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Die wunderbare Entdeckung der Freiheit

Der Betonbau. Siebter Stock. Den Gang runter, rechts an der Plastikpalme vorbei in einer kleinen Bürozelle saß eine arme, einsame Seele. Warum diese Seele so einsam war? Nun, das wusste sie selber nicht so genau. Alles was sie noch wusste, war, dass sie einsam war, oder eher müde. Müde von dem eintönigem Bürojob im Betonbau, siebter Stock, den Gang runter, rechts an der Plastikpalme vorbei in der kleinen Bürozelle, müde vom Aldi-Brot für 0,53€, müde von der bekloppten Morningshow im Radio, die nun mindestens zum dritten Mal mit einer Euphorie, die Ihresgleichen sucht, die „Black Eyed Peas“ spielt, müde vom Bausparvertrag ,müde von der lauwarmen Beziehung zu einem lauwarmen Ehemann. Müde vom Leben.

Wie war es nur so weit gekommen? War die kleine Seele nicht voller Hoffnungen und Träume, von fernen Ländern, der sozialistischen Revolution und der großen Liebe?

Wann sind diese Träume dem Geburtstag der Schwägerin, den Sonderangeboten bei Tschibo und der nächsten Folge DSDS gewichen? Mühselige Fragen, die immer dann aufkamen, wenn die Arbeit zu eintönig wurde, um alles andere zu verdrängen.

Im Grunde genommen hatte die Seele im Laufe der Jahre, wie so viele andere auch, dem Mahlstrom des Alltags kleinbeigegeben, sich der Herde angepasst und ist schließlich ermattet. Sie nahm noch einen Schuck gekochte Pisse, die wohl so etwas wie Kaffee darstellen sollte. Nein, garantiert kein Kaffee, eher Pisse. Die Seele merkte auf einmal, wie sie diese Stadt hasste. Mit all ihren Straßen, U-Bahnen, die immer nach Bier stanken und Betonbauten. Den Alltag in dieser Stadt, der Wecker klingelt, aufgestanden, angezogen, schnell am Bahnhof ein Brötchen und eine Zeitung gekauft, in den Betonbau, in den siebten Stock, den Gang runter, rechts an der Plastikpalme vorbei in die kleine Bürozelle gesetzt und da den Tag mit uninteressanten Leuten verbracht. Am Abend schnell einkaufen gegangen, kochen, putzen, RTL. Aber dieser Tag war nicht wie jeder andere Tag, an dem die kleine Seele in ein Haus zurückkehren würde, das hoffentlich bald abbezahlt ist, zu ihrem spießigem Ehemann, der einst auch die Welt verändern wollte, heute allerdings nur noch die Spielergebnisse von Schalke. Nein heute war irgendetwas anders. Was es war? Wer weiß? Vielleicht, der Kaffee, der keiner ist, die Black Eyed Peas, die U-Bahnfahrt oder alles zusammen. Heute beschloss die Seele etwas zu unternehmen, egal was. Die Seele ging also zum Hauptbahnhof, denn so viele große Veränderungen fangen am Hauptbahnhof an und nahm sich spontan ein Ticket für den ersten Zug, den sie kriegen konnte, egal wohin. Das Zugfahren war so aufregend wie es keine durchzechte Kneipentour geschafft hätte. Die Landschaft, die vorbeizog, veränderte sich stetig. Es waren Felder zu sehen und Bäume und weite Wiesen. Ein Farbenspiel aus grün, blau, rot und gelb zog an ihr vorbei. Die Welt zeigte sich wie immer in ihrer ganzen Pracht und es war ihr ziemlich egal, wer sie anschaute und wer sie würdigte. Denn die Welt ist frei, die Welt will nicht beeindrucken. Wie lange die Seele in der Bahn saß und der Landschaft zuguckte, weiß niemand mehr so genau. Es war eine Ewigkeit, die in ein paar Sekunden gepresst wurde. Aber schließlich wusste die Seele, wo es sie hinzog. Zum Meer. Jetzt im Herbst war es am schönsten. Das dachte sie auf jeden Fall als sie aus dem Zug stieg und durch einen kleinen Touristenort flanierte, der jetzt wegen dem schlechten Wetter, das sich zusammenbraute, wie leergefegt war. Umso besser. Wer wollte schon am Strand sein, wenn er voll war mit Menschen, die viel Lärm machten und alles blockierten? Die Seele erreichte eine Promenade und stieg hinunter zum Strand. Es war windig. Die Luft pustete mit einer ungeheuren, wilden Kraft um sie. Sie wirbelte alles auf, Sand, Wellen, Gedanken. Ein wahrer König ohne Land war er, der Wind. Aber auch die Wellen waren mächtig und präsentierten in riesigen Wogen ihre Kraft. Gespeist wurden sie vom Regen, der wie ein Hammer auf alles herunter prasste und kein Mitleid und Erbarmen kannte. Alles um die Seele herum war wild und frei. Sie war wild und frei. Und auf einmal musste sie lachen. Denn was brauchte ein Mensch aus einem Betonbau, siebter Stock, den Gang runter, rechts an der Plastikpalme vorbei in einer kleinen Bürozelle schon mehr zum glücklich sein als die Freiheit?



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