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Reise ins Märchenland

[23. Tür]
von

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Gilbert lief genervt auf und ab, verlor er doch so langsam wirklich die Geduld. Arthur hatte gemeint er musste nur noch kurz etwas holen und dann mit ihm los. Sie würden zu spät kommen und er würde Ärger mit Ludwig bekommen. Er hatte Arthur einfach nur abholen und zu der Konferenz fahren sollen, weil das Auto nicht anspringen wollte. Und jetzt so etwas.
 

„Arthur!“
 

Keine Antwort. Na klasse. Vor fünf Minuten war immerhin noch etwas gekommen… Dass er fünf Minuten brauchte. Er wollte nicht ewig hier warten. Aber wenn der Kerl nicht freiwillig kam, dann würde er da jetzt hochmarschieren und ihn aus seinem Zimmer zerren.

Gesagt getan. Eilig stapfte er die Treppen hinauf und riss die Zimmertür auf, setzte schon zu einer frechen Beleidigung an, stellte dann aber fest, dass der Raum leer war.

„Arthur…?“ Erneut blieb es still. Okay… Das war nun wirklich seltsam. Man konnte doch wohl kaum in diesem Haus einfach verschwinden. Der versteckte sich doch nur, weil er keine Lust auf die Konferenz hatte. Naja, das war wirklich verständlich. Da konnte es auch wirklich langweilig sein manchmal.
 

Ein Raum nach dem anderen wurde gesucht und so langsam verstand Gilbert das hier alles nicht mehr. Erlaubte sich Arthur da einen Scherz mit ihm und war zur Hintertür oder einem Fenster raus verschwunden? Nein. So etwas würde er sicher nicht machen. Das war eher Francis Stil.

Auf dem kleinen Dachboden angekommen sah sich Gilbert um und stockte dann. Da über der Sofalehne lag eindeutig das Jackett, das Arthur vorhin noch getragen hatte. Also war er wirklich hier… Oder zumindest hier gewesen. Denn jetzt war hier niemand mehr.
 

Irritiert ließ Gilbert seinen Blick über das Sofa wandern, konnte aber – wie sollte es auch anders sein – keinen Hinweis auf Arthur entdecken. Da lag bloß ein staubiges Buch direkt neben dem Jackett. Hatte Arthur ihn etwa wegen diesem blöden Buch so lange warten lassen?

Die Frage war zwar immer noch, wo er dann hin war, aber im Moment interessierte ihn das Buch seltsamerweise mehr. Also hob er es hoch und betrachtete das Titelbild, von dem bereits ein wenig Staub gewischt worden war.
 

„Grimms Märchen? Was macht Arthur bitteschön mit einem deutschen Buch?“

Mit einem Seufzen ließ er sich auf die Couch fallen, bereute es aber schon eine Sekunde später, als eine kleine Staubwolke von unten aufstieg und ihn zum Husten brachte. „Verdammt! Blöder Arthur und seine dumme staubige Couch“, fluchte er leise vor sich hin, während er das Buch aufschlug. Und ehe er auch nur ein einziges Wort gelesen hatte schoss ein seltsames Licht aus den Seiten und alles um ihn herum wurde weiß.
 

~*~
 

Benommen öffnete er die Augen, sah sich dann verwirrt um. Er war eindeutig in einem Wald. Nur wie zur Hölle war er hier hingekommen? Hatte er zu viel Staub eingeatmet und halluzinierte schon?

„Gretel! Nicht träumen. Arbeiten!“

Langsam drehte sich Gilbert um und sah direkt in die Augen einer alten runzeligen Frau.

„Was…?“
 

„Du musst arbeiten! Und gib Hänsel etwas zu essen, der Junge ist viel zu dünn.“
 

„Aber ich bin nicht…“
 

„Sofort!“
 

Gilbert sah die Frau verwirrt an, lief aber dann in die Richtung in die sie deutete. Hatte sie ihn gerade ‚Gretel‘ genannt? Und das woran er gerade vorbeilief sah doch sehr eindeutig nach einem riesigen Lebkuchenhaus aus. War das hier etwa… Nein. Konnte nicht sein.

Kurz sah Gilbert an sich hinab, war es doch verdammt luftig beim Laufen. „Was zur…?“

Er trug ein Kleid“ Warum bitteschön trug er ein Kleid?
 

„Gilbert!“

Ruckartig sah er auf und rannte dann auf den Käfig zu aus dem die Stimme gekommen war. Und tatsächlich stand da Arthur vor ihm. „Und warum hast du kein Kleid an?“, brummte er schlecht gelaunt und besah sich dann die Tür. Okay, das Schloss sah ziemlich altmodisch aus. Das konnte er ohne Probleme knacken.

„Was weiß ich, aber ich stecke genauso hier fest. Warum musst du auch so ein Idiot sein und mein Buch lesen?“
 

„Du hast es doch auch gelesen! Ich konnte ja nicht wissen, dass so etwas passiert… Was ist eigentlich passiert?“

Arthur seufzte leise und lehnte sich gegen das Gitter. „Wir sind im Buch. Im Moment in Hänsel und Gretel. Ich hatte vergessen, dass das Ding verflucht ist. Es ist schon Ewigkeiten her, dass ich es bekommen habe.“
 

Gilbert schwieg ein paar Sekunden und nickte dann ein paar Mal. „Ich verstehe kein Wort“, meinte er schließlich schlecht gelaunt und machte sich dann daran das Schloss zu knacken. „Ich meine… Das ist doch nicht die Realität. Und ein Buch saugt keine Leute ein.“

„Und was soll das sonst sein? Du hast schon gesehen, wie mir Flügel wachsen, also stell dich nicht so an. Hol mich hier raus und wir machen uns Gedanken darum, wie wir aus dem Buch rauskommen.“

Gilbert sah immer noch skeptisch drein, war das doch nun wirklich das Lächerlichste, was er je gehört hatte. Aber gut… Er würde mal mitspielen. Was blieb ihm da auch anderes übrig?
 

„Ha!“

Quietschend öffnete sich die Tür und sofort kam Arthur aus dem kleinen Käfig, rannte in Richtung Wald. Na klasse, bedanken konnte der sich auch überhaupt nicht. Das war wirklich nicht die feine englische Art. Aber gut. Schnell wegkommen war nun auch besser als gute Manieren. Diese alte Schachtel war schließlich eine gemeine Kinderfresserin. Und so rannte Gilbert dem anderen hinterher, bis sie weit weg von dem kleinen Häuschen waren.

„Und jetzt? Irgendeine Idee, wie wir…“
 

Plötzlich begannen die Bäume um ihn herum zu zerfallen und sie sahen sich hektisch um. Doch lange konnte man nichts mehr sehen, da sie von einem grellen weißen Licht umhüllt wurden. „Arthur?? Arthur?“ Mit zusammengekniffenen Augen versuchte er sich auf den Engländer zuzubewegen, doch seine tastenden Hände trafen nur auf Luft.
 

„Eure Hoheit…? Was macht ihr da?“
 

Beim Klang der fremden Stimme öffnete Gilbert ruckartig die Augen und sah zu einer Art Dienstmagd, die vor ihm stand und ein schreiendes Kind in der Hand hielt. „Ich…“

Langsam ließ Gilbert seine Arme hinab sinken und seine Hände streiften so viel Stoff, dass er schon ohne hinabzusehen wusste, dass er wieder ein Kleid tragen musste. Was sollte das bitteschön? Er war der männlichste aller Männer der ganzen Welt. Er hatte das nicht verdient.

„Nichts… Ganz schön laut das Ding.“
 

„Ihr meint Euer Kind, oder?“

Gilberts Augen weiteten sich, als er das kleine etwas in den Arm gedrückt bekam. Er war Vater. Was zur Hölle war das für ein Märchen? Die Heldinnen und Prinzessinnen bekamen doch immer erst irgendwann nach dem glücklich bis ans Ende leben ihre Kinder. Oder er war eine von den Müttern der Hauptfiguren, die immer tragisch sterben mussten. Auch nicht gerade gut.

Und wo zur Hölle war Arthur?
 

„Haben sie hier einen Kerl gesehen? Blonde Haare, grüne Augen riesengroße Augenbrauen.“
 

„Nein, Eure Hoheit. Aber ich werde sofort nach ihm suchen lassen, wenn es Euer Wunsch ist.“
 

Gilbert nickte nur ein wenig überrumpelt, war es doch nicht wirklich gewohnt, so angesprochen zu werden. Oft brachten ihm die anderen ja noch nicht einmal den normal üblichen Respekt entgegen. Aber darüber musste er sich jetzt keine Gedanken machen. Das war auch vollkommen unwichtig. Er musste jetzt nur Arthur finden und ihr weiteres Vorgehen besprechen.

Doch der Tag verging und es war immer noch keine Spur von dem anderen. Wenigstens war das Kind mittlerweile eingeschlafen. Das ging ihm so unheimlich auf die Nerven. Immerhin hatte er mittlerweile erfahren in welchem Märchen er hier war. Gab schließlich nicht so viele Müllerstöchter, die aus Stroh Gold spinnen konnten.
 

„Gilbert… Sag bloß du stehst auf Frauenkleider.“

Vor Erleichterung über die Stimme vergaß er die Beleidigung einfach und wandte sich zu der Balkontür zu, war aber doch ziemlich geschockt, als er Arthur dort stehen sah.

„Warum bist du so winzig?“
 

„Keine Ahnung!“, kam es genervt von dem andere und er schritt auf Gilbert zu, reichte ihm aber gerade einmal bis zur Hüfte. „Als das Licht weg war, war ich alleine und in irgendeinem anderen Wald und so klein. Es hat ewig gedauert, bis ich dich gefunden habe. Was für ein Märchen ist das überhaupt?“
 

„Eins in dem du ums Feuer hüpfst und ich deinen Namen erraten muss, damit du mein Kind nicht klaust. Aber da ich den Namen ohnehin schon kenne halten wir das Märchen mal kurz, nicht wahr?
 

„Nein Gil-“

Doch da war es schon geschehen. Gilbert hatte den Namen gesagt und sie waren erneut von gleißend weißem Licht umgeben. Na klasse.
 

Als er wieder die Augen öffnete stand er in einem dunklen Raum, vor ihm ein riesiges Loch in der Wand und davor wiederum eine ältere Frau, die ihm ihre Hand entgegenstreckte. Na dann… Mal sehen, wo er jetzt gelandet war. Er nahm die Hand und wurde nach draußen gezogen, sah sich überrascht um. Also das hier sah so gar nicht märchenhaft aus. Alles war niedergebrannt und die Gebäude sahen eher aus wie Ruinen. „Wir müssen hier verschwinden, edle Jungfrau.“
 

„Wie… Wie bitte?“

Entsetzt sah Gilbert die Frau an, war das doch nun wirklich um einiges schlimmer als das ‚Eure Hoheit‘ davor. Er war keine Frau. Und erst recht keine Jungfrau! So verklemmt war doch wohl niemand.
 

„Es tut mir leid, aber wir benötigen Obdach und einen Bissen Brot. Wir können auch an einem sicheren Ort dem Reich eures Vaters bedenken.“
 

Und warum mussten diese Leute alle so dämliche Ausdrücke benutzen? So würde doch gleich auffallen, dass er hier vollkommen fehl am Platz war… Als ob das Fehlen von Brüsten um den Ausschnitt auszufüllen nicht schon deutlich genug zeigte, dass das alles falsch war.
 

Stundenlang wanderten sie durch die Gegend, bis sie schließlich eine Stadt erreichten und nirgends war eine Spur von Arthur zu sehen. Das konnte doch nicht wahr sein. Er wollte nicht in diesen blöden unbequemen Schuhen und einem dämlichen Kleid durch die Gegend irren. Er wollte hier raus aus diesem Buch oder was auch immer vor sich ging.
 

„Ich bitte um Verzeihung. Wir wurden wieder abgewiesen. Nun ist der Koch des Hofes unsere letzte Chance auf Arbeit und Lohn.“

Gilbert nickte nur, ging ihm diese Suche nach Arbeit doch sonst wo vorbei. Er würde eh bald wieder das nette weiße Licht treffen und ein anderes dummes Kleid tragen, da war er sich sicher.
 

Doch weder das Licht noch Arthur kamen und er musste tatsächlich arbeiten. Sicher, er fand das ganze immer noch lächerlich, aber er konnte sicher auch in einem Buch verhungern. Da musste er eben für sein Essen arbeiten.

Und so schlimm war es auch wieder nicht. Er hatte schon schlimmeres getan, als Essen herumtragen…

Schlimm wurde es erst, als die Braut des Prinzen beschloss, dass sie an ihrer Stelle zur Hochzeit gehen sollte. Was für ein Blödsinn war das denn? Er würde nicht heiraten.
 

„Nein, danke. Ich will den Typ nicht. Du kannst dein Geld dafür gerne behalten.“
 

„Wenn du mir nicht gehorchst, kostet’s dich dein Leben. Ich brauche nur ein Wort zu sagen, so wird dir der Kopf vor die Füße gelegt.“
 

Ob er wohl auch starb, wenn er im Buch geköpft wurde… Lieber nicht riskieren. „Naja dann kann ich natürlich nicht nein sagen“, brummte er schlecht gelaunt und betrachtete das Brautkleid, zog es dann tatsächlich mit viel Gefluche an. Er wollte kein Kleid mehr. Kein einziges verdammtes Kleid mehr. Er wurde so noch wahnsinnig.

Und trotzdem stapfte er nun auf die Kirche zu und ein junger Mann kam auf ihn zu. Das musste also der Bräutigam sein, der…
 

„Arthur…? Was soll das alles hier? Warum…“
 

„Sh… Versau es nicht, ja? Wir müssen mitspielen um rauszukommen, verstanden?“, erklärte der Engländer mit gedämpfter Stimme, nahm dann seine Hand und zog ihn mit nach vorne zum Altar. „Du willst mich heiraten?“

„Sh.“

„Aber…“

„Nichts aber. Was sein muss, muss sein.“
 

Wütend sah Gilbert den anderen an und riss sich von ihm los, rannte dann aus der Tür zurück. Was erwartete Arthur da eigentlich von ihm? Heiraten! Für ihn bedeutete das immerhin noch etwas und das würde er nicht einfach so machen.

Aber gut… Recht schien er ja doch gehabt zu haben. Denn kaum war er von dem Märchen abgewichen kam das weiße Licht zurück und umhüllte alles.
 

Dieses Mal bitte alles nur kein Kleid…

Kein verdammtes Kleid…
 

Und tatsächlich als er das nächste Mal die Augen öffnete und an sich hinab sah trug er kein Kleid. Das war doch schon einmal. Das bedeutete dann wohl dieses Mal war Arthur die glückliche Prinzessin oder Bauerntochter oder Braut oder was auch immer jetzt dran war.
 

„Seit hundert Jahren hat es niemand geschafft an den Dornen vorbeizukommen. Sie wachsen zusammen und lassen niemanden vorbei.“

Okay… Ein eindeutigerer Hinweis war nicht nötig um zu wissen, wo er sich befand. In der Ferne konnte er auch schon das Schloss sehen, das von Dornenranken eingeschlossen war. Na das würde er irgendwie schaffen.

Immerhin war das hier ja nicht dieser lächerliche amerikanische Abklatsch in dem der Prinz gegen Drachen kämpfen musste. Nein, er musste einfach nur durch eine Dornenmauer. Das würde wahrscheinlich ewig dauern, aber die Prinzessin schlief ja ohnehin und würde kein Problem haben zu warten.
 

Als er allerdings vor dem Schloss ankam, teilte sich die Dornenmauer einfach von selbst und er konnte das Schloss betreten. Er sollte mal wieder ein paar Märchenbücher lesen. Dann würde er auch wissen, was er machen musste.

Etwa zehn Minuten später war er in dem Turm angekommen in dem die Prinzessin schlief und er musste sich wirklich zusammenreißen nicht laut loszureißen. Da lag Arthur, schlafend und endlich auch einmal in einem Kleid. Das geschah ihm Recht.

Und nun würde er das Märchen mal beenden. Eine Weile betrachtete er Arthurs schlafendes Gesicht, kostete es doch einiges an Überwindung das zu tun. Aber hey, so schlecht sah der Kerl nicht aus, wenn man ehrlich war. Wenn er so friedlich war, wirkte er auch gleich viel netter.
 

Einmal atmete Gilbert noch tief durch, dann beugte er sich nach unten und hauchte Arthur einen Kuss auf die Lippen. Und so schlimm fühlte sich das wirklich nicht an. Sofort schlug Arthur die Augen auf und sie lösten sich voneinander. „Ich mache das nur, damit wir zurück können. Nur das du Bescheid weißt.“ Arthur sah ihn kurz mit einem Blick an, den er nicht deuten konnte, lächelte dann aber und nickte.

„Ich liebe dich“, murmelte Gilbert schnell, wollte er das ganze doch hinter sich bringen. Doch statt zu irgendeinem Ende zu kommen, war da wieder das weiße Licht.
 

„Verdammte Scheiße! Ich hab das dämliche Märchen doch zu Ende gebracht!“
 

Langsam verschwand das Licht und Gilbert stand wieder alleine da. Keine Spur von Arthur. Und was hatte er wieder an? Genau: Ein Kleid.
 

~*~
 

Die Märchen kamen und gingen. Sie hatten nun schon fünfzehn Liebeserklärungen hinter sich und beim letzten Märchen –Die wilden Schwäne - hatte sich Gilbert dann doch zu einer Hochzeit überreden lassen. Hatte ja nichts zu bedeuten und niemand wusste davon. Außerdem war er mittlerweile einfach nur verzweifelt.

Aber selbst da war das weiße Licht gekommen und nun war er hier… In einem Kleid. Immerhin waren die Schuhe dieses Mal weitaus bequemer als bei manch anderen Mädchen. „Willkommen.“ Gilbert nickte dem Türsteher nur zu und ging den langen Gang entlang, bis er schließlich in dem riesigen Ballsaal ankam.

Das würde nicht schwer werden. Er musste einfach tanzen, rennen, Schuh verlieren, wieder bekommen und glücklich sein oder so. Das war eindeutig machbar.

„Darf ich um diesen Taz bitten?“

Gilbert nickte und ergriff die Hand, ließ sich an Arthur heranziehen. „Warum bist du eigentlich immer der Prinz?“, murmelte er ein wenig schlecht gelaunt, während sie sich im Takt der Musik umher drehten. „Ich weiß es nicht. Viel wichtiger ist doch eigentlich die Frage, was wir falsch machen. Wir müssen hier rausfinden.“

Gilbert seufzte leise und legte seinen Kopf auf der Schulter des anderen ab. Er war einfach erschöpft. Sie hatten nun schon so viele Märchen durchlebt…
 

„Aber ich bin doch froh, dass du an meiner Seite bist. Ich hätte das hier alleine nie durchgestanden“, wurde in sein Ohr gemurmelt und Gilbert wurde plötzlich unheimlich warm ums Herz. „Ach was… Ohne mich hättest du eindeutig weniger Stress. Dann hättest du Prinzessinnen, die keinen Fehler machen können und sich brav an das Drehbuch hält.“
 

Arthur lachte amüsiert und zog ihn noch ein wenig enger an sich. In der Ferne konnte er eine Glocke hören, aber als er sich ein Stück löste und in Arthurs Augen sah, konnte er sich auf nichts um ihn herum konzentrieren. Wer weiß wie lange sie nun schon hier waren. Monate, Jahre… Und immer war Arthur an seiner Seite gewesen und hatte versucht sie hier rauszuholen.

„Gilbert. Ich… Die ganze Zeit, da habe ich es wirklich ernst gemeint, wenn ich…“
 

Doch da wurden sie wieder von weißem Licht umhüllt und Arthur verschwand einfach aus seinen Armen. Verdammt. Noch ein Märchen. Wenn er hier rauskam wollte er nie mehr ein Märchen sehen.
 

Er stand in einem dichten Wald, ein Gewehr in seiner Hand und ausnahmsweise mal wieder Männerkleidung an. Nur was für ein Märchen das war, wusste er auch nicht. Also irrte er ziellos umher, mit den Gedanken immer noch bei dem Tanz. Es war schön gewesen. So schön, dass er seinen Einsatz zum Weglaufen verpasst hatte. Und wäre das Licht nicht gekommen, so wäre er auch geblieben…
 

In der Ferne war ein kleines Haus zu sehen und Gilbert lief sofort darauf zu, öffnete die Tür und sah zu Arthur, der auf dem Boden saß. Seine Augen waren nach unten gerichtet und er sagte kein einziges Wort. Das da an seinem Kopf… Das waren eindeutig pelzige Ohren von einem Hund oder so. Und einen buschigen Schwanz hatte er auch.

„Arthur… Was geht hier vor? Was muss ich machen?“
 

Langsam hob Arthur den Blick und sah ihn traurig lächelnd an. „Du bist der Jäger. Wir sind in Rotkäppchen. Und scheinbar habe ich die beiden schon gegessen. Also musst du jetzt meinen Bauch aufschneiden und mich umbringen. So einfach ist das?“
 

„Einfach?!“ Gilbert schüttelte den Kopf. „Das werde ich nicht tun. Es hat schließlich noch nie etwas gebracht, dass Märchen nachzuspielen. Dann wird es nicht schlimm sein, wenn ich das hier auslasse.“
 

„Es klappt nie, weil wir es nie wollen… Also raus schon, aber wenn du mir sagst, dass du mich liebst, fühlst du das dann wirklich? Deswegen lässt das Buch uns nicht raus. Diese Geschichte… Hier spielt Liebe keine Rolle. Du kannst es schaffen“, erwiderte Arthur stur und stand dann auf, ging langsam auf ihn zu und drückte ihm eine große Schere in die Hand. „So kommt wenigstens einer von uns raus. Ich opfere mich gerne für dich.“

Gilbert sah eine Weile auf die Schere und dann zu Arthur, der nickte und die Augen schloss. „Aber eins musst du wissen. Jetzt wo wir uns eh nicht mehr wieder sehen. Ich… Ich mag dich wirklich sehr. Ich habe jedes Ich liebe dich auch so gemeint… Und jede Liebeserklärung die du nicht gemeint hast hat mich glücklich gemacht.“
 

Arthur liebte ihn… Nein, das konnte doch nicht sein. Das hätte er doch bemerkt. Dann hätte er mit ihm geflirtet und… Gott, Arthur hatte schon seit Monaten mit ihm geflirtet. Er hatte das alles nur immer für einen Scherz gehalten. Klappernd fiel die Schere zu Boden und Gilbert umarmte den anderen, drückte ihn so fest wie möglich an sich.
 

„Ich kann das nicht. Im nächsten Märchen werden wir rauskommen. Ich…“
 

Doch da kam wieder das Licht und Arthur verschwand aus seinen Armen.
 

Aufmerksam sah sich Gilbert um, als das Licht verschwand, doch noch konnte er nicht erkennen, was genau das für ein Märchen war. Er befand sich in einem Schloss und trug ein Kleid. Also war er wohl wieder eine Prinzessin. Er machte einen Schritt voran und plötzlich durchfuhr ihn ein Schmerz, als würde er auf Nadeln oder Messern gehen. Sofort sah er hinab, doch der Boden war glatt.

Und als er schwer schlucken musste, bekam er gleich den nächsten Schock. Er hatte keine Zunge. Sie war weg… Einfach weg. Verdammt… Er war in der Geschichte der kleinen Seejungfrau.
 

„Fräulein? Wir setzen Segel. Wenn Ihr jetzt nicht kommt, dann wird das Schiff ohne Euch starten.“

Gilbert nickte, immer noch leicht benommen und lief der Bediensteten hinterher, zuckte bei jedem Schritt heftig zusammen. Warum mussten diese Märchen nur so grausam sein? Dieses Mal hätte er sicher nichts gegen die Disney Version gehabt.
 

Wenige Minuten später stand er mit leichenblassem Gesicht auf dem Schiff, war das doch wirklich eine Tortur. Aber er wusste, wie dieses Märchen ausging und er würde es zu Ende bringen. Dieses Mal war nämlich eins sicher… Er wusste nun, dass er die Gefühle seiner Rolle teilte. Zumindest, wenn Arthur der Prinz war, von was er doch stark ausging.
 

„Gilbert…“
 

Arthur schritt auf ihn zu und Gilbert drehte sich lächelnd um, öffnete den Mund um etwas zu sagen, doch nichts passierte. Stimmt ja, seine Stimme war weg.

„Ich habe das andere Mädchen geheiratet… Aber am Ende werden wir es noch einmal versuchen, nicht wahr? Also muss ich einfach diese Meereshexe besiegen und dann können wir sehen, ob es dieses Mal auch ohne Gefühle Erfolg hat.“
 

Gilbert nickte nur und nahm Arthurs Hand in seine Hand, strich sanft über diese. Mit seinem Blick versuchte er zu sagen, dass alles gut gehen würde, dass Arthur sich nur an die Geschichte halten musste. Und tatsächlich umarmte ihn der andere kurz und ging dann zurück zu seiner Angebeteten. Na da hatte er mal Glück, dass Arthur die Märchen nicht so gut kannte, wie er.
 

Es dauerte auch nur noch wenige Stunden und alle Lichter waren erloschen. Mit hängendem Kopf stand Gilbert an der Reling und kurz darauf tauchten ein paar Frauen aus dem Wasser auf.

„Wir haben von der Hexe ein Messer bekommen. Du musst es dem Prinzen durch das Herz stoßen, bevor die Sonne aufgeht. Wenn sein Blut deine Füße berührt, dann wachsen sie zu einem Fischschwanz zusammen. Beeil dich. In wenigen Minuten geht die Sonne auf und dann wirst du sterben und zu Meeresschaum werden.“

Ein Messer wurde nach oben geworfen und landete klappernd neben ihm auf dem Boden. Er lächelte die Mädchen nur an, hob die Waffe dann hoch und ging auf die Kabinen zu. Er musste das tun. Er wusste genau, dass er das tun musste. Sicher, es würden noch weitere Märchen kommen. Aber was, wenn seine Gefühle nicht ausreichten? Er mochte Arthur und bekam Herzklopfen in seiner Nähe seit dem einen Abend, aber er war nicht unsterblich in ihn verliebt und für heiraten war es auch noch zu früh. Also würde er das hier zu Ende bringen.
 

Mit der Waffe in der Hand schlich er sich in das Zimmer des ‚Prinzen‘ und sah auf ihn hinab, wie er an der Seite eines unbekannten Mädchens lag. Arthur sah so friedlich aus… Aber das war gut. Er sollte sich keine Sorgen machen. Er sollte einfach nur hier rauskommen.
 

Sanft küsste er Arthurs Stirn, ging dann wieder auf das Deck und warf das Messer ins Meer, wo es versank. In der Ferne waren die ersten Sonnenstrahlen zu sehen. Ohne lange darüber nachzudenken kletterte Gilbert auf die Reling und sprang. Und noch während er in der Luft war löste sich sein Körper auf und fiel als Schaum auf die Wasseroberfläche. Aber er konnte immer noch denken und fühlen. Das war wirklich das seltsamste, was er in diesem Buch je erlebt hatte. Über sich sah er durchsichtige Geschöpfe fliegen und er wusste genau, dass der Tod jetzt ein wenig besser werden würde.

Er wurde aus dem Schaum gezogen und hatte ebenfalls einen durchsichtigen Körper.

„Komm mit uns. Zu den Töchtern der Luft. Wenn du dreihundert Jahre lang mit uns gute Taten vollbringst, so wirst du als Mensch wiedergeboren werden und deine Seele wird unsterblich.“

Na bitte. Das war doch schon gleich viel besser. Jetzt musste er nur dreihundert Jahre warten und dann würde er Arthur vielleicht aus diesem Buch folgen können.
 

Er sah zu dem Schiff hinab und sah wie Arthur an der Reling stand, das Meer absuchte und verzweifelt seinen Namen rief. Langsam schwebte er hinab und auch wenn Arthur ihn nicht sehen konnte gab er ihm einen leichten Kuss auf die Lippen. Und das war der erste Kuss in diesem Buch, der wirklich etwas bedeutet hatte für ihn.
 

~*~
 

Arthur wurde von weißem Licht umhüllt und atmete erleichtert auf. Das Märchen war vorbei. Gottseidank. Als er gesehen hatte, wie Gilbert ins Wasser gesprungen war… Sein Herz wäre beinahe stehen geblieben. Aber nun hatten sie ja wieder eine Chance. Er musste nur schnell herausfinden welches Märchen das hier war.
 

Er öffnete die Augen und sah sich um. Das kam ihm alles so vertraut vor… Der Boden, die Schränke, das Sofa und… Das war sein Dachboden. Er war zurück. Vor ihm lag das Märchenbuch. Aber wo war Gilbert?

Das konnte doch nicht sein!

Hektisch sah er sich um, doch keine Spur von dem Preußen.
 

Dann musste er eben zurück. Schnell nahm er das Buch und blätterte, bis er zu dem richtigen Märchen kam, doch nichts passierte. Kein grelles Licht oder ein Sog. Das Buch blieb wie es war. „Lass mich rein verdammt! Lass mich rein“, murmelte er leise und immer noch geschah nichts.

Das konnte doch nicht sein. Was war mit Gilbert? Die kleine Meerjungfrau starb doch nicht am Ende, oder? Eilig las er sich das Ende durch und seine Augen weiteten sich leicht. Das hatte er wirklich nicht gewusst, sonst hätte er das ganze abgebrochen…
 

Aber gut… 300 Jahre… Das war nicht lange. Er war ein Land und lebte schon ewig. Da war das doch wie ein paar Monate.
 

~*~
 

Ein weißes Licht umhüllte ihn und bevor er überhaupt die Augen öffnen konnte fiel ihm schon auch jemand um den Hals. „Dreihundert Jahre und du kannst keine zehn Sekunden warten, um mich zu ersticken?“

Ein zittriges Lachen kam von dem anderen und Gilbert legte seine Arme um ihn, öffnete dann die Augen, um endlich wieder nach all der Zeit Arthurs Gesicht sehen zu können. Und seine Augen sahen ihn immer noch mit so viel Liebe an, wie das letzte Mal, als sie sich gesehen hatten.
 

Jetzt würden auch sie endlich zu ihrem glücklichen Ende kommen.
 


 

~*~

~*~
 

Sorry für die Verspätung.
 

Alle Märchen erkannt?

Wenn nicht hier die Lösungen:

Hänsel und Gretel

Rumpelstilzchen

Dornröschen

Jungfrau Marleen

Aschenputtel

Rotkäppchen

DIe kleine Seejungfrau
 

Alle Märchen sollten unbedingt mal im Orginal gelesen werden.

Gerne hätte ich auch noch Der Froschkönig oder der eiserene Heinrich eingebaut, weil keiner weiß, das der Frosch nicht geküsst, sondern gegen die Wand geworfen wird, hat aber leider nicht reingepasst.

Hätte aus der FF tausende Kapitel gemacht bei meiner Liebe für Märchen :)

Empfehle auch die wilden Schwäne als Lektüre die ich erwähnt habe. Schönes Märchen.



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