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Zeitlos -♠-

100 Storys -1-
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Zerstörer des Verstandes

Zahlen. Nichts als Zahlen und Fakten. Immer das Gleiche. Monoton!

Clete saß in seiner Zelle und tat so, als würde er die Zeitung lesen, doch seine Gedanken schweiften ab. Immer wieder diese Zahlen. Er hatte sie satt! Überall tauchten sie auf und prägten die letzten Tage seines erbärmlichen Lebens. Einst hatte Clete nach der einzig Wahren und existierenden Freiheit geforscht, doch er hatte die Hoffnung vor langer Zeit aufgegeben, selbst frei zu sein. Stattdessen tummelten sich nun Zahlen in seinem Verstand.

Zahlen.

Immer diese Zahlen.

Sie verfolgten ihn und ließen ihm keine ruhige Minute mehr. Nein, sie hetzten ihn! Es begann alles mit seiner Geburt. Er war ein Kind von dreien. Dann begann er zu leben, feierte Geburtstage, wurde älter und das Verhängnis der Zahlen nahm seinen Lauf. Er wurde drei Jahre, vier Jahre, achtzehn Jahre, dreißig Jahre. Mit sechsundzwanzig tötete er zum ersten Mal einen Menschen. Doch bei einem blieb es nicht, nein, er versuchte sich an einem weiteren und an noch einem, bis er schließlich zwölf auf dem Gewissen hatte. Dafür wurde er ein Mal verurteilt.

Zahlen.

Immer diese Zahlen!

Zehn, fünfzig, sechsundsechzig! Noch fünfundvierzig Tage hatte er auszustehen, bis er schließlich dem elektrischen Stuhl begegnete. Ja, noch gottverdammte fünfundvierzig Tage, bis er sterben würde!

Zwei Wachposten bewachten seine Zelle, weil sie Angst hatten, er könne ein viertes Mal versuchen auszubrechen. Als Clete die Zeitung las, überflog er über neun verschiedene Artikel. Ohne diese Artikel weiter zu betrachten, schlug er die Zeitung zu und warf sie in die dreckige Ecke in der elf Käfer nach Nahrung suchten. Er hatte nicht die Kraft, sich von den Zahlen loszureißen, die in seinem Verstand wüteten.

Zahlen!

Nichts als Zahlen!

Clete ließ sich auf seine Pritsche fallen und starrte an die rissige Decke, von der der Putz hinab fiel. Vier mal zwei, geteilt durch die Wurzel von 5!

Rechnungen waren nicht mehr, als aneinandergereihte Zahlen. Manch kluger Kopf hätte diese Formeln als unverzichtbar erklärt.

Er drehte sich zur Seite und schloss die Augen. In seinen Gedanken schwebte ihm ein Datum vor: 27.09.1999. Wieder diese Zahlen! Zahlen mit einer Bedeutung. Cletes Todesdatum. Er hatte nur noch fünfundvierzig Tage zu Leben. Aber was waren schon Zahlen? Nichts weiter als Worte, die man in einer Kurzform schreibt. 18,50, 8, 44, 37. Nichts weiter!

Er kam sich seltsam vor. Schließlich war alles, worauf er noch wartete eine Zahl, die ihn noch nicht erreicht hatte. Verkümmert! Aufgegeben. Unverstanden.

Clete hatte nichts mehr, nur noch seine Zahlen, die ihn verfolgten, um ihm schließlich den Tod zu bringen. Und dann schrien ihn auch noch seine Gedanken an.

Zweihundertsechsundreißig! Zweieinhalb, Dreiundfünfzig, vier Viertel! Sieben, Eins! Achtundsechzig! Geteilt durch fünf, plus vier, multipliziert mit sechshundertzwölf!

Konnte dies ein Mensch ertragen? Konnte ein Mensch die Gedanken von Zahlen ertragen, die sein Leben prägten? Rechnungen, die ihre Sinnlosigkeit verbreiteten? Clete hatte das Gefühl, sein Hirn schmore bereits, auch ohne den elektrischen Stuhl.

Zahlen!

Diese skrupellosen Zahlen!

Zerstörer des Verstandes, waren sie! Und Clete wusste es. Er stand von seiner Pritsche auf und ging zum Gitter hinüber. Mit beiden Händen umklammerte er den kalten Stahl. Wie er sie hasste, diese gottverdammten Zahlen! Wie sie ihn quälten und leiden ließen. Für ihn war es mehr, als nur unerträglich. Zahlen helfen, Dinge zu verstehen und sie sind Lösungen, meinte damals die breite Masse der Menschheit. Doch so oft Clete es auch versuchte, eine Lösung blieb ihm immer verwehrt. Wutentbrannt sah er an die vollgeschriebene Wand, die mit Formeln nur so übersät war.

Zweihundertsechsundreißig! Zweieinhalb, Dreiundfünfzig, vier Viertel! Sieben, Eins! Achtundsechzig! Geteilt durch fünf, plus vier, multipliziert mit sechshundertzwölf!

Doch so oft er es auch versucht hatte, er hatte keine Antwort gefunden. Nicht durch diese Zahlen, die doch Lösungen sein sollten!

Zahlen!

Zahlen!

Zahlen!

Ich verabscheue euch Zahlen!

Verzweifelt legte er seine Stirn gegen die Gitterstäbe. Er wollte doch bloß eine Antwort. Eine einzige! Es waren keine drei, fünf oder sechzehn. Es war bloß eine. Er musste sie einfach finden, die Zahl, die Antwort auf dir eine Frage, die er vor seinem Tode noch zu beantworten hatte, um zu wissen, wie lange es dauern würde.

Leise flüsterte er in sich hinein »Wie lang ist eine Ewigkeit? «

Doch die Zahlen blieben stumm.



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Kommentare zu diesem Kapitel (5)

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Von:  DemonhounD
2012-03-03T12:25:17+00:00 03.03.2012 13:25
Die Ewigkeit ist eine ohnmächtige Acht!

Nachdem wir dies nun geklärt haben: Gute Kurzgeschichte, wobei ich mich frage (und es auch gerne begründet gehabt hättE), wieso einem Totgeweihten die Ewigkeit interessiert. ^^ Ansonsten mag ich das rythmische Wiederkehren der kursiven Schriftzüge "Zahlen!" Man kann sich richtig vorstellen, wie er in seiner Zelle sitzt und sich sein Hirn nur an diesem einzigen Mantra festsaugt.

Ich denke, die Kurzgeschichte ist gut. Das Ende hätte ich mir allerdings etwas Spektakulärer vorgestellt. ;-) Wie gesagt: Die ganze Story hätte mehr auf das "Ewigkeitsthema" anspielen sollen. - Vielleicht mit Gedanken über das Leben nach dem Tod oder mehr Einzelheiten zu seinen Taten.

Der Satz "Doch die Zahlen blieben stumm." ist nämlich an und für sich ziemlich gut als Ende geeignet. ^^
Von:  _-THE_JOKER-_
2011-05-08T11:30:49+00:00 08.05.2011 13:30
Ja, also ich mag diese Geschichte auch wirklich sehr, sie hat was. Der Wahnsinn der den Mann ergreift, ist sogar nachvollziehbar, ich denke da würde ich auch durchdrehen. Es ist wirklich verständlich, dass man durchdreht, wenn man auf seinen Tod warten muss.das ist ja nicht gerade angenehm, wenn man weiß, dass man dem nciht entgehen kann. Du hast, den Wahn mit den Zahlen gut dargestellt, er wir deutlich und reißt einen wirklich in seinen Bann. Das hast du echt gut gemacht muss ich ja sagen, alle Achtung. Und lesen tut es sich auch sehr gut, die Story ist mal was anderes, zu mindestens die Art des Wahnsinns XD. Fehler habe ich nciht gefunden. mach weiter so.

jöker
Von:  w-shine
2011-04-28T14:50:33+00:00 28.04.2011 16:50
Wow.
Das war so wie bei Trollfrau auch der erste Gedanke, der mir nach dem Lesen deiner Geschichte durch den Kopf geschossen ist.
Diese Besessenheit von Zahlen hast du wirklich richtig gut dargestellt und es reißt einen mit.
Man fragt sich die ganze Zeit, was er versucht auszurechnen, warum er so besessen davon ist und dann dieses Ende: Einfach toll!

Es liest sich toll, kaum irgendwelche Stolpersteine drin, Rechtschreibung top. Mir fällt wirklich nichts ein, worüber ich meckern könnte.

Daumen hoch, tolle Geschichte.

Liebe Grüße,
Shine
[FCY]

Von: abgemeldet
2011-04-18T15:45:51+00:00 18.04.2011 17:45
Wenn mir was wirklich Angst macht, dann Wahnsinn.
Ich glaube, wenn sich jemand wirklich in seinem Wahn so verfolgt und getrieben fühlt, dann ist es kein Wunder, wenn man eines Tages austickt und gewalttätig wird.

Und das macht mir auch Angst, dass ich nachvollziehen, verstehen kann, wieso Wahnsinnige verrückte Dinge tun.
Mensch du machst mir bei jedem deiner Story Gänsehaut!

Rational gedacht, das symbol für Unendlichkeit, zählt bei so einer Psychose vermutlich nicht als erlösende Antwort, oder? *g*
Von:  Trollfrau
2011-02-23T11:17:48+00:00 23.02.2011 12:17
Wow. ich meine...
Ist es dir schon einmal passiert, dass du eine Geschichte gelesen hast und dich dabei so hineingesteigert hast, dass du dich mit der Hauptperson plötzlich eins gefühlt hast?
Genau das ist mir hier passiert.
Dieser Wahnsinn, der diesen Mann ergriffen hat, war so unheimlich stark spürbar. Herrlich. Dieser Stil ist nahezu beängstigend berührend.
Einzig diese Frage...
Mir rast jetzt noch das Herz, aber an dem Labberkaffee hier kann das nicht liegen. Kann also nur deine Geschichte gewesen sein.

LG Trollfrau
[FCY]


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