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Der böse, böse Alkohol...

von

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Katta

Als unsere Lehrerin uns ein paar Minuten später mitteilt, dass jetzt wieder Referate anstehen, muss ich leider feststellen, dass es sehr wohl einen Weg gibt, Musik noch furchtbarer zu machen. Referate an sich finde ich zwar gar nicht so schlimm, aber dass wir uns die Gruppen, in denen wir das machen sollen, nicht mal selbst aussuchen können schon. Vor allem, weil ich generell kein Glück bei Gruppenaufteilungen habe.

Hoffentlich muss ich nicht mit Leon in eine Gruppe. Das wäre einfach die Hölle. Und mit Marvin… Sonst würde ich mich ja freuen, einfach weil ich dann einen Grund hätte, mit ihm zusammen zu sein und ihn anzuschauen, aber im Moment irgendwie nicht. Ich hab einfach keine Ahnung, was ich von ihm halten soll. Und er hat mich einfach stehen lassen. Das kann ich ihm auch nicht einfach vergessen.

Wenig überraschend habe ich nicht mal ausnahmsweise Glück und komme trotzdem mit Marvin in eine Gruppe. Und er sieht noch weniger begeistert aus als ich. Hoffnungen macht mir das auch nicht gerade.

Mein einziger Trost ist, dass ich von Leon und seinen Anhängern verschont bleibe. Okay, nicht ganz, Jonas ist in meiner Gruppe, aber alleine ist er ganz erträglich. Meistens jedenfalls.

Unser viertes Gruppenmitglied ist eines der wenigen Mädchen aus meiner Musikklasse. Sie heißt Selma und gehört auch nicht unbedingt zu den Menschen, mit denen ich gerne meine Zeit verbringe. In den zwei Jahren, die ich sie jetzt kenne, habe ich nur ein Mal mit ihr geredet. Und das auch nur, weil ich ihr beim Volleyball ausversehen die Nase gebrochen habe und mich stundenlang bei ihr entschuldigt habe.

Offenbar muss Selma auch daran denken, als wir uns in den Gruppen zusammensetzen, und bei dem wütenden Blick, den sie mir zuwirft, wage ich es zu bezweifeln, dass sie mir schon verziehen hat.

Ich sag ja, ich habe kein Glück beim Gruppenbilden.

„Hat irgendjemand zufällig mitbekommen, was unser Thema ist?“, fragt Selma nach einer gefühlten Ewigkeit, in der wir nur zusammen gesessen und uns vermutlich alle gewünscht haben, irgendwo anders zu sein.

„Barock oder so…“, meint Jonas alles andere als überzeugt und zuckt mit den Schultern. Während Selma sofort einen Aufstand macht von wegen das wäre doch nicht konkret genug und wir hätten gefälligst besser zuhören sollen, obwohl sie das ja auch nicht gemacht hat, riskiere ich einen Blick zu Marvin.

Ob es wohl Zufall ist, dass er sich ausgerechnet auf den Platz gesetzt hat, der am weitesten von meinem Weg ist? Und was kann ich ihm nur getan haben, dass er mich immer noch nicht beachtet und unmotiviert mit seinem Handy rumspielt?

„Ist was?“, brummt er nach einer Weile und schaut mich finster an. Ich bin so überrascht, dass ich nur den Kopf schütteln kann und dann runter auf meine Hände sehe. Eigentlich wäre das eine passende Gelegenheit gewesen, ihn zu fragen, warum er so unfreundlich zu mir ist, aber die Idee kommt mir zu spät. Wahrscheinlich hätte ich mich sowieso nicht getraut, dass zu fragen, wenn Selma und Jonas sich gleichzeitig quer über den Tisch streiten.

Wenn ich mal darüber nachdenke, es ist ziemlich seltsam, dass die beiden sich überhaupt streiten, und dann auch noch ohne einen richtigen Grund. Okay, Selma ist schon ziemlich leicht reizbar, aber bisher hatte ich eigentlich immer den Eindruck, dass sie sich gut mit Jonas verstehen würde. Jedenfalls hat sie eine Zeit lang ständig mit ihm und Leon und Co. rumgehangen.

Dass diese Zeit jetzt definitiv vorbei ist, merke ich spätestens, als wir etwas später im Computerraum sind und Jonas sich freiwillig zu mir in die letzte Ecke verzieht, wo ich mich eigentlich nur vor Marvins finsteren Blicken verstecken will. Natürlich ist das zum Teil auch darauf zurück zu führen, dass unser Computerraum nur sechs Computer und kein einziges Fenster hat, weswegen er eigentlich gar nicht benutzt wird. Leider hat keiner von uns Lust, auch noch seine Freizeit mit den anderen zu verbringen, also bleibt uns keine andere Wahl.

„Na endlich, weg von Selma“, murmelt Jonas, als er sich auf den Stuhl neben mir fallen lässt, und grinst mich an. Ich bin jedes Mal überrascht, dass er nett zu mir ist, wenn er nicht mit seinen Freunden zusammen ist. „Und, warum bist du nicht bei Marvin? Habt ihr euch gestritten?“

„Nein, eigentlich nicht“, nuschle ich und schaue an Jonas vorbei zu Marvin, der mittlerweile Musik hört und so genervt, wie er aussieht, tatsächlich an unserem Referat zu arbeiten scheint.

„Ehrlich? Aber ihr redet nicht mal miteinander. Ich dachte, ihr habt was am Laufen.“

„Nein“, sage ich schnell und seufze dann leise. Es ist irgendwie echt komisch, überhaupt mit Jonas zu reden, und dann auch noch über sowas… Ich weiß nicht mal, warum ich es überhaupt mache. „Keine Ahnung… Ich erinnere mich jedenfalls nicht…“

Darauf lacht Jonas nur und verschränkt die Arme hinter dem Kopf. „Mach dir nichts draus, der ist doch sowieso total komisch. Und auf mich ist auch dauernd irgendjemand ohne Grund sauer. Aber das waren bisher immer Mädchen…“, meint er und schaut kurz in Selmas Richtung.

„…Sie auch?“, frage ich zögerlich, aber Jonas scheint gar kein Problem damit zu haben. Er grinst nur breiter, lehnt sich zurück und fängt an, mit seinem Stuhl zu kippeln.

„Nee, Selma hat sogar einen ganz schön guten Grund. Ich hatte wohl mal was mit ihr, aber eigentlich kann ich sie nicht leiden. Ich wäre auch wütend auf mich, wenn ich nichts von mir wollen würde“, erzählt er mir bereitwillig und zuckt mit den Schultern. Ich wende mich schnell meinem Computer zu, der endlich die erste Seite fertig geladen hat. Ich hatte schon mal das Vergnügen, ihm zuhören zu müssen, wenn seine arrogante Seite hervorkommt, und das muss ich nicht unbedingt wiederholen.
 

Als die Doppelstunde endlich vorbei ist, bin ich der erste, der aus dem Raum flieht. Marvin hat zwar kein einziges Wort mehr mit mir gesprochen, aber irgendwann mussten wir alle uns wohl oder übel miteinander verständigen, deswegen konnte ich ihm nicht mehr aus dem Weg gehen, und so böse, wie er mich dabei angeschaut hat, wäre ich jedes Mal am liebsten ein Stück weggerückt. Es war noch schlimmer als davor. Keine Ahnung, womit ich ihn diesmal aufgeregt habe. Vielleicht hat er mich doch mit Jonas reden hören, obwohl ich extra leise war, aber da habe ich eigentlich nichts gesagt, was ihn geärgert haben könnte. Denke ich.

Wenn es draußen kalt ist, bin ich in den Pausen meistens mit Jannis in der Cafeteria, und wie üblich ist er schon da, als ich komme. Sein Kurs hat jedes Mal früher aus als meiner. Ganz und gar nicht üblich ist allerdings, dass sonst keiner von unseren beziehungsweise Jannis‘ Freunden bei ihm sitzt, sondern nur irgendein Mädchen, dessen Namen ich nicht kenne und das ganz offensichtlich mit ihm flirtet.

Okay, es versuchen schon öfter Mädchen, sich an ihn ran zu machen, aber normalerweise sehen sie gleich ganz frustriert aus, weil Jannis‘ einfach nicht das geringste Bisschen Interesse daran hat, mehr als nur eine freundschaftliche Beziehung zu irgendjemandem aufzubauen. Meistens merkt er nicht mal, wenn jemand mit ihm flirten will, und ist deswegen manchmal ein bisschen unsensibel.

Und jetzt… Jetzt sieht es tatsächlich so aus, als würde er sich darauf einlassen.

Unschlüssig bleibe ich stehen. Einerseits freue ich mich, ich war sowieso schon lange der Meinung, er sollte sich endlich Mal eine Freundin suchen, und will die beiden auch nicht stören, aber andererseits würde ich auch gerne mit Jannis reden…

Letztendlich nimmt er mir die Entscheidung ab, indem er mir winkt, also gehe ich wohl oder übel zu ihm und dem Mädchen rüber und setze mich zu ihnen an den Tisch. Sie lächelt mir zu, macht aber den Eindruck, als wäre sie lieber noch mit ihm allein. Und ich habe ein schlechtes Gewissen. Hätten wir in Musik nicht ein bisschen früher Schluss gemacht, wären wenigstens noch andere Leute hier und ich würde mir nicht ganz so schlecht vorkommen. Aber um einfach eine Ausrede zu erfinden und wieder zu gehen bin ich dann doch zu egoistisch.

Obwohl ich mich eigentlich nicht danach fühle, erwidere ich das Lächeln des Mädchens und sage wenigstens: „Hi.“

„Das ist Katta. Aus meinem DS Kurs“, stellt Jannis sie fröhlich vor. „Katta, das ist Lexi.“

„Ach ja, Lexi. Hab schon viel von dir gehört“, meint sie sofort mit einem vielsagenden Grinsen und ich werfe ihm einen genervten Blick zu. So, wie sie aussieht, kann ich mir auch gut vorstellen, was sie von mir gehört hat. Dabei sollte Jannis nicht gleich jeden über mein Leben informieren, er ist doch mein bester Freund!

„Sorry, Lexi, ich hab einfach kein eigenes Leben“, verteidigt er sich ebenfalls grinsend und legt einen Arm um mich. Ich überlege kurz, ihn weg zu schubsen, aber nachdem ich die Liste der anderen Leute, mit denen ich reden könnte, durchgegangen bin, entscheide ich mich doch dagegen und lasse mir von ihm den Rücken tätscheln. „Wie war eigentlich Musik?“

„Nicht gut“, sage ich nur mit einem Seitenblick zu Katta. Noch mehr muss sie ja wirklich nicht von meinem Privatkram mitbekommen. Dummerweise scheint sie das anders zu sehen und schaut mich erwartungsvoll an.

„Warum?“, fragt Jannis trotzdem weiter. „War was mit Marvin?“

„Naja, nicht direkt. Wir haben eigentlich gar nicht geredet. Ich glaube, er ist sauer auf mich. Und wir müssen Gruppenarbeit machen, mit Jonas und Selma“, fasse ich die letzten beiden Stunden so knapp wie möglich zusammen und versuche, gelassen zu klingen, weil Katta mich schon mit einem sensationslüsternen Funkeln in den Augen ansieht.

„Selma? Hast du der nicht mal die Nase gebrochen?“

„Hmhm“, mache ich nur und werde rot, weil Jannis anfängt zu lachen, wie immer, wenn er sich an diesen Vorfall zurückerinnert. Katta hat wenigstens den Anstand und versucht, ihr Lachen mit einem Hustenanfall zu kaschieren, auch wenn das nicht allzu gut funktioniert.

„Wow. Sowas hätte ich von dir wirklich nicht erwartet“, meint sie, als sie sich wieder einigermaßen unter Kontrolle hat, ist aber immer noch sichtlich amüsiert.

„Es war ein Unfall“, kläre ich sie schnell auf, bevor sie noch weiter erzählt, ich hätte Selmas Nase damals mit Absicht zertrümmert, und die mich dann aus Rache massakriert.

„Verdient hat sie’s trotzdem. Ich war sieben Jahre lang mit ihr in einer Klasse und hatte mehr als einmal das Bedürfnis, ihr eine zu verpassen“, sagt Katta halb zu sich selbst und verdreht die Augen. Die besten Erinnerungen hat sie offenbar nicht an Selma.

Ehrlich gesagt bin ich nicht überrascht. Davon abgesehen, dass ich es allgemein schwer finde, sie sympathisch zu finden, sehen die Mädchen, die tatsächlich mit ihr befreundet sind, auch ganz anders aus als Katta. Und sie würden auch nicht einfach so mit mir reden. Statt solariumgebräunt und für diese Jahreszeit nicht annähernd warm genug angezogen ist sie nämlich ziemlich blass, hat recht achtlos hochgesteckte braune Locken und eine Brille auf der Nase und trägt tatsächlich eine Jeans und ein langärmeliges T-Shirt gleichzeitig.

„Wie auch immer, zurück zum Thema“, meint Jannis plötzlich, als er sich wieder erholt hat, und lehnt sich neugierig zu mir. „Marvin. Er ist wütend auf dich? Was hast du gemacht?“

„Na, nichts. Und du? Hast du irgendwas zu ihm gesagt oder so?“, frage ich zögerlich, aber er schaut mich nur überrascht an.

„Ich? Nö. Ich rede nicht gerne mit ihm… Und überhaupt, ich hab dir schon gesagt, was ich denke, mehr misch ich mich da nicht ein. Ist doch deine Sache.“

„Nein… Wann hast du dich denn jemals in mein Leben eingemischt?“, nuschle ich sarkastisch, aber er überhört es dezent.
 

Auf dem Weg zu unserem nächsten Unterricht nutze ich die Gelegenheit, mich mal alleine mit Jannis unterhalten zu können. Okay, wirklich alleine sind wir nicht, immerhin sind wir nicht die einzigen, die jetzt wieder Unterricht haben, aber zumindest ist Katta nicht mehr da. Nicht, dass ich sie nicht leiden könnte, eigentlich finde ich sie ganz nett, aber wenn sie zuhört, kann ich ja nicht mit Jannis über sie reden.

„Sag mal, was ist eigentlich mit Katta?“, frage ich vorsichtig.

„Was soll schon sein? Ich mag sie, sie ist cool“, antwortet er irritiert und scheint nicht zu wissen, worauf ich hinaus will. Ich seufze leise. Schon klar, ich weiß ja, dass er sich mit allen möglichen Leuten befreundet ist, auch mit vielen Mädchen, aber das war wirklich das einzige Mal, dass ich ihn habe flirten sehen. Er hat sich zwar ein bisschen schnell von mir ablenken lassen, aber es war wirklich anders als sonst immer.

„Wärst du vorhin lieber allein mit ihr gewesen?“

„Nein, warum?“ Verständnislos schaut er mich an. Ich schaue misstrauisch zurück. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich mich nicht getäuscht habe, aber ich bin mir noch sicherer, dass Jan ehrlich zu mir ist. Kann es sein, dass er einfach nichts davon mitbekommen hat? Bei Katta vielleicht, er merkt öfter mal nicht, wenn jemand versucht, ihn anzubaggern, aber bei ihm selbst…

„Weil du mit ihr geflirtet hast. Ich hatte ein ganz schlechtes Gewissen, als ich zu euch gekommen bin.“

„Ach was, wir haben doch nur miteinander geredet“, meint Jannis gelassen und legt mir einen Arm um die Schultern. „Außerdem kommst du immer zuerst, du bist doch mein bester Freund“, fügt er grinsend hinzu. Ich lächle verwirrt zurück. Ist irgendwie auch schade. Ich finde wirklich, dass es langsam mal Zeit wird, dass er wenigstens mal ein Date hat oder so. Und wenn er sich endlich mal verlieben würde, könnte er mich vielleicht auch ein bisschen besser verstehen. Er versucht zwar schon, so verständnisvoll wie möglich zu sein, aber das funktioniert nicht immer. Und das kann manchmal wirklich frustrierend sein.

„Ich treffe mich morgen übrigens mit Paula. Sie hat gefragt, ob du und Caro auch kommen wollt. Du kannst Katta ja fragen, ob sie auch Lust hat, mitzukommen“, schlage ich deswegen vor.

„Klar. Gute Idee“, sagt Jannis fröhlich. „Was machen wir denn?“

„Egal. Kino oder so. Was ihr halt wollt, mir ist es eigentlich egal.“ Solange ich mich nur von meinem Marvin-Problem ablenken kann, ist mir alles recht. Und wenn ich gleichzeitig die Möglichkeit habe, Jannis und Katta mal länger als 20 Minuten zu erleben, ist es umso besser.



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