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Office Mein

Im Büro
von

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Anjalis Entscheidung

Rahul war überrascht, als er am nächsten Morgen ins Büro kam und Anjali weder anwesend war noch in den nächsten Stunden auftauchte. Auch alle Versuche, sie anzurufen, blieben erfolglos. Als sich das auch den Rest der Woche nicht änderte, begann er, sich ernsthafte Sorgen zu machen. Konnte er sie tatsächlich so verletzt haben, dass sie nun allen Ernstes vorhatte, nicht mehr mit ihm zu reden und den Kontakt ohne jegliche weitere Erklärung abzubrechen?

Das konnte und wollte er nicht einfach so hinnehmen und fuhr am Wochenende schließlich zu ihrer Wohnung. Doch egal wie lange er dort stand und auf sie wartete, Anjali schien weder da zu sein, noch nach Hause zu kommen. Ihr Handy war mittlerweile sogar komplett ausgeschaltet.
 

Sonntagabend saß Rahul schließlich auf seiner Couch und starrte auf die Londoner Skyline, die sich funkelnd zwischen dem dunkelblauen Himmel und seinem Panoramafenster erstreckte. Er fühlte sich ausgebrannt; sein Kopf war leer und schwer. Was sollte er tun? Er sah absolut keine Möglichkeit, irgendwie an Anjali heranzukommen, vor allem da er sich im Moment nicht einmal mehr sicher war, wo und ob sie sich überhaupt noch in London aufhielt.

Der Verlauf der Dinge erschien ihm vollkommen absurd. Wie konnte sie es ihm nur so übel nehmen, dass er ihr eine solch unbedeutende Kleinigkeit verheimlicht hatte? Ihm war zu jenem Zeitpunkt natürlich bewusst gewesen, dass sie an Harishs Zuneigung zweifeln würde, wenn er sich nicht mehr bei ihr melden würde. Deshalb hatte er diese Chance ergriffen und sofort genutzt. Eigentlich hatte er es ihr irgendwann sagen wollen, doch die Zeit in Indien hatte ihn dieses Vorhaben vollkommen vergessen lassen.

Dass die Dinge diese Wendungen nehmen würden, hatte dabei ganz sicher nicht in seiner Absicht gelegen. Allem voran die Tatsache, dass er absolut nicht sagen konnte, wo Anjali denn nun im Moment war. Der Gedanke daran, dass sie womöglich bei Harish wohnte, ließ es in seinem Inneren brodeln. Statt befürchten zu müssen, dass sie in den Armen eines anderen lag, wollte er sie bei sich haben, sich mit ihr streiten, wieder versöhnen und ihr Lachen hören. Dass dieses Glück möglicherweise einem anderen vergönnt sein sollte, gefiel ihm ganz und gar nicht.
 

Nach einer erneuten schlaflosen Nacht kam ihm schließlich eine Idee, als er am nächsten Morgen die Eingangshalle des Hotels betrat und Mili an der Rezeption stehen sah. Ihm entging nicht, dass ihr Blick sich verfinsterte, als sie bemerkte, dass er auf sie zukam. Er ignorierte dies jedoch geflissentlich und bat sie, ihn in sein Büro zu begleiten.

„Können Sie mir sagen, wieso Miss Sharma in der letzten Woche nicht auf Arbeit erschienen ist, Miss Diwan?“, wollte Rahul wissen, nachdem er hinter und Mili vor seinem Schreibtisch Platz genommen hatte. Sie musterte ihn daraufhin argwöhnisch und entgegnete kühl: „Haben Sie denn ihre Kündigung noch nicht gelesen?“

Rahul brauchte einen Moment, um die Bedeutung ihrer Worte zu begreifen und begann dann, den Stapel an Briefen und Unterlagen, der sich aufgrund seiner geistigen Abwesenheit in der letzten Woche auf seinem Tisch angesammelt hatte, zu durchsuchen. Als er schließlich die erwähnte Kündigung fand, entglitten ihm alle Gesichtszüge. Er las sich das Schreiben mehrmals hintereinander durch, doch er begriff nicht, was das sollte.

„Wieso?“, war schließlich seine an Mili gerichtete Reaktion. „Ich bitte Sie! Das dürften Sie doch wohl am besten wissen.“, antwortete sie abweisend und gab sich nicht besonders viel Mühe, ihre Abneigung gegenüber ihrem Chef zu verbergen. „Aufgrund dieser Antwort nehme ich an, dass Anjali Ihnen alles erzählt hat...“, schlussfolgerte Rahul und versuchte, ruhig zu bleiben. „Aber was soll diese plötzliche Kündigung? Was hat sie vor? Und wieso ist sie nicht mehr in ihrer Wohnung anzutreffen?“ „Das können Sie sich doch wohl denken. Ich hätte auch nicht besonders viel Lust, weiter für den Mann zu arbeiten, der mit meinen Gefühlen Jojo spielt und Unehrlichkeit als eine seiner Tugenden ansieht...“

„Das ist doch ausgemachter Unsinn!“, brauste Rahul auf und erhob sich fahrig aus seinem Stuhl. „Wenn ich Anjali nicht lieben würde, hätte ich mich doch wohl kaum so lange um sie bemüht und...“ „Sie lieben sie?“, wiederholte Mili ungläubig. „Natürlich! Ich buhle doch nicht zum Spaß eine halbe Ewigkeit um eine widerspenstige Frau.“, antwortete er mit Nachdruck. „Sie sind ein Idiot.“, stellte Mili daraufhin lapidar fest. „Sie haben absolut keine Ahnung, wie man mit Frauen umgeht und was man tun muss, um sie für sich zu gewinnen. Das Einzige, was Sie können, ist, eine Frau ins Bett zu kriegen. Wenn es dann aber ans Eingemachte geht, sind sie ein vollkommen verlorener Trottel. Sie tun das Falsche und Sie sagen das Falsche. Kein Wunder, dass Anjali nichts von Ihnen wissen wollte.“

Milis Worte waren für Rahul wie verbale Holzhammerschläge. Und zu seinem Entsetzen war sie mit ihrer Rede noch immer nicht fertig.

„Hören Sie zu. Ich weiß nicht, warum, aber ich glaube Ihnen tatsächlich, dass sie sich in Anjali verliebt haben. Deshalb und nur deshalb werde ich Ihnen jetzt sagen, wo sie ist und was sie vorhat, alles klar? Was Sie daraus machen, ist Ihre Sache, aber machen Sie es nur, wenn Sie wirklich vollkommen dahinter stehen und sich sicher sind!“

Rahul wusste nicht, ob die Entschlossenheit seiner Rezeptionistin ihn verärgerte oder ihm imponierte. Doch im Moment hatte er auch gar keinen Nerv dafür, darüber nachzudenken. Es interessierte ihn viel mehr, wo Anjali denn nun war. Doch als er es hörte, fiel er beinahe aus allen Wolken.

„Anjali ist nach Indien zurückgekehrt und wird dort aller Wahrscheinlichkeit nach Harish heiraten.“
 

Nach dieser Offenbarung, fackelte er nicht lange und setzte sich – nach einem kurzen Abstecher nach Hause, wo er eilig noch ein paar Sachen in seinen Koffer warf – umgehend in den nächsten Flieger nach Indien.

Der Flug dauerte ihm eindeutig zu lange, denn so hatte er viel zu viel Zeit, um über seine momentane Situation nachzudenken und sich Stück für Stück in eine entschlossene Wut hineinzusteigern. Was war bloß in Anjali gefahren? Sie musste doch wahnsinnig sein, dass sie wegen einer in seinen Augen so unbedeutenden Kleinigkeit so überreagierte, ihre Beziehung wegwarf und gleich einen anderen Mann heiraten wollte. Die Tatsache, dass dieser ‚andere Mann’ vor ihm da gewesen war, ignorierte er dabei allerdings geflissentlich.
 

Jede Stunde, die der Flug dauerte, kam Rahul in seiner Ungeduld vor wie mehrere Tage und er war ungeheuer froh, als der Flieger endlich zur Landung ansetzte.

Kaum waren die Bordtüren geöffnet wurden, stürmte er hinaus und rief sich, nachdem er rennend den gesamten Flughafen durchquert hatte, eilig ein Taxi. Langsam quälte es sich anschließend durch Amritsars Vormittagsverkehr, um nach knapp eineinhalb Stunden die Vororte zu erreichen und nach einer weiteren halben Stunde Rahul endlich am Haus der Sharmas absetzen zu können.

Nachdem er ausgestiegen war und vor der Tür, von der er nicht gedacht hätte, sie so schnell wiederzusehen, stand, wusste er allerdings plötzlich nicht weiter. Ihm fiel auf, dass er nicht einmal ansatzweise darüber nachgedacht hatte, was er tun sollte, wenn Anjali ihm gegenüber stand. Außerdem wusste er nicht, wie ihre Eltern auf ihn reagieren würden. Wenn sie ihnen die Wahrheit erzählt hatte, konnte er ganz sicher nicht mit ihrem Wohlwollen und ihrer Unterstützung rechnen.

Nichtsdestotrotz beschloss er, seine Bedenken über Bord zu werfen und die Dinge einfach auf sich zukommen zu lassen. Er wollte den ganzen Weg von London bis hierher schließlich nicht umsonst gemacht haben.

Nachdem er noch einmal tief durchgeatmet hatte, drückte er also auf die Klingel. Und daraufhin... tat sich nichts. Er läutete noch weitere Male, doch die Tür blieb verschlossen. Hatten die Sharmas ihn etwa gesehen und ließen ihn nun absichtlich nicht herein? Das konnte nicht sein. Diese Leute waren temperamentvolle, emotionale Inder und er war sich sicher, dass sie ihre Wut nur allzu gern an ihm auslassen wollen würden anstatt ihn zu ignorieren.

Er beschloss daraufhin also, erst einmal im Garten nachzusehen. Er nahm seinen Koffer und lief um das Haus herum. Kaum war er um die Ecke gebogen, sah er auch schon Anjalis Mutter in der Nähe der großen Terrasse in einem Beet hocken und ein paar Blumen pflanzen.

Rahul zögerte kurz, fasste sich dann allerdings ein Herz und rief: „Reemaji?“ Die Angesprochene drehte sich daraufhin um und schaute ihren unerwarteten Gast erstaunt an. „Rahul? Was machst du denn hier?“, wollte sie wissen, während sie sich aufrichtete und ihn zu sich heranwinkte. Unschlüssig folgte er ihrer Aufforderung und fühlte sich ein wenig verwirrt. Weder in ihrer Gestik noch in ihrer Stimme konnte er Ablehnung erkennen.

Als er Reema erreicht hatte, bückte er sich kurz und berührte, wie es in Indien üblich war, um Älteren seinen Respekt entgegen zu bringen, ihre Füße. Nachdem er sich wieder aufgerichtet hatte und sich ihre Blicke trafen, erkundigte er sich einleitend danach, wie es ihr ging. Er wollte sich schließlich langsam herantasten und nicht sofort mit der Tür ins Haus fallen.

Doch Reema tat seine Frage mit einem lapidaren „Gut.“ ab und musterte ihn nur mit einer Mischung aus Mitleid und Besorgnis. Dieser Blick brachte Rahul zunehmend aus dem Konzept und so fragte er schließlich doch sofort danach, ob Anjali da war.

Anstatt ihm direkt zu antworten, bot Reema Rahul allerdings an, auf der Terrasse Platz zu nehmen und ging anschließend ins Haus, um sich ihre von der Gartenarbeit schmutzigen Hände zu waschen und etwas zu trinken zu holen.

„Also Rahul... Anjali ist im Moment mit ihrem Vater und ihrem Jugendfreund Harish in Amritsar...“, meinte Reema schließlich, nachdem sie Rahul ein Glas Wasser gebracht und sich neben ihn gesetzt hatte. „Anjali hat mir erzählt, dass ihr euch getrennt habt und sie deswegen beschlossen hat, hierher zurückzukommen und... und Harish zu heiraten... Die Gründe für eure plötzliche Trennung wollte sie mir nicht sagen, aber da du jetzt hier bist, nehme ich nicht an, dass es in beiderseitigem Einvernehmen geschah...“

Rahul war äußerst überrascht zu hören, dass Anjali ihn nicht bei ihren Eltern verraten hatte. Er verstand nicht, wieso, doch ihm war klar, dass er ihnen die Wahrheit schuldig war. Es fiel ihm alles andere als leicht, doch diese Menschen waren so nett zu ihm gewesen, dass er sie nicht weiter belügen wollte. Also erzählte er Anjalis Mutter die wahre Geschichte – von Anfang an.



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