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Exodus

Aufbruch ins Land der Dämonen
von

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Kapitel 1

Die Sonne kroch über weite, mit goldfarbenen Ähren bestückte Felder, auf denen die Insekten im frühen Morgenlicht geschäftig umher flogen, um die letzte Blume noch zu erreichen, bevor die heißen Monate des zweiten Sommers begannen. Vögel, die den nahenden Tag begrüßten, weckten die Tiere im nahen Wäldchen und riefen die Bauern an ihr Tagewerk. Diese trieben ihr Vieh auf die Felder und molken die Kühe, damit sie unbeschwerter auf den saftigen Wiesen grasen konnten.

Diese Idylle verschwand, als der Kriegerpriester Ce’Nedra Esophromatem die letzten Reste des Schlafs aus seinen Augen rieb. An ihre Stelle traten unfreie Leibeigene, die mageren Kühen das letzte Bisschen Milch zu entlocken versuchten, das sie selbst noch behalten durften, hagere Schafe, die lustlos an kargen Grasbüscheln knabberten. Die Felder waren mehr mit Unkraut bewachsen als mit Korn und bei den Insekten handelte es sich häufig um bösartige Stechfliegen oder Kartoffelkäfer, die auch die letzte Ernte versprachen, zunichte zu machen. Einzig die Vögel wollten an der Illusion der ersten Morgenstunde festhalten und trällerten weiterhin trotzig ihr Lied der harten Realität entgegen.

„Wird’s bald, Bursche? Ich kann’s mir nicht leisten, deinetwegen zu spät zu kommen!“, brüllte der Müllermeister von unten herauf und unterstrich seine Worte mit einem herzhaften Tritt gegen die Treppe, die zu dem Nachtlager führte, in dem sich besagter Bursche die Aussicht ansah. Ce’Nedra, der neben ihm saß und den Moment der zweisamen Betrachtung aufrichtig zu schätzen wusste, gab ihm einen freundschaftlichen Klaps auf die Schulter, wodurch er ihn entließ. Gemurmelte Verwünschungen auf den Lippen, fügte sich der Junge und kletterte die Stiege hinunter.

„Du kannst auch diesem Nichtsnutz sagen, dass er herunter kommen soll, ansonsten bleibt nicht viel vom Frühstück übrig!“, donnerte der Müller, ohne sich darum zu scheren, dass der „Nichtsnutz“ ein zahlender Gast war und ihn zudem noch mit Leichtigkeit und ohne irgendwelche Konsequenzen fürchten zu müssen hätte aufknüpfen können. Doch Ce’Nedra sah über die unfeinen Worte seufzend hinweg, stopfte seine Füße in die gepanzerten Stiefel und eilte sich, den gemeinsamen Frühstücksraum zu betreten. Im Prinzip konnte er dem Müller nichts vorwerfen, er war einer der wenigen freien Bürger dieses Landstrichs und musste darum doppelt so hart arbeiten, um sich seinen Kopf, seinen Hof und die kostbare Freiheit auch zu bewahren.

Im Frühstücksraum, der gleichzeitig auch als Werkstatt diente, wurde Ce’Nedra eine Schüssel mit wässrigem Haferschleim und ein sehr dünner Fruchtsaft in die Hand gedrückt. Das Einzige, was ihn davon abhielt, sich zu beschweren, war die Tatsache, dass er wusste, dass der Familie auch nichts Besseres vorgesetzt wurde. Vielleicht sogar etwas Schlechteres, immerhin war er trotz allem eine Respektperson und ein Gast. Am Tischgespräch nahm er kaum teil, auch wenn er im Gegensatz zu dem, was allgemeinhin geglaubt wurde, den Bauernslang sehr gut verstand und fließend sprach.
 

Nur wenige Stunden später befand sich Ce’Nedra wieder auf seiner haselnuss-braunen Stute auf einem unbefestigten Trampelpfad und ritt Richtung Hauptstadt. Je näher er dieser kam, desto ärmer erschienen ihm die zunehmend gehäuft auftretenden Elendshütten, die denen gehörten, die sich die Preise in der Stadt nicht leisten konnten, aber von denen verlangt wurde, dass sie jederzeit in ihr einsatzbereit waren. Bei ihrem Anblick verzog sich Ce’Nedras Mund und formte eine schmale, harte Linie. Wie konnten die feinen Herren und Damen die Menschen, auf die sie angewiesen waren, nur so heruntergekommen im Dreck leben lassen? Wenn sie sich ihren Unterhalt nicht leisten konnten, sollten sie sie frei und eine Arbeit suchen lassen, bei der ihnen mehr als nur der übliche mickrige Hungerlohn gezahlt wurde!

Die Stadttore und die –mauern zeigten all den Prunk und die Pracht, die sowohl den Menschen außerhalb wie auch innerhalb fehlte. Trotz dieser makabren Zurschaustellung der Ignoranz konnte Ce’Nedra Esophromatem nicht umhin, von den gewaltigen Ausmaßen beeindruckt zu sein. Aufgrund seiner Berufung war er schon in vielen Städten gewesen, die sich für reich hielten, doch noch nirgendwo war eine so auf Prestige ausgelegt wie diese hier. Nachdem die Wachen ihn widerstrebend und nicht ohne einen heißhungrigen Blick auf sein schönes Streitross und die edle Kleidung, die die Rüstung verbarg, zu werfen, die einen hohen Zoll versprachen, kostenlos hatten passieren lassen, kontrastierte der Anblick der Behausungen das Tor doch sehr, auch wenn er nichts anderes erwartet hatte. Kaum ein Gebäude war den Putz wert, der es noch zusammenhielt und viele konnten nicht einmal diesen kläglichen Rest Wahrung des Anscheins aufweisen. Wenn man bedachte, dass er hier durch die Hauptstraße der Hauptstadt ritt…

Schnurgerade führte ihn sein Weg vom Tor zum Palast und je weiter er sich ihm näherte, desto prachtvoller wurde übertüncht, welche Armut selbst die Oberschicht litt. Einzig der Palast konnte Ce’Nedra überzeugen, dass es nicht nur falscher Stolz war, der die Fassade noch aufrechterhielt. Die Wächter hier wirkten besser genährt und sie nahmen seine Stute mit kundigen Händen entgegen, um sie im Stall versorgen zu lassen. Die Treppenstufen musste er zu Fuß hinauf steigen und oben seine Waffen abgeben. Dann wurde er von zwei kräftigen Dienern flankiert und durch herrliche Räume und Korridore geführt, bis er schließlich in einem prunkvoll eingerichteten Arbeitszimmer abgestellt wurde, wo er zunächst warten musste. Seine Reisekleidung richtend sah er sich, sich schäbig fühlend, in diesem mit Samt, Seide und farbenprächtiger Wolle ausgestattetem Raum um. Das Sofa, das schräg neben dem Arbeitstisch lehnte, hätte manch einer Familie als Bett dienen können, die Vorhänge als Decke, Teppich und Tapete zugleich und mit dem Gold vom Kerzenständer in der Ecke wären sie mindestens fünf Jahre ohne Sorgen ausgekommen. Und das war nur ein kleiner Teil des Luxus, den Ce’Nedra hier bestaunen musste, Ihm wurde beinahe schlecht.

„Ah, Esophromatem! Man hat Euch hier schon vor einigen Tagen erwartet, was hat Euch aufgehalten?“, erklang ein dröhnender Bass aus dem Hintergrund, wo es anscheinend hinter Haufen von Satinkissen und Seidenstoffen eine Privattür gab, sodass sich der Herr des Hauses nicht unter den normalen Besucher mischen brauchte.

„Mein König“, begrüßte Ce’Nedra den korpulenten Mann und deutete eine Verbeugung an, „Euer Land hat einige faszinierende Szenerien, derer ich mich nicht erwehren konnte. Leider überraschte mich auf der Hälfte der Strecke ein Unwetter, das direkt aus der Hölle stammen könnte.“

„Die Dämonen“, seufzte der König und ließ sich von einer unscheinbaren Dienerin Wein einschenken, „hört zu, was haltet Ihr davon, eine Streitmacht über das Land laufen zu lassen, die jeden Dämon, den sie findet, exorziert oder aufknüpft. Dann wären wir diese Last endgültig los und bräuchten uns nicht mehr mit Umweltkatastrophen wie Eurem Sturm herum zu schlagen.“

„Mein König“, ließ Ce’Nedra seine Meinung im Unklaren. Er wartete auf die Aufgabe, die ihm diesmal zugeteilt werden sollte und wollte vorher keine Präferenzen durchscheinen lassen. Den König schien das nicht zu beeindrucken, er hatte sich in die Idee verrannt.

„Wenn die Dämonen erst einmal ausgerottet sind, können sich die Hexenwirker auch nicht mehr verstecken. Und dann kommen die Elfen dran und die Elben und die Zwerge, … bis irgendwann nur noch die reine Rasse der Menschen übrig ist.“, fantasierte der König, ohne dabei den Gesichtsausdruck Ce’Nedras zu bemerken, der zusehends versteinerte, „doch dazu braucht man Geld und Verpflegung für die Armee. Und wie soll ich armer König das aus eigener Tasche bezahlen, wo es doch einzig und allein für das Wohl des Volkes ist? Esophromatem, Ihr seid ein guter Staatsmann und braver Krieger, findet mir heraus, wo die Leute ihre Steuern vor mir verstecken und macht ihnen dringlichst klar, dass ich doch nicht aus Habgier Geld von ihnen verlange, sondern zum Wohle aller!“ Das war sie also, seine Aufgabe: Den armen Hunden das verlauste und struppige Fell vom Körper ziehen und sie dabei des Hochverrats zu bezichtigen. Nur dank jahrelanger Übung und unantastbarer Treue gelang es Ce’Nedra, nicht in Wut auszubrechen, sondern mit einer knappen Verbeugung anzuzeigen, dass er vernommen hatte und gehorchen würde.

„Ich fange am Besten in der Stadt an, mein König“, murmelte er und begab sich rückwärts zur Tür. Hinter dieser warteten schon die beiden Diener, die ihn in der gewohnten Zeremonie nach draußen geleiteten. Die Treppe hinunterlaufend, nahm Ce’Nedra seine Waffen wieder in Empfang und gürtete sie sich um. Dem Diener, der ihm sein Pferd bringen wollte winkte er ab. Zu Fuß konnte man die Stadt besser durchschreiten.

Zunächst führten ihn seine Wege zu einem noch einigermaßen intakten Gebäude, das eines Geldwechslers. In dem verhangenen Vorzimmer voller in Pfand gegebener, meist wertloser Dinge, brütete ein gebeugter, grauhaariger Mann über einer langen Liste. Als er Schritte die Tür durchschreiten vernahm, sah er kurz auf, erkannte allerdings erst nur einen Schemen vor dem helleren Himmel.

„Wir haben heute kein Geld zu verleihen, tut mir Leid“, murmelte er mürrisch, wobei er wieder seinen Blick die Liste betrachten ließ.

„Ich möchte mir nichts leihen, guter Freund“, schmunzelte Ce’Nedra und zog sich einen wackeligen Stuhl vor den schäbigen Tisch des Wechslers. Bei der Stimme, die er hörte, sah dieser auf und seine Miene erhellte sich.

„Ce’Nedra Esophromatem! Dass du dich hier noch einmal blicken lässt!“, rief der Wechsler aus und saß prompt gerade, wodurch seine schmale hagere Statur sichtbar wurde.

„Dir auch einen schönen Tag, Erwin Goldzahn“, grinste Ce’Nedra, während er aus seinem Reisebeutel einen für seine Größe sehr schweren Beutel kramte, „Ich möchte dir einigen Kram abkaufen,…“

„… zusätzlich zu den Informationen, wem was gehörte und was sich so gesellschaftlich in letzter Zeit begab“, vervollständigte Erwin den Satz, der jedes Mal unzweifelhart auf ihre Begrüßung folgte, „ich muss dich allerdings gleich warnen: die alte Frau Karidon lebt nicht mehr und die Kinder von Jesper und Nadina sind in die Leibeigenschaft gegeben worden, um einem Lord im Namen unseres ehrenwerten Königs auf den Feldern vor der Stadt zu dienen.“

Ce’Nedra knirschte mit den Zähnen. Menschen, die er fast sein ganzes Leben gekannt hatte, starben und solche, die noch so viel vor sich hatten, wurde die Zukunft geraubt. Dennoch ließ er sich nicht zu einer Bemerkung hinreißen, sondern zählte einige Münzen auf den Tisch.

„Wieviel berechnest du mir für die Gegenstände und deine Informationen?“

Erwin überlegte, überschlug kurz den Wert der Dinge, die im Lager gehortet worden waren, während er seinen Blick über sie schweifen ließ, und die Ereignisse, die sich in den Jahren zugetragen hatten, seit sein Freund nicht mehr zugegen gewesen war.

„Für alles zusammen 100 Königstaler“, murmelte Erwin und schaute auf die vor ihm aufgezählten Münzen, „oder ein entsprechender Gegenwert in ausländischer Währung.“ Der Nachtrag war reine Gewohnheit, beide Männer wussten, dass ausländisches Geld zu besitzen selbst einem Geldwechsler den Kopf kosten konnte. Nachdem sein Freund allerdings die verlangten 100 Königstaler fein säuberlich aufgereiht hatte, waren beide erleichtert und Erwin lehnte sich zurück, um die Ereignisse der letzten Jahre angemessen zusammen zu fassen.

Während sie so dasaßen und über die letzten Jahre berichtet wurde, schritt der Tag immer weiter voran und bis in die späten Abendstunden blieben sie beisammen sitzen. Ce’Nedra lernte die neue Hauptstadt kennen und Erwin verdiente sich die 100 Königstaler. Als es Zeit wurde, die Nachtlager aufzusuchen, verabschiedeten sich die Freunde und Ce’Nedra ging mit einem großen Sack beladen einen ihm bekannten Weg zu einer Herberge, die er als gut kennen gelernt hatte. Während er in der Stadt weilte, hatte er zwar das Privileg, im Palast übernachten zu dürfen, doch brauchte er einen Ort, an dem er ungestört ein und ausgehen konnte.

Der Wirt, ein in die Jahre gekommener, schmaler Man, begrüßte den Wanderer persönlich und setzte ihm einen dampfenden Napf vor die Nase. Ce’Nedra war sich zwar nicht ganz sicher, was er enthielt, aber ohne Zweifel war es reichhaltiger und schmeckte besser als das Frühstück, das er bekommen hatte. Auch das Zimmer, das ihm zugewiesen wurde, hielt dem Vergleich mit seiner vorherigen Herberge ohne Probleme stand. Hier entledigte Ce’Nedra sich von seinen Reiseklamotten und seiner Rüstung und schlüpfte in angenehmere, der Stadt angemessenere Kleidung. Inzwischen war die Nacht gänzlich herein gebrochen, doch manche Gestalten des Stadtlebens traf man nur um diese Zeit an.

Die dunkle Straße um ihn herum war lautlos bis auf zwei Tauben, die noch nicht mitbekommen hatten, dass die Sonne schon nicht mehr den Himmel zierte. Zunächst schien es, als sei er alleine, doch dann tauchte aus dem Schatten unvermittelt eine Frau im mittleren Alter auf, die, so wusste er, sich nur herangetraut hatte, weil seine Körperhaltung keine Gefahr signalisierte. Sie hielt einen zerfransten Binsenkorb an die Brust gepresst, in dem sich einige Überreste von irgendwelchen unidentifizierbaren, möglicherweise essbaren Dingen zusammenkauerten. Zaghaft zupfte sie Ce’Nedra am Ärmel, wobei sie jedoch immer noch einen gewissen Abstand wahrte. Wortlos nahm der Mann den Beutel von der Schulter, suchte im Dunkeln kurze Zeit darin herum, dann reichte er der Frau mehrere ramponierte Gegenstände, die sie mir großen Augen entgegen nahm. Jedoch ließ sie sich nicht die Zeit, sie vor Ort genauer in Augenschein zu nehmen, sondern verschwand sofort in einen düsteren Eingang und ward nicht wieder gesehen in dieser Nacht.

Nach fünf weiteren solcher Begegnungen fand Ce’Nedra sich vor einem der zahllosen gedrungenen Gebäuden wieder. Er hielt eine kleine Puppe abwägend in der Hand, dann entschloss er sich, zu klopfen. Ihm wurde erst nach mehreren Minuten geöffnet, doch als das warme Licht einer Kerze auf die Straße floss, bildete es eine willkommene Abwechslung zu der Trostlosigkeit um es herum. Die Frau, die ihm geöffnet hatte, starrte ihn beinahe eine ebenso lange Zeit an, wie sie gebraucht hatte, die Tür zu öffnen. Schließlich jedoch schien sie sich wieder der Situation bewusst zu werden und trat zur Seite, um Ce’Nedra einzulassen. Hinter ihm wurde die Pforte zur Nacht wieder versperrt.

„Setz dich und sei leise!“, gebot die Frau ihm, drückte ihn in einen eigentlich schon lange ausrangierten Sessel und wuselte anschließend mit der Kerze davon.

Als sie wieder zurückkehrte, hatte sie einige Kekse irgendwo ausgegraben, ein sicheres Zeichen dafür, dass sie seine Anwesenheit für einen Grund zum Feuern ansah. Zaghaft, mehr aus Höflichkeit denn aus Appetit, griff Ce’Nedra einen davon und knabberte daran herum, bis sie eine zweite Kerze entzündet hatte und neben ihn stellte.

„Wie lange ist es jetzt her, dass du nicht mehr hier warst?“, flüsterte sie und fasste ihn mit feuchten Augen in Augenschein, „ein halbes Jahr, ein ganzes?“

„Drei Jahre“, antwortete Ce’Nedra, „und jeder Monat davon war eine Qual, nicht in meiner geliebten Stadt zu sein.“

„Jetzt spottest du aber!“, gluckste die Frau, „du hattest es doch so eilig, von hier wieder zu verschwinden, dass wir dir deine Hosen zum Wechseln hinterher tragen mussten!“

„Die habe ich nie wieder gesehen. Bestimmt habt ihr sie verkauft oder selber benutzt“, schoss Ce’Nedra zurück und schielte auf die Beine der Frau, wie um sich zu vergewissern, dass sie sie nicht trug, „Wie auch immer, ich bin auf der Suche nach einer besseren Gegend aufgebrochen, konnte aber keine innerhalb unserer Grenzen finden. Und wie ich hörte, erging es meinen Freunden hier auch nicht sehr gut.“

Die Frau seufzte und schaute zu einem selbstgemalten Portrait eines Jungen. „Wir wollten Jeff und Karina nicht weg geben, für keinen Preis der Welt. Aber der feine Herzog ist zum König gestiefelt und der hat uns vor die Wahl gestellt, entweder wir verkaufen sie, oder er macht sie einen Kopf kürzer, um uns überflüssige Mäuler zu ersparen.“

Mitleidig sah Ce’Nedra Nadina an. „Meinst du, der Herzog würde sich dazu überreden lassen, sie wieder zurück zu verkaufen?“

„Das können wir doch nicht!“, schluchzte Nadina, „Hätten wir genug Geld, um sie zurück zu bekommen, würden wir es ja versuchen, aber dann würde der König misstrauisch, wo wir das denn her haben. Zu uns würde er sagen, er sorge sich, dass wir den Kindern nicht genug Lebensmittel auf Dauer bereit stellen könnten und sie deshalb lieber wieder zum Herzog geben sollten.“

Die Wahrheit schmeckte bitter, auch wenn Ce’Nedra so etwas bereits vermutet hatte. Er biss sich auf die Lippe, legte aber dennoch behutsam die Puppe und eine Rassel auf den Tisch zwischen ihnen. Nadina sah die Spielsachen eine Weile an, dann lief ihr eine einzelne Träne über die Wange, aber sie lächelte, als sie die beiden Dinge an sich nahm.

„Es ist eine große Freude, dass du wieder da bist, Ce’Nedra!“, seufzte sie, „Ohne dich erschienen uns die Tage so düster, jetzt wird selbst diese Nacht von einem freundlichen Licht erfüllt.“

Ce’Nedra lächelte traurig. „Ich wünschte, ich wäre dein Lob wert, aber ich habe schon wieder einen Auftrag, der niemandem gefallen wird. Außerdem bin ich nicht so gut, wie du denkst.“

Nadina sah ihn eine Weile an, dann beugte sie sich vor und flüsterte:

„Ich habe etwas über dich herausfinden können, als du nicht da warst. Meine Vision zeigte mir, wie du ein besseres Leben herbeiführst. Wenn das mal kein Grund zur Freude ist.“

Ce’Nedra stutzte über diese Worte. Nadina sprach nur selten von sich aus über ihre Visionen. Doch wenn sie ihr Mut machte, wollte er auch daran glauben, auch wenn er wenig Hoffnung sah, den naiven König irgendwie von seiner Idee, gegen die Dämonen zu ziehen, abzubringen.

Als er die Herberge wieder betrat, war sein Beutel beträchtlich geschrumpft. Den Menschen, denen er begegnet war und die er zuordnen konnte, hatte er ihre Habseligkeiten zurückgegeben, einigen auf die Fensterbank gelegt, von denen er wusste, wo er wohnte. Den Rest würde er dem Wirt anvertrauen, damit er sie verteile.

Am nächsten Morgen war er der erste, der sein Frühstück eingenommen hatte und die Arbeit begann. Zunächst wollte er sich die „reichen“ Häuser vornehmen und dort nach Schätzen forschen, sich dann langsam an die Stadtgrenzen vorarbeiten. An einer Kreuzung blieb er stehen, um die noch kühlen Sonnenstrahlen durch ein Glasfenster brechen zu beobachten. Wer sich ein solch großes Glasfenster leisten konnte, musste irgendwo „Steuern versteckt“ haben. Ce’Nedra klopfte mit dem Türklopfer aus Messing an die Pforte und ein Diener oder Leibeigener öffnete. Er erschrak, als er der Uniform Ce’Nedras gewahr wurde und eilte sich, seinem Herrn Bescheid zu geben. Ce’Nedra währenddessen betrachtete die tapezierten Wände des Warteraumes. Eindeutig zu farbenprächtig für eine Wohnung in diesem Stadtteil, er war noch recht weit vom Palast entfernt.

Der nervöse Adlige beobachtete Ce’Nedras Vorgehen, während dieser bei einem unaufhörlichen Wortschwall über die Güte und Gerechtigkeit, der Besorgnis des Königs um sein Volk die Wohnung systematisch druchgung und dem armen Mann schließlich eine Liste in die Hand drückte, was er alles besaß, das er eigentlich nicht brauchte und daher sicher bereit wäre, dies z verkaufen und den entsprechenden Gegenwert der königlichen Staatsklasse zuzuführen. Der Adlige war mehr als erleichtert, als Ce’Nedra davon absah, ihn zu fragen, wem die Häuserzeile gehörte, in der er wohnte.

Ce’Nedra hatte noch einige weitere Haushalte auf diese Art unter die Lupe genommen, als an einer Kreuzung ein junges, rothaariges Mädchen auf ihn zu gerannt kam, oder vielmehr in die Richtung, in der er zufälligerweise auch stand. Das Mädchen wurde von einigen Wächtern verfolgt, doch waren sie noch ziemlich weit hinter ihm und es fand die Zeit, kurz neben Ce’Nedra anzuhalten. Grinsend entblößte es einige Eckzähne und drückte ihm einen kopfgroßen, ovalen grünen Stein in die Hände, den sie ihm mit einem Druck auf den Arm beteuerte, gut aufzubewahren und nicht weg zu geben. Dann flitzte sie um ihn herum, weiter in gerader Linie vor den Wachen weg, die ihr nun schon näher gekommen waren. Als sie zu Ce’Nedra aufschlossen, salutierten sie knapp, gaben „Verfolgen eine Dämonin“ bekannt und eilten weiter.

Das grüne Ei an seine Brust gedrückt, setzte Ce’Nedra seinen Weg durch die Stadt fort. Bei einer Korbflechterin erstand er einen solchen, damit er den Stein nicht immer so offensichtlich zeigen musste. In der Tat wunderte er sich ein wenig darüber, dass er sich so ruhig fühlte und das „Ei“ wie natürlich bei sich führte. Es gab ihm ein Gefühl, als müsse es bei ihm sein, als gehöre es zu ihm und sei ein Teil von ihm schon immer gewesen, an dessen Abwesenheit er sich nur gewöhnt hatte, weil er es nicht gekannt hatte.

Die nächsten Hausbetrachtungen verliefen wie die ersten und am Abend hatte er ein gutes Arbeitsmaß erreicht, sodass er sich nun wieder Persönlicherem widmen konnte. Zunächst ließ er sich vom königlichen Stallmeister sein Pferd satteln und zu ihm führen. In den Straßen der Stadt führte er es am Zügel, um es warm werden zu lassen und sich besser durch die Menschen, die auf ihrem Weg nach Hause waren schlängeln zu können.

Plötzlich begann ein Glimmen hinter ihm, erst schwach leuchtend, dann immer heller erstrahlend. Die Straße vor ihm reflektierte das unheimliche Gelb und sein Ross wieherte leise vor Unmut. Ce’Nedra drehte sich langsam um und sah in die Richtung, die bereits von mehreren Augenpaaren verfolgt wurde. Der Palast wurde ausgeleuchtet von dem unnatürlichen Licht, das Ce’Nedra bisher gesehen hatte. Dann wurde eine Druckwelle freigesetzt, die sämtliche Menschen mit schwachem Stand umfegte und den übrigen gehörig die Kleidung sowie die Haare durcheinander brachte. Ce’Nedras Stute stieg vor Furcht und der Mann musste alle seine Kraft aufwenden, um sie davon abzuhalten, davon zu galoppieren. Nachdem sich auch dieses Phänomen gelegt hatte, war es eine Weile still, dann erhob sich ein Donnern wie aus tausend Gewittern und der Palast stürzte in sich zusammen. Entsetzt kletterte Ce’Nedra auf sein Pferd und stob zum Palast, um zu retten, was noch zu retten war, wenn möglich den König. Seine Stimmung verdüsterte sich jedoch, als er eine Traube von Wächtern um einige Trümmerhaufen herumstehen sah, von denen einige versuchten besonders hartnäckige Brocken beiseite zu hieven.

Ce’Nedra sprang vom Pferd, warf die Zügel einem überraschten Jungen zu und stürmte, so gut es ging, über die Überreste des Palastes zu den Soldaten. Als diese ihn in ihrer Nähe gewahrten, standen sie kurz stramm, salutierend, und bildeten dann eine Lücke, um ihn sehen zu lassen, was sie umstanden. Aus den Trümmern ragte ein Pfosten des königlichen Himmelbetts und alle, die die Gewohnheiten des Königs kannten, wussten, dass er meist früh schlafen ging. Ce’Nedras Besorgnis wuchs also, als auch er versuchte, ein Lebens- oder Todeszeichen des Königs zu finden. Ein wenig Erleichterung bot sich, als sie keine Leiche fanden.

Inzwischen hatte sich der Großteil der ortsansässigen Bewohner um den ehemaligen Palast versammelt und beobachteten die auf den Steinen herumlaufenden Männer. Noch wagte keiner, von den zerstörten Kostbarkeiten einige mitgehen zu lassen, doch das war nur eine Frage der Zeit.

„Riegelt das Palastgelände ab und lasst niemanden außer weiteren Wächtern herauf und niemanden herunter!“, ordnete Ce’Nedra an und sofort machte sich die Hälfte der um ihn stehenden Männer auf, den Befehl auszuführen, „Haben wir einen Bauexperten hier, der herausfinden…“ weiter kam er nicht, denn in dem Moment ertönte ein lautes Kichern, das einen Eissturm über ihren Köpfen auslöste, oder andersrum.

„Ihr sucht den König, meine Herren?“, flötete die Stimme, zu der das Kichern gehörte, „dann sucht ihr aber an der falschen Stelle!“

Im Sturm erschien der Schatten eines menschlichen Körpers, einige Soldaten legten ihre Armbrüste darauf an, doch Ce’Nedra gebot ihnen mit erhobener Hand Einhalt. Zu Recht, wie sich bald heraus stellte, denn bei dem Menschen handelte es sich um den schwergewichtigen König, der im Orkan schwebte und von den Winden dort gefangen gehalten wurde. Ce’Nedra und hunderte weitere Menschen schnappten bei dieser Erkenntnis nach Luft, Ce’Nedra fühlte sich hilflos angesichts seines weit über ihm festgehaltenen Herren.

„Ja, ihr habt richtig gesehen, erbärmliche Menschenbrut, ich habe euren König gefangen genommen“, lachte die eisige Stimme, „doch das tat ich nur, weil ich so gutherzig war, euch zu warnen und euch ein Beispiel zu geben, was mit denen geschieht, die sich uns widersetzen. Denn! Wir Dämonen des finsteren Eises, aus der herrlichen Kristallwelt in Esgmensor, werden zurück erobern, was einst uns gehörte, bevor ihr kamt und mit eurem falschen Gott uns vertrieben habt! Ihr habt zwei Monate Zeit, dieses Land zu verlassen. Jeder, der dann noch auf diesem Fleckchen karger Erde, die ihr euer Königreich nenn, angetroffen wird, wird entweder unser Sklave oder getötet, falls er sich widersetzen sollte!“

Abrupt brach der Sturm ab und der König, auf einmal nicht mehr von eisigen Windfingern gehalten, stürzte dem Boden entgegen. Ce’Nedras Aufschrei und sein Sprung zur möglichen Aufprallstelle des Herrschers halfen ihm nicht, den König zu retten. Schwer landete der Adlige auf dem Boden und nur ein Wunder oder ein Fluch konnte es sein, dass er noch bei Bewusstsein und am Leben war, als Ce’Nedra und viele der Menschen auch von außerhalb der Absperrung ihn erreichten. Ce’Nedra fiel, wie einige andere, neben ihm auf die Knie und stützte seine Hände auf den Oberschenkeln ab, damit sie nicht zitterten oder den Ärzten, die klugerweise bereits geholt worden waren, als der Palast einstürzte, gar in die Quere kamen.

Doch auch ihre Mühen blieben vergeblich, schließlich winkte der König schwach mit einer Hand ab, die in Ce’Nedras Nacken zu liegen kam. Gehorsam folgte dieser dem schwachen Druck der Hand, bis sein Ohr auf Höhe des monarchischen Munds ruhte.

„Teurer Esophromatem“, hauchte der König, „du hast mir immer gut gedient, nun höre meinen letzten Willen! Dem Volk muss Schlimmes bevorstehen, wenn Dämonen schon so nahe an unsere geliebte Hauptstadt herankommen. Versammle mein Heer und verfahre mit ihm, wie die am besten in dieser Hinsicht dünkt, ich gebe dir alle Befehlsgewalt, bis das Volk die Dämonen nicht mehr zu fürchten braucht.“

„Jawohl, mein König“, brachte Ce’Nedra tonlos hervor. Seine Hand krabbelte in seinen Nacken und umschloss die seines Königs. Dessen andere Hand vollführte schwach einen Zauber, der einen aus Weidenzweigen geflochtenen, kopfgroßen ovalen Gegenstand herauf beschwor, das königliche Zeichen, das besagte, der, der es besaß, hatte die ganze Vollmacht inne. Nachdem Ce’Nedra es ehrfürchtig in Empfang genommen hatte, verstarb sein König und hinterließ ihm eine gewaltige Aufgabe.

Als das Volk merkte, dass sein König gestorben war, liefen ein Schluchzen und ein Aufstöhnen durch die Reihen und gemurmelt wurden die letzten Worte weitergereicht, die edlen Worte, die noch immer an das Volk gedacht hatten, den eigenen Tod vor Augen. Schließlich kehrte wieder Ruhe ein und aller Augen und Ohren wandten sich dem Kriegerpriester Ce’Nedra Esophromatem zu, der die königliche Vollmacht in Armen hielt. Man wartete auf seine Anweisungen, fürchtete und hoffte, was sie wohl sein mochten. Ce’Nedra bekämpfte die Leere, die der Verlust seines Herrschers in ihm hatte entstehen lassen, weshalb er einige Minuten wortlos auf den Knien blieb. Doch sobald er sich wieder gefasst hatte, richtete er sich zu voller Größe auf, warf einen letzten trauernden Blick auf den Leichnam und wandte sich dann an die ihm anvertrauten Menschen:

„Wie ihr gehört habt, steht uns eine schlimme Zeit bevor, wenn wir hier bleiben, Deshalb werden wir gehen. Packt in den nächsten drei Wochen alle eure Habseligkeiten zusammen und macht euch für einen langen Marsch bereit, wir werden die Ostgrenze des Reiches überschreiten und in das üppige Land nördlich des Thomoth-Flusses ziehen. Alle jungen Männer, die eine Familie haben, die weiß, welche Dinge ihnen wichtig sind, sind dazu aufgefordert, sich in zwei Stunden vor den königlichen Pferdestellen einzutreffen. Sie sollen die Nachricht an die Dörfer weiterbringen, damit auch diese Menschen die Möglichkeit bekommen, mit uns zu fliehen. Das Heer wird und auf unserem Weg schützen. Nun geht und verbreitet die Nachrichten in der Stadt!“

Die Menge löste sich rasch auf, beunruhigt von den Worten und der Zukunft, die sie vor sich sahen. Ce’Nedra blickte von dem Symbol in seiner Hand zu dem toten König, während er nachdenklich überlegte. Als zwei Wächter an ihm vorbei liefen, hielt er sie auf und ordnete an, dass dem König ein Begräbnis bereitet werden solle und sie sich dazu fünf weitere Wachen zu suchen hätten. Der Grabhügel außerhalb der Stadt sollte die letzte Ruhestätte des Königs sein. Nachdem sie gegangen waren, suchte Ce’Nedra die Adligen der Stadt auf, die wie so oft in einem Grüppchen beisammen standen. Von ihnen verlangte er die Freigabe sämtlicher Leibeigener, weil er die Ansicht vertrat, dass Menschen eher bereit waren, für ihr eigenes freies Leben zu arbeiten und die Flucht dahin anzutreiben, als für weitere trostlose Jahre in Knechtschaft, die womöglich nur den Unterschied zum Sklaventum unter den Dämonen aufweisen konnten, dass sie nicht ab und zu gefressen wurden. Zwar wagten einige Adlige, sich sträuben zu wollen, doch brachte das Symbol der Macht sie wieder zur Einsicht und sie fügten sich.

„Müssen wir noch immer die Sachen verkaufen, Herr?“, wagte sich einer vor.

„Wenn Ihr jemanden findet, der sie Euch abkauft…“, schmunzelte Ce’Nedra, „allerdings solltet Ihr Eure Bemühungen lieber dahin treiben, dass Ihr Eure unentbehrlichen Habseligkeiten transportiert bekommt, da es nach unserem Aufbruch niemandem außer den Dämonen nutzt, wenn sie Euch gehören, aber hier verweilen.“

Die Adligen gaben ein vielstimmiges Seufzen der Erleichterung von sich, dann huschten sie davon, um ihre Bediensteten anzuweisen. Da diese zumeist kein anderes zu Hause kannten als das bei den Lord und Ladies, beließ Ce’Nedra es vorerst dabei.

Nach diesem relativ kleinen Erfolg begab sich der Kriegerpriester in die kleine Kapelle in der Nähe des Grabhügels, um sich geistig auf die Beisetzung abzustimmen. Er wollte keinem anderen Priester diese Aufgabe zuteilen, da dieser sicherlich besser darin beraten wäre, ebenfalls zu packen und es zudem dem Kriegerpriester mit seinem höheren Amt eher zuviel, diese wichtige Aufgabe zu erfüllen. Nach einer kurzen Meditation ging er in den kleinen Kapellraum, in dem die Soldaten ihren Herrn aufgebahrt hatten und in der Eile nur einen einfachen Sarg zusammen gezimmert bekommen hatten. Ce’Nedra küsste dem Toten die Stirn, hielt eine kurze Predigt über seinen Sarg, die eher an den Gott gerichtet war, dem er diente denn den wenigen Leuten, die gekommen waren, um ihrem Herren das letzte Geleit zu geben und streute dann die zeremoniellen weißen Blumen über den toten König. Der Sargdeckel wurde gemeinsam von ihm und den Soldaten zugeschoben und von ihm alleine geschlossen, da dies ebenso eine heilige Pflicht darstellte wie die Blumen zu segnen und zu streuen. Danach verließ die Prozession die Kapelle, der Sarg getragen von den Soldaten und angeführt von dem Kriegerpriester. Hintendrein kamen die paar Adligen, Bürgerlichen und der Priester Peter .

Auf dem Hügel war noch kein Grab ausgehoben geworden, und so stellten sie den Sarg einfach auf die Erde, Ce’Nedra sprach gemeinsam mit dem Priester ein Gebet und danach machten sich die Soldaten daran, große Steine auf dem Hügel zu sammeln und sie über den Toten in seinem letzten Bett zu schichten. Der Rest der Prozession löste sich langsam auf, in Trauer und Schock gehüllt, der sich zwar schon wieder etwas gelegt hatte, aber erneut aufgeflammt war, als sie den toten König gesehen hatten. Der Priester der Kapelle dankte Ce’Nedra, dass sein Gotteshaus die Ehre erhalten habe, von einem Kriegerpriester geweiht worden zu sein, doch dieser winkte pragmatisch, wenn auch berührt ab und wies seinen Glaubensbruder an, das Haus aufzulösen und alles Wichtige und Heilige mitzunehmen.
 

Eine Stunde später drängten sich viele junge Männer auf dem Hof vor den Ställen zusammen und waren darauf bedacht, ja nicht ganz vorne zu stehen. Als Ce’Nedra schließlich aus den Ställen kam, in einer Hand die Zügel eines prächtigen Pferdes, quetschten sie sich noch weiter nach hinten. Der Kriegerpriester schüttelte unwillig den Kopf über diese Reaktion.

„Ihr seid hier, um dem Land einen Dienst zu erweisen“, dröhnte seine Stimme über den Platz, „nicht, um euch wie Kaninchen vor einem Hund zu verkriechen. Denkt daran, dass die Wölfe im Rudel kommen werden und dann euer Bau auch keinen Schutz mehr bietet. Darum ist es nun eure Aufgabe, weitere Leute zu warnen, damit wir alle den Wald verlassen können, bevor die Wölfe eintreffen.“

Unruhiges Gemurmel erhob sich aus den Reihen der Männer. Ihnen gefiel es nicht, als feige Kaninchen bezeichnet zu werden. Eher schon wollten sie Hasen sein, die wenigstens aktiv dazu fähig waren, vor dem Feind wegzurennen und ihn auszutricksen. Ce’Nedra hatte nicht erwartet, eine solche Reaktion in den Menschen hervor zu rufen mit einer einfachen Landmetapher. Jedoch ließ er sich seine Verwunderung nicht anmerken, sondern fuhr unbeirrt fort:

„Jeder Freiwillige bekommt ein Pferd, das er, wenn er wieder kommt und es gut behandelt hat, behalten darf. Denkt jedoch daran, nicht nur aus eigener Habgier mein Angebot anzunehmen, sondern möglichst vielen Menschen die schlechte Nachricht zu überbringen. Jeder bekommt einen Soldaten zu seinem Schutz zugeteilt, oder auch zwei, je nachdem, in welches Gebiet er sich vorwagen möchte. Meldet euch dazu bei dem Schreiber hier, nennt euren Namen und Familie, dann ordnen sie euch ein Pferd und Soldaten zu.“

Ce’Nedra wartete, bis die Männer unruhig wurden und sich zaghaft nach dem ersten Wagemutigen umschauten, der die Aufgabe annahm. Noch ein paar Minuten verstrichen, dann stolperte ein junger, milchgesichtiger Bube mit Sommersprossen vor, der mit quakiger Stimmer, die deutlich seine Nervosität kennzeichnete, verkündete, er wolle dem Vaterland diesen Dienst erweisen. Sein Ziel sollte ein kleiner Ort im Nordwesten sein, den er noch aus frühester Jugend kannte. Ce’Nedra ging mit stolzen Schritt auf ihn zu, gab ihm die Hand, klopfte ihm auf die Schulter und reichte ihm die Zügel des prächtigen Pferdes, während er den Mut des Jungen pries. Diese Darstellung überzeugte auch endlich die anderen, sodass sie zu dem aufgestellten Schreibpult drängten und der Jüngling im Endeffekt der zwanzigste war, dessen Name auf der Liste vermerkt wurde.

Der Kriegerpriester blieb, bis alles einen geregelten Gang gefunden hatte, dann begab er sich zu dem stehenden Heer, dem Rest, der noch übrig geblieben war, nachdem die Freiwilligen sich zurückgezogen hatten, um ihre Reisen vorzubereiten. Ihm trug er auf, zusätzlich zu den Polizisten in der Stadt zu patrouillieren und jeden aufkeimenden Streit zu schlichten. Sie konnten es sich jetzt nicht leisten, in Privatfehden zu zerfallen.

Wie sich später heraus stellte, war der König das einzige Opfer der Katastrophe am Palast geblieben. Sämtliche Bedienstete, Berater, Adligen und Palastwachen hatten zuvor das Gebäude verlassen, teilweise aus ihnen selbst unerklärlichen Gründen. So konnte Ce’Nedra sie damit beauftragen, sämtliche sich im Besitz des Königs befindliche Kutschen und Karren unter das Volk zu verteilen, das selbst keine besaß. Mit Beratern setzte er sich schließlich hin, um die Verpflegung und die Route des riesigen Zuges zu planen.
 

Eine Woche später als offiziell geplant, fand sich das ganze Volk um die Hauptstadt versammelt wieder und wartete ungeduldig darauf, dass der Kriegerpriester zum Marsch aufrief. Die letzten Vorbereitungen wurden an einem kühlen Tag vollendet und ein riesiges Gefährt rollte aus den Toren der Stadt. Die Zwerge, die in der Stadt geblieben waren, hatten aus Ce’Nedras Vorstellungen Realität werden lassen und ein dampfbetriebenes Transportmittel für die Nahrung, sowie diverse größere Habseligkeiten, geschaffen, sodass die Menschen genug Platz auf Pferden, Karren und Kutschen für sich selbst und andere bekamen. An diesem Abend ritten die Herolde aus, um die Menschen darauf hin zu weisen, dass sie sich bereit machen sollten, noch in dieser Nacht abzureisen. Die Straßen um die Hauptstadt waren befestigt genug, um eine einigermaßen sichere Fahrt zu erlauben und zusätzlich würden nach dem späten Einbruch der Dunkelheit in regelmäßigen Abständen Fackelträger am Rand des Zuges und der Viehherden, die mitgebracht worden waren, einher reiten.

Schon kurz nachdem sie die Stadttore passiert hatten, traten jedoch die ersten Schwierigkeiten der Reise auf. Ein Ochsengespann geriet in Panik, riss den hinter sich gespannten Karren mit und rammte schließlich einen gewaltigen Baum, der am Wegesrand seine Wurzeln geschlagen hatte. Ce’Nedra, der zufällig in der Nähe geritten war, eilte herbei und half, so gut er konnte, den Wagen wieder flott zu machen. Schließlich hatten sie es irgendwie geschafft, die Vorderräder, die sich im Wurzelwerk verfangen hatten, zu befreien und die Ochsen wieder einzuspannen, die inzwischen friedlich grasten. Trotzdem gab dieser Zwischenfall dem Kriegerpriester einen kleinen Vorgeschmack, was noch kommen wollte.

Sein einziger Halt in dieser Zeit der Entbehrungen, Streitfälle, Versorgungsknappheiten, Katastrophen, Unwetter, Sünden und Seuchen war, dass Jesper und Nadina wieder mit ihren Kindern vereint waren und ihm in dunklen und ansonsten einsamen Nächten Gesellschaft leisteten. Ohne sie und den Geldwechsler Erwin wäre er wohl auch bald wie so viele an der schrecklichen Zeit zerbrochen, auch wenn er diesen Umstand nicht einmal sich selbst eingestand.

Nach der zweiten Woche der Wanderung lagerten sie hinter einem Hügel, den sie zuvor überquert hatten. Auf diesem stand Ce’Nedra mit Nadina, Jesper und den spielenden Kindern und sah zurück auf den mit Leichen gekennzeichneten Weg, der sie hierher getragen hatte. Die Zeit war Ce’Nedra wie mehrere Jahre vorgekommen und nicht wie die 14 Tage, die sie tatsächlich erst unterwegs waren.

Die beiden ovalen Gegenstände, das Zeichen der Befehlsgewalt und der grüne Stein, den er von dem rothaarigen Mädchen bekommen hatte, lagerten in dem Weidenkorb zu seinen Füßen, den er nie von seiner Seite weichen ließ. Er hatte den Eindruck, dass die beiden ähnlichen Dinge ihm zusätzliche Kraft gaben.

Als die Nacht gänzlich herein brach, brachte Nadina die beiden Kinder ins Lager hinunter, um sie schlafen zu legen. Jesper blieb noch eine Weile an der Seite des Freundes, doch sowie er merkte, dass dieser weder sprechen wollte noch seine Anwesenheit benötigte, ging auch er. Ce’Nedra stand nun alleine auf dem Hügel und hielt einsam Wache über die Toten hinter ihm wie die Lebenden vor ihm. Der Moment hatte etwas seltsam Schicksalhaftes an sich, viele der heute noch Lachenden könnten morgen schon tot den Wegesrand säumen.

Der Moment verging und so kam Ce’Nedras Aufmerksamkeit für seine Umgebung wieder. Er musste feststellen, dass er nicht mehr alleine auf dem Hügel stand, sondern das rothaarige Mädchen und einige verhüllte Gestalten mit flackernden Lichtern in Händen bei ihm weilten. Zunächst beunruhigt von diesem unbemerkten Nähern, legten sich seine Sinne doch bald wieder ruhig auf die Lauer, als er die nicht feindlichen Absichten der Ankömmlinge erahnte. Das Mädchen, das bei genauerer Betrachtung eigentlich schon eine bloß recht kleine reife Frau war, löste sich aus dem Kreis, der sich im ihn bildete, und ging auf ihn wie auf ein scheues Tier zu. Der Kriegerpriester beobachtete sie wachsam, ließ dabei jedoch so selten wie möglich die übrigen Gestalten aus den Augen.

„Ihr wisst, wer und was Ihr seid?“, fragte die Frau übergangslos, um seine Aufmerksamkeit zu fesseln. Ce’Nedra schüttelte den Kopf leicht, während seine Hand zur Waffe krabbelte. Die Frau jedoch war schneller, zog ihrerseits sein Schwert und warf es in einem Bogen durch die Luft, sodass es außer Reichweite mit der Spitze im Boden stecken blieb. Der Kriegerpriester sah seiner Waffe hinterher und funkelte die Frau drohend an. Diese hatte sich jedoch schon wieder in einen respektvollen Abstand zu ihm gebracht.

„Wir wollen Euch keinen Schaden zufügen, Krieger, darum benötigt Ihr die Waffe nicht.“, versuchte sie ihn zu entspannen, „Mein Name ist Ko’Descherre Eiphromylop, meines Zeichens Dämonin der feurigen Pflanze, aus der Welt Symbios. Und Euer Name ist…?“

Die Bekanntmachung wurde von einer Verbeugung untermalt, aus der sie auch bei der Frage nicht ausbrach, sondern nur mit neugierig funkelnden Augen hochschaute.

„Ce’Nedra Esophromatem, Halbelb, soweit ich das beurteilen kann“, entgegnete der Kriegerpriester knapp und gereizt und ließ zum ersten Mal bewusst seine Haare hinter die Ohren gleiten, die spitz zuliefen. Nur wenige Menschen wussten um dieses Geheimnis, was auch besser so war, denn den Elben wurde wenig Sympathie entgegen gebracht und ein Mischling unweigerlich ausgestoßen. Ko’Descherre schien noch etwas anderes an ihm aufgefallen zu sein, schon lange vorher, denn ihr neugieriges Funkeln ließ sich unentwegt in ihren Augen sehen und scheinbar wartete sie auf weitere Ausführungen.

„Halb Mensch“, fauchte Ce’Nedra gereizt, ein deutliches Anzeichen dafür, dass er sich seiner Aussage nicht sicher war. Die Dämonin beließ es vorerst dabei, streckte sich und breitete ihre Arme den Sternen entgegen aus, die irgendwo hinter der Wolkendecke funkelten.

„Ihr seid auf der Flucht vor den Dämonen aus Esgemensor“, stellte sie fest, „doch haben sie nicht mit einer solch klugen Tat gerechnet und werden euch sicher aufhalten wollen, die Stürme in letzter Zeit sprechen eine eindeutige Sprache. Je näher ihr der Grenze kommen werdet, umso erbitterter wird ihr Widerstand sein. Sie wollen nicht das Land, sie wollen die Leute.“ Ko’Descherre zwinkerte Ce’Nedra zu, „Das habt Ihr sicher auch schon erkannt. Wollt Ihr unsere Hilfe annehmen, um Euer Volk in Sicherheit zu bringen?“

„Zu welchem Preis?“, verlangte der Kriegerpriester zu wissen.

„Euch.“, gab Ko’Descherre ernst zu, „Wir Dämonen aus Symbios sind alle weiblichen Geschlechts und ergo darauf angewiesen, dass uns männliche Wesen aus Eurer Welt wohl gesonnen sind.“

Ce’Nedra errötete heftig und protestierte mit einem ausgestoßenen „Ich bin Priester!“, was durchaus der Wahrheit entsprach, allerdings seine Reaktion weder entschuldigte, noch seine Abneigung einer erotischen Nacht, wenn auch mit einer Dämonin, rechtfertigte. Ko’Descherre verkniff sich ein Lachen über diese Reaktion.

„Das hält Euch aber nicht davon ab, mit mir zu reden und mich nicht gleich zu exorzieren.“, schmunzelte sie, wurde dann allerdings wieder todernst, „Ihr sollt auch eigentlich keinem solchen Zweck dienen, vor allem nicht, wenn es Euch so sehr abstößt. Nein, in Eurem Fall wollen wir im Prinzip nur eine Vermutung überprüfen, wenn sie sich bestätigt, bleibt Ihr als freier Mitbürger bei uns, wenn nicht, werdet Ihr wohl doch Eure Scheu überwinden müssen, oder Eurem Gott einen guten Tag von uns wünschen.“

„Das sind ja rosige Aussichten“, grummelte Ce’Nedra, doch im Grunde seines Herzens wusste er bereits, dass er diesen vergleichsweise niedrigen Preis bereit war, zu zahlen, um das Volk seines geliebten Königs zu retten. Ko’Descherre hatte an seiner Körperhaltung diese resignierten Entscheidung abgelesen und nickte beifällig, was ihr einen bösen Blick von dem Kriegerpriester einhandelte.

„Lasst mich wenigstens die Menschen zu dem Ort führen, von dem ich glaube, dass er sicher ist“, bat Ce’Nedra ergeben.

„Natürlich! Wir beabsichtigen nicht, einen unserer Leute für diese Aufgabe einer solchen Gefahr auszusetzen und jemand anderem als Euch trauen wir nicht. Es benötigt aber jemanden, der die Macht, die wir Euch zur Hilfe stellen, in die richtige Richtung lenkt“, erklärte die Dämonin überraschend. Dann bedeutete sie dem Kriegerpriester, den grünen Stein hervor zu holen, den sie ihm bei ihrem ersten Zusammentreffen in die Hand gedrückt hatte. Bei dem Anblick des ähnlich geformten Zeichens der Befehlsgewalt des Königs fauchte sie abwehrend, hatte sich aber bald wieder in ihrer Gewalt. Misstrauisch fragte sie:

„Was fühlt Ihr, wenn Ihr die beiden Steine bei Euch tragt, oder sie berührt?“

„Sie geben mir Kraft, Zuversicht und Energie“, antwortete Ce’Nedra aufmerksam, da er wissen wollte, was sie so gereizt hatte. Leider bekam er keine Reaktion, die ihm darüber Aufschluss geben sollte, nur eine verwundert nach oben gezogene Augenbraue. Ko’Descherre bedeutete den Kerzenträgern, näher zu kommen, und nun sah Ce’Nedra auch, dass sie alle schmale, kleine Gestalten waren und sich unter den weiten Gewändern bei manchen Bewegungen verräterische Kurven abzeichneten. Es handelte sich bei ihnen anscheinend um Frauen, und wenn man Ko’Descherre trauen durfte, waren alle Dämonen ihrer Gattung weiblich.

Dem Kriegerpriester fuhr ein kalter Schauer über den Rücken hinab, als die Gruppe zu einem gruseligen, doch leisen Gesang anhob und Ko’Descherre mit dunkler Stimme in einer düsteren Sprache zu rezitieren begann.

„Ihr Mächte, die in den Dämonen der feurigen Pflanze wohnen, hört meinen Ruf! Offenbart euch diesem jungen Mann, bis er diese Welt verlässt und lasst euch von ihm zum Schutze seines Volkes leiten, auf dass jegliche Angreifer zurück geworfen werden mögen!“, vernahm Ce’Nedra in einem Wortlauf, den er meinte, noch nie gehört zu haben und dem sein Unterbewusstsein doch einen Sinn zu geben verstand. Trotz der düsteren Situation fühlte er sich durch die fremden vertrauten Worte an seine Mutter erinnert, die er nie bewusst kennen gelernt hatte.

Aus seiner Selbstbeobachtung wurde er gerissen, als der Stein in seinen Händen mit einem Mal mit kaltem Licht aufglühte und kurzfristig bedeutend schwerer wurde. Dieses Phänomen schien Ko’Descherre herbeizurufen vorgehabt zu haben, denn sie stoppte in der Rezitation der Beschwörung und gebot auch den Umstehenden, ruhig zu werden. Gemeinsam beobachteten sie, in Ko’Descherres Fall deutlich neugierig, wie Ce’Nedra den Stein weiter festhielt und ansonsten nichts weiter geschah, als dass das Licht wieder verblasste. Die Dämonin schnappte nach Luft und sah einen Moment so aus, als wolle sie vorspringen und Ce’Nedra an den Stein drücken. Doch der Moment verflog rasch und es breitet sich ein Lächeln auf ihren Zügen aus.

„Jetzt solltet Ihr so lange in der Lage sein, Euch unserer dämonischen Kräfte zu bedienen, wie sich der Stein in Eurer unmittelbaren Nähe befindet. Sobald Euer Volk allerdings einen sicheren Ort, an dem es auch verweilen kann, gefunden hat, werden diese Kräfte nicht mehr Euren Dienst erfüllen und ich werde kommen, Euch in unser Reich einzuladen.“, erklärte die Dämonin, während sie und die übrigen verhüllten Gestalten langsam in die Dunkelheit entwichen, „erwartet mein Kommen in den Abendstunden. Bis dahin: frohe Reise!“

Dann war sie verschwunden, ohne ein weiteres Wort der Erklärung, der Warnung oder der Hinweise bezüglich der neu erlangten Kräfte zu verlieren. Auf einmal spürte Ce’Nedra die Anspannung, die ihn während der Zeremonie erfasst hatte, und fiel zitternd auf die Knie. Kalter Schweiß rann ihm die Schläfen hinunter und ließ den kostbaren Stein beinahe aus den seinen Händen gleiten. Doch bevor er den Kontakt verlor, griff er rasch erneut zu und platzierte ihn sorgsam zu dem geflochtenen Zeichen der Macht in den Korb. Dann stemmte er sich diesen an die Hüfte und wankte ins Lager zurück. Auf halbem Weg den Hang hinab kam ihm Jesper aufgeregt entgegen, sein Atem ging keuchend und sein Blick hechtete unstetig von verschiedenen Dingen von Bäumen zu dem Kriegerpriester und zurück hin und her.

„Bist du wohlauf?“, keuchte er, als er seinen Freund erreichte, „Wir haben unheimliche Lichter auf dem Hügel gesehen, die sehr an Dämonenlichter erinnerten. Darum hat Nadina mich hochgeschickt, um zu sehen, ob alles in Ordnung ist.“

Ce’Nedra legte Jesper eine Hand kameradschaftlich auf die Schulter.

„Alles in Ordnung, danke, dass ihr euch Sorgen gemacht habt. Ich habe den Eindruck, dass wir nun besser vorankommen werden.“, antwortete der Kriegerpriester und ging neben Jesper den Rest des Weges ins Lager zurück. Wie sich heraus stellte, waren Jesper und Nadina nicht die einzigen, denen das Licht auf dem Hügel aufgefallen war, denn Ce’Nedra wurde mehr als einmal gefragt, ob sie mit Ärger zu rechnen hatten. Er beruhigte die Leute so gut er konnte und sprach auch ihnen seine Zuversicht aus.

Jesper begleitete ihn noch zum Kommandeurszelt, verabschiedete sich dann mit einem „Gute Nacht“ und entschwand zu seiner Familie. Als Ce’Nedra in seinem Schlaflager lag, fragte er sich, ob er sich auch als Familienvater sehen konnte und wenn es nur der einer Dämonenfamilie war. Bei dem Gedanken, diesen menschenfressenden Ungeheuern bei der Vermehrung zu helfen, drehte sich ihm der priesterliche Magen um und er entschied, dass er lieber sterben wollte. Mir diesen aufwühlenden Gedanken behaftet glitt er in einen unruhigen Schlaf hinüber.
 

Die folgende Woche verlief merklich besser als die ersten beiden. Durch den Zauber der Dämonin wurde Ce’Nedra jedes Mal rechtzeitig vorgewarnt, wann sich ein feindlicher dämonischer Fluch anbahnte und konnte diesen dann vorzeitig vertreiben. Zu seinem Erstaunen fiel es ihm überhaupt nicht schwer, die magische Energie in von ihm gewünschte Bahnen zu lenken. Sie schien ihm wie ein weiterer Teil seines Geistes, der ihn verstand und mit ihm kooperierte, weil sie eins waren. Um seine Magie zu wirken, holte er jedes Mal den grünen Stein hervor und richtete seinen Blick in die gewünschte Richtung, aus der der feindliche Zauber nahte, doch verbarg er es nicht vor seinen Folgern. Er fand, dass sie ein Recht hatten, zu wissen, mit welchen Mächten ihr Herr sich eingelassen hatte, um sie zu retten. Wie zu erwarten gewesen war, ertönten bald überall Stimmen, die sich missmutig über die Dämonenhilfe äußerten, die ihr Anführer offenkundig angenommen hatte. Jedoch sahen sie ein, dass sie dadurch wesentlich besser voran kamen und sogar weniger Verluste zu beklagen hatten. Deshalb blieben ihre Münder geschlossen, wenn der Kriegerpriester in der Nähe ritt. Nur Nadina äußerte ihren Unmut offen gegenüber ihrem Freund, der versuchte, ihr die Notwendigkeit dieser Unterstützung begreiflich zu machen, jedoch kläglich scheiterte.

Etwa ab Ende dieser ersten Woche stellte es sich häufig ein, dass Ce’Nedra zurück fallen musste, im ihnen unerwünschte dämonische Verfolger vom Leib zu halten, die sicherlich unter der verschreckten Menge verheerendes Unheil angerichtet hätten. Bei solchen Zusammentreffen griff der Kriegerpriester meistens genauso häufig zum Schwert wie zu dem Stein. Diese Art des Exorzismus erfüllte ihn mit einer grimmigen Freude, war sie doch die eigentliche Bestimmung eines Kriegerpriesters, die nur in Vergessenheit geraten war, weil es nur noch so wenige dieses Berufsstandes gab.

Um einen Ausgleich zu den deutlich dämonensympathisierenden Handlungen mit dem Stein (wenn sie auch gegen andere Dämonen gerichtet waren, wurden sie doch nur durch Dämonen ermöglicht) zu schaffen, holte Ce’Nedra häufig das Zeichen des königlichen Vertrauens hervor und ließ es das Volk sehen, um die Botschaft zu verbreiten: „Ich habe den menschlichen König nicht vergessen, der in seinem letzten Atemzug nur an das Wohl seines Volkes dachte.“ Zudem ritt er nachts, wenn der riesige Menschenstrom zu einer Rast kam, zu den Grüppchen, die am meisten Unruhe verbreiteten und redete mit ihnen so lange, bis sie sich zu bessern gelobten. Dem Volk war es ein Rätsel, wie er immer genau wusste, wo er sein musste, hielt es bisweilen für Dämonenmagie, bis es merkte, dass er auf solchen Ritten nie den Stein dabei hatte, sondern nur das hölzerne Ei des Königs. Ce’Nedra hatte seine Informationen jedoch auch nicht von irgendeiner heiligen Energie, wie man nun langsam zu munkeln begann, sondern von seinem Freund Erwin Goldzahn, der es verstand, sich unters Volk zu mischen und dessen Stimmungsrichtungen richtig zu deuten.
 

Die letzte Woche ihrer Frist kam und ging viel zu schnell. Sie waren noch zwei Tagesmarsche von der Grenze entfernt, als die Woche um war. Die Menschen wurden unruhig und mit ihnen die Tiere, denn sie spürten die Dämonen kommen und hatten daher mit der Angst zu kämpfen. Im stummen Einverständnis mit sämtlichen Männern und Frauen ließ der Kriegerpriester sie nun mit zusätzlichem Tempo selbst einen großen Teil der Nacht durchreiten und weckte sie früh am nächsten Morgen. Als sie sich gegen Mittag der ersehnten Grenze näherten, wagten viele erstmals wieder, Hoffnung zu schöpfen. Doch diese wurde in Sekundenschnelle in Furcht verwandelt, als überall um sie herum Dämonen auftauchten, der Himmel sich verdunkelte und erste Regentropfen einen Sturm ankündigten. Unheimliche Stimmen kicherten in der Ferne und ein Esel, der sich in seiner panischen Flucht zu nah an den dämonischen Kreis gewagt hatte, schrie in entsetztem Schmerz auf, als er zerfetzt wurde und das noch warme Fleisch von den Dämonen verschlungen.

Um Ce’Nedra hatte sich das Volk zusammen gedrängt, weil es sich von ihm Schutz und Hoffnung versprach. Der Kriegerpriester sah über die Köpfe der verängstigten Masse hinweg auf den sich schließenden Todeskreis der Dämonen. Beinahe bekam auch er es mit der Angst zu tun, doch dann sah er auf die Kinder Jeff und Karina, die sich ängstlich an die Beine ihrer Mutter drückten und so zusammen mit ihr von ihrem Vater schützend umarmt wurden. Doch selbst in Jespers Gesicht zeichnete sich bloß pure Angst ab und der einzige Wunsch, wenigstens zusammen mit seiner geliebten Familie zu sterben. Erwin, der ebenfalls in Ce’Nedras unmittelbaren Nähe einen Teil der verängstigten Horde bildete, schlotterte vor Angst, während ihm gleichzeitig der Schweiß aus allen Poren drang.

Erneut lachten die Dämonen, die die Furcht rochen, die sie gesät hatten. Dann erhob sich aus dem Sturm die düstere Stimme von zuvor wie Donnergrollen:

„Na, sieh einer mal an, da hat jemand uns eine solch verlockende Fährte gelegt, um uns zu einem wahren Schlachtfest einzuladen. Und die Lämmer hat er auch schon zusammen getrieben. Ha, ha, ha, ha!“

Entsetzte Blicke fuhren von allen Seiten zu dem Kriegerpriester, dem sie bis jetzt vertraut hatten und gefolgt waren. Ersten Stimmen fiel leise tuschelnd ein, dass er von schändlichen Elben abstammte, zumindest gerüchteweise. Weiteren fiel dringlicher und realistischer auf, wie leicht es ihm gefallen war, die Stürme und Unwetter abzuwehren, die, wie jedermann wusste, von diesen Dämonen stammten. Die Kugel der Menschenmenge begann, von Ce’Nedra zurück zu weichen und wurde so unweigerlich den Dämonen weiter in die Fänge getrieben. Wieder lachten die bösen Stimmen der Ungeheuer, als sie mit Freude sahen, dass sich ihre Opfer ihnen von alleine näherten. Da packte Ce’Nedra die Wut und er donnerte mit lauter Stimme über die Köpfe der Menschen hinweg:

„Lasst diese Leute in Ruhe! Sie waren bereit, euch ihre Häuser, Höfe und Heimaten zu überlassen und nur das Nötigste mitzunehmen. Das Leid, das ihr ihnen dadurch verursacht habt, lasse ich euch nicht durch den Tod lindern, sondern werde sie in ein Land führen, das ihnen eine Zukunft ohne Leid bietet und in dem sie voller Freuden leben können. Diese Aussicht lasse ich nicht von euren niederen Verlangen zerstören!“

Die unerwartet kräftige Stimme des Kriegerpriesters gewann während seiner Worte an Intensität, doch wurde sie auch höher und weiblicher, bekam zum Ende hin beinahe selbst einen dämonischen Klang. Das Lachen der Dämonenschar verklang und sie fauchten den Priester inmitten der menschlichen Mauern drohend an. Als die äußeren Menschen vor Furcht wieder von ihnen zurück wichen, entfesselten sie in ihnen den Jagdinstinkt, sodass die in menschliche Gestalten gehüllten Dämonen ihnen nachsetzten, um ihre Beute zu zerfetzen. Das wollte Ce’Nedra freilich nicht zulassen, und mit seinem Aufschrei entfesselten sich die in dem Stein wohnenden Kräfte zu einer geballten Ladung Macht gegen die Angreifer, die allesamt mit einem Überraschungskreischen von den Menschen zurück geschleudert wurden. Nicht nur die Flüchtlinge am äußeren Rand ließen ein erleichtertes Aufseufzen vernehmen, sondern auch viele aus dem inneren Kreis, die des Kriegerpriesters Worte gegen die Anschuldigung verifiziert sahen und die Furcht mit neuer Zuversicht vertreiben konnten.

Einige Dämonen überwanden ihre schreckhafte Erstarrung und gingen wieder auf die Schäfchen los, die sich um ihren Hirten drängten. Dieser ließ jedoch nicht zu, dass ihnen etwas geschah, sondern hielt eine Art magische Barriere um sie aufrecht, die undurchdringlich für feindlich gesinnte Eindringlinge war und diese somit nur noch rasender machte, bis sie sich beinahe selbst verletzten. Die meisten Augen der Menschen waren auf das Geschehen außerhalb des Kreises gerichtet und merkten daher nicht, welche Veränderung mit ihrem Anführer vorging, nur Jesper und Erwin sahen entsetzt, wie sich ihr Freund vor ihren Augen einer nicht bewussten Verwandlung hingab, um das Volk zu beschützen. Seine Gestalt war hoch aufgerichtet, sein Blick auf die Grenzen des zu schützenden Bereichs gerichtet, seine Hände an die Zügel gekrallt, doch die Gestalt des Kriegers wurde der prunkvollen Rüstung, in der er steckte, nicht mehr gerecht, da sie ihm zu groß geraten schien. An Stelle des starken Mannes saß ein gertenschlankes, rothaariges Mädchen mit brennendem Blick im Sattel.

Im gleichen Moment, als Jesper und Erwin aus ihrer Paralyse mit einem Schrei erwachten, schrie auch die führende Dämonenstimme, allerdings nicht vor Schreck, sondern zum vorerstigem Rückzug. Vor Erleichterung über die tatsächliche Ausführung dieses verbindlichen Vorschlags ließ Ce’Nedra Esophromatem seine Haltung in sich zusammen sacken und entspannte seine Schultern. Dadurch gewann er wieder seine ursprüngliche Gestalt zurück, wodurch Erwin und Jesper sich versichert fühlten, den Blick wieder zu senken, wobei sich wiederum ihre Augen trafen und über diese Brücke das gemeinsame Wissen überspringen konnte. Stumm kamen sie überein, sich vorerst über diese Beobachtung in Schweigen zu hüllen, zumindest was die Mitteilung an Unbeteiligte betraf.

„Na gut, fürs erste belassen wir es dabei, dass ihr ausreisen dürft“, fauchte die dämonische Anführerstimme, erbost über ihren Nichtsieg, „aber glaubt nicht, dass wir euch in Ruhe lassen werden! Spätestens in 50 Jahren wird der Mensch, der den Pakt mit unseren falschen Schwestern geschlossen hat, gestorben sein, aber wir werden uns erinnern und dann müsst ihr euch auf etwas gefasst machen!“

Hysterisches Lachen ertönte, als sich die Dämonen mit sicherem Wissen auf spätere Rache zurück zogen und schließlich nur noch die zerfetzte Ziege und einige Fußspuren an ihre Anwesenheit erinnerten. Der Sturm legte sich durch den gerichteten Willen Ce’Nedras und die Anspannung wich aus vielen Gesichtern. Erleichtertes Gemurmel wurde laut, das sich in ein Jubeln verwandelte, als der Kriegerpriester das Zeichen des Königs empor hob und mit ihm den Sieg anzeigte.

An diesem Abend ließ der Kriegerpriester sie früh rasten und zur Feier des Entrinnens wurden einige Fässer angestochen, die die Wirte mitgebracht hatten, um in der neuen Heimat nicht ganz mittellos dazustehen. Ce’Nedra ging von Feuerstelle zu Feuerstelle und gab den Menschen weiteren Grund zum Feiern. Ihn selbst bedrückte allerdings etwas, das vielen egal, teilweise sogar willkommen war. Der Adel veranstaltete seine eigene Feier, in „kleinem Kreise“ und scheuchte jeden normalen Bürger fort. Auf die strengen Worte des derzeitigen Anführers reagierten sie höhnisch mit abfälligen Bemerkungen, die den Hinweis gebaren, sie betrachteten sich noch immer als etwas Besseres und würden auch im neuen Land alles daran setzen, ihre alten Stellungen wieder aufzubauen.

Spät in der Nacht, als auf das Drängen Ce’Nedras hin die Feuer herunterbrannten und die Menschen sich für die letzte Etappe ihrer Flucht zur Ruhe gelegt hatten, gingen Erwin und Jesper zu ihrem Freund und Anführer. Ihre besorgten Gesichter ließen ihn von seiner Tätigkeit des Rüstungablegens Abstand halten und ihn aufmerksam ihren Worten lauschen.

„Wir bitten dich, den Stein nicht mehr zu nutzen“, begann Jesper ihr Anliegen vorzustellen, „er verändert dich und du merkst es nicht einmal, was wohl das gefährlichste daran ist.“

„Außerdem beginnen die Leute zu zweifeln, auch ohne diese beunruhigende Neuigkeit“, fügte Erwin hinzu, „sie haben Angst vor dem Stein und den dämonischen Kräften, die du von ihm beziehst. Und das wohl nicht ganz zu unrecht, wie mir scheint.“

Nachdenklich holte Ce’Nedra den Gegenstand der Beunruhigung hervor und wog ihn in der Hand, während er in seinem Weidenkorb nach dem ähnlichen Gegenstand, der so wesentlich angesehener war, tastete. Als er beide in Händen hielt, fühlte er die Energie sich ausgleichend zwischen seiner linken Hand, in der der grüne Stein lag, und seiner rechten Hand, in der das geflochtene Ei ruhte, ausbreiten. Seine Augen blickten schließlich von dem grünen Gegenstand zu seinen Freunden, die unruhig von einem Bein aufs andere traten, weil sie sich nicht in Gegenwart des dämonischen Magiespenders wissen wollten.

„Die Dämonen haben sich doch bereits bereit erklärt, uns ziehen zu lassen, also warum lässt du ihn nicht einfach hier?“, schlug Jesper hoffnungsvoll vor, denn er sorgte sich um seinen Freund. Dieser blickte ihm melancholisch ins Gesicht:

„Glaubst du wirklich, dass sie sich so leicht geschlagen geben?“

„Naja, sie haben eingesehen, dass diese Reise unter deinem Schutz steht und dass sie gegen dich nicht angehen können, also…“, Jesper unterbrach sich, weil er bemerkt hatte, dass er eher für ein weiteres Behalten des Steines argumentieren würde. Ce’Nedra hatte es auch bemerkt und lächelte traurig, während seine Lippen ein leises „Siehst du?“ formten.

„Die Gefahr, der du dich aussetzt, ist viel zu groß, um den Nutzen zu rechtfertigen, den du dadurch erzielst“, warf Erwin ein.

„Ich soll also ein ganzes Volk meinem Wohlergehen opfern, nur, weil ich mich durch die Magie, die es schützt, verändere?“, fuhr Ce’Nedra Erwin heftiger an, als er gewollt hatte, „Tut mir leid, Freunde, aber ich habe meinem König geschworden, das für sein Volk zu tun, was ich für am besten halte. Davon kann ich mich jetzt, so kurz vor dem Ende, nicht lossagen.“

Dem Kriegerpriester fiel nun erst ein, was es für seine Freunde wohl bedeuten mochte, wenn er von den Dämonen geholt wurde, was für das Volk, das womöglich seinen Retter vor den Dämonen scheinbar an ebendiese verlor.

„Hol Nadina, bitte“, wandte er sich daher an Jesper, der mit einer angedeuteten Verbeugung das Zelt verließ, um diesem Wunsch zu entsprechen. Die beiden zurückbleibenden Männer musterten sich schweigend, während sie auf die Frau warteten.

Nadina hielt sich nicht lange mit Fragen auf, als sie das Zelt betrat, sondern kam sofort auf Ce’Nedra zugestürmt, um ihn zu umarmen. An sein Ohr, nur für ihn hörbar, flüsterte sie:

„Ich habe dich von uns gehen sehen und daher fürchtete ich um dich, als Jesper mich zu dir rief.“

Der Kriegerpriester wusste nicht, was er dazu sagen sollte, nur die Wahrheit würde sie nun zufrieden stellen und nicht die Halbwahrheiten, die er sich möglicherweise ohne ihre Worte ausgedacht hätte. Er drückte die Frau sanft von sich, fuhr sich mit der Hand übers Gesicht und durch die Haare, bevor er seinen Freunden die Blicke erwiderte und die Wahrheit auf den Tisch packte:

„Ihr habt euch Sorgen um mich wegen des Steins gemacht, und das zu Recht. Allerdings verändert er mich nicht, sondern ich musste einen anderen Preis für die Unterstützung zahlen, die mir durch ihn gewährt wurde.“

„Er verändert dich nicht? Und was war das heute Mittag?“, brauste Jesper auf, doch Erwin gemahnte ihn zur Ruhe:

„Zügelt Eure Wut, guter Mann, wie wir vermutet haben, scheint Ce’Nedra Esophromatem nichts von dieser Verwandlung mitbekommen zu haben. Fahre bitte fort, Kriegerpriester.“

Der Angesprochene war einen Moment beunruhigt über das kurze Gespräch, doch sah er den pragmatischen Aspekt der Aufforderung und wandte sich deshalb wieder seinem Handel zu:

„Die Dämonen der feurigen Pflanze boten mir ihre Hilfe an, wenn ich mich bereit erkläre, ohne Widerstand zu ihnen zu gehen, wenn sie mich holen kommen. Ich werde also nicht lange, nachdem wir die Grenze überschritten haben, von euch gehen müssen.“

„Nein!“, rief Nadina aus, die von ihrem Mann zurück gehalten wurde, damit sie sich nicht schmerzhaft fest an Ce’Nedras Arm klammern konnte. Auch Erwin war entsetzt, doch äußerte er dies in weitaus gemäßigterer Form:

„Dich selbst aufzugeben für ein Volk, das dich nur widerwillig in seine Reihen aufnehmen würde, wenn es wüsste…“

„Was wüsste?“, hakte Jesper nach, als Goldzahn nicht mehr weiter sprach. Die anderen der senkten den Blick, Ce’Nedras Augen wirkten verschleiert, doch dann hob er seine Augen wieder, um der schmerzlichen Enthüllung entgegen zu treten.

„Ich bin ein Halbelb“, offenbarte er, den anderen beiden merkte man deutlich das Unbehagen an. Jesper war im ersten Moment überrumpelt, dann zeichneten sich Gefühlswandlungen auf seinen Zügen ab, die Ce’Nedra schon häufig gesehen hatte: sie liefen von ungläubig über die Wut, die den Elben allgemein hin entgegen gebracht wurde, zu der Einsicht, dass Ce’Nedra schon immer ein Halbelb gewesen war und trotzdem ein verlässlicher Freund und die Wahrscheinlichkeit, dass er sich nur aufgrund dieses Wissens plötzlich in ein Ungetüm verwandelte, sehr gering war. Letztendlich siegte das Vertrauen über die vage und unbestimmte Abscheu vor allem Elbischen in Jespers Gesicht.

„Und trotzdem willst du ein solches Opfer bringen?“, knüpfte Erwin den Faden wieder an, „wenn selbst deine Freunde Schwierigkeiten haben, dich so zu akzeptieren?“

Ce’Nedra seufzte, ging zum Zelteingang, hob die Plane an und sah über die riesige Ansammlung meist primitiver Schlaflager. Seine drei Freunde schauten über seine Schulter auf dasselbe Szenario.

„Es geht hier nicht darum, ob sie mich aufnehmen würden, wenn sie es wüssten“, meinte der Kriegerpriester schließlich, „sondern ob sie leben oder nicht und den letzten Wunsch eines Königs, der ihnen unwillentlich Leid zufügte, aber immer versucht hat, in seiner naiven Sturheit das Beste für sie heraus zu schlagen. Und der, wenn wir gerade beim Thema sind“, erläuterte Ce’Nedra, sich lächelnd an den Geldwechsler wendend, „mich trotz des Wissens um meine Abstammung eine hohe und ehrenwerte Position ergattern ließ, ja mich sogar dafür vorschlug.“

Als Ce’Nedra merkte, dass Nadina, Jesper und Erwin einsahen, dass es keinen Sinn hatte, ihn von dieser Aufgabe abzuhalten, lächelte er beruhigend und wechselte leicht das Thema:

„Wir müssen uns irgendwas ausdenken, das mein Verschwinden den Leuten erklärt, damit sie nicht panisch reagieren werden. Zudem brauchen wir einen neuen Träger des königlichen Zeichens…“
 

Es war beinahe schon am frühen Morgen, als die drei das Zelt des Anführers wieder verließen. Sie alle mussten in diesen Momenten stark sein, Nadina hielt tapfer ihre Tränen zurück, die beiden Männer hatten ihre Muskeln angespannt. Das Ehepaar und der Geldwechsler hatten einander bisher nur aus der Ferne gekannt, oder als Kunden und Anbieter. Nun standen sie auf derselben Seite und das Volk war der Kunde, der noch nicht wusste, was auf ihn zukam.

Ce’Nedra fand diese Nacht keine Ruhe mehr. Er stand im Eingang seines Zeltes, während er auf den Morgen und die aufgehende Sonne wartete. Schließlich kroch besagte am Horizont empor, färbte ihn zuerst goldfarben und dann blutrot, bevor sie ihn wieder in sein gewohntes Blau entließ. Für den Kriegerpriester erschien er wie ein Vorzeichen für seine Zukunft bei den Dämonen, die ihn mit Sicherheit fressen würden. Diese düsteren Gedanken vertrieb er jedoch schnell, gab dem Fahnenträger das Zeichen, die Trompete zum baldigen Aufbruch zu blasen und legte sich seine Rüstung wieder vollständig an, über die er seinen herrlichen Umhang warf. Anschließend half er, sein Zelt abzubauen, sattelte sein Pferd und ritt durch das Lager, um die Leute an die Dringlichkeit ihres Aufbruchs zu erinnern. Ausruhen konnten sie sich, wenn sie die sichere Seite der Grenze erreicht hatten.

Der Marsch gestaltete sich als leichter und beschwingter als alle vorangehenden, nur Ce’Nedra bemerkte die Unwetter, die ihnen hinterher geschickt wurden, in denen er zunehmend die böse Präsenz des Dämonenanführers ausmachte. Als sie so die eigentlich unsichtbare Grenze erreichten, waren alle erleichtert und atmeten seufzend auf. Nun galt es nur noch, den Fluss zu überqueren, der sie vom sicheren Land trennte. Bei diesem Anblick stutzte der Kriegerpriester, er kannte das Land und wusste, dass die Grenze hier nur ein Strich auf Karten in Gelehrtenzimmern sein sollte, diesen Strich hatte er oft genug abgeritten. Sobald der Wind eine Prise des Flusses zu ihm herauf wehte, wusste er allerdings, dass es sich um eine letzte Teufelei der Dämonen handelte, um sie bei sich zu behalten. Sie hatten den Thomoth-Fluss umgebogen, sodass er nun die gesamte östliche Grenze des Reiches umfloss und nicht nur im Nordosten eine Markierung setzte, wo dieses aufhörte.

Er stieg von seiner Stute ab, um an die hohe Böschung zu treten und den Strom in seinem tiefen Bach zu betrachten. Als sich neben ihm mehr und mehr Neugierige sammelten, befahl er, aus allem Holz, das entbehrt werden konnte, eine große, breite Brücke zu bauen. Viele der Männer beeilten sich, dieser Aufforderung nachzukommen, während die Frauen durch das fahrende Lager gingen, einerseits, um Holz aufzutreiben, andererseits, um weitere Männer an der Aufgabe zu beteiligen. Ce’Nedra beobachtete weiterhin den Fluss des Wassers, während er versuchte, zu ergründen, ob der Fluss das einzige Hindernis war, oder ob es darüber hinaus noch einen schädlichen Zauber zu befürchten galt. Bei seinen Betrachtungen wurde er von dem besorgten Erwin beobachtet, der kurz versucht war, ihn zurück zu reißen, als seines Freundes Haare wie in einem Gewitter zu Berge standen, nur um sich dann wieder glatt und feuerrot zu legen. Doch kurz darauf wandte der Kriegerpriester sich von dem Spalt in der Erde ab und seine Haarfarbe war wieder gewöhnlich dunkelbraun. Dennoch blieb die Beklemmung in Erwin zurück, als er sich mit vielen anderen dem Zusammenhämmern der Holzteile widmete, was sich als recht schwierig erwies, da niemand so recht wusste, worauf es beim Brückenbau eigentlich ankam. Es gab zwar ein paar Bauherren unter ihnen, doch stellten die sich nicht als sehr hilfreich heraus, da sie sich schnell in einen Streit untereinander verwickelten.

So dauerte es zwei volle Tage, bis die improvisierte Brücke vervollständigt wurde. In dieser Zeit stritt Ce’Nedra sich häufig mit den Adligen, in seiner Begleitung seine drei Freunde, die für das Volk sprechen sollten. Leider ließ sich eine Sturheit bei dem Adel feststellen, den der Kriegerpriester vorher noch nie mitbekommen hatte, da er der verlängerte rechte Arm des Königs gewesen war, doch ohne König gab es niemanden, den der Adelsstand fürchtete und Ce’Nedra widerstrebte es, das Heer auf diese verwöhnten Leute loszulassen. So blieben seine Bemühungen fruchtlos, brachten im Gegenteil sogar noch mehr Ärger ein, weil die Adligen nun seine Freunde aufs Korn nahmen, wann immer er nicht zugegen war.

Trotzdem trat Ce’Nedra an dem Tag der Fertigstellung der Brücke zusammen mit dem Adel vor das Volk, um eine letzte Ansprache als der Anführer des königlichen Heeres zu halten.

„Gute Bürger! Wir haben einen langen und furchtbaren Marsch sowie unsere Heimat und Häuser hinter uns gelassen, weil wir die Gefahr der Invasion der Dämonen nicht unterschätzt haben. Nun stehen wir nur noch einen Schritt vor der Sicherheit. Lasst uns die Einheit, die sich in dieser schweren Zeit gebildet hat, nicht vergessen, wenn wir uns ein neues zu Hause bauen!“

Damit ließ der Kriegerpriester durch seine dämonische Hilfestellung die Brücke über den Fluss gleiten und sicher auf beiden Seiten des Ufers aufsetzen. Der Adel war der erste, der über sie zu dem neuen Land aufbrach und ihm folgten hoffnungsfrohe, lachende Menschen. Ce’Nedra beobachtete den Strom der Menschen an ihm vorbei gehen und erlaubte sich selbst auch ein Lächeln über das Gelingen dieses schweren Abenteuers. Erwin, Nadina und Jeff mit ihren Kindern lösten sich aus dem Strom, als sie ihren Freund am Rand stehen sahen. Auch sie wirkten erleichtert, bis ihr Blick auf den Weidenkorb zu Ce’Nedras Füßen glitt.

„Wirf den Stein weg“, forderte ihn Erwin auf, „entferne ihn aus deiner Nähe, bevor du das neue Land betrittst.“

Der Kriegerpriester sah darin die Sorge seines Freundes und da sowohl Nadina und auch Jeff derselben Meinung waren als auch er selbst wusste, dass der Stein keine Macht mehr haben würde, sobald er die neue Heimat des Volkes betrat, holte er ihn in der Absicht hervor, ihn irgendwie los zu werden. Zusammen mit seinen Freunden trug er ihn und den Weidenkorb mit dem Königszeichen zur Mitte der Brücke. Ce’Nedra blickte in das bräunlich vorbeiströmende Wasser und ihn dauerte, dass er den Stein für immer aufgeben sollte. Doch wusste er, dass es das Beste war, darum drückte er Jesper den Weidenkorb in die Hand und sprang mit dem Stein in den knietiefen Fluss. Er ignorierte die überraschten Aufrufe hinter sich und watete so lange stromaufwärts, bis er eine geeignete Öffnung in der Uferböschung zum neuen Land hin entdeckte. Mit sanftem Druck erweiterte er diese natürliche Einbuchtung, um den grünen Stein, der ihm solche guten Dienste geleistet hatte, hinein zu legen und zu verschließen.

Gerade, als er seine Hand mit dem Stein im Erdwerk versenkte, gleißte ein grüngelbes Licht auf, das ihn blendete und seine Freunde auf der Brücke nach Luft schnappen ließ. Nadina, die eine Bindung zur Zeitmagie besaß, schrie auf, als sie spürte, wie Ce’Nedra verschwand, Erwin und die Kinder hielten sie davon ab, selbst in den Fluss zu springen, um dem Kriegerpriester zu Hilfe zu eilen.

Ce’Nedra bekam davon nichts mit, denn durch die Magie des Dämonensteins wurde er in ein Portal zu einer anderen Welt gesaugt, sich um die eigene Achse wirbelnd, verlor er die Kontrolle und fühlte sich zum zweiten Mal in seinem Leben hilflos. Um nicht den Verstand in den umeinander wirbelnden grünen und roten Farben zu verlieren, kniff er die Augen zusammen.

Als er sie wieder öffnete, stand er in einem sonnendurchfluteten Hinterhof und vor ihm grinste ihn Ko’Descherre an.

„Es ist zwar noch etwas früh, aber ich freue mich, dass Ihr von selbst gekommen seid“, begrüßte sie ihn, ihm die Hand reichend, „Willkommen in Symbios.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: abgemeldet
2010-06-29T15:50:10+00:00 29.06.2010 17:50
hui!!!
ich mag die geschichte!
ist voll schön erzählt und packt einen richtig!
ich konnte mir alles voll gut vorstellen!!!

^^

Hi-chaan


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