Zum Inhalt der Seite

Rialtoir

Herrscher
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Prolog

Obwohl niemand im Haus auch nur ein Wort sprach, war die Luft erfüllt von Geräuschen: Dem Heulen des Windes, der durch jede Ritze pfiff; Äste, die gegen die Mauern gepeitscht wurden; das Ächzen des Daches, das den Schneemassen nicht mehr lange Widerstand leisten zu können schien. Es herrschte eine angespannte Stimmung unter allen Anwesenden, da niemand wusste, ob sie den Morgen noch erleben würden.
 

Im Erdgeschoss hatten sich einzelne Bretter gelöst, die von außen ans Fenster genagelt worden waren als das Unwetter noch nicht so stark war, und nun riss der Sturm gnadenlos an den Fensterläden und schlug sie in unregelmäßigem Takt gegen das Fenster oder die Hauswand. Bei jedem Knall grub sich die kleine Hand meiner Enkelin Lirelle fester in meinen Ärmel. Sie war fast schon zehn Sommer alt und versuchte deswegen sich ihre Angst nicht anmerken zu lassen, so wie ihre Eltern es taten, doch zitterte sie am ganze Körper. Ich konnte es ihr nicht übelnehmen, schließlich hatte selbst ich noch nie einen Sturm solchen Ausmaßes erlebt und dabei war ich schon weit über sechzig Sommer älter als sie.
 

Dieser Sturm kam vor zwei Tagen mit der Nacht. Niemand hatte die kleinsten Anzeichen dafür entdecken können und so wurden wir vollkommen überrascht. Er brach über uns herein wie eine feindliche Armee und brachte Kälte und Schnee mit sich. Gerade rechtzeitig hatten wir alle Gegenstände, die wegfliegen konnten, in Sicherheit bringen können, bevor das Unwetter richtig begann. Schon vor Sonnenaufgang konnte man das Haus nicht mehr verlassen, weil die Gefahr von umherfliegenden Ästen oder Ähnlichem getroffen zu werden zu hoch war.

Bis heute Früh hatte der Sturm seine gewaltige Zerstörungskraft beibehalten. Da hörte es auf zu schneien und auch der Wind ließ nach, so konnte Adalbert von seinem Haus zu unserem gelangen und meine Tochter, die Hebamme war, zu seiner Frau holen, die schon seit Stunden in den Wehen lag. Nur ungern ließen wir sie vor die Tür und hofften, dass nichts passieren würde. Und unsere Sorge war begründet, denn schon kurz nach ihrem Weggang nahm brach der Sturm von Neuem los. Wir konnten nur hoffen, dass sie es unbeschadet bis zum anderen Haus geschafft hatten.
 

Ich nahm Lirelle nun auf meinen Schoß und sofort klammerte sie sich an meinen Hals. Ganz nah an mich gedrückt flüsterte sie mit brüchiger Stimme in mein Ohr: „Großvater, Mama geht es doch gut, oder?“

„Ja, Liebchen, Mama geht es gut. Sie hilft jetzt Marie ein wunderhübsches Töchterchen auf die Welt zu bringen. Genauso hübsch wie du.“, versprach ich ihr in der selben Lautstärke. Irgendwie brachte ich nicht die Kraft dazu auf, die erdrückende Still um uns herum zu brechen. Ich wünschte mir sehnlichst, dass das eben Gesagte der Wahrheit entsprach. Meine Familie war das Wertvollste was ich armer alter Mann besaß.
 

Irgendwann waren wir dann doch eingeschlafen. Mit schmerzendem Rücken streckte ich mich etwas und bemerkte dabei mit Erstaunen, dass es still um mich herum war. Einzig der Atem meiner anderen Familienmitglieder war zu hören. Durch meine Bewegung war auch Lirelle aufgewacht und blinzelte mich verschlafen an.

„Lirelle, hörst du das?“, fragte ich sie leise.

„Was, Großvater? Ich höre nichts.“, nuschelte sie zurück.

„Der Sturm scheint aufgehört zu haben.“

Dieser eine Satz blies ihre Müdigkeit mit einem Schlag weg und sie sprang von meinem Schoß auf und lief zum Fenster. Dort legte sie ihr linkes Ohr an die Bretter und lauschte. Dabei wurden ihre Augen immer größer und schlussendlich strahlte sie übers ganze Gesicht.

„Großvater! Großvater, der Sturm ist weg!“

„Ja, Liebchen. Wurde aber auch Zeit.“

Während ich mich mühevoll hochstemmte, wirbelte die Kleine schon freudig durchs Zimmer und weckte Ihren Vater, ihre Geschwister und alle anderen. Als ich sie so sah, musste auch ich lächeln. Ob ich vor vielen, vielen Jahren auch einmal so war…?
 

Gemeinsam schaffte wir es die Tür zu öffnen, die durch etwa hüfthohen Schnee blockiert wurde. Mein Schwiegersohn begann sofort einen behelfsmäßigen Weg zu schaufeln, um nach meiner Tochter sehen zu können. Obwohl ich damals an ihrer Wahl, was ihren Ehemann betraf, gezweifelt hatte, schien sie die richtige getroffen zu haben. Er liebte sie wirklich aufrichtig. Während er schaufelte rief er immer wieder, dass der Sturm vorbei sei und langsam regte sich auch in den anderen Häusern Leben. Auch sie taten sich schwer die Türen zu öffnen, doch scheinbar ging es allen gut. Inzwischen war ein gut fünf Schritt langer Weg freigemacht worden und auch ich konnte ganz an die frische Luft. Der Schnee lag auf dem Dorf wie eine reine, weiße Decke, die alles seltsam leise machte. Kein Lüftchen regte sich, als hätte das Unwetter alle Kraft aus der Natur gezogen und nur noch Stille hinterlassen.
 

Auch ich nahm mir eine Schüssel, um den Schnee so gut es eben ging auf Haufen zu schaufeln und Wege zu unseren Nachbarn zu bahnen. Doch sofort sprang meine Enkelin herbei und versuchte, mir die Schüssel abzunehmen und mich davon zu überzeugen, wieder ins Haus zu gehen. Aber wenn sie dachte, dass ich untätig herumsitzen würde, nur weil ich schon älter war als sie, dann musste ich sie enttäuschen. So hielt ich die Schüssel hoch über meinen Kopf und damit außerhalb ihrer Reichweite. Zeternd hüpfte sie immer wieder hoch und schnappte danach, aber ich grinste nur. Als sie allerdings stehen blieb und ein Funkeln in ihre Augen trat, schubste ich sie vorsichtshalber rückwärts in den Schnee. Ich liebte die Kleine zwar, aber wenn sie anfing mich zu kitzeln, konnte sie ein richtiges Monster werden. Der Schnee war so pulvrig, dass sie einfach darin versank. Schnaubend kämpfte sie darum wieder aufzustehen, aber da sie sich nirgends festhalten konnte, kam sie nicht hoch und landete immer wieder auf ihrem Hinterteil.
 

Inzwischen hatte es auch unsere Nachbarn aus ihrem Haus geschafft und kamen nun auf uns zu. „Väterchen Friedolf“, grüßten sie mich, “Ist bei Euch alles in Ordnung?“

Wir tauschten kurz aus wie es uns jeweils ergangen war, während immer mehr Menschen es schaffte ihre Häuser zu verlassen. Mein Schwiegersohn hatte es nun schon bis zum Ende unserer Straße geschafft.

Lirelle hatte es immer noch nicht geschafft, wieder auf die Beine zu kommen und ich beschloss ihr zu helfen. „Aber nur, wenn du mich dann machen lässt, was ich will!“, warnte ich sie, als ich ihr meine Hand reichte. Über und über mit Schnee bedeckt und die von der Kälte roten Backen wütend aufgeblasen, nickte sie.
 

In diesem Moment ertönten ein, zwei –vier rasch aufeinander folgende heisere Schreie über die Ebene. Fast zeitgleich zogen Schatte über uns und alle Menschen richteten ihre Blicke gen Himmel. Manche schrien vor Angst und flüchteten in ihre Häuser, andere tuschelten nur oder starrten gebannt auf das Schauspiel in der Luft: Hoch über uns kreisten vier unterschiedliche aber große Körper mit mächtigen Schwingen. Von der aufgehenden Sonne beschienen leuchteten sie rötlich und fremdartig.

„Was sind das, Großvater? Vögel?“, fragte Lirelle, immer noch an meiner Hand, neugierig.

„Nein, Liebchen. Nein. Das sind keine Vögel.“, krächzte ich tonlos.
 

Mein Schwiegersohn war endlich zu meiner Tochter gelangt und sie fielen sich in die Arme. Doch ich merkte, dass etwas nicht stimmte. Ihr Körper zuckte unter Schluchzern und er strich ihr beruhigend über den Rücken während er sie vor und zurück wiegte. Zu leise, als dass ich verstehen konnte, unterhielten sie sich. Plötzlich heulte sie laut auf: „Es ist ein Erstgeborenes!“, und klammerte sich noch fester an ihren Mann. Mein Hals wurde ganz trocken.
 

„Was sind es denn nun?“, stieß mich die Kleine an, die von der Szene nichts mitbekommen hatte, weil sie fasziniert von den eleganten Gestalten am Himmel hoch starrte.

Ich braucht zwei Anläufe bis ich herausbrachte: „Drachen, mein Liebchen. Das sind Drachen.“



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück