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Zeitlos -♠-

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Sherlock Holmes - Drei Wochen

Als Dr. Watson das Zimmer betrat entfuhr ihm ein Seufzen. Der Raum war durch einige Vorhänge abgedunkelt, doch es war kein Licht von Nöten, um zu sagen, was er hier vorfinden würde. Er konnte mit Gewissheit festhalten, dass Schränke, Stühle und Tische sich von ihrem rechtmäßigen Plätzen entfernt und wild in der Gegend verteilt hatten. Auch wusste er, dass sein Partner und Freund Sherlock Holmes sich irgendwo in diesen vier Wänden befand und laut und heftig atmend Geige spielte.

Erneut seufzte Watson, stellte das Tablett, das er bei sich trug, am dreckigen Boden ab und bahnte sich seinen Weg in Richtung der Vorhänge, um ein wenig Licht ins Dunkel zu bringen. Da er es bereits gewohnt war, stellte das Chaos, das er vorfand, keinen allzu großen Schreck dar. Er hatte sich in den vielen Jahren, in denen Holmes und er sich die Miete teilten, an die Fehler seines Freundes gewöhnt, hatte gelernt mit dem Geigenspiel mitten in der Nacht zu leben, mit dem Chaos und dem Dreck. Und das gelang ihm am besten, indem er es nicht beachtete.

»Ist ihnen bewusst, dass Sie Mrs. Hudson endgültig vergrault haben?«, fragte der Doktor, während er einen Tisch beiseite schob, der ihm den Durchgang zum nächsten Vorhang versperrte. Die Geige gab einen schrillen und klagenden Ton von sich, als das Licht das Zimmer flutete.

»Ich habe sie von ihrer Arbeit entbunden, weil sie ihrer Arbeit nicht mehr nachgegangen ist. Sehen Sie sich um, Doktor. Hier wurde nicht ein einziges Mal sauber gemacht in den letzten drei Wochen.«

Watson kämpfte mit einem Bücherregal und entgegnete: »Natürlich nicht, Holmes! Sie haben ja jedes Mal einen Wutanfall bekommen, sobald Mrs. Hudson sich Ihrem Zimmer genähert hat.« Er wies auf das gesplitterte Holz der Tür. »Mit einem Knüppel haben Sie wie ein Babar auf die Einrichtung eingeprügelt. Und da verwundert es Sie, dass Mrs. Hudson die Räumlichkeiten, in denen Sie hausen, nicht betreten und säubern möchte?«

Holmes schloss die Augen und verlangte seiner Geige drei weitere dramatische Klänge ab, bevor er das Gesicht verzog und entgegnete: »Sie ist eine Ziege!«

»Sie ist eine liebenswerte Dame.«

»Eine Giftschlange!«

»Eine gutherzige Vermieterin und Haushälterin, die Sie trotzdem hier wohnen lässt, obwohl Sie mit allen Mitteln gegen sie arbeiten und dieses Haus von Ihrem Wahn und Chaos beherrschen lassen.«

»Mein Wahn?« Holmes hob überrascht die Augenbrauen.

»Würden Sie sich ab und an selbst reflektieren, so wüssten Sie davon. Betrachten Sie sich doch nur einmal. Ihr Bart gleicht einem Urwald und Ihre Augen zeugen von wenig Schlaf, viel Alkohol und wenig Licht. Sie tragen noch immer die Selben Lumpen, die Sie auch vor drei Wochen trugen, als Sie sich in diesem Zimmer selbst isoliert haben. Ich frage mich schon eine ganze Weile, was der Auslöser dieses Verwesungsgeruches ist und glaube, ich habe ihn gefunden.« Er trat an seinen Partner heran, der auf seinem dreckigen Bett saß, beugte sich zu ihm hinab und roch an ihm. »Sie sind es.«

Holmes starrte gekränkt auf einen nur für ihn ersichtlichen Punkt zwischen einem Schmierfleck an der Wand und dem Boden, spielte auf seiner Geige und tat, was er in unangenehmen Situationen immer tat: Er ignorierte seine Umgebung.

Wieder seufzte Watson. Dann griff er in die Innentasche seines Mantels und zog einen Brief hervor. »Dieser hier ist an Sie andressiert, Holmes.« Er bewegte den Brief leicht von einer Seite auf die andere, wodurch ein schwappendes Geräusch entstand. »Ich habe keine Ahnung, was sich darin befindet, aber ich weiß, dass es flüssig ist und höchst wahrscheinlich ekelig.« Mit diesen Worten übergab er den Brief.

Holmes schien überrascht. Wahrscheinlich hatte er sich eigentlich vorgenommen seiner Umwelt weiterhin keinerlei Beachtung zu schenken, doch der Brief hatte sichtlich sein Interesse geweckt. Mit neugierig weit aufgerissenen Augen, die auf dem Stück Papier mit seltsamem Inhalt hafteten, legte er die Geige neben sich aufs Bett und riss den Umschlag an sich. Er betrachtete ihn und ließ seinen Inhalt hin und her schwappen.

»Zum Teil flüssig, zum Teil fest. Beinah zwei verschiedene Substanzen, die hier aufeinandertreffen, vereint in einem Stück Papier, das extra hierfür angefertigt sein muss, da es die Flüssigkeit nicht entweichen lässt. Interessant«, stellte der Detektiv fest, ohne den Blick von dem Objekt zu nehmen. »Was könnte das sein, Watson? Gift in zwei Aggregatzuständen? Wohlmöglich ist dort auch Gas enthalten… Jemand möchte mich umbringen?«

Watson achtete nicht auf das wirre Geschwafel seines Freundes, sondern begann das Zimmer aufzuräumen.

»Wer könnte ein Interesse an meinem Ableben haben? Und wer wäre dazu in der Lage mir ein Gift zu senden, das sowohl flüssig, als auch fest und gasförmig ist? Oder sind es drei verschiedene Gifte, um ganz sicher zu gehen?«, spekulierte Holmes weiter. Dann wandte er sich der geschwungenen Schrift zu. »Ich kenne diese Schrift…«

»Sie haben mir meine Schuhe gestohlen, Holmes?«, rief Watson aus dem Gewühl, in dem er verschwunden war, erhielt jedoch keine Antwort.

»Moment! Es ist ein Rätsel!«, stieß Holmes aus. »Zwei kleine Punkte am rechten Briefrand und ein Pfeil. Kommen Sie in mein Bett, Watson!«

Erschrocken wollte der Doktor vom Boden aufsehen, stieß sich jedoch den Kopf an der Tischkante, unter dem er seine Schuhe gefunden hatte. »Ganz bestimmt nicht!«, fauchte er.

»Ich insistiere.«

»Ich werde trotzdem nicht in Ihr Bett kommen.«

»Watson, das müssen Sie sich ansehen!«

Watson rieb sich die Stirn und bereute, das Zimmer überhaupt betreten zu haben. »Und genau davor habe ich Angst.« Dennoch stand er auf und trat an das Bett heran, auf dem sein Partner sich bereits ausgebreitet hatte und an die Decke starrte.

»Legen Sie sich neben mich, Watson! Das müssen Sie sehen!«

Erneut seufzte der Doktor hörbar, folgte dann aber dem Befehl. Er sah zur Decke hinauf und sah nichts, was in irgendeiner Weise interessant war.

»Und nun?«, fragte Watson und begann durch den Mund zu atmen, um dem Verwesungsgeruch zu entgehen.

»Der Pfeil auf dem Brief zeigt an die Decke«, erklärte Holmes und deutete dann auf die zwei Punkte an der Seite. »Und diese Punkte finden sich ebenfalls an der Decke wieder. Das ist ein Rätsel, Watson. Ein Rätsel! Und dies ist unser erster Anhaltspunkt. Vielleicht führt es uns zu verborgenen Welten. Vielleicht ein Hinweis auf kommende Morde?«

»Wissen Sie, Holmes, Ihre Denkweise ist beinah…«

»Idealistisch?«

»Idiotisch!«, verbesserte Watson, entriss Holmes den Brief und fügte hinzu: »Er ist von mir. Kein Gift, kein Rätsel. Bloß ein Brief von Ihrem geschätzten Freund John Watson. Sie können ihn also gefahrlos öffnen.«

Holmes kratzte sich am Bart und schien angestrengt nachzudenken. Dann sagte er: »Ausgefeilt... Und die Punkte?«

»Ein Versehen. Tintenspritzer meiner Feder.«

»Aber der Pfeil, der zur Decke zeigt?«

»Er zeigt nicht zur Decke, sondern auf Sie, Holmes. Sie haben den Brief nur falsch herum gehalten.«

Holmes setzte sich auf und zuckte mit den Schultern. »Auch ein Meister kann sich irren.«

Genervt drückte Watson ihm den Brief in die Hand und befahl ihm erneut, ihn zu öffnen.

Mit einem letzten verwirrtem und fragendem Blick öffnete Holmes den Brief mit dem seltsamen Inhalt. Verdutzt sah er hinein. Dann rümpfte er die Nase und schaute zu Watson auf.

»Ein rohes Ei?«

»Ein drei Wochen altes, rohes Ei«, korrigierte der Arzt.

Holmes spitzte die Lippen. »Sie vergleichen mich mit einem stinkenden, rohen Ei?«

Watson musste unwillkürlich grinsen. »Es soll Ihnen nur zeigen, wie Sie inzwischen von der Außenwelt gesehen werden.«

Holmes drückte dem Doktor den Brief wieder in die Hand, griff nach seiner Geige und zupfte heftig an den Saiten. Er setzte seinen Sie-sind-doch-nicht-nur-gekommen-um-mich-zu-demütigen-Blick auf und starrte erneut den imaginären Punkt an der Wand an. Beleidigt verfiel er ins Schweigen und wartete darauf, dass der Doktor das Wort ergriff.

Dieser erhob sich vom Bett, nahm die gestohlenen Schuhe an sich und bewegte sich zum Ausgang. In der Tür blieb er noch einmal stehen, deutete auf das Tablett und sagte: »Der Tee ist für Sie, damit Sie wieder zu Kräften kommen. Und dann sollten Sie sich waschen und Ihre Kleidung wechseln.«

Holmes erwiderte nichts, sondern ignorierte den Arzt weiterhin. Erst als Watson das Zimmer verließ, wurde er hellhörig. Denn auf seinem Weg nach draußen ließ er beiläufig fallen: »Schließlich haben wir einen neuen Fall.«



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  trinithy
2012-10-28T09:48:49+00:00 28.10.2012 10:48
Hallöchen,
zuerst einmal vielen Dank für deine Teilnahme an meinem Wettbewerb. Wie in der Beschreibung nachzulesen, gibt es keine richtige Platzierung, da nur zwei Einsendungen vorhanden waren, aber die Geschichte, die mir besser gefiel - in dem Fall deine - hat dennoch den einzigen Platz bei meinem WB belegt^^

»Mit einem Knüppel haben Sie wie ein Babar auf die Einrichtung eingeprügelt.
:) Ich habe direkt seine Stimme im Ohr gehabt

Gift in zwei Aggregatzuständen? Wohlmöglich ist dort auch Gas enthalten… Jemand möchte mich umbringen?«
Und jetzt Holmes Stimme, ich sehe ihn vor mir, den Gesichtsausdruck dabei, höre die Stimmlage...ich liebe es *_*

Kommen Sie in mein Bett, Watson!«
Hahaha, genau DIESE Art von verdeckter Anspielung und Neckerei liebe ich so an den beiden.

»Wissen Sie, Holmes, Ihre Denkweise ist beinah…«
»Idealistisch?«
»Idiotisch!«

Ich liebe es :)


Ich muss dir mein ganz, ganz großes Lob aussprechen. Du hast einen tollen Schreibstil, einfach zu lesen und zu verstehen, dennoch sehr passend zur Handlung.
Und die Dialoge, sie klingen als wären sie aus der Originalfeder des Films und das macht sie so glaubwürdig. Ich hab alles vor meinem inneren Auge gehabt, konnte mich super hineinversetzen und alles war IC.

Ich musste an manchen stellen echt schmunzeln, Watson und Holmes sind besser als jeder Slapstick^^

Und die Idee mit dem Brief und dem rohen Ei hat mir auch gefallen. Du hast es geschafft dieses Gefühl, das man auch im Film hat, rüberzubringen. Dass es für Watson eigentlich keinen Grund gibt mit Holmes befreundet zu sein und er es dennoch ist, unverständlicherweise, aber so verständlich dargestellt.
(wenn du verstehst, was ich verwirrenderweise damit meine^^)

Es hat mir wirklich sehr gut gefallen. Solltest du jemals wieder etwas zu den beiden schreiben, sag mir doch bitte Bescheid :)

LG trinithy
Von:  _-THE_JOKER-_
2012-08-08T14:29:09+00:00 08.08.2012 16:29
Ohh,
Dr. Watson ist einfach zu cool.
Also die Story hat mir sehr gefallen und ich musste mich an einigen Stellen echt fast totlachen.
Aber warum ist den Gladstone nicht dabei, das geht ja mal gar nicht, oder lag er wieder tot in irgendeiner Ecke? Wir werden es wohl nie erfahren...außer du schriebst weiter, was ich dir sehr empfehlen würde, da ich auch an dem Fall der Beiden ein großes Interesse habe XD.
Du hast hier die beiden Charaktere gut hinbekommen, sie sind sehr originalgetreu und genau so super wie immer.
Die Stelle wo Sherlock sagt Watson solle zu ihm aufs Bett kommen, und der sich daraufhin den Kopf stößt, ist einfach nur göttlich, da hat man eine sehr lustiges Bild im Kopf.
An sich ist die Geschichte auch sehr schön geschrieben, ließt sich flüssig und Fehler sind so weit ich es gesehen habe keine drin.
Die Beziehung der Beiden ist hier einfach genial dargestellt, das wirkt (wie im Film ja auch nicht selten), schon fast als wären die beiden Schwul. Auf jeden Fall bringen die mich immer zum lachen.
Besonders gut fand ich auch:

»Ich insistiere.«
»Ich werde trotzdem nicht in Ihr Bett kommen.«


Das ist super, gerade da das mit dem insistieren andauernd im Film vorkommt und hier einfach urkomisch ist.

Außerdem war das hier ebenfalls unglaublich lustig:

»Und nun?«, fragte Watson und begann durch den Mund zu atmen, um dem Verwesungsgeruch zu entgehen.

Das sollte jemand aber wirklich mal duschen ist ja übel wenn er schon riecht als wäre er bereits verwest, keine schöne Vorstellung.
Der Titel: Drei Wochen, ist übrigens auch sehr gut gewählt, ich dachte erst: Hmm.. wie kommt die denn auf den Titel, aber da er sich ja drei Wochen eingeschlossen hat, wurde das für mich schnell verständlich.
Auch das Ende fand ich toll, wo herauskommt das ein rohes Ei drin ist und Sherlock deswegen beleidigt ist, da er ja vorher irgendwelche Zeichen hinein gedeutet hat. Wenigstens weiß man jetzt nicht mehr was den Gestank auslöst. Er oder das Ei? :)
Somit hat er ja einen Leidensgenossen.
Gesamt. Eine tolle und einfach lustige Geschichte.
mach mehr davon.
jöker



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