Das war doch alles nicht wahr! Das konnte doch nicht passiert sein, oder doch? Konnte ein einziger Mensch so viel Pech haben?
Scheinbar doch…
Selina wischte sich die Tränen von den Wangen und lauschte an der leicht geöffneten Tür der Abstellkammer in der sie sich versteckte. Es war ruhig geworden. Die lachenden Stimmen schienen nun langsam alle nach Hause gegangen zu sein. Vielleicht konnte sie es nun doch wagen raus zu kommen?
Nein!
Besser sie wartete noch ein Weilchen. Sicher war bekanntlich sicher, und noch so eine Blamage wollte sie sich nicht aufhalsen. Von der heutigen würde man wahrscheinlich noch Monatelang in der Schule sprechen und lachen. Sie hatte es geschafft sich vor der ganzen Klasse völlig lächerlich zu machen. Am besten währe es eigentlich wenn sie einfach nicht wieder hierher kommen würde.
Ja! Das war wohl die einzige Lösung. Sie würde die Schule wechseln. Nur würden da wohl ihre Eltern nicht mitspielen. Von dehnen war sicher nur ein >Ist doch nicht so schlimm< oder >Das vergessen sie doch schnell wieder< zu hören wenn sie ihnen ihr Leid klagen würde.
Warum auch hatte sie sich vor zwei Tagen mit Gloria und ihren Freundinnen angelegt? Es war doch sonnenklar das so etwas passieren würde. Wer sich mit der Terrorzicke der Schule anlegte und dachte ungeschoren davonzukommen, der war echt naiv.
Glückwunsch! Selina war der Naivling des Monats!
Aber was hätte sie tun sollen? Tatenlos zusehen wie diese Kampfzicken die Neue aus der Nebenklasse niedermachten? Das hatte sie nicht übers Herz gebracht. Hatten doch schon alle anderen weggesehen. Selina hatte es nicht übers Herz gebracht.
Sie war zwischen Gloria und ihr neues Opfer getreten und hatte sie zurechtgewiesen, und das vor den Augen und Ohren vieler Schüler die alle anwesend waren. Die schöne Blondine war natürlich sauer gewesen und hatte ihr angedroht das Selina es noch bereuen würde.
Das war vor 2 Monaten gewesen. Selina war blöd genug gewesen zu glauben das Gloria ihre Rachepläne vergessen hatte. Irrtum! Gewaltiger Irrtum!
Eigentlich hatte Selina Erdbeeren immer gemocht. Das war ab heute anders.
Dabei hatte der Tag wirklich gut begonnen. Sie war mit ihrem neuen weißen Sommerkleid das sie zum Geburtstag bekommen hatte in die Schule gegangen und hatte viele Komplimente über ihr Aussehen bekommen. Das Kleid stand ihr auch unheimlich gut, und da sie sich nun endlich entschlossen hatte ihrem Schwarm zu beichten das sie in ihn verknallt war, passte das Kleid natürlich noch besser zum heutigen Tag. Wenn sie schon einem so süßen Jungen wie Chris ihre Liebe gestehen wollte, dann musste sie doch gut aussehen. Zumindest hatte sie das so geplant gehabt.
Doch alles war anders gekommen, und zwar in der Englischstunde vor der großen Pause, für die ihre Freundinnen schon dafür gesorgt hatten das Chris auf sie an den Treppen zum Hof warten würde. Selina konnte es kaum erwarten das die Stunde zu Ende war.
Die Lehrerin rief sie nach draußen an die Tafel. Es war kurz vor dem Ende der Stunde und nachdem sie den verlangten Satz an die Tafel geschrieben hatte, ging sie auch wieder an ihren Platz zurück, zog den Stuhl zurecht und wurde dann von Gloria angesprochen die neben ihr saß und ihr ebenfalls ein Kompliment über das hübsche Kleid machte.
Lächelnd bedankte sich Selina bei der Blondine und nahm Platz, zuckte aber erschrocken zusammen als sie fühlte das sie sich auf irgendetwas nasses gesetzt hatte das ein komisches Matschgeräusch von sich gegeben hatte.
Gloria und ihre Freundinnen, eine saß direkt hinter Selina, fingen an zu kichern und verhalten zu lachen. Dann läutete es zur Pause und alle sprangen erleichtert auf um nach draußen auf den Schulhof zu laufen.
„Was ist Selina? Kommst du nicht mit?“, fragte Gloria schadenfroh. „Es ist so schön draußen. Alle sollten dein schickes Kleid sehen.“
Die Angesprochene rührte sich keinen Millimeter, wartete aber ab bis die Lehrerin den Klassenraum verlassen hatte. Dann sprang sie auf und starrte auf ihren Sitzplatz.
Erdbeeren!
Sie hatten ihr in dem kurzen Moment in dem Gloria sie abgelenkt hatte, überreife Erdbeeren auf den Stuhl gelegt und Selina hatte sich mitten darauf gesetzt.
Ein unschöner roter Fleck zierte nun ihr Hinterteil. Es sah aus als wenn sie ihre Tage bekommen hätte und vor lauter Panik und Scham wurde ihr Gesicht beinahe so rot wie dieser hässliche Fleck.
„Tja! Vielleicht mischt du dich in Zukunft nicht mehr in meine Angelegenheiten ein. Währ besser für dich.“, zischte Gloria ihr zu und ging aus der Klasse. Selina musste ebenfalls nach draußen, hatte aber nichts um sich zu bedecken. Vielleicht konnte sie den Fleck auf der Toilette auswaschen?
Doch Gloria war noch nicht ganz durch mit ihrer Rache. Die ganze Klasse war von ihr im gang aufgehalten worden weil sie scheinbar etwas wegen der baldigen Klassenfahrt abklären wollte. Blöd das sie Klassensprecherin war. Und nun stand ihre versammelte Klasse zwischen Selina und den Toiletten. In die andere Richtung konnte sie auch nicht. Da waren die restlichen Schüler die Richtung Schulhof liefen.
Es gab also nur einen Weg und der hieß ab durch die Mitte.
So schnell sie konnte stürmte sie los, aber natürlich sorgten Glorias Freundinnen dafür das man ihr Malheur sah, und kaum hatten es alle gesehen, fingen sie auch schon an zu lachen.
Man spottete, lachte, zeigte mit dem Finger auf sie…es war unerträglich und zu sagen dass es Erdbeermatsch war, hätte auch nichts geholfen.
Irgendwie waren Selina in dieser ganzen Aufregung dann die Tränen gekommen und sie rannte den Flur hinunter. Dieses Mal war es ihr egal wer sie sah. So war sie auch in der Abstellkammer des Hausmeisters gelandet und hier hockte sie nun. Abwartend das sich alle verkümmelten.
Es war nun still geworden. Kurz zuvor hatte auch die Pausenglocke geläutete und es war eigentlich wieder Unterricht.
Selina würde nicht mehr in die Klasse gehen. Das stand fest. Sie würde nach Hause laufen und sich dort bis ans Ende aller Tage verstecken. Vielleicht bekam sie auch noch schnell eine unerklärliche Krankheit. Irgendwie würde sie ihre Eltern schon dazu bekommen dass sie der Schule fernbleiben konnte.
Wo ein Wille, da auch ein Weg!
Vorsichtig öffnete sie nun die Tür und linste nach draußen. Die Luft schien rein zu sein. Also kam sie heraus, doch da sprach sie jemand von hinten an und ihr ganzer Körper erstarrte beim Klang der Stimme.
„Du hast mich versetzt. Ich dachte ich warte auf eine Entschuldigung.“ Chris hatte eine sehr weiche und schöne Stimme.
Selina biss sich auf die Unterlippe. Was jetzt?
Er stand hinter ihr, also konnte er das Problem sehen. Verdammt noch mal! Er würde es sogar gut sehen können…
Sie hörte wie er sich bewegte und wollte sich schon umdrehen um ihm schnell eine Entschuldigung entgegenzuflüstern und dann zu verschwinden. Doch nun fühlte sie ein paar warme Hände an ihren Hüften und ihr stockte der Atem.
Fassungslos starrte sie nach unten und sah Chris Hände die nun sein Überhemd, das er offen über einem weißen ärmellosen Shirt getragen hatte, vorne an ihrem Bauch zusammenband.
„So wird’s gehen denke ich.“, war die knappe Erklärung und sie drehte sich zu ihm um. Immer noch sprachlos.
Das Hemd war nun eine Art Sichtschutz und bedeckte den hässlichen Fleck.
„D…Danke…“, stammelte sie und war erstaunt das die Hände des Jungen den sie so toll fand, immer noch an ihrer Tailie lagen.
„Ich warte schon seid Wochen darauf dass du mich vielleicht ansprichst Selina. Ich gestehe…ich selbst war zu feige dazu. Das lasse ich mir von so nem albernen Fleck und Glorias Streich nicht kaputtmachen.“, sagte er nun und sah ihr dabei fest in die Augen. „Hast du Lust mit mir nach der Schule ein Eis essen zu gehen? Dann reden wir in aller Ruhe über alles was immer du mir sagen wolltest und, was ich dir zu sagen habe.“
Selinas Herz schlug schneller und sie schluckte schwer. „Stört dich den wirklich nicht das ich mich so zum Affen habe machen lassen?“
Chris schüttelte den Kopf und lächelte. „Eigentlich bin ich ganz froh das Gloria das getan hat. So traute ich mich wenigstens dir näher zu kommen. Also? Gehst du mit mir nachher Eisessen?“
Etwas schüchtern lächelte sie nun. „Wenn’s kein Erdbeereis ist…dann gerne.“
Nun mussten beide lachen und schlenderten zu ihrem Klassenraum zurück.
Mochte es auch Rache gewesen sein. Irgendwie war Selina nun Gloria wohl etwas schuldig, dachte sie glücklich und vergessen war all der Spott von vorhin. Es war sozusagen ein Schicksalsfleck, und mit so einem konnte sie eigentlich ganz gut leben.
