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Die große Leere

von

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Erdbeerflutsche

XXI. Erdbeerflutsche
 

Ein leichter Niesel hatte eingesetzt, immer noch sommerlich warm, aber vom nahen Herbst kündend. „Und was machen wir jetzt?“ fragte Justin einigermaßen ernüchtert, aber immer noch leicht schwankend, „hauen wir ab? Buchen wir separate Zimmer und schlagen uns ein paar Stunden aufs Ohr?“ „Willst du das?“ fragte Brian mir einer gewissen Schärfe in der Stimme. „Ich weiß nicht. Aber wahrscheinlich sollten wir uns sowieso zuerst die Suite anschauen. Wenn wir nicht Morgen haargenau jede Kleinigkeit kommentieren können, mit denen uns ihr mieser Geschmack bedacht hat, sind wir sowas von dran. Vielleicht sollten wir erst mal hochgehen. Dann können wir weiter überlegen.“ Brian murmelte zustimmend etwas Unverständliches. Sie strafften sich und durchliefen so selbstbewusst und gerade, wie ihre Garnierung mit Reis und Konfetti sowie ihr angesäuselter Zustand es zuließen, das Foyer. Ein paar neugierige Blicke blieben an ihnen kleben. Mochten die doch denken, was sie wollten, sie waren zu erledigt, um sich noch darum zu scheren. Das Hotelpersonal nahm ihre Ankunft diskret zur Kenntnis und wies ihnen formvollendet den Weg zu ihrem Raum.
 

Der elegant verspiegelte Lift gondelte quälend langsam bis in das höchste Stockwerk. Justin lehnte mit halb geschlossenen Augen gegen die Wand mit der Anzeigetafel, Brian stand neben ihm und starrte die aufblinkenden Lichter der vorüber sausenden Etagen an. Der Lift ließ ein antiquiertes Läuten erschallen und fuhr seine Türen auf, sie waren da. Vorsichtigen Schrittes traten sie in den Flur. Es herrschte eine gedämpfte Beleuchtung, der teure Teppich schluckte ihre Schritte. Nur wenige Zimmer lagen in dieser Etage. Brian zückte die Schlüsselkarte aus seiner Brusttasche und entriegelte die Tür. „Nun, heben wir unsere Ärsche dann Mal über die Schwelle“, orderte er, den schwankenden Justin nicht aus dem Blicke lassend. Justin ging mit der in seinem Zustand höchstmöglichen Würde ins Innere der Suite, Brian folgte ihm und zog die Tür hinter ihnen zu.
 

Der Raum war von dezentem Kerzenlicht erhellt. Auf dem Tisch vor dem gigantisch anmutendem Bett stand ein bestückter Sektkühler. Das Panoramafenster gewährte einen atemberaubenden Blick über das frühabendliche Toronto. Justin tat ein paar Schritte und ließ sich bäuchlings auf die exquisit gefederte Matratze fallen. „Uff…“, entfuhr ihm, dann, „was ist das denn?“ Seine Finger ertasteten die Überdecke und hoben ein paar in der duffen Beleuchtung fast schwarz aussehende Fragmente hoch. „Rosenblätter!“ entfuhr ihm, „sie haben uns das gottverfluchte Bett mit Rosenblättern vollgekippt!“ „Hier war Debbie am Werke… was hast du erwartet?“ Brian musste gegen seinen Willen grinsen. Über Debbies Geschmack konnte man vor allem eines sagen: Er war konsequent.
 

Justin streckte sich und langte nach einem liebevoll verschnürten Präsentkorb auf dem Nachtisch. Etwas unkoordiniert öffnete er die Verpackung, während Brian vorsichtig auf der Bettkante Platz nahm. Justin kippte den Inhalt auf das Bett. „Ingwerblättchen in Schokolade… mmm… was ist das? Ein schwules Kamasutra – glauben die ernsthaft, wir hätten noch was zu lernen?... Ein echter Badeschwamm – der wird Gus gefallen… und… oh Gott, Erdbeerflutsche!“ Irritiert lauschte Brian auf:“Erdbeer… was?“ „Gleitgel mit Erdbeergeschmack, oh hier ist noch mehr… Vanille, Rose… Senf?! Wer stellt denn sowas her?“ „Immerhin werden wir nicht verhungern…“ warf Brian mit hochgezogener Augenbraue ein. „Als ob du etwas mit ungewissem Kaloriengehalt essen würdest!“ Justin streckte sich wieder auf den Bauch und schwieg. Nach ein paar Minuten war Brian fast zu der Überzeugung gelangt, dass er eingeschlafen wäre.
 

„Justin? Alles okay?“ fragte er leise.
 

„Ja“, hörte er gemurmelt, “nur etwas besoffen.“
 

„Kein Wunder, so wie du diesen Fusel in dich rein gebechert hast!“
 

„Hatte auch allen Grund dazu. Dieser Überfall war ganz schön heftig! Hat alles so… echt gemacht. Außerdem heiratet man nur einmal.“
 

Brian hatte plötzlich einen Kloss in der Kehle stecken: „Frag Mal Liz Taylor zu diesem Thema… Und außerdem: Es war echt. Hier und jetzt – sind wir wirklich und allen Ernstes verheiratet.“
 

„Ich heirate nur einmal. Und darum ging’s ja auch – so echt wie möglich, nicht wahr? Für Gus“, Justins Stimme klang merkwürdig bitter.
 

„Nicht so echt wie möglich. Einfach echt. Und scheiß auf diese Idioten in Pitts! Wir sind verheiratet!“ entfuhr es Brian stur.
 

Justin rappelte sich auf und legte sich auf die Seite, ihm zugewandt. „Und was ist mit uns?“ fragte er, sein Blick war plötzlich erschreckend klar.
 

Brian schlug die Augen nieder, wich aber nicht vor ihm zurück: „Bereust Du’s? Ich habe dir gesagt, das du das nicht hättest tun müssen.“
 

„Doch, musste ich“, antwortete Justin unbeirrt, dann wurde seine Stimme sanft, das Blau seiner Augen schien sich im Kerzenschein zu verdunkel: „Warum hast du mich geheiratet, Brian?“
 

Brian hatte das Gefühl, dass Justin ihm bei lebendigem Leibe die Haut abzog, um in sein Innerstes zu sehen. Er langte nach der Zigarettenpackung, die er im Inneren seiner Anzugtasche verborgen hatte. „Das weißt du doch“ sagte er ausweichend.
 

„Nein, weiß ich nicht. Und bei mir bin ich mir da auch nicht so ganz sicher. Meine Mutter sagte zu mir, als ich ihr die ganze Geschichte erklärt habe, dass niemand auf Erden einen von uns zu etwas zwingen kann, was wir nicht irgendwie wollten. Kein Scheiß-Sorgerechtprozess. Keine Spießer in Richterroben. Niemand.“
 

Brian drehte die Zigarette in seinen Fingern. Er schloss die Augen. Verdammt sei Jennifer Taylor. „Kann sein“, versuchte er sich, „dass irgendwas in mir das immer noch wollte. Trotz dem, was wir beschlossen hatten. Ich weiß, das ist idiotisch.“
 

„Muss es nicht sein. Was bedeutet Ehe für dich, Brian?“ fragte Justin, ihn mit wachem Blick musternd.
 

Humorlos lachte Brian auf: „Ewige Verdammnis? Ein Freiflugticket nach Stepfordhausen? Frag dazu jemand anderen – denn ich habe keine Ahnung. Die einzige langwährende Beziehung, deren Zeuge ich je war, war die meiner Eltern – und die war definitiv ein abschreckendes Beispiel.“
 

„Und du hast mich dennoch damals gefragt?“
 

„Du solltest glücklich sein, nicht ich.“
 

„Das war eine saublöde Idee.“
 

„Das hast du mich eingehend spüren lassen, ich hab’s verstanden“, Brian wühlte nach seinem Feuerzeug. Justin schaute ihn fragend an, so reichte er ihm auch eine Zigarette.
 

„Schon mal auf die Idee gekommen, dass es nicht so sein muss? Dass eine Ehe nicht zwangsläufig ein Ticket zur Hölle sein muss?“
 

„Ja, das wollen uns alle Hollywood-Filme immer glauben lassen. Aber sie zeigen nie das danach. Ich habe Mal gelesen, dass der heterosexuelle Fortpflanzungszyklus etwa vier Jahre umfasst. Danach ist die Brut aus dem Gröbsten raus und man kann wieder getrennter Wege gehen. Die Liebeshormone sind verbraucht.“
 

„Da sind wir zeitlich drüber hinweg. Und das, wovon du sprichst ist Verliebtheit. Keine Liebe.“
 

Brian zündete erst Justin, dann sich eine Zigarette an, dann fragte er: „Und was ist Ehe für dich, Sonnenschein?“
 

„Nicht das Ende aller Dinge. Der Anfang. Eine Chance. Eine Chance, gemeinsam Zielen nachstreben, einander zu respektieren, zu stützen – und zu lieben. Gemeinschaft, ohne Opfer, aus freiem Willen. Ich habe viel darüber nachgedacht in New York. Vertrauen. Achtung. Stolz auf einander. Ein erfülltes Leben.“
 

Brian schluckte und nahm einen tiefen Zug: „Und wo stehen wir dann jetzt?“ „Ich denke, wo wir entscheiden, dass wir stehen. Ist dies nur ein Arrangement für Gus‘ Wohlergehen? Oder ist das auch eine Chance für uns, mehr zu sein…?“ Justins Stimme war fest geblieben, obgleich in rauer Unterton sich eingeschlichen hatte.
 

„Nichts ist selbstverständlich“, sagte Brian, mehr zu sich selbst, „das Leben geht weiter. Die Liebe bleibt nicht stehen. Sie verändert sich. Wir verändern uns. Allein – oder miteinander? Das ist wohl die Frage.“
 

Auf Justins Zügen lag kurz ein vages Lächeln „Ja, Hamlet. Und die Frage ist: liebst du mich? Nein, ich weiß, dass du das tust. Vielmehr: Bist du bereit, es zu wagen? Ein gemeinsames Leben – und diesmal in Aufrichtigkeit?“
 

Brian wandte sich zu ihm um. Die Zigarette verglimmte in seinen Fingern, ohne dass er es zur Kenntnis nahm. „Ich will, Justin“, sagte er mit ruhiger, aber kräftiger Stimme. Auf Justins Zügen leuchtete ein Lächeln, dass in Brians Augen die Sonne wie einen fauligen Pfirsich neben ihm erscheinen ließ. „Und was ist mit dir, Sonnenschein?“ flüsterte er.
 

„Ich will“, antwortete Justin nur.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  brandzess
2011-08-16T16:17:40+00:00 16.08.2011 18:17
wie süß!
die ehe zählt aber erst ab hotelzimmer!


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