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Hungerstreik

von

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trí

»Ich war bei ihm, Seán.«

Er schweigt. Es ist der 17. Tag von Kieran Dohertys Hungerstreik. Er telefoniert gerade mit Geraldine, Kierans Freundin. Sie kommt eigentlich aus Südirland, ist jedoch mittlerweile in den Norden gezogen. Und sie hat Kieran in den H-Blocks besucht.

»Er hat gesagt, es ginge ihm gut. Dass er okay wäre. Dass es so alleine nur manchmal ein wenig einsam ist.« Sie schluchzt leise. »Ich versuche ja, stark zu sein. Ich versuche, wenigstens halb so stark zu sein wie Kieran. Das Problem ist nur, dass ich das nicht kann, Seán.«

Er schweigt weiterhin. Er weiß nicht, was er sagen soll, sagen kann. Sie versteht ihn auch so, nimmt ihm seine Schweigsamkeit schon lange nicht mehr übel. Selbst am Telefon, wo sie nicht einmal sein Gesicht sehen kann.

Am Anfang hat es sie noch aufgeregt, einmal hat sie angefangen, ihn anzuschreien, er solle doch wenigstens ein Mal auch etwas sagen.

Als Antwort hat er geschwiegen. Er weiß nicht einmal, warum er in letzter Zeit nichts zu sagen hat. Es ist ihm mit einem Mal irgendwie überflüssig erschienen. Und seitdem öffnet er den Mund nur noch in Ausnahmen. Er hört lieber zu. Auch wenn er es manchmal dann doch bereut, nichts gesagt zu haben. Geraldine nicht aufgebaut zu haben.

»Ich rufe dich morgen noch einmal an, ja?«, fragt sie mit einem Mal.

Er nickt, schickt jedoch hastig ein gemurmeltes »Ja« hinterher, als ihm auffällt, dass sie diese Geste nicht sehen kann.

»Okay. Bis dann, Seán. Mach's gut.«

Einige Momente später zeigt ein gleichmäßiges Tuten, dass sie aufgelegt hat. Eine Weile mustert er noch den Telefonhörer in seiner Hand, legt ihn dann jedoch wieder auf die Gabel und steht auf. Er muss raus. Freunde treffen. Mal wieder, seit langer Zeit.
 

»...Automaten!«

Alle lachen. Er nicht. Er hat den Witz nicht verstanden. Er will es eigentlich auch gar nicht, versucht es nicht einmal. Er möchte sich nicht erlauben, über irgendwelche schlechten Witze zu lachen. Überhaupt tut er das momentan nicht mehr viel; er ist ernster geworden. Ernster, als er je dachte, sein zu können. Er war immer ein Spaßvogel gewesen, ein Clown, hatte alle anderen zum Lachen gebracht, bis sie sich den Bauch hielten. Tränen in den Augen hatten. Er hat einmal gehört, seinen Sinn für Humor kann man nicht verlieren. Und doch ist irgendwie genau das passiert.

»Seán, was ist denn los? Du sagst ja gar nichts«, spricht ihn plötzlich eines der Mädchen aus ihrer Gruppe an. Sie haben sich den für den Abend in einen Pub gesetzt, einfach mal ein bisschen reden. Bloß, dass er nicht redet. Er schweigt.

So zuckt er also bloß mit den Achseln. Was soll er auch groß sagen? ›Tut mir leid, aber ich möchte gerne wieder nach Hause gehen‹?

Jeder weiß von Bobby Sands. Patsy O'Hara. Kieran Dohery. Jeden hier beschäftigt das Thema. Es sieht nur keiner die Verbindung zwischen ihm und ihnen. Ihm und Kieran.

Sie wissen ja nicht einmal, wo er herkommt. Wo er geboren ist. Sie wissen bloß alle, dass dieser Hungerstreik ihn mehr mitnimmt als jeden anderen von ihnen.

»Nimm's nicht so schwer, Kay. Er ist halt schon so, seit es angefangen hat. Kann man ja auch nichts machen oder? Das geht vorbei.«, hört er ein anderes Mädchen ihrer Freundin zuflüstern. Sie heißt Féileacán, Schmetterling. Ein komischer Name. Er spart sich, zu erwähnen, dass ihre Aussage nicht stimmt. Falsch ist. Er ist so erst seit Kierans Dabeisein. Vorher hat es ihn zwar auch schon interessiert und erschüttert, aber es ist kein Vergleich.

Jetzt ist es anders. Er holt sich jeden Morgen eine Zeitung, um zu lesen, ob irgendetwas neues passiert ist. Ob irgendjemand nachgibt. Aufgibt. Er geht nicht mehr oft nach draußen, er könnte ja einen Anruf verpassen. Den Anruf. Bisher haben alle Hungerstreikenden länger durchgehalten als 17 Tage, doch allein diese Zahl scheint ihm schon irreal.

Siebzehn. Zehn plus sieben. Ohne Essen. Ohne richtige medizinische Versorgung, falls einer krank werden würde. Tabletten entsprächen Nahrung. Eine leichte Krankheit könnte mit einem Male ganz andere Ausmaße annehmen, in so einem geschwächten Körper. Mit einem Mal friert er. Beginnt zu zittern.

»Hey, Seán«, sagt plötzlich Kay erneut, »du zitterst ja.« Besorgt mustert sie ihn. »ist dir kalt?«

Er schüttelt den Kopf. Eigentlich ist ihm nicht kalt, es ist warm im Pub und auch die Jahreszeit ist nicht gerade für kalte Temperaturen bekannt. Er friert aus einem anderen Grund. Den sie nicht verstehen könnten.

Kay seufzt. »Weißt du«, fährt sie fort, lauter diesmal, vielleicht möchte sie, dass auch ja alle sie hören können, »natürlich ist dieser Hungerstreik schrecklich, aber...« Schon bei dem Wort ›Hungerstreik‹ hat sie quasi die ungeteilte Aufmerksamkeit vieler Pubbesucher. Die Lautstärke, in der sich unterhalten wird, ebbt ein wenig ab. Sie holt tief Luft. »Er ist auch weit weg von uns. Die Menschen, die das machen.... Wir kennen sie nicht. Nicht persönlich jedenfalls. Seán, es sind Fremde, die sich dort zu Tode hungern! Niemand von deinen Bekannten ist dabei!«

Er schüttelt langsam den Kopf. »Nein« sagt er leise. Die Menschen im Raum beobachten ihn, reden jedoch weiter. Sie warten trotzdem auf seine Antwort. Er wendet den Kopf ab und wiederholt nun mit klarer, deutlicher Stimme. »Nein. Kein Bekannter. Mein bester Freund.«

Mit einem Mal ist es still.
 

-“Nothing else seems to matter except that lingering constant reminding thought, 'Never give up'. No matter how bad, how black, how painful, how heart-breaking, 'Never give up', 'Never despair', 'Never lose hope'.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Ninjagirl
2010-06-09T06:37:42+00:00 09.06.2010 08:37
Ow, da hast du mich erwischt, die letzte Szene war wirklich gut beendet.
Interessantes Thema und wie immer interessante Charaktere, ich bleib auf jeden Fall dabei, wenns weitergeht.


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