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Schneeherz

von

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Schneeherz

Wäre es still, könnte man das leise Knistern des Schnees unter den Stiefeln der Kinder hören.

Aber es war nicht still.

Die Kinder schrien und tobten, sie riefen und rannten umher und die Schneebälle flogen durch die Luft.

Der Schneemann, den sie im Hof gebaut hatten, betrachtete vergnügt die Schar.

Immer wieder kamen sie zu ihm zurück und ergänzten seinen anfangs schlichten Körper mit Armästen, Steinknöpfen und am Ende bekam er sogar einen alten, löchrigen Topf, den sie einer Mutter abgeschwatzt hatten.

So fühlte er sich bald pudelwohl in der eisigen Kälte, und hätte sich fast für einen Menschen gehalten,... hätte er noch Füße.

Den ganzen Tag beobachtete er die kleinen, rosigen Kindergesichter, die um ihn herum im Schnee spielten.

Als es langsam dämmerte, setzte der nächste Schneefall ein und ein Kind nach dem anderen wurde nach Hause zum Abendessen gerufen, bis er ganz alleine dastand und der dunkle Hof nur noch von den hell erleuchteten Fenstern der Häuser beleuchtet wurde. Der Geruch der verschiedenen Abendessen hing in der Luft und der Schneemann sog sie mit seiner – etwas kurz und schief geratenen Karottennase tief ein.

Er fühlte sich nicht einsam, alleine im Hof, nein, er betrachtete gern die weihnachtlich geschmückten Fensterscheiben und die Schatten, die und wieder hinter ihnen vorbei huschten.

Ab und zu durchbrach ein helles Lachen die besinnliche Stille und die Kohlenmundwinkel wanderten das eirunde Gesicht nach oben.
 

In der Nacht kam ein heftiger Schneesturm auf, der Topf ging dem Schneemann verloren und auch seine beiden Arme flogen davon.

Dann fiel ihm zu allem Überfluss auch noch ein Auge ab und die Welt kam ihm plötzlich viel kleiner vor.

Doch dafür lag am nächsten Tag noch mehr Schnee als zuvor und die Kinder freuten sich und jubelten.

Bald hatte er nicht nur seinen Hut, seine Arme und sein Auge wieder zurück, nein, dazu kamen noch ein Schal und zwei alte Handschuhe.

Auch ein Kollege wurde ihm gegenüber gebaut – natürlich sah er längst nicht so gut aus, wie der erste Schneemann – aber so hatte er nun einen Gesprächspartner, wenn die Kinder wieder nach Hause gingen.
 

Als die Kinder nach einem langen Tag im Schnee wieder gegangen waren, fragte er ihn, ob er wisse, was dieses „Weihnachten“ sei, von dem die Kinder den Tag über immer wieder gesprochen hatten.

Doch der andere Schneemann blieb stumm und still, obwohl er selbstverständlich über einen Kohlemund verfügte.

Wütend wollte der alte Schneemann wissen, warum er nicht mit ihm spreche, er müsse sich nicht schämen, wenn er es nicht wisse, er wüsste es ja auch nicht, obwohl er viel älter wäre, doch vergebens, er antwortete nicht.

Da gab der Schneemann seine Bemühungen auf und versank ebenfalls in Schweigen. Er grübelte lange darüber nach, was dieses „Weihnachten“ sein könnte, es musste etwas wirklich Tolles sein, so, wie sich die Kinder darauf freuten.
 

An den darauf folgenden Tagen hörte er immer ganz genau hin, wenn das Wort fiel und er lernte, dass es ein Fest zu Ehren der Geburt eines Kindes, das „Jesus“ oder „Christus“ hieß – anscheinend wusste die Eltern noch nicht genau, welchen Namen sie ihm Kind geben wollten.

Und er begann, sich ebenfalls darauf zu freuen, auch, wenn er das Kind nicht kannte.

Auch lernte er, dass es Geschenke geben würde, nur welche, verstand er nicht; die Einen sprachen von Weihrauch, Gold und Myrre, die Anderen von elektrischen Spielzeugautos, Geld und Schokolade. Auch der Ort der Geburt schien noch nicht fest zu stehen – wobei er genau wusste, dass sich die Eltern bestimmt auch lieber für das Wohnzimmer eines der Kinder entscheiden würden, anstatt für einen kalten, zugigen Stall mit Ochs und Esel.

Und so malte er sich jede Nacht aus, wie diese Geburt wohl vonstatten gehen würde und ob er dazu eingeladen werden würde...
 

Doch dann geschah etwas Seltsames. Im war schon aufgefallen, dass es in letzter Zeit nicht mehr geschneit hatte, doch er hatte das für den „Sommer“ gehalten, von dem eines der Kinder mal erzählt hatte.

Doch dann bemerkte er, dass sein stummer Nachbar mit einem Mal zu schrumpfen begann – der Kohlemund verrutschte in seinem Gesicht und ganze Stücke aus Schnee fielen von ihm ab!

Dann musste er entsetzt feststellen, dass er selbst auch nicht mehr so groß war, wie er zu Anfang gewesen war!

Die Nächte wurden jetzt zur Qual, denn er konnte beobachten, wie sich sein Freund in eine Wasserlache verwandelte und er wusste, dass es ihm auch bald so gehen würde.

Dann begann es endlich eines Nachts wieder zu schneien und er atmete erleichtert auf. Doch, was war das? Das war kein wunderbar kalter Schnee! Das war seltsam warmer, FLÜSSIGER Schnee! Und wo immer er auf seinen Körper fiel, drang er tief ein und machte ihn ebenfalls weich und flüssig.

Er fürchtete sich sehr und dachte unendlich traurig, dass er nun wohl doch nicht die Geburt des Kindes erleben sollte.
 

Als die Kinder am nächsten Morgen in den Hof kamen, befand sich nur noch ein kleiner, matschiger Klumpen auf dem Boden, in dem noch ein Kohleauge steckte, der Topf, der Schal und die Handschuhe waren durchweicht und nass.

Und das zwei Tage vor Weihnachten!

Eines der Kinder hob die Sachen auf und entdeckte dabei, dass sich unter all dem Matsch noch ein harter, zu Eis erstarrter Schneeball befand, etwa so groß wie eine Faust. Das Kind hob ihn auf und nahm ihn mit nach Hause, wo es das Schneeherz in den Tiefkühlschrank steckte.

Zwei Tage später, am Heiligen Abend, war es wieder bitterkalt geworden und das Kind legte das Herz auf die äußere Fensterbank im Wohnzimmer. Schließlich steckte es noch zwei Sonnenblumenkerne, die ein Vogel wohl dort hatte fallen lassen, als Augen hinein. So erlebte der Schneemann doch noch das Weihnachtsfest.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  FreeWolf
2010-12-24T20:48:47+00:00 24.12.2010 21:48
Das ist nett^^ Klingt wie eine Kindergeschichte, die ich vor Jahren einmal gehört habe.
Aber gut geschrieben ist sie, viel besser als diese typischen "blabla",-sagt-Bella - Geschichten ;)

*knuff* immer weiter so! Wenn ich Zeit habe, werde ich jede deiner Geschichten kommentieren, die mir unterkommt ;D


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