Zum Inhalt der Seite

Assoziatives Schreiben

unzensierte Tintenkleckse
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Was, meinte sie, hätten wir gesehen ...

... was, meinte sie, hätten wir sonst noch mitnehmen können?"
 

Darauf wusste er keine Antwort, starrte er nur den schwarzhaarigen dunkelhäutigen jungen Mann an, der im selben Jahr, in demselben Krankenhaus wie er selbst zur Welt gekommen war. Sie waren zusammen aufgewachsen, hatten stets Tür an Tür gewohnt. Selbst ihre Mütter waren schon in denselben verdammten Kindergarten gegangen. Sein ganzes Leben hatte er dem jungen Mann, der nur eine Armlänge von ihm entfernt hinter demselben Müllcontainer kauerte wie er selbst, zugesehen wie er alterte. Jeden beschissenen Tag. Doch der Schwarzhaarige sah nicht aus als wäre er erst siebzehn Jahre jung. Der junge Mann, dessen Gesicht dreckig war, war in den letzten zweiundsiebzig Stunden gealtert und er fragte sich, ob sein Sandkastenfreund dasselbe sah, wenn er ihn anblickte.

Die Druckwelle einer entfernten Explosion fegte durch die Gasse in der sie hockten, drückte auf ihre Trommelfelle und ließ den Boden unter ihnen erbeben. Für einen Augenblick schien sein Herz zu pausieren, ehe es mit einem holprigen Klopfen seinen gewohnten Rhythmus wieder aufnahm. Schreie wurden laut, mischten sich in die vielen Schreie, die schon zuvor durch die Straßen gehallt waren.

Wann war diese Hölle losgebrochen? Wann hatte diese ganze Scheiße angefangen?

Die Feuerschutztüre neben ihnen wurde aufgestoßen und die Frau mit den zerrissenen Jeans und dem bordeauxfarbenen Shirt kam hustend zum Stillstand, beugte sich vornüber und stützte die freie rechte Hand auf ihrem Oberschenkel ab. Mullbinden und Medikamentenpackungen, die sie zuvor noch mit beiden Armen an ihren Oberkörper gepresst hatte, fielen zu Boden. Hinter ihr drang dicker dunkler Rauch aus der Türöffnung, der die Luft in der Gasse verpestete und das Atmen an diesem schwülen Sommernachmittag augenblicklich zur Qual machte.

Im selben Moment war er auf den Beinen, nahm ihr all die Mullbinden und die Wasserflaschen ab, die sie noch an sich gepresst hielt, stopfte sie ohne große Umsicht in seinen Rucksack, mit dem er vor zwei Tagen noch im Unterricht gegessen hatte und sich gefragt hatte, wann um alles in der Welt er im richtigen Leben einmal wissen musste, wie man die Masse eines Kegels berechnete.

Auch sein dunkelhaariger Freund, der dieselbe Hautfarbe hatte wie er, war auf die Beine gekommen, lugte über den Müllcontainer in die verlassene Gasse und wischte sich die feuchten Hände an den Hosenbeinen ab, die genauso verdreckt waren, wie sein Gesicht. Auf der Hauptstraße konnte man vereinzelte Menschen sehen. Sie passierten den Eingang zur Gasse hektisch. Sie rannten, flüchteten. Man konnte auch das Wrack eines umgekippten Militärfahrzeuges sehen.

„Was ist passiert?“, fragte er während er den Rucksack schloss und kam im Stillen zu dem Entschluss, dass er es nicht wissen wollte.

„Sie haben das Krankenhaus in die Luft gesprengt.“ Sie war wieder zu Atmen gekommen und blickte die beiden Männer entschlossen an.

Genau. Er erinnerte sich. Zweiundsiebzig Stunden war es her, seit die erste Bombe geworfen worden war. Vor zweiundsiebzig Stunden war seine Welt in tausend Scherben zersprungen und lag nun in Trümmern auf den Straßen seiner Heimatstadt. Er fühlte sich erschöpft, war ausgelaugt, konnte nicht mehr klar denken.

Die vielen Schüsse nur wenige Blocks von ihnen entfernt ließen ihn schon längst nicht mehr erschrocken zusammenzucken. Er hatte zu wenig Kraft über um dieses wertvolle Gut an solche Dinge wie Angst zu verschwenden.

„Mama?“, hörte er sich stattdessen sagen und nahm nur am Rande wahr, wie die Frau, die bereits im Begriff gewesen war in die andere Richtung loszulaufen innehielt und sich zu ihm umwandte. Er erkannte in ihrem Gesicht nicht seine Mutter. Zumindest nicht wirklich. Die Krähenfüße um ihre Augen, sowie die Fältchen um ihre Mundpartie, die immer so deutlich zu sehen waren wenn sie lächelte, waren noch immer da. Doch ihre braunen sonst so gütigen und warmen Augen – sie waren anders. Aus ihnen blickte ihm eine Kämpferin entgegen. Eine Kämpferin, die zwar die Güte und die Weisheit seiner Mutter besaß, aber einen Teil ihres Alters mit sich genommen hatte.

Für die Dauer eines Herzschlages blickte sie einander stumm an und dann hörte er sich erneut sprechen. „Du hast das schon mal gemacht, nicht wahr?“ Und als sie nicht antwortete, stattdessen Bitterkeit auf ihren Zügen erschien, sie die Hand nach ihrem Sohn ausstreckte und ihm das dunkle Haar aus der Stirn strich, wusste er, dass die Waffen Zuhause, von denen er seinen Eltern gegenüber nie zugeben hätte, dass er schon lange von ihrer Existenz gewusst hatte, nicht nur seinem Vater gehörten.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (1)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Lollapie
2013-02-19T08:48:11+00:00 19.02.2013 09:48
Spitzenklasse :3
Hach, da hätt ich gern noch weiter gelesen.
Finds spannend wie gänzlich unterschiedlich unsere Texte sind. Bin schon auf den Nächsten gespannt *-* ...
<3


Zurück