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Ausgerechnet Er...

von

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Tempel der Dekadenz

Der Mann atmete schwer, ein sicheres Zeichen, dass die Krämpfe bald wieder einsetzen würden. Was hatten sie ihm da bloß angetan?! Er würde zur Polizei gehen, ganz sicher sogar, aber zuerst musste er etwas erledigen. Er musste es holen. Als er den Gedanken beendet hatte, setzten die Krämpfe ein...
 

Währenddessen grub sich die Rasierklinge in das Fleisch von Kogoro Moris Gesicht.

„Verdammt!“, fluchte der Privatdetektiv, während er sich die Wunde mit etwas Toilettenpapier abtupfte. Er hatte sich seit Wochen nicht mehr rasiert. Aber Frau Hoshino hatte sich unmissverständlich ausgedrückt.

„Wir treffen uns um 19 Uhr. Kommen sie nicht zu spät. Und sorgen sie dafür, das man ihnen nicht ansieht, wie sie sich fühlen.“

Eine verständliche Bitte, wenn man bedachte, dass sie sich in einem der edelsten Stadtviertel Tokios verabredet hatten. Seit zwei Stunden versuchte Mori nun schon verzweifelt, das Leben, dass er in den letzten acht Wochen geführt hatte, zu verbergen.

Ein Pflaster im Gesicht war dabei nicht besonders hilfreich. Aber auch sonst waren billiger Deodorant und der einzige einigermaßen saubere Anzug, den er noch besaß, selbst als Notlösungen fragwürdig. Etwas Extravaganteres hätte sein Budget gesprengt, welches durch seine generelle Auftragsflaute und die Bezahlung für den Skiausflug seiner Tochter Ran ohnehin äußerst knapp bemessen war.

„Es wird besser werden!“, murmelte er zu sich selbst „Mit diesem Auftrag wird alles besser werden.“
 

Der Mund des Detektivs ließ sich nur durch eine enorme Kraftanstrengung seinerseits wieder schließen. Er wusste, dass sie sich in einer edlen Gegend verabredet hatten. Dennoch ließ das riesige Hotel, vor dem er stand, ihn vor Ehrfurcht erstarren. Selbst in seinen besten Zeiten hätte ihn ein Monat Übernachtung in diesem Gebäude zweieinhalb Jahresgehälter gekostet. Starr vor Erstaunen bemerkte der Detektiv nicht, dass eine Person hinter ihm stand.

„Ich habe sie erwartet.“, begrüßte sie ihn.

Er fuhr herum. Obwohl die Frau asiatische Gesichtszüge hatte, wirkte sie nicht japanisch. Ihr ungefärbtes Haar war rotblond und sie war etwas größer als eine durchschnittliche Japanerin.

„Frau Hoshino?“, fragte Mori, nachdem er die Überraschung überwunden hatte.

Für einen Sekundenbruchteil wirkte die Frau überrascht.

„Ja.“, erwiderte sie dann.

„Sie sagten, sie hätten einen Auftrag für mich?“

Sie lächelte: „Kommen sie doch erst einmal mit in meine Suite.“
 

Der Kontrast zu seinem normalen Umfeld wurde Kogoro Mori einmal mehr bewusst, als sie das Palasthotel betreten hatten. Seine Detektei und das darunter befindliche Café hätten problemlos fünfmal in die Eingangshalle gepasst. Der Boden, die Tresen und die Treppen waren komplett aus Marmor. Die Treppengeländer waren mit Blattgold überzogen und es roch nach einem vermutlich sehr teuren Parfum. Erst als Frau Hoshino mehrere Meter vorausgegangen war, traute sich der Privatdetektiv seinen ersten Schritt in diesem Tempel der Dekadenz zu, woraufhin prompt zwei Conscierges auf ihn aufmerksam wurden.

Seine Auftraggeberin drehte sich um und lächelte die beiden Männer an: „Keine Sorge, er gehört zu mir.“

Der Linke antwortete: „Wenn sie das sagen, Frau Hoshino. Raten sie ihrem...“ er schätzte ab, welche Bezeichnung am ehesten auf Mori passen würde „...Freund das nächste Mal zu einer angemesseneren Kleidung.“

Sie bedachten den Detektiven noch eines letzten abschätzigen Blickes und wandten sich dann einem älteren Herrn zu, der sich über irgendeine Belanglosigkeit beschweren wollte.

„Hätten wir uns nicht woanders treffen können?“, fragte Mori unwirsch.

„Keine Sorge, ich verspreche ihnen, es wird sich lohnen.“

Er schnaubte: „Daran zweifle ich keine Sekunde. Sie werden hier ja wie ein Stammgast behandelt. Wohnen sie schon lange in diesem Hotel?“

Yami Hoshino lächelte: „Im Dezember wird es ein Jahr...“
 

Sie waren endlich im sechsten Stock angekommen und befanden sich vor Frau Hoshinos Suite.

„Es ist ein schmutziger Ort, aber bitte treten sie ein.“ sagte seine Auftraggeberin.

Mori musste lächeln. Sie haben keine Ahnung davon, was ein schmutziger Ort ist, dachte er. Und beim Betreten meiner Detektei bekämen sie vermutlich sogar dann einen Herzinfarkt, wenn Ran im Augenblick zu Hause wäre.
 

Sie betraten den Raum und der Privatdetektiv war erleichtert, dass ihm ein weiterer Schock erspart blieb. Der westlich eingerichtete Raum hatte zwar allen Komfort, den man erwarten konnte, war aber nicht annähernd so pompös eingerichtet wie die Eingangshalle.

Die Frauenstimme riss ihn aus den Gedanken: „Setzen sie sich. Wollen sie einen Drink?“ Etwas in seinem Inneren bejahte heftigst, doch in einem kurzen Moment der Vernunft lehnte er ab.

„Ich verstehe – sie wollen noch arbeiten.“, höhnte Frau Hoshino ironisch, während sie sich ein Glas Sherry eingoss. Mori ignorierte sie.

„Was wollen sie von mir?“, fragte er und setzte sich an einen kleinen Tisch.

„Warten sie...“ wurde er gebeten, während sie mit einem Glas in der Hand zu ihm kam.

Sie stellte das Glas ab und holte ihr Portemonnaie aus einer Jackentasche.

Die junge Frau öffnete es und zog eine Fotografie hervor. „...sie sollen diesen Mann finden.“ Ihr Gegenüber zuckte zusammen.

„Das ist doch Uragiri! Yosuteru Uragiri!“

„Ich weiß.“

„Wir haben zusammen studiert. Wir waren eine Zeit lang sehr gute Freunde!“

„Ich weiß.“

„Was hat Yosuteru – ääh, ich meine, warum suchen sie Herrn Uragiri?“

„Er hat der Firma, die ich vertrete, einige schmerzliche Verluste gebracht.“
 

Das Erbrochene klatschte auf den Asphalt. Uragiri war erleichtert. Die Krämpfe waren vorerst vorüber.
 

„Ist er noch bei dir?“, fragte die kalte Stimme.

„Ja, wir müssen noch einige Details besprechen.“

„Beeil' dich lieber, sonst -“

Bevor ihr Gesprächspartner den Rest sagen konnte, hatte Yami Hoshino bereits wortlos aufgelegt. Sie steckte das Handy in ihre rechte Jackentasche und ging zurück zu ihrem Gast, der gerade die Minibar beobachtete und mit seinen Fingern spielte. Ihr Räuspern ließ ihn aufschrecken.

„Nun, Herr Mori, was denken sie über den Auftrag?“

„Ich weiß immer noch nicht was ihnen Uragiri eigentlich getan hat...“

Das Handyklingeln hatte ihr Gespräch unterbrochen.

„Er hat Firmengelder unterschlagen. Nähere Details würden zu tief in Geheimnisse der Firma gehen, die ich vertrete.“

Er schaute etwas verwundert: „Warum wenden sie sich nicht an die Polizei?“

Wieder einmal zeigte sie ein geheimnisvolles Lächeln: „Die Polizei würde unserem Fall keine angemessene Priorität einräumen.“

Die Verwunderung war immer noch nicht aus seinem Gesicht verschwunden: „Warum ausgerechnet ich? Es gibt Hunderte Privatdetektive in Tokio und Tausende, die sie mit ihrem Budget hierher holen könnten!“

„Es gibt einige Gründe: Sie waren früher bei der Polizei und bringen sicherlich Berufserfahrung mit ein. Sie sind mit den Kreisen, in denen Herr Uragiri verkehrt, vertraut. Außerdem glauben wir an zweite Chancen. Herr Uragiri dürfte ihnen vertrauen – wir hoffen, dass sie uns helfen können, eine friedliche Lösung für diese Angelegenheit zu finden, die einem langjährigen und loyalen Mitarbeiter das Gefängnis erspart. Aber ehrlich gesagt – das sind nicht die ausschlaggebenden Gründe.“

„Was ist der ausschlaggebende Grund?“

„Sie sind kein schwieriger Verhandlungspartner...“
 

„Ich verstehe...“, sagte Mori und setzte eine eigenartige Miene auf.

„Verstehen sie mich nicht falsch,“, erwiderte sie „wir halten sie für kompetent. Aber ihre momentane finanzielle Situation erlaubt uns einen schnellen Deal. Und Schnelligkeit ist genau das, was wir brauchen.“

Der Detektiv seufzte: „Wie sieht ihr Deal aus?“

Hoshino setzte das Lächeln eines Anglers auf, der gerade einen besonders großen Fisch gefangen hatte: „Sie erhalten zehn Millionen Yen, eine davon als Vorschuss. Sie haben keinerlei Bedenkzeit – bevor sie dieses Hotel verlassen, will ich eine Antwort von ihnen haben. Ihr Ziel ist es, Uragiris Aufenthaltsort herauszufinden. Sobald Sie diesen haben, übermitteln Sie ihn an uns. Sie erhalten dann weitere Anweisungen. Keine Kontaktaufnahme ohne Genehmigung – und auch sonst ist absolutes Stillschweigen zu bewahren. In spätestens zwei Tagen wollen wir wissen, wo Uragiri ist, sonst ist unser Deal ungültig.“

Er rieb sich das Kinn: „Werde ich einen Vertrag unterzeichnen?“

„Nein. Aber Sie werden dieses Hotel mit einem Vorschuss von einer Million Yen verlassen. Selbst wenn wir uns nicht an die Vereinbarung halten würden, hätten Sie immer noch einen Gewinn gemacht.“
 

„Nehmen sie an oder nicht?!“

Die Sache stinkt schlimmer als meine Detektei. Aber das Geld. Ich muss doch für Ran sorgen. Ran braucht es. Er bemerkte, dass er anfing, sich etwas vorzulügen. Ich brauche es. Was ist schon dabei, sich ein schöneres Leben zu wünschen? Es ist ja nur ein Auftrag. Sie wollen ihn ja nicht einmal anzeigen.

„Ich nehme an.“ Die Frau lächelte, auch wenn sie plötzlich nicht mehr übermäßig erfreut wirkte.

„Das ist gut. Nehmen sie dieses Handy. Es ist eine Spezialanfertigung, mit der sie mit uns Kontakt aufnehmen können, sobald sie Uragiri gefunden haben. Benutzen sie es erst dann, ist das klar?!“

Das wenig formschöne Gerät hatte nur einen Knopf mit einem roten und einen mit einem grünen Hörer. Keine weiteren Tasten. Kein Bildschirm.

So ein Telefon hätte Eri mir mal schenken müssen. Dann hätte ich definitiv weniger Frauenbekanntschaften gehabt, dachte Kogoro ironisch, während Frau Hoshino das Bild von Yosuteru Uragiri zurück in ihr Portemonnaie steckte. Plötzlich ertönte das laute Geräusch einer Krähe. Die rotblonde Frau erschrak und ließ das Portemonnaie auf den Boden fallen. Moris blick fiel auf den Pass, der herausgerutscht war und ausgeklappt auf dem Boden lag. Seine Auftraggeberin bemerkte seinen Blick, erschrak und hob ihn dann hastig auf.

„Du heißt nicht Yami Hoshino!“ Die Frau sagte nichts.

„Und du bist erst...“

Endlich reagierte sie.

„Diese Details vergessen Sie besser. Sie haben keinerlei Einfluss auf ihren Auftrag.“, sagte sie, während ihre Gelassenheit einer Art ängstlichen Wut wich.

Yami Hoshino hob ihr Portemonnaie auf, zählte ein großes Bündel an Scheinen ab und gab es ihm.

„Das ist ihr Vorschuss. Ich erwarte weiterhin von ihnen, dass Sie die Sache ernst nehmen. Ich muss Sie bitten, das Hotel jetzt zu verlassen.“
 

Als eine Million Yen und der sehr verwirrte Kogoro Mori die Suite verlassen hatten, brach das Mädchen in Tränen aus. Warum hatte sie nur ihren Pass mitgenommen? Und warum hatte sie zugelassen, dass er ihn sieht?!
 

„Ist er mit im Boot?“

„Ja, er hat angenommen.“

„Du hörst dich komisch an... Gibt es irgendetwas, dass ich wissen sollte?“

Er hat meinen Pass gesehen. Meinen echten Pass.

Sie lächelte auf eine zynische Weise. Wenn sie das sagen würde, wäre Kogoro Mori zum Tode verurteilt. Und auch ihre Position in der Nahrungskette dieser Organisation war nicht vorteilhaft für ein Versagen dieser Art.

„Nein. Gibt es nicht.“

Er seufzte: „Dann ist's ja gut.“ Sein Tonfall verheimlichte nicht, dass er ihr immer noch misstraute.

Sie atmete erleichtert auf: „Dann auf wiederh-“

Bevor das Mädchen in der Lage war, den Satz zu vollenden, wurde es unterbrochen: „Eins noch, Shiho: Leg nie wieder auf, wenn ich mit dir spreche!“

Ehe eine Antwort folgen konnte, war die Leitung tot.
 

Kogoro Mori stöhnte. Sie hatte um so vieles älter ausgesehen. Konnte er so einen Auftrag überhaupt ernst nehmen? Die Million, die er zusammen mit dem Handy in seiner Tasche hatte, schien ihm förmlich ein Ja entgegenzubrüllen. Aber trotzdem. So jung...

Vermutlich hat mir der Alkohol die ganzen Gehirnzellen weggebrannt. Früher hätte ich gewusst, was zu tun ist, resignierte er, während er den fünften Block des Sosekiviertels entlanglief.

Als sein Blick auf eine Telefonzelle fiel, erinnerte sich der ehemalige Meisterdetektiv an sein Vorhaben, seine Tochter heute noch anzurufen. Er brauchte einige Zeit, um sich zu ihr durchzutelefonieren und als er sie endlich erreicht hatte, war seine Telefonkarte bereits zur Hälfte aufgebraucht.

„Hallo, Mausebein. Macht das Skifahren Spaß?“

„Paps! Ja, hier ist es fantastisch! Und man trifft lauter berühmte Leute! Sie wollen hier einen Film drehen! Ich hab' sogar Shohei Minowa gesehen.“

„Das ist schön zu hören.“

„Paps... Was ist mit dir? Du klingst so bedrückt...“

„Es ist nur... Ich habe jetzt wieder einen Fall.“

„Das ist doch toll! Herzlichen Glückwunsch!“

„Ja, das denke ich auch. Hör mal, ist bei dir wirklich alles in Ordnung. Sind die Skilehrer alle nett?“

„Ja, die sind alle in Ordnung. Es nervt nur, dass sie uns manchmal wie Kleinkinder behandeln. Sie nehmen uns Minderjährige überhaupt nicht ernst.“

„Ach, mach dir darüber keinen Kopf. Sie wollen doch nur, dass euch nichts passiert – damit wir Eltern uns nachher nicht aufregen.“

Sein Blick fiel auf die Anzeige der Telefonzelle: „Meine Telefonkarte ist gleich alle. Ich muss Schluss machen. Mausebein, ich hab dich li-“

Klack. Das Gespräch wurde unterbrochen. Die Karte war leer. Mori gab dem Apparat noch einen wütenden Hieb, den eine wartende Frau mittleren Alters mit Stirnrunzeln quittierte. Dann verließ er die Zelle.
 

Der schwarze Wagen hielt im fünften Block des Sosekiviertels.

Sein Beifahrer sprach in ein Funkgerät: „Wir haben Mori gefunden – der Sender funktioniert.“

Die Frau am anderen Ende lachte kurz auf: „Dann kann die Jagd ja losgehen...“



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