht des Jungen vor sich, der ihn damals, als er in Japan gewesen war, vor den Kindern gerettet hatte, denen es ein Vergnügen gewesen war, den Gaijin, also den Ausländer, zu ärgern, ohne dass dieser sich wehren konnte.

Der braunhaarige Junge, der ihm geholfen hatte, mit diesen wachen braunen Augen, die in ihm, den blonden Deutschen, keinen Ausländer, sondern einen Menschen gesehen hatten und der diese fast doppelt so großen Jungen mit dem Mut eines Löwen verjagt hatte, war ihm in all den Jahren nie aus den Kopf gegangen.

Auch wenn Roy den Namen dieses Jungen, der in seinen Augen ein waschechter Samurai sein musste, nicht kannte, würde er ihn finden, wenn er erst einmal ein Ninja war und dann würde er sich in dessen Dienst begeben. Gemeinsam, davon war er überzeugt, würde es ihnen möglich sein, die Welt aus den Angeln zu heben und sie vor allem zu bewahren, was ihr schaden wollte.

Er war so tief in Gedanken versunken, dass er gar nicht bemerkte, dass er schon seit mehreren Minuten nicht mehr allein war. Nein, möglicherweise war es ihm auch gar nicht möglich ihre Anwesenheit zu bemerken, weil das Mädchen, das nicht entfernt auf einem Stein saß und ihn unablässig beobachtete, schon seit Langem ein Teil von ihm war. Wie sollte einem also die Anwesenheit von etwas auffallen, das schon immer da und nie fort gewesen war?

Sie beobachtete ihn schweigend, eingehüllt von einem sanften Leuchten, das dem des Vollmondes in nichts nachstand und in einem den Verdacht erwecken könnte, dass es sich bei ihr um das Kind dieses Himmelskörpers handelte, denn menschlich war sie, nach genauerer Betrachtung, sicherlich nicht. Ihre Haut war zu blass und ebenmäßig, sie glich Porzellan in ihrer Perfektion, ihre Ohren verliefen spitz zu wie die einer Elfe und ihr grau-blaues Haar wehte in einem nicht vorhandenen Lufthauch.

Roy wurde ihrer Existenz erst gewahr, als sie leise zu singen begann. Die Wörter, die sie sang, entstammten einer Sprache, die er noch nie zuvor gehört hatte und deren Bedeutung ihm daher fremd war, aber die Art, wie sie sang, so melancholisch als träume sie von besseren Tagen, berührte sein Herz und ließ ihn seine Aufmerksamkeit ihr zuwenden.

Sie hielt wieder inne, als sie das bemerkte und blickte ihn neutral aus ihren braunen Augen an. Noch nie zuvor waren ihm solche Augen wie ihre aufgefallen, sie besaßen kein Leben, wirkten stattdessen leer und auch gelangweilt als gäbe es nichts, was sie auch nur überraschen oder in Erstaunen versetzen könnte.

„Wer bist du?“, fragte er.

Ehe sie ihm antwortete, blickte sie ihn lange Zeit einfach nur an, so dass er im ersten Moment glaubte, sie hätte ihn nicht verstanden, doch dann erklang erneut ihre Stimme, obwohl sie nicht einmal den Mund öffnete: „Ich habe keinen Namen.“

Der Klang ihrer Stimme schien sich in seinem Inneren zu entfalten und widerzuhallen als sei es seine eigene Stimme, sie sprach nicht durch seine Ohren hindurch, sondern direkt in seinem Kopf, was es ihm ermöglichte, ihre Stimme so klar und deutlich zu hören, obwohl sie nach außen hin nicht einmal zu sprechen schien.

„Nicht?“, fragte er verwirrt.

Wenngleich das nicht unbedingt verwunderlich war, immerhin schien sie nicht menschlich zu sein. Aber bislang war er immer davon ausgegangen, dass selbst übernatürliche Wesen einen Namen hatten, mit dem sie angesprochen werden konnten.

Sie schüttelte sacht mit dem Kopf, worauf einige Funken von ihr abfielen und sich rasch aufzulösen begannen, bis sie nicht mehr zu sehen waren. Unwillkürlich streckte er die Hand danach aus, doch die Funken waren bereits wieder fort, zurück blieb nur ein warmes und vertrautes Gefühl.

„Was bist du dann?“ Er beschloss, eine andere Form der Annäherung zu versuchen, um mehr über sie in Erfahrung zu bringen und ihr möglicherweise einen passenden Namen zu geben, auch wenn ein solcher sich bereits in seinem Herzen zu bilden begann.

„Ich bin eine Shikigami. Ein Schutzgeist, wenn du so willst. Deiner, um genau zu sein.“

Keinerlei Emotion lag in ihrer Stimme, in ihren Gedanken, die sie ihm sandte, es klang als wäre es ihr vollkommen gleichgültig, was sie war und doch erschien ihm der Klang so wundervoll klar und rein, dass es ihm die Tränen in die Augen trieb.

„Wie kommt es, dass ich dich plötzlich sehen kann?“

Bislang war es ihm nicht möglich gewesen, aber tief in seinem Inneren wusste er, dass dies die bessere Frage war als wissen zu wollen, warum sie jetzt zu ihm gekommen war. Er spürte genau, dass sie schon immer bei ihm gewesen war.

„Ich sah bislang keinerlei Grund, mich dir zu zeigen. Jeder Mensch besitzt einen Schutzgeist, aber nur ganz besonderen Exemplaren zeigen wir uns auch – jenen, die unsere Hilfe benötigen, um genau zu sein.“

„Tue ich das denn?“, fragte er gedankenverloren.

Sie runzelte missbilligend die Stirn, aber nur für einen kurzen Moment, dann besann sie sich wieder auf das eigentliche Gesprächsthema, anstatt ihn für seine Gedankenlosigkeit zu rügen. „Natürlich benötigst du meine Hilfe, denk doch nur an deinen Traum. Man wird heute nicht mehr so einfach ein Ninja, das sollte dir inzwischen bewusst geworden sein.“

Das war es. Genau wie die Tatsache, dass es auch zu früheren Zeiten für einen Ausländer ein schwieriges Unterfangen gewesen wäre. Ninja mussten bei Bedarf in der Lage sein, unauffällig in einer Menschenmenge unterzutauchen, aber ein Nicht-Asiate, der noch dazu blond und zu allem Überfluss auch noch blauäugig war, fiel einfach überall auf.

So gab es eigentlich absolut nichts, was dafürsprechen könnte, dass er eben doch einmal ein Ninja werden könnte, egal wie viel er lernte, ungeachtet all seiner Anstrengungen, um neben seinem Gehirn auch seinen Körper zu stählern.

Das Gesicht des Mädchens hellte sich merklich auf, als es wohlwollend feststellte, dass er sich tatsächlich bereits Gedanken um so etwas gemacht hatte. „Gut, du bist ja doch nicht so unintelligent, nicht übel. Wie gesagt, ich kann dir helfen, wenn du mich lässt. Mit meiner Unterstützung wird dir alles gelingen, was du dir vornimmst, versprochen.“

Es klang fast zu schön, um wahr zu sein, wenn er darüber nachdachte. Natürlich dachte er nicht an mögliche damit verbundene Konsequenzen und er fragte sich auch nicht, ob sie möglicherweise eine Entlohnung dafür haben wollte, immerhin war sie seine Shikigami, die ihn stets begleitet und nie allein gelassen hatte, er glaubte nicht, dass ein solches Wesen zu Arglist gleich welcher Art fähig wäre. Deswegen lächelte er die Shikigami an. „Ich bin einverstanden, lass uns zusammen die Welt revolutionieren!“

Er reckte eine Faust in den Himmel, um seine Worte zu unterstreichen, doch die Shikigami ignorierte diese Geste – allerdings bemerkte er, wie sie mit den Augen rollte – und richtete stattdessen noch einmal das Wort an ihn: „Es wäre angebracht, wenn du mir einen Namen geben würdest, denkst du nicht? Wenn wir jetzt schon so eng miteinander arbeiten werden...“

Es schien ihm als würde sie noch ein wenig an seiner Entschlossenheit und seinem Durchhaltevermögen zweifeln, aber das störte ihn nicht sonderlich, jedenfalls nicht im Moment. Stattdessen stimmte er ihr lieber zu und horchte in sich selbst hinein, um den richtigen Namen für sie zu finden. Sie überbrückte die Wartezeit, indem sie wieder zu singen begann und dabei auf den Mond starrte, der sein Licht ungetrübt von jeder Wolke auf sie herabscheinen ließ. Und in jenem Moment, in dem er sie so beobachtete, wusste er, dass der von ihm gewählte Name einfach perfekt für sie passte. „Ich nenne dich... Gessou.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: abgemeldet
2012-03-26T11:49:41+00:00 26.03.2012 13:49
Ah, es tut gut, mal etwas anderes zu lesen als Game Of Thrones. Vor allem habe ich bei dir eh schon ewig nichts mehr gelesen, und nun ist es endlich wieder so weit: du bekommst nun ein Kommi von mir ~ aber keine Sorge, ich kann nur Positives sagen! Auch wenn ich keine Ahnung von dem Spiel habe, da ich es ja nicht besitze, hat mir die Geschichte sehr sehr gut gefallen. Es ist ein kleiner, netter One Shot für Zwischendurch, den du ausgezeichnet beschrieben hast. Weil Beschreibungen, wir wissen ja... *hust* XD Aber du musst nicht jeden Stein und jeden Grashalm und jede Wolke beschreiben, damit mir die Geschichte gefällt. Beim Lesen fielen mir unweigerlich Link und Navi ein, die ja auch so ähnlich miteinander fungieren. Sorry nun für den Vergleich, aber ein Gehirn hat sich das so einfach ausgedacht ~ ich finde die beiden ziemlich cool miteinander ^^ Welcher Junge würde nicht gerne Ninja werden, was eh ohnehin sehr cool ist und welcher Junge hätte nicht gerne so ein hübsches Mädchen an seiner Seite? XD Ein Traum wird wahr... oder wie für Roy, gleich mehrere ~ ach ja ~ jetzt hätte ich auch gerne eine Elfe an meiner Seit wie Gessou .__." Das wäre nicht schlecht! X3

Auf alle Fälle wie immer, toll geschrieben ^^


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