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Wodka & Coffee

von

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March on!

→ Suzie Hatcher
 

Ich hatte durch das letzte Wochenende endlich wieder meinen Weg zu Jessy gefunden. Zwar war mir spät aufgefallen, dass ich sie vermisst hatte, doch besser spät als nie, oder? Jessy schien selbst ziemlich froh darüber zu sein, dass sie wieder die ungeschlagene Nummer eins für mich darstellte, auch wenn ihr der Verlust von Patrick noch Tage lang schwer im Magen lag. In der Schule ging sie ihm strikt aus dem Weg - genauso wie ich James. Wieso? Ich wollte nicht einfach voreilig Schluss machen...ich wollte einfach vorerst etwas Abstand gewinnen und vielleicht sogar lernen, ihn zu vermissen. Denn wenn mir dies gelang, würde das bedeuten, dass es fürs Aufgeben noch zu früh war.

Den Satz Wer nicht hören will, muss fühlen haben wir als Kinder sicher alle schon einmal gehört. Und der ein oder andere mag ihm eventuell auch heute noch begegnen. Ich hatte mich das erste Mal in meinem Leben für diesen Satz entschieden und seinen Sinn wirklich begriffen - damals war ich bloß genervt von solchen Möchtegern-Elternweisheiten. James hörte nicht auf mich, wenn ich ihn darum bat mir etwas Ruhe zu gönnen, also musste ich sie mir einfach nehmen. Die ersten weiteren Schultage zogen schnell an uns vorbei. Natürlich hatte James mich angerufen und mir geschrieben, um herauszufinden was los war. Ich für meinen Teil stellte jedoch nicht um - ich blieb bei der Abstandsidee.

Und wie bereits verraten, ereigneten sich an einem der folgenden Schulmorgen unerwartete Situationen...
 

→ Let‘s listen to Jessica first.
 

Erleichtert betrat ich das Schulgelände. Heute stand kein Unterricht an sondern ein gemeinsamer Ausflug, was für mich hieß, dass ich nicht ständig auf der Flucht vor einem möglichen Gefühlszusammenbruch sein musste. Meine Klasse sollte sich auf dem Schulhof treffen, wo ich die ersten verschlafenen und unbeeindruckten Gesichter entdeckte.

Museumsbesuche zählten nicht zu den Freuden des Schulalltags...doch war es angenehmer als trockener Unterricht in einem ungemütlichen Klassenzimmer. Zu meinem Glück war auch Adrian schon da.

Ich gesellte mich zu ihm und seinem Kumpel Mitch - den einzigen Leuten meiner Klasse, mit denen ich mich wirklich blendend verstand.

„Sag bloß, du freust dich aufs Museum?“, hakte Adrian kurz nachdem wir uns überhaupt begrüßt hatten nach. Man sah mir meine Erleichterung also an?

„Besser als Unterricht, hm?“, konterte ich lachend und zuckte mit den Schultern.

Nach und nach trafen immer mehr unserer Mitschüler ein, sodass wir uns pünktlich auf den Weg machen konnten. Mit der Bahn fuhren wir in die Stadt. Zu meiner Verwunderung hing ein neuen Gesicht beinahe ununterbrochen an Adrian und Mitch - Matthieu. Und obwohl er immer wieder versuchte mich freundlich in deren Gespräche einzubinden, hielt ich mich lieber im Hintergrund. Zwar ging ich schon eine Weile mit ihm in eine Klasse, doch war es mir unangenehm mit ihm zu sprechen, da er mir vorher nie weiter aufgefallen war und ich nicht einmal seinen Namen kannte.

In wirrem Gedränge quetschten wir uns schließlich hektisch aus der Bahn, als wir im Herzen der Stadt angekommen waren. Da ich vor lauter Füßen meine eigenen kaum noch im Blick gehabt hatte, war ich - dooferweise - auf die des Unbekannten getreten: „Oh, mist. Entschuldige!“, ergriff ich betroffen das Wort, doch winkte er mit einer noch genauso freundlichen Miene wie zuvor ab: „Nichts passiert. Nach dir.“, er ließ mich erst aus der Bahn steigen und wartete mit mir auf Adrian, der im Gedränge untergekommen war. Vielleicht hatten wir ihn auch einfach übersehen - Sonderlich groß war er immerhin nicht.

„Hey, jetzt kommt endlich! Was steht ihr da so rum?“, ich fuhr leicht zusammen, als ich sein Rufen plötzlich hinter mir vernahm. Also doch - übersehen.

Ich drängelte mich also mit meinem männlichen neuen Aufpasser zu unserer Gruppe vor. Die gesamte Zeit über wich mein blonder Klassenkamerad mir nicht von der Seite. Was ich dazu zu sagen hatte? Nunja...es gefiel mir. Nach diesen angesammelten Niederlagen, die ich durch Patrick hatte ertragen dürfen, tat es gut zu wissen, dass man doch eine Rolle im Leben spielte und es noch immer Menschen gab, die einen wirklich kennenlerenen wollten.

Und mal ganz unter uns...auch rein optisch zog mich irgendetwas an ihm an.

„So, ich zähle jetzt noch einmal durch und gehe dann zuerst alleine nach drinnen, um die Gruppenkarte einzulösen. Benehmt euch, verstanden?“, machte sich unsere Lehrerin bemerkbar, als wir vor dem großen Gebäude stehen blieben. Weit und breit war niemand zu sehen. Morgendliche Schulausflüge kollidierten selten mit den Zeiten, in denen normale Menschen unterwegs waren. Und dann standen wir da. „Vielleicht haben wir ja Glück und die lassen uns nicht rein.“, scherzte Adrian hoffnungsvoll. Und was dann? Zurück zur Schule und zum Unterricht antanzen? Bitte nicht.

Die Arme verschränkt wurde ich unwillkürlich erneut an Patrick erinnert. Wurde ich den Kerl nun nie mehr aus meinem Kopf los? Nicht in die Schule..., betete ich heimlich.

„Ist dir kalt?“, riss mich Blondi plötzlich aus meinen Gedanken und hatte mir im nächsten Moment auch schon behutsam seine Jacke über die Schultern geworfen.

„Hör auf so zu schleimen, Matthieu!“, lachte ihn Mitch frech aus. Ich selbst war zu verwundert, um mich zu Wort zu melden. Matthieu? Immerhin kannte ich nun seinen Namen. „Danke.“, rutschte es mir vorsichtig über die Lippen, als die Jungs aufgehört hatten ihn aufzuziehen. Wenn mich nicht alles irrte, lag in seinem Blick Stolz und vielleicht sogar etwas Verlegenheit, als er lächelnd abwinkte und mir versicherte, dass er diese Geste als selbstverständlich sah.

Den Rest des Vormittags über trug ich seine Jacke und hielt mich in Matthieus Gegenwart auf. Wir verstanden uns bestens - das Eis war also gebrochen. Immer wieder erntete ich verwunderte Blicke, wenn wir über einen Spruch beide zu lachen begannen und die anderen nicht wussten, was in uns vorging. Ich fühlte mich wohl. Und wenn er mich so ansah, hatte ich endlich wieder das Gefühl interessant genug zu sein. Selbst wenn es bloß für ihn war. Wen kümmerte schon Patrick? Sollte er doch sehen, wie er ohne mich zurecht kam! Er würde bestimmt irgendwann zurückkommen...wenn er einsah, dass ich doch etwas besonderes war und seine Freundin ihn halb zu Tode langweilte. Doch...was dann? Ich wusste insgeheim, dass eine einfache Begrüßung von ihm mich jedes mal aus den Schuhen hob. Und ich wusste auch, dass ich nicht auf seiner persönlichen Ersatzbank sitzen wollte. Doch das tat ich. Und es fühlte sich an, als hätte man mir Sekundenkleber unter den Allerwertesten geschmiert, der schon lange getrocknet war. Ich kam einfach nicht los!

„So öde war es doch garnicht.“, hallte Matthieus Stimme lachend an mir vorbei.

„Machst du Witze? Ich wäre fast eingeschlafen!“, jammerte Adrian gähnend und streckte sich genüsslich, als wir endlich wieder in der Bahn saßen. Die Zeit war verflogen wie am Schnürchen. „Ich fand es wirklich schön.“, diese Worte ließen mich aufsehen und unsere Blicke trafen sich erneut. Irgendetwas sagte mir, dass ich vorsichtig sein sollte...doch auf der anderen Seite - Wozu? Was sollte schon passieren? Vielleicht hieß mein Schicksal ja Matthieu. Außerdem war er nicht gerade von der gefährlichen Sorte...

[An dieser Stelle spreche ich euch mal wieder direkt an: Jessy war auf der verzweifelten Suche nach dem Richtigen. Schon immer. Sie glaubte an die wahre Liebe und daran, dass man den potentiellen Partner bereits in der Oberstufe treffen konnte. Wenn ich mich frag - totaler Unsinn.]

„Ich kann auch nicht klagen.“, gab ich auf seine Worte lächelnd zurück und lehnte mich leicht an ihn, was ihm den Freifahrtschein überreichte den Arm lässig um mich zu legen. Adrian und Mitch warfen mir einen irritierten Blick zu, schwiegen jedoch. Sie wussten, dass jegliche Frage gerade ziemlich ungünstig war. Nicht nur, weil ich ohnehin keine Antwort auf meinen plötzlichen Umschwung und mein Verhalten hatte, auch weil ihnen klar war, dass ich Matthieu gerade nicht einfach mit einem unbeschwerten: Zwischen uns würde nie etwas laufen, mein Herz gehört einem anderen (,der es eigentlich garnicht will...oder verdient hat),abhaken würde - auch nicht wenn diese Worte wahr gewesen wären.

Doch irgendwann konnte ich ihnen nicht mehr ausweichen, da auch die Rückfahrt ein Ende nahm und unsere Gruppe sich nach und nach auflöste. Auch Matthieu musste ich verabschieden. Bevor ich mich ebenfalls auf den Weg machen wollte, gab ich ihm seine Jacke zurück und bedanken mich ein letztes mal. Er schenke mir erneut ein herzliches Lächeln und nahm mich zum Abschied behutsam in den Arm, ehe er verschwand.

„Du spinnst doch.“, stellte Adrian frech fest, als Matthieu außer Reichweite war.

Ich drehte mich zu ihm um und sah ihn an,als würde ich nicht wissen, was er meinte.

„Seit wann sagt dir Matthieu zu? Was ist mit dem anderen Kerl?“ - und schon wieder war Patrick da ohne überhaupt anwesend zu sein, das war zum Haare raufen...

„Mit dem anderen Kerl? Nichts, was soll da sein...er ist bloß ein Bekannter.“, winkte ich stur ab, doch biss Adrian nicht an.

„Bis heute Morgen hast du noch nie ein Wort mit Matthieu gewechselt. Ein Wunder, dass du überhaupt seinen Namen kanntest!“ - erwischt, doch ließ ich mir nichts anmerken.

„Vielleicht hat er mir ja vorher schon gefallen.“, schwindelte ich grinsend.

„Auf keinen Fall.“, damit hatte er Recht. Matthieu war nicht mein Typ. Doch wie sagte man so schön? Der Charakter zählte. Vielleicht passte es ja. Noch standen alle Türen offen.

„Wie auch immer. Ist ja nicht so, als wären wir plötzlich ein Pärchen.“, ließ ich das Thema schließlich fallen. Genug davon.

„Ich muss los. Suzie ist bestimmt auch gerade auf dem Heimweg, vielleicht erwische ich sie noch.“, ohne mich noch einmal zu Adrian umzudrehen, lief ich los. Obwohl ich Suzie erst 24 Stunden nicht gesehen hatte, fehlte sie mir schon wieder. Außerdem gab es Neuigkeiten!
 

→ Good mornin‘ Suzie Hatcher.
 

Mich rettete heute leider kein Ausflug. Für mich hieß es rücksichtslos: Schulbank drücken.

Als hätte es nicht ausgereicht, dass ich heute Morgen nicht aus dem Bett gekommen war und mächtig verschlafen hatte, nein...mir standen drei Stunden Mathematik bevor. Wieso? Nunja...unsere Klassenlehrerin/Mathelehrerin hatte es so beschrieben: Mathematik ist das wohl Wichtigste in eurem Leben. Jede freie Minute wäre eine Verschwendung! Ich für meinen Teil hätte nichts dagegen gehabt 135 Minuten des heutigen Morgens zu verschwenden. Doch mich fragte ja niemand.

Meine Mutter hatte mich erschrocken ins Badezimmer gescheucht, als sie mitbekommen hatte,dass ich nicht aufgestanden war und fuhr mich eilig zur Schule - es gab kein Entkommen. Und da ich ein wenig Angst vor der Frau hatte, die das wohl schlimmste Schulfach überhaupt unterrichtete, hechtete ich die Treppen des Schulgebäudes hinauf und übersah dabei wie Ian um die Ecke bog: „Vorsicht.“, ergriff er das Wort im rechten Moment grinsend und erinnerte mich somit rechtzeitig ans abbremsen.

„Oh, tut mir Leid. Ich hab dich nicht gesehen.“, es ließ sich bisher an einer Hand abzählen wie oft ich bereits mit Ian geredet hatte. Wir saßen zwar jeden Morgen im selben Raum und durften uns dasselbe Gerede anhören, dennoch würde ich beim Zählen nicht einmal auf fünf mal kommen.

„Nicht gesehen? Das nehme ich dir aber übel.“, für einen kurzen Moment nahm ich ihn beim Wort. Er war beliebt und selbstbewusst. Somit war wohl klar, dass er stets von allen gesehen wurde, weil jeder ihn sehen wollte. Oder zumindest...fast jeder. Mir kam es zumindest so vor.

Zwinkernd lief er um mich herum in die Richtung aus der ich gerade gekommen war.

Hatte ich bereits erwähnt, wie gut Ian aussah? Bestimmt.

Dabei konnte ich mich daran erinnern, dass er mir in den ersten Schultagen nicht im Geringsten aufgefallen war. Bis er sich irgendwann in der Klasse albern aufgespielt hatte und seinen Charme einsetzte, um seinem Rufe alle Ehre zu machen.

Damals hatte ich bloß Augen für Mike gehabt. Den reizenden Herren in dem blauen Pullover. Erinnert ihr euch? Falls nicht, auch kein Problem. Es stellte sich mit der Zeit nämlich heraus, dass er bloß gut aussah. Sonst war er eher ruhig und vernünftig. Der perfekte Schwiegersohn. Leider bevorzugte ich die Sorte Mann, die das Gegenteil verkörperte.

Frech, selbstbewusst, arrogant und draufgängerisch. Außerdem stand ich auf Musiker.

Wieso? Ich hatte keine Ahnung...aber ich kann mich an eine Unterhaltung mit der besten Freundin meiner Mutter erinnern, die mir damals von Musikern abgeraten hatte: Kind, du stehst bloß auf solche Kerle, weil du automatisch zu ihnen aufschauen musst, wenn sie auf der Bühne stehen. Sie ergreifen intollerant das Kommando in einer Beziehung und nutzen es aus zu wissen,wie beliebt sie sind!, hatte sie mich damals gewarnt - ohne Erfolg. Was war schlimm daran als Mann seine Rolle des stärkeren Geschlechtes zu übernehmen und etwas Gegenwind zu bieten? Nicht, dass ich unterdrückt werden wollte...manchmal jedoch musste ich es einfach werden, da ich sonst die Gefahr lief aus den Fugen zu geraten.

[Somit ist es auch hier wieder einmal bewiesen: Ich tickte völlig anders als Jessy. Ich gab mich mit dem Hier und Jetzt zufrieden. Niemals wirde ich auf die Idee kommen, mir jetzt schon gedanken über den Richtigen und mögliche Beziehungen bis an mein Lebensende zu machen. Was unteranderem James ein Dorn im Auge zu sein schien, da er Beziehungstyp Nummer drei abgab: Den Warmherzigen(oder wenn ihr es unfreundlich ausdrücken wollt: Der Klammerer.) Seine Merkmale lassen sich schnell zusammenfassen: Sensibel, tollerant, emotional, treu, verlässlich, begeisterungsfähig, ungerne alleine und Nähe suchend. Meine Wenigkeit hingegen war wohl eher Typ Nummer eins: Der Einzelgänger/Vermeider oder Nummer vier: Der Charismatische – Kritisch, individualistisch, vermeidet tiefgründige Emotionen, zynisch, explusiv und klammert sich stets an das tiefe Verlangen nach Freiheit. Wenn ihr mich Fragt...Jessy gehörte ebenfalls eher Typ 3 an.]

Ian nachgesehen hatte ich meinen Schritt verlangsamt und ging nun gemächlich auf den Raum zu,der unser Klassenzimmer darstellte. Die Tür war verschlossen, also klopfte ich lautstark, da ich bereits wusste, dass meine Klassenkameraden sich nur ungerne zur Tür begnügten um zu öffnen, wenn sie gelassen zusammen saßen und sich unterhielten oder herumblödelten. Zu meiner Überraschung machte man mir jedoch schnell auf...allerdings stand vor mir niemand meines Alters. Nein, es war die Frau die mir bereits einen Schauer über den Rücken jagte, wenn ich nur an sie dachte. Streng und verärgert sah sie mich an: „Zu spät. Sehr schlechter Stil! Außerdem könnten sie ruhig sanfter mit der Tür umgehen!“, tadelte sie mich ungehalten. Ich entschuldigte mich kleinlaut und wollte mich zu meinem Platz begeben, doch hielt sie mich auf.

„Nun Suzie...wo sie schoneinmal stehen, können sie auch nach vorne kommen und versuchen die Aufgabe zu lösen an der wir gerade sitzen.“, und schon folgte der nächste Schlag. Ich hatte gerade meine Tasche abgestellt, da begegnete mein Blick Teds, der bereits grinsend auf dem Platz neben meinem saß und sich offensichtlich das Lachen verkneifen musste. „Ähm...“, setzte ich hilfesuchend an. Es war unmöglich, dass ich die Hyroglyphen entziffern würde. Nicht einmal wenn ich 60 Minuten Zeit geschenkt bekommen würde, oder zuhause daran arbeiten durfte mit allen bloß erdenklichen Hilfmitteln...warum gab es eigentlich keine Taschenrechner, die mit Variablen rechneten?

„Entschuldigung...ich schätze ich muss passen. Ich hatte bereits Probleme mit den Hausaufgaben.“, entzog ich mich der Blamage und durfte mich setzen.

„Autsch...nicht dein Tag heute, was?“, wandte sich Ted mir zu und lachte nun endlich.

„Ich wünsche dir auch einen wundervollen guten Morgen.“, gab ich bissig zurück und packte missmutig mein Buch und mein Heft aus.

Als die Tür plötzlich wieder aufging, kam Ian in den Raum geschlichen. Er warf der Lehrerin ihre Schlüssel zu und platzierte den Overheadprojektor an der richtigen Stelle. Ian saß in unserem Klassenraum direkt vor mir, somit trafen sich unsere Blicke, als er sich setzen wollte: „Danke für die Warnung...“, zischte ich ihm leise zu, er nahm es locker.

„Was hätte dir eine Warnung geholfen?“, vielleicht, dass ich eine Kehrtwende vorgenommen hätte und doch wieder Heim gegangen wäre? Doch jetzt war es ohnehin zu spät.

Die ersten beiden Stunden vor der Pause zogen sich wie Kaugummi. Und zu allem Überfluss fing James mich in den 15 Minuten, in denen ich von Zahlen erlöst war, ab und stellte mich zur Rede: „Suzie...sprich mit mir. Was ist los zwischen uns? Irgendetwas läuft gewaltig schief und ich komme einfach nicht drauf was es ist. Hat Jessy schon wieder Stress geschoben?“, er sah mich mit wehmütigem Blick an, was mich tief seufzen ließ. Nicht auch noch das...Ted hatte Recht behalten. Das war eindeutig keine meiner Sternstunden.

„Nein, Jessy hat nichts damit zu tun. Ich...finde nur gerade heraus, wie gut wir beide wirklich harmonieren. Ob das wirklich der richtige Weg für uns ist.“ - eine schwache Ausrede.

„Wie willst du das herausfinden, indem du mir ständig aus dem Weg gehst?“, nun klang er schon fast vorwurfsvoll und wütend.

„Hör mal...ich brauche einfach etwas Zeit, okay? Lass uns das nicht hier besprechen. Und nicht jetzt.“

[Da seht ihr es. Der typische Fluchtweg eines Menschen der Beziehungstyp Nr. 1 abbildet: „Ich brauche bloß etwas Zeit.“ was eigentlich so viel heißen sollte wie: „Ich glaube, das mit uns geht den Bach runter.“]

„Wann dann? Heute nach der Schule? Bei mir fallen die letzten beiden Stunden aus...und du hast doch auch nicht so lange. Das würde perfekt passen, oder?“, wieder fühlte ich mich in die Enge getrieben und überrannt. Ich wollte keinen Schlusstirch ziehen...und was ich noch viel weniger wollte war es, mir von Minute zu Minute sicherer zu werden, dass ich es tun musste...

„Heute ist schlecht, ich kann nicht.“, wich ich ihm also erneut feige aus.

„Ich muss meiner Mom helfen. Sie...hat irgendetwas vor wobei sie mich braucht.“, gelogen hatte ich auch schon einmal besser.

„Nunja...ich muss hoch – Mathe.“, informierte ich ihn knapp und wollte mich auf den Weg machen. James nickte geknickt und hatte sich gerade auf mich zugebeugt, um mich zum Abschied kurz zu küssen, doch ich drehte ihm bloß meine Wange hin.

Als ich das zweite mal den Flur entlang lief, stand erneut niemand vor der Tür.

„Das darf nicht wahr sein...“, murmelte ich erschrocken und beschleunigte mein Tempo, wobei ich einen Jungen einholte, der gelassen denselben geraden Flur entlangschritt.

Vor der Tür hielt ich abrupt an und klopfte - diesmal vorsichtiger. Es wurde zwar nicht so schnell geöffnet wie heute morgen, doch überhörte man mich auch nicht. Tia hatte sich erhoben und stand mir nun lächelnd gegenüber. Ich zog die Tür hinter mir zu und lief mit ihr ans Fenster: „Ohje, Süße...heute Morgen war ja wirklich schrecklich, hm? Vergiss es einfach. Halb so wild.“, wollte sie mich aufmuntern, doch half es nichts. Ganz im Gegenteil sie erinnerte mich bloß wieder an den Moment, der mich erneut nützliche Punkte meiner Mathenote gekostet hatte.

„Lass uns nicht mehr darüber reden, ja?“, ich lachte nervös,Tia nickte.

„Wie läuft es mit James?“, kaum sprach sie dieses Thema an, bekam ich Bauchschmerzen. Auch Jenna schaltete sich plötzlich neugierig ein: „Das würde mich auch interessieren!“

Wunderbar. Was sollte ich sagen? Dass ich nach wenigen Monaten unzufrieden war und nicht mehr bloß mit dem Gedanken spielte Schluss zu machen, sondern es mittlerweile sogar schon festgelegt hatte. Sicher nicht - also log ich: „Alles bestens.“

Das war wohl das erste Mal,dass mir das Gegröle unserer Mitschüler, Ian und Josh, zusagte und mir den Hintern rettete. Wir drehten unseren Kopf in deren Richtung und verstummten somit allesamt. Die Jungs waren vor die Tür gestürmt und schienen jemanden zu begrüßen...jemanden, von dem sie geglaubt haben mussten, er sei verstorben. Ich kannte solch eine Reaktion bloß unter besten Freundinnen, die sich eine Woche nicht gesehen hatten und ungehalten aufeinander zustürmten.

„Oh, das muss Damon sein.“, sprach Tia grinsend und wandte den Blick nicht von der Tür ab, in der Hoffnung den Neuling zu erspähen. Ich schien die Einzige zu sein, die nicht sonderlich neugierig war. Wozu auch? Es sah so aus so als würden wir lediglich einen weiteren Spaßvogel, der viel von sich hielt, dazuzugewinnen. Einen, der Ians Gefolgschaft angehörte.

Erst als ich die Stimme unserer Mathelererin vernahm, trat Ruhe ein und alle wanderten zu ihren Plätzen. Damon betrat als letztes den Klassenraum und unterhielt sich angeregt mit Ian. Ich schien richtig gelegen zu haben...Damon passte irgendwie zu Ians Leben. Er wirkte ebenso aufgedreht und selbstbwewusst. Irgendetwas an ihm erschien mir jedoch auch tiefgründig. Zumindest tiefgründiger als Ian es war. Doch verschwendete ich keinen weiteren Gedanken daran. Wie gesagt - in weniger als einem Jahr würde sich diese Klasse auflösen und in Kurse eingeteilt werden. Wir sahen uns wahrscheinlich alle bloß flüchtig hin und wieder einmal. Und solange niemand wirklich meine Aufmerksamkeit erweckte, wollte ich nicht damit anfangen mich zu sehr einzuleben. Lediglich Tia würde ich wohl wirklich vermissen. Aber sie ging ja nicht verloren.

„Ich möchte, dass ihr da weiterarbeitet, wo wir aufgehört haben. In den Gruppen, die ich eingeteilt hatte. Damon? Sie setzen sich am besten zu Ian, er wird ihnen auf die Sprünge helfen.“, und somit fand Damon seinen Platz neben Ian und saß ebenfalls genau in meinem Blickfeld. Mehr Zeit schenkte sie ihm nicht. Wenn er sich vorstellen wollte, würde er Zeit dafür finden - davon ging sie zumindest aus.

„Also, ich erkläre euch das noch einmal...“, unterbrach Ted die Stille. Ja, ich war mit Ted in einer Gruppe gelandet. Und mit Josh. Josh war mir als ziemlich angenehm erschienen, vielleicht lag das daran, dass er in Mathe mindestens genau so aufgeschmissen war wie ich und sich nicht anders als mit dämlichen Sprüchen, die mich immer wieder zum Lachen brachten, zu helfen wusste.

„Ted.Gib‘s endlich auf. Wir sind zwei hoffnungslose Fälle.“, unterbrach Josh ihn in seiner Erklärung, als es erneut kompliziert für Menschen wurde, die nicht mit mathematischem Verständnis gesegnet waren. Ich schob mein Heft entschieden zur Seite und sah von der Aufgabenstellung auf. Mein Blick traf Joshs, der mich belustigt angrinste und dabei eine amüsante Grimasse zog. Doch traf ich nicht nur das Augenpaar von Josh...auch Damon hatte in unsere Richtung gesehen. Bevor sich meine Augenbrauen verwundert zusammenzogen, wandte ich mich wieder Ted zu, der endlich aufgegeben hatte.

„Ja, ihr seid hoffnungslos...am besten wäre es, wenn ihr euch mit Damon zusammen tut. Der war ein Jahr im Ausland und hat sich wohl kaum mit Mathematik beschäftigt. Wobei sogar er euch zum Verhängnis werden würde, da Ian ihm schnell auf den neusten Stand bringen wird.“ - „Vielleicht ist Ian einfach der bessere Lehrer.“, ärgerte Josh Ted bissig und lachte laut über seinen eigenen Witz.

Dass Ted auch diesmal Recht behalten würde, sollte mir jedoch erst später bewusst werden. Damon würde mir durchaus zum Verhängnis werden...und das lag nicht am schlimmsten Fach der Welt - Eigentlich hatte es etwas mit dem einfachsten der Welt zu tun...der Anziehungskraft.



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