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Water

von

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Water

Ich hasse ihn. Ich hasse ihn wirklich. Wen? Meinen Bruder Hyun Seung. Warum? Weil er mich mit hier her geschleppt hat. Er weiß genau, dass ich Schwimmbäder nicht mag und doch bin ich nun hier. Gut, ein Stück weit ist es wohl auch meine eigene Schuld. Doch hätte er mich mit seinem Bitten und Betteln nicht genervt, hätte ich niemals zugestimmt. Ein Grund warum ich nicht gern ins Schwimmbad gehe ist, dass es immer überfüllt ist. Ein weiterer ist, dass es einfach zu viel nackte Haut zu sehen gibt, die man nicht unbedingt sehen möchte. Doch der ausschlaggebende ist wohl, dass ich nicht schwimmen kann. Ja, es ist wirklich so. Es ist nicht so, dass ich es nicht möchte, doch im Alter von 20 Jahren noch schwimmen zu lernen ist einfach nur peinlich. Ich mit all den 6-jährigen, nein diese Vorstellung ist zu grauenhaft.
 

Und so liege ich den ganzen Nachmittag auf meinem Handtuch und lasse mich von der Sonne bräunen. Was sonst hätte ich auch tun sollen? Hyun Seung, mein Bruder, vergnügte sich mit seinen Freunden im Wasser und ließ mich allein zurück. Ich frage mich weshalb ich unbedingt mit musste, wenn er nun doch mit den anderen Spaß hat.
 

Irgendwann ist mir so heiß, dass ich mir ein Eis hole. Also gehe ich die paar 100 Meter von unserem Platz zu dem kleinen Kiosk in Nähe des Ausgangs. Dort angekommen muss ich mich erst mal hinten an der Schlange der Wartenden anstellen. Hauptsächlich Kindern die sich Süßigkeiten holen wollen und ungeduldig von einem Bein auf das andere hibbeln.
 

Als ich endlich an der Reihe bin, sage ich der etwas älteren und finster dreinschauenden Kioskdame was ich will und keine Minute später trotte ich mit meinem Eis in der Hand zurück zu meinem Handtuch.
 

Gedankenverloren setzte ich einen Fuß vor den anderen, während ich all die Menschen im Wasser beobachte. Sie scheinen Spaß zu haben, lachen, oder ziehen einfach nur ihre Bahnen.

Plötzlich rempelt mich jemand an. Ich taumle. Falle. Versuche mit rudernden Armen das Gleichgewicht zu halten. Vergeblich. Nein, schießt es mir durch den Kopf, während das Wasser immer näher kommt. Ich versuche mich an etwas fest zu halten, doch ich bekomme nichts zu greifen. Ich lande im Wasser. Panik steigt in mir auf, als ich nicht mehr atmen kann. Wild schlage ich mit den Armen in der Hoffnung irgendwie an die Oberfläche zu kommen. Doch genau das Gegenteil ist der Fall. Ich sinke immer tiefer. Immer weiter entfernt sich die Wasseroberfläche von mir. Mein Herz rast. Ich will nicht ertrinken. Ich will nicht sterben. Hyun Seung, ich verfluche dich.
 

Mit einem Mal ist alles schwarz. Meine Arme treiben kraftlos im Wasser. Ich wehre mich nicht weiter. War es das nun? Bin ich tot? Ertrunken?

Dann spüre ich wie mich jemand am Arm zerrt. Ich spüre wie sich mein Körper bewegt. Fahre ich jetzt in den Himmel auf?

Etwas Hartes an meinem Rücken. Hände auf meinem Brustkorb. Druck. Lippen auf den meinen. Dann ein Würgereiz. Ich setzte mich in Trance auf und speie Wasser aus meinen Lungen. Eine Hand an meinem Rücken. Ich bleibe aufrecht sitzen. Kann nicht klar sehen. Alles verschwommen. Was ist passiert? Ich sehe Umrisse um mich. Viele Schatten. Stimmen. Reden sie mit mir? Nein, es scheint eher eine Flüstern.
 

Schwer lasse ich mich gegen den Arm sinken. Huste ab und an. Versuche einen klaren Gedanken fassen zu können. Fast wäre ich ertrunken.
 

Im nächsten Augenblick taucht ein Gesicht vor mir auf. Ich kann es nicht zuordnen, kenne diese Person nicht. Ich spüre leichte Schläge auf meine Wangen, dann klärt sich mein Blick und ich sehe in diese wunderschönen Augen. In diese schönen braunen Augen. Ich schüttle den Kopf, möchte diese Illusion loswerden. Doch al ich erneut aufschaue sind sie immer noch da. Dann erst erkenn ich, dass sie zu einem Jungen gehören. Erschrocken weiche ich zurück. „Na also, er scheint wieder ok zu sein“, ertönt die Stimme eben dieses Jungen. Ich sehe mich um. So viele Menschen, die mich anstarren. Ich fühle mich plötzlich wie ein Tier im Zoo.
 

Der Junge rückt ein Stück näher und legt mir eine Hand auf die Schulter. Sofort gehört meine Aufmerksamkeit wieder ihm. Er sieht mich besorgt an. „Ist alles ok? Wie fühlst du dich? Weißt du was passiert ist?“ Muss er mich gleich mit so vielen Fragen bombardieren? Ich nicke. „Alles ok.“, ich versuche aufzustehen, „und ja, ich weiß, dass ich eben fast ertrunken wäre.“ Endlich wieder auf den Beinen erhebt auch er sich. „Sicher habe ich dir zu verdanken, dass es bei einem FAST geblieben ist.“ Er verzeiht die Lippen zu einem Lächeln. „So ist es.“ Ich strecke die Hand aus. „Also dann…vielen Dank.“ Er ergreift und drückt sie kurz. „Kein Problem. Pass auf, dass dir das nicht wieder passiert.“ Ein weiteres kurzes Grinsen und weg ist er.
 

Hyun Seung bekommt später auch sein Fett weg. Er hat von all dem rein gar nichts mitbekommen. Ich könnte ihn erwürgen. Das alles ist allein seine Schuld, doch es tut ihm kein Stück Leid.
 

Als ich am nächsten Morgen in der überfüllten U-Bahn zur Schule fahre, hoffe ich inständig, dass mich gestern keiner meiner Klassenkameraden in dieser misslichen Situation gesehen hat. Ansonsten habe ich den Spott definitiv auf meiner Seite.
 

Einen Sitzplatz gibt es wie immer keinen, also stehe ich eingequetscht an der Tür um wenigstens schnell nach draußen zu kommen sobald wir meine Station erreicht haben. Plötzlich bremst die Bahn etwas schärfer als nötig ab. Wodurch jemand mit voller Wucht gegen mich fällt und ich hart gegen die Tür gedrückt werde. Fluchend drehe ich mich zu dem Übeltäter um um ihn zu fragen was das soll, als ich in diese wunderschönen braunen Augen blicke. Ich starre förmlich in das Gesicht meines Gegenübers. Er scheint mich ebenfalls zu erkennen. „Hey, bist du nicht… gestern… im Schwimmbad?“ Ich nicke stumm. „Was für ein Zufall. Gehst du auch auf…“; sein Blick wandert nach unten, „nein, du gehst nicht auf meine Schule. Du hast eine andere Uniform.“
 

Die Bahn fährt weiter. Ich bin noch immer nicht fähig zu sprechen. „Was hast du? Ist dir nicht gut?“ Seine Stimme klingt besorgt. Ich schüttle den Kopf. „Gut. Aber du siehst bleich aus.“, stellt er fest, „oder habe ich doch eben gequetscht?“ Wieder schüttle ich nur den Kopf. Die Bahn hält erneut. Er sieht auf. „Oh, hier muss ich raus. Also dann.“ Er hebt kurz die Hand zum Abschied und hastet nach draußen auf den vollen Bahnsteig direkt auf die Rolltreppen zu und somit aus meinem Blickfeld. Die Türen schließen sich und die Bahn rollt weiter.
 

Was war das eben? Was war nur mit mir los? Kein einziges Wort habe ich über die Lippen gebracht. Und das nur nachdem ich einen einzigen Blick in seine Augen geworfen hatte.
 

Der Unterricht verläuft ereignislos. Keiner hatte mich gestern gesehen und ich habe somit meine Ruhe. Als ich nachmittags nach Hause fahre, hoffe ich innerlich ihn wiederzusehen. Den Jungen mit den wunderschönen braunen Augen. Doch meine Hoffnung bleibt unerfüllt.
 

Am nächsten Morgen stehe ich ungeduldig am Bahnsteig. Wird er heute auch hier sein? Ich muss ihn nach seinem Namen fragen, das ist es, was ich mir vorgenommen habe. Die U-Bahn fährt ein, ich steige in einen Wagon und lasse meinen Blick schweifen. Er ist nicht da. Seufzend senke ich meinen Kopf, lehne mich gegen die Tür und starre auf meine Schuhe. Sicher ist er in einem anderen Wagen. Immerhin weiß ich auf weiß ich auf welche Schule er geht. Gestern Abend habe ich im Internet nachgesehen zu welcher seine Uniform gehört. Doch viel mehr interessiert mich sein Name. Warum nur bin ich so von diesem Jungen gefesselt?
 

Wir erreichen die nächste Haltestelle, ich löse mich von der aufgehenden Tür und viele Menschen strömen an mit vorbei in den Zug. Die Türen schließen sich und wir fahren weiter. Noch immer in Gedanken versunken wiederholt sich das Ganze an der nächsten Haltestation, ich starre wie so oft auf meine Schuhe und bemerke aus diesem Grund nicht wer genau vor mir zum Stehen kommt.
 

Erst ein lautes “Hey“ reist mich aus meinen Gedanken. Ich hebe den Blick und versinke sogleich in seinen braunen Augen. Sein Lächeln lässt meinen Blick etwas tiefer sinken und an seinen Lippen haften. „Guten Morgen“, begrüßt er mich ein zweites Mal. Ich reise mich zusammen und löse meine Augen von seinem Mund. „Guten Morgen“, erwiedere ich seinen Gruß. „So langsam wird mir das wirklich unheimlich. Jeden Tag treffen wir uns.“ Doch sein Lächeln verrät, dass er es als positiv empfindet. „Du hast recht, schon drei Tage begegnen wir uns mindestens einmal. Danke übrigens nochmal für neulich.“ „Ach was, ist doch selbstverständlich. Wie könnte ich jemanden ertrinken lassen?“
 

Eine leichte Röte breitet sich auf meinen Wangen aus. Ich sehe zur Seite, doch es bleibt ihm nicht verborgen. „Sag bloß das ist dir peinlich.“ Ich nicke zaghaft. „Das muss dir doch nicht peinlich sein“ Es gibt viele, die nicht schwimmen können. Mach dir keinen Kopf.“ Die Bahn hält. Er sieht auf. „Oh, ich muss hier raus. Also dann.“ Wieder hebt er die Hand zum Abschied und steigt aus. „Hey, warte…“, versuche ich ihn noch aufzuhalten. Zu spät. Er hechtet schon die Rolltreppe hoch. Und wieder habe ich seinen Namen nicht erfahren.
 

Am nächsten Morgen achte ich an der übernächsten Haltestelle auf ihn. Als die U-Bahn hält, wartet er mit gesenktem Kopf genau vor der Tür, hinter der ich stehe. Sie öffnet sich und viele Menschen drängen sich in den Wagon. Er schaut auf und unsere Blicke treffen sich. Er lächelt. Wie sehr ich sein Lächeln mag. „Guten Morgen“, begrüßt er mich als er bei mir angelangt. „Guten Morgen“, erwiedere ich. Die Bahn fährt ruckartig an und hätte er nicht so schnell reagiert und sich an der geschlossenen Tür hinter mir abgestützt, wäre er auf mich gefallen.
 

So steht er nun vor mir. Eine Hand neben meinem Gesicht. Ganz nah. Ich spüre eine leichte Röte aufsteigen. Er sieht auf mich herab. Erst jetzt fällt mir auf, dass er mindestens einen halben Kopf größer ist als ich. Erst jetzt fällt mir auf wie gut er riecht, wie breit seine Brust ist, wie nervös ich in seiner Gegenwart bin.
 

Als die Bahn wieder ruhig fährt, löst er sich und stellt sich vor mich. Einen Moment schweigen wir beide. „Blöde Bahn“, flucht er leise. „Wie heißt du?“, meine Frage kommt aus heiterem Himmel und hätte nicht blöder gestellt werden können. Überrascht sieht er mich an. Grinst. „Dong il. Und du?“ „Soo Hyun“, antworte ich leise. Dong il, was für ein schöner Name.
 

Von da an unterhalten wir uns jeden Morgen während wir zur Schule fahren in der U-Bahn. Zwar fahren wir nur drei Stationen weit zusammen, doch ich freue mich jeden Morgen riesig darauf Dong il zu sehen. Ich lerne ihn immer näher kennen und kann mit ihm über meine Probleme reden Man kann sagen wir sind beste Freunde geworden.
 

Auch heute ist wieder ein Tag, an dem ich an seiner Haltestelle nach ihm Ausschau halte. „Guten Morgen“, begrüße ich ihn als er sich zu mir stellt. „Guten Morgen.“ Er sieht mich an. Ich schaue zurück. Er erzählt nicht wie sonst. Was ist los? „Ist etwas passiert?“, frage ich ihn. Er schüttelt den Kopf. „Nein, alles ok.“ „was hast du dann?“, möchte ich wissen. Plötzlich beugt er sich zu mir herab. Reflexartig schrecke ich zurück. Kann durch die Enge und der Tür in meinem Rücken keinen Zentimeter zurückweichen. Sein Gesicht beugt sich immer weiter herab und noch bevor ich weiß, was ich tun soll, liegen seine Lippen auf den meinen.
 

Die Gedanken rasen durch meinen Kopf. Erschrocken hebe ich meine Hände, welche gleich von seinen eingefangen werden. Er drängt mich mit seinem Körper mehr und mehr in die Ecke um mein Fliehen zu verhindern. Als ob ich fliehen könnte. Als ob ich fliehen wollte. Langsam schließe ich meine Augen, löse meine Hände aus seinen und umfasse damit seinen Nacken. Erwiedere seinen Kuss., der immer fordernder wird. Vergesse vollkommen wo wir sind und spüre weder die Blicke, noch höre ich das Gerede um uns herum. Als Dong il den Kuss löst und mich mit geröteten Wangen ansieht, mit diesen wunderschönen braunen Augen ansieht, glaube ich vor Verlangen schmelzen zu müssen. Als hätte er das erahnt, nimmt er an der nächsten Haltestelle meine Hand und wir verlassen gemeinsam die U-Bahn.
 

Dies war der Tag an dem wir zusammen kamen.

Später lernte ich seinetwegen das Schwimmen. Doch noch heute ertrinke ich ab und zu in seinen wunderschönen braunen Augen.
 

-ENDE-



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Yu_B_Su
2010-08-27T11:06:55+00:00 27.08.2010 13:06
Das ist echt schön! Sehr romantisch! Ich finde es gut, wie du die Problematik des Nicht-Schwimmens mit der Liebe verknüpft hast, denn es ist wirklich ein ernstes Problem. Außerdem die U-Bahn als Ort, an dem man sich trifft. Obwohl Verkehrsmittel immer gut für Liebesgeschichten sind, weil man sich eben nur zufällig und nur für eine bestimmte Zeit begegnet und dabei meistens mit seinen Gedanken im Nirgendwo umherschweift, wird es selten verwendet, was schade ist.

Besonders gut war, dass es nicht zu klischeemäßig war, sondern irgendwie... natürlich, nicht krampfhaft kreativ, sondern es floss alles ruhig daher...

Wortwahl und Rechtschreibung sowie Ausdruck waren gut, großer Wortschatz, die Dialoge haben gepasst und waren gut eingefügt... nur 'erwidern' schreibt man ohne ie, weil es von 'wider', also 'gegen' kommt, man könnte statt erwidern auch entgegnen sagen :-D


Alles in allem echt toll!


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