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Mental Disorder

Es geht endlich weiter: Kapitel 6!
von

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The evening returns

Als ich aufwachte, war es Abend. Zum zweiten Mal an diesem Tag setzte ich mich verschlafen auf.

Aus kleinen Augen blickte ich mich um.

Da der Himmel sich relativ schnell verdunkelte, herrschte ein unwirkliches Dämmerlicht in dem Raum.

...welcher definitiv nicht unser Schlafzimmer war.

Arber warum redete ich eigentlich noch von uns?

Keiji war nicht mehr. Es gab kein wir mehr.

Jetzt, da ich Dank der Beruhigungsspritze des Arztes etwas geschlafen hatte, sah ich das ganze seltsam nüchtern.
 

Ich hatte von diesem Morgen kein Detail vergessen, aber es berührte mich nicht mehr so sehr.

Es war, als wäre das alles nicht mir, sondern jemand anderes passiert, den ich flüchtig bis gar nicht kannte.

Als ob ich alles nur in den Nachrichten gesehen hätte.

Kam ich jetzt auch in den Nachrichten?

Wurde ich gefilmt und fotografiert, wenn ich wo hin ging?

Würde das Geschehene sämtliche Zeitungen füllen?

Oder würde soetwas Schreckliches nur in einem kleinen Randartikel bei den örtlichen Nachrichten erscheinen?

Wie auch immer... mir war es am liebsten, wenn das ganze nicht so in die Öffentlichkeit gezerrt wurde.
 

Ich schlug die Bettdecke zurück und setzte mich hin. Vergeblich suchte ich mit meinen bloßen Füßen nach Hausschuhen, also stand ich so auf.

Wo war ich hier eigentlich?

Ich lief nach einem Lichtschalter tastend an der Wand entlang, fand nach kurzem Suchen auch einen.

Ich betätigte ihn und kurz darauf wurde das Zimmer von einer hellen, kalten Lampe an der Decke erhellt.

Überfordert blickte ich mich um.

Bis eben hatte ich in einem soliden Holzbett gelegen.

Der Boden war ebenfalls aus lackiertem Holz.

Das war allerdings das einzig Freundliche an diesem Zimmer.

Es gab ein von außen vergittertes Fenster, einen Stuhl, einen Tisch und sonst nichts.
 

Nachdem ich noch eine Weile dagestanden und das Ganze gemustert hatte, setzte ich mich in Bewegung, nahm mir den Stuhl und wollte ihn mir ans Fenster schieben.

Er rührte sich nicht vom Fleck.

Verdattert starrte ich ihn an. Ich nahm ihn fest an der Lehne und zog erneut. Nichts tat sich.

Jetzt nahm ich ihn genauer in Augenschein. Er war stabil am Boden befestigt, genau, wie der Tisch, an dem er stand.

Was sollte das?

Wo war ich hier? Wo nagelte man Tische und Stühle am Boden fest?

Erst jetzt fiel mir auf, was ich an hatte, bzw. nicht an hatte.

Einen kurzen Kittel, Shorts. Sonst nichts.

Verwundert musterte ich das hellblaue Leibchen, wusste nicht so recht, wo ich es einordnen sollte.

Aber ich kannte diese Teile von irgendwo her...
 

Während ich mich verkehrt herum auf den Stuhl setzte, sodass ich meine Unterarme auf die Lehne und das Kinn darauf legen konnte, überlegte ich.

Mein Blick wanderte zum Fenster. Draußen regnete es. Die einzelnen Tropfen schlugen an die Scheibe und liefen dann daran herunter. Ich folgte ihnen mit den Augen.

Das alles hier kam mir mehr als bekannt vor.

Gedankenverloren blickte ich aus dem Fenster, spielte mit der einen Hand am Stoff des Ärmels am anderen Arm. Nur langsam schaffte ich es, blasse Erinnerungen abzurufen.

Dann schoss plötzlich ein einzelner Gedanke durch meinen Kopf: Therapie.

Das hier war eine Psychiatrie. Eine Klapse.

Ich war hier schon mal gewesen, weil ich gehofft hatte, dass man mir hier bei meinem Vergesslichkeitsproblem helfen konnte. Natürlich vergebens.

Ein schwaches Lächeln schlich sich auf meine Lippen.
 

Hotel.

Das hier war also mein Apartment, die Alternative zu meiner Wohnung.

Auch, wenn es etwas trist war... es gefiel mir momentan besser, als zu Hause.

Wenigstens lief ich hier nicht auf Gefahr, abgestochene Leichen zu finden.

Kaum, dass ich das gedacht hatte, verschwand das kaum merkliche Lächeln wieder von meinen Lippen.

Mir wurde etwas übel, ich erhob mich leicht schwankend, um das Fenster zu öffnen.

Es ging nicht.

Ich rüttelte hektisch an dem Knauf, sank schließlich auf dem Boden zusammen, in der Erwartung, wieder zu Erbrechen.

...in der Erwartung, wieder in den Zustand zurück zu kehren, in dem ich vor dem Schlafen gewesen war. Es war mir kurzfristig besser gegangen, zumindest körperlich. Warum kehrte dieses dumpfe, pochende Gefühl der Übelkeit jetzt wieder zurück?

Es wäre auch zu schön gewesen, wenn ich diese Sache so einfach vergessen könnte, wie Orte, wo ich verschiedene Dinge hingetan hatte, oder Sachen, die ich an irgendwelchen Abenden gemacht hatte.
 

Das seltsame, sterile Licht in dem Raum schien mir auf einmal alles andere, als hell. Es war nur noch kalt und grau. Überhaupt wurde alles grau. Der Boden bleichte aus, das Bett verlor, genauso wie der Tisch und der Stuhl, immer mehr an Farbe.

Instinktiv drückte ich mich an die Wand unter dem Fenster hinter mir, zog die Beine nah an meinen Körper.

Ein Windhauch wehte durch das Zimmer, ich hörte, wie sich eine Tür schloss. War sie vorher überhaupt aufgegangen? Oder war sie schon offen gewesen?

Ängstlich riskierte ich einen Blick zur Zimmertür.

Sie war zu.
 

„Karyu“, hörte ich auf einmal meinen Namen.

Erschrocken zuckte ich zusammen, blickte mich hektisch um.

Wer sprach da?

Da war doch niemand!

...oder?

„Sie lag da!“, durchbrach auf einmal eine laute, gereizte Stimme die schreckliche Stille. Es war Keijis Stimme.

Kurzes Schweigen.

„Und dann hast du sie weg getan.“

Vorsichtig sah ich mich erneut um, den Kopf eingezogen. Ich erwartete jeden Moment, dass er mich von irgendwoher packte, und-

„Wo hin?!“

Und dann sah ich ihn. Er stand vor dem Bett, in dem ich geschlafen hatte. Allerdings waren seine Konturen sehr unscharf.

Nur seine Stimme ermöglichte es mir, ihn zu erkennen.

Aber da war noch jemand. Er drückte sich ängstlich an die Wand, wollte anscheinend einfach nur weg, weit weg. Wusste aber nicht wie.

Ich konnte ihm nachfühlen, wie es ihm ging, es war mir selbst schon etliche Male so gegangen.

Allerdings... warum war dort Keiji? Mit jemand anderem?

Jemand, den ich nicht kannte?
 

Die Konturen wurden schärfer, jedoch noch nicht so scharf, dass man jedes Detail erkennen konnte. Ich sah alles so, als würde ich durch eine Brille sehen, die auf Weitsichtigkeit eingestellt war, obwohl ich keine brauchte.

Doch dann, mit einem mal, erkannte ich, wer der andere war.

Das war ich.

Mit einem Ruck blickte ich an mir herunter, stellte fest, dass ich das einzige in diesem Raum war, das noch seine Farbe hatte und nicht grau in grau war.

Ich packte mich an der Schulter, kniff mich kräftig in den Oberarm. Es tat weh.

Langsam begann ich zu verstehen.

Das, was ich hier sah, war wie ein Film.

Es war, als würde ich im Kino sitzen und mir einen alten Schwarz-Weiß-Streifen ansehen.

Aber... würde mich Keiji nicht bemerken?

Ich beschloss, es herauszufinden, obwohl ich große Angst vor diesem Mann hatte.

Allerdings, wenn das hier war, wie in einem Film, würde er mich nicht bemerken... aber war es wie in einem Film?
 

Ich erhob mich vorsichtig, und schlich zu Keiji, der den anderen Karyu, der noch immer an der Wand stand und versuchte, sich zu verteidigen, verspottete.

Vorsichtig setzte ich meine Füße auf, schlich mich zu Keiji.

Je näher ich ihm kam, desto schneller schlug mein Herz. Was, wenn ich mich geirrt hatte? Wenn er mich doch sehen würde?

Bis jetzt hatte er es aber auch nicht getan. Und umkehren wollte ich auch nicht mehr.

Schließlich war ich angekommen, hob die Hand, nahm meinen ganzen Mut zusammen und wedelte damit vor Keijis Gesicht herum.

Eine Schrecksekunde lang dachte ich, dass er sich umdrehen, mich packen und wieder verprügeln würde, doch er tat es nicht.

Er reagierte gar nicht.

Er zuckte nicht einmal mit der Wimper.

Auf einmal setzte sich der Größere in Bewegung, hielt auf den an der Wand stehenden Karyu zu, ich war wie erstarrt.

Was tat er jetzt?

Doch ehe er ganz bei dem anderen Karyu war, war er verschwunden.
 

Verwirrt blickte ich mich um, erkannte nichts, da noch immer alles so verschwommen war.

Auf einmal packte mich die Panik.

Wo war ich hier?

Was passierte mit mir?

Warum sah ich alles, als würde ich unter Wasser die Augen öffnen?

Etwas berührte mich von hinten an der Schulter, ich fuhr herum und schrie erschrocken auf.

Da stand Keiji, grinste mich selbstgefällig an, das Gesicht seltsam verzerrt, durch die abstrakte Optik, die herrschte.

Die Finger des Größeren gruben sich ein meine Schulter, er fletschte die Zähne, wie ein wütender Pitbull.

Ich begann zu zittern, wollte zurückweichen, wollte weglaufen. Weg aus diesem Raum, aus diesem Haus, einfach nur weg.

Und Keiji hinter mir lassen.

Unter ersticktem Schluchzen riss ich mich los, schaffte es tatsächlich und rannte zur Tür. Ich umfasste die Klinke, versuchte, sie herunter zu drücken und die Tür zu öffnen.

Nichts tat sich.

Unter wimmerndem Flehen rüttelte ich mit aller Kraft an der Türklinke, brach schließlich vor der Tür zusammen.

„Geh auf“, schluchzte ich. „Geh auf!

Etwas berührte mich von hinten an der Schulter.

Ich drehte mich gar nicht erst um, fiel eher, als dass ich sprang, zur Seite, stolperte auf die andere Seite des Raumes.

„Lass mich in Ruhe!“, schrie ich. „Du ... du bist tot! Du darfst hier gar nicht mehr sein!“

Tränen der Verzweiflung rannen über meine Wangen, ich presste mich panisch an die kalte Wand hinter mir.
 

Dann bemerkte ich, dass da gar nicht Keiji stand, sondern eine junge Frau, die eine Hose und Schuhe in der Hand hielt.

Sie trug einen weißen, knielangen Kittel, gleichfarbige Hosen und Schuhe. Ihre dunklen Haare hatte sie zu einem Pferdeschwanz gebunden.

„Beruhigen Sie sich“, sagte sie sanft, aber deutlich.

Ich hielt still, starrte sie an.

Das Zimmer kehrte wieder in seinen vorigen Zustand zurück, die Farben kamen wieder, das Licht war nicht mehr ganz so kalt.

Langsam kam sie zu mir, fasste mich an der Schulter.

„Was ist passiert?“, fragte sie.

Ich schwieg, dachte mir im Stillen ein Wenn ich das wüsste... und entspannte mich allmählich.
 

In meinem Kopf arbeitete es jedoch auf Hochtouren.

Was war das gewesen? Und welche Szene sollte es darstellen? War es ... vielleicht eine Szene der vielen, die ich vergessen hatte? Am Ende der gestrige Abend?

War das gestern, nach dem Keiji nach Hause gekommen war, passiert? Ein erneuter Streit?

Zu viele Fragen und zu wenige Antworten.

„Ziehen Sie sich das an“, meinte die Frau. „Es möchte Sie jemand sprechen.“

Sie hielt mir die Hose und die Schuhe entgegen.

Wortlos und zögernd nahm ich sie, zog mir die Sachen an, folgte ihr auf ihren Wink hin aus dem Raum, wo ein Mann wartete, der ebenfalls so gekleidet war, wie die junge Frau an meiner Seite.
 

Die beiden nahmen mich in ihre Mitte, führte mich zu einem Lift, ein paar Gänge entlang und schließlich in eine Art Warteraum. Sie wiesen mich an, mich zu setzen und zu warten. Ich tat, wie geheißen.

Während ich also hier saß und wartete, sah ich mich um. Irgendwie sah es hier aus, wie in dem Wartezimmer einer besseren Arztpraxis.

Zwei kleine Tischchen mit Zeitschriften, ein paar grüne Zimmerpflanzen, bei denen ich mir nicht sicher war, ob sie echt waren, oder nicht und bunte Hundertwasser-Bilder an den Wänden.

Richtig wahrnehmen tat ich das ganze jedoch nicht. Ich war noch immer mit den Gedanken bei der Sache vor ein paar Minuten, im Zimmer.

Da ich weiter darüber nachsinnte, was da gewesen sein könnte, vergaß ich die Zeit vollkommen und erschrak, zuckte zusammen, als die Tür zu dem Zimmer aufging, vor welchem ich warten sollte.

„Kommen Sie“, sagte die junge Frau, die mich mit ihrem Kollegen hier her gebracht hatte.

Ich erhob mich, folgte ihr langsam in den Raum.
 

Am Tisch saß jemand, der mir bekannt vorkam.

Ich blieb im Türrahmen stehen, blickte etwas abwesend in das Gesicht des sitzenden.

Tsukasa... Tsukasa irgendwas. Wie war sein Nachname gewesen?

Er hatte ihn mir doch heute morgen gesagt, als er sich vorgestellt hatte...

Er blickte auf, sah mich an.

„Hallo“, sagte er und erhob sich.

Ich sagte nichts, blickte ihn nur stumm an.

Warum war er hier?

Die Frau hinter mir legte mir die Hand auf den Rücken, um mich dazu zu bewegen, weiter zu gehen.

Ich tat einen Schritt vorwärts, blieb erneut stehen, mich unsicher umsehend.

In dem Raum stand ein Tisch und an ihm sich gegenüber zwei Stühle. Auf dem Tisch zwei Gläser und eine Flasche Mineralwasser.

Dieser Tsukasa lächelte leicht, wie einladend mit der Hand auf den Stuhl seinem gegenüber.

„Möchten Sie sich setzen?“, bot er mir an.

Wortlos ging ich zu dem Stuhl und ließ mich darauf nieder.

Wozu das alles?

Was wollte dieser Mann von mir?

„Einen Schluck Wasser?“

Ich schüttelte den Kopf.
 

Mein Blick wanderte durch den Raum, blieb an der Türe hängen, wo noch immer die Frau stand und das Geschehen verfolgte.

Tsukasa folgte meinen Augen, wandte sich der Frau zu.

„Wären Sie so nett und würden uns alleine lassen?“

Die Frau verzog etwas missbilligend ihr Gesicht.

„Ungern, Oota-san, ungern. Er ist noch sehr durcheinander.“

„Ich weiß.“

„Wir haben noch nicht herausgefunden, ob er gefährlich ist. Aber er leidet definitiv unter einer Art von Wahnvorstellungen.“

Wahnvorstellungen? Hatte ich etwa Wahnvorstellungen? War es das, warum ich immer alles vergaß?

Oder hingen die mit dem schon oft benannten Abend zusammen?

„Ich versichere Ihnen, dass ich mich im Falle eines Falles meiner Haut erwehren kann.“

Abwechselnd sah ich zwischen den beiden hin und her, saß angespannt auf meinem Stuhl. Ich wusste absolut nicht, was ich von ihnen halten sollte.

Sie redeten über mich, als ob ich nichts verstehen würde, als wäre ich geistig verwirrt und noch dazu aus einem anderen Land, als wäre ich zu dumm, um ihnen zu folgen.

Ich sagte jedoch nichts, blieb sitzen, hörte weiter zu.
 

„Hören Sie“, meinte Oota-san gerade. „Er steht nur unter Schock. Mehr nicht. Er ist weder geistig verwirrt, noch etwas anderes. Und jetzt hören Sie auf, so über ihn zu reden, als ob er nicht da wäre. Er ist nicht wie Ihre anderen Patienten. Er ist genau genommen nicht einmal wirklich Ihr Patient.“

„Alle in diesem Haus einquartierten Leute sind unsere Patienten“, erwiderte sie kalt, ehe sie sich umwandte.

„Und denken Sie daran, was ich Ihnen gesagt habe, Oota-san.“

Angesprochener nickte.

Was hatte sie ihm gesagt? Betraf es auch mich?

Und warum drehte sich hier alles um mich? Ich wollte nur einfach meine Ruhe, war ich so viel Aufmerksamkeit doch überhaupt nicht gewöhnt. Und ich fühlte mich unwohl dabei, wenn mir auf einmal jeder so viel uneingeschränkte Aufmerksamkeit schenkte.
 

Ich hörte auf, nachzudenken, da es mir nur Kopfschmerzen verursachte, beschäftigte mich stattdessen mit einer Aussage, die dieser Kommissar eben gemacht hatte.

Ich stand unter Schock? ...ob damit diese... Vision von vorhin zusammen hing?

Und warum stand ich unter Schock?

Weil ich Keiji gefunden hatte?

Erneut wurde mir übel und ich griff ruckartig nach dem halbvollen Glas Wasser auf dem Tisch vor mir und trank es in einem Zug leer.

Oota-san, der sich mir gegenüber niedergelassen hatte, lächelte leicht.

„Also doch einen Schluck Wasser“, stellte er trocken fest, zog das noch unbenutzte Glas zu sich, ehe er sich erneut einschenkte.

Beschämt stellte ich das Glas zurück auf den Tisch, blickte zur Seite.
 

Ich wusste nicht, was ich von ihm halten sollte. Ja, er war freundlich und ja, er kümmerte sich schon irgendwie nett um mich und ja, verdammt, er hatte mich eben in Schutz genommen. Aber er war Polizist.

Es war die Aufgabe eines Polizisten, alles objektiv zu sehen. Und wenn er den Mord an Keiji behandelte... dann würde doch ich unter Verdacht kommen, oder? Ich hatte mit Keiji zusammengelebt, jahrelang. Ich war der Einzige, der sich in der Wohnung aufgehalten hatte. Lenkte das die Schuld auf mich?

Dabei wusste ich doch gar nicht, was ich an dem Abend gemacht hatte. Ich wusste doch nicht einmal, was überhaupt an dem Abend passiert war.
 

„Sie kennen mich ja bereits“, begann der Kommissar dann. „Aber ich kenne sie noch immer nicht.“

Ich starrte ihn an. Er wusste doch sicher meinen Namen, meine Adresse, meine Telefonnummer, was für eine Ausbildung ich gemacht hatte, dass ich jetzt arbeitslos war, welche Freunde ich hatte und wann ich mich wo und warum mit wem traf. Polizisten wussten sowas doch immer!

Warum fragte er mich dann also so demonstrativ?

„Matsumura“, sagte ich schließlich leise. „Matsumura Karyu.“

Er nickte, schlug sein Notizbuch auf, notierte meinen Namen.

„Ein schöner Name“, stellte er dann beiläufig fest, klappte sein Notizbuch zu, legte es zusammen mit dem Kugelschreiber auf den Tisch, als wäre nichts gewesen.

Mein starrer Blick war verständnislos geworden. Was wollte er mit solchen Komplimenten bezwecken?

Mit sowas schleimte man sich doch nur bei irgendwelchen.... Nutten, oder sowas ein. Leute, denen man eben schnell Komplimente machen musste, bevor man zur Sache kam. Und ja, das war es sicher. Er wollte zur Sache kommen, mich vorher noch schnell positiv stimmen, damit ich willig war, seine Fragen brav beantwortete.

Ich wurde blass.

War ich tatsächlich verdächtigt, die Tat begangen zu haben?

...aber ich wusste doch gar nicht, wie...!
 

„Geht es Ihnen nicht gut, Matsumura-san?“, fragte er und sah mich besorgt an.

Ich wusste nicht, ob diese Sorge ehrlich war, oder ob er sie nur spielte, hatte jetzt aber auch anderes zu tun, als darüber nachzudenken.

Ich tat seine Worte mit der Hand ab, schüttelte leicht den Kopf.

„Alles okay“, nuschelte ich leise.

Oota-san nickte, wirkte beruhigt. Vermutlich war er nicht wirklich scharf darauf, dass ich ihm hier zusammenklappte.

Während ich weiter vor mich hinstarrte und begann, mich zu fragen, wann das alles hier vorbei war, wann ich meine Vergangenheit hinter mir lassen und einfach ein neues Leben beginnen konnte, ohne jegliche Sorgen um einen Mord oder einen gewalttätigen Exfreund, holte der Kommissar ein kleines, schwarzes Kästchen hervor, welches ich kurz darauf als ein Diktiergerät erkannte.

„Ich muss es mitlaufen lassen“, meinte er etwas bedrückt. „Wegen Protokoll und so. Sie wissen schon.“

Nein, ich wusste nicht. Aber ich konnte es mir vorstellen. Sicher, alles musste genau dokumentiert werden, damit nichts verborgen blieb und keiner einen Alleingang oder was auch immer machen konnte.

Ich blickte erst das kleine Gerät, dann ihn an, schwieg.

Er schien einen Moment lang ratlos, was er tun sollte, dann fragte er erneut nach.

„Ist das okay für Sie?“

Erneut reagierte ich zuerst nicht, dann nickte ich zögernd. Im Endeffekt würde mir wohl nichts anderes übrig bleiben, als zuzustimmen. Es war wohl Gesetz, dass dieses Gespräch hier aufgezeichnet wurde und da konnte ich wohl am wenigsten dagegen ausrichten. Zudem waren in diesem Raum sicher Überwachungskameras installiert, so wie überall im ganzen Haus. Immerhin war das hier eine Anstalt, in die Geisteskranke eingeliefert wurden, da musste man alles erdenkliche tun, um diese unter Kontrolle zu behalten.

Somit war es egal, ob ich zustimmte oder ablehnte. Er konnte sich immer noch die Aufzeichnungen der Kamera holen und das Gespräch, besser gesagt das Verhör, hier dokumentieren.
 

Das Diktiergerät wurde eingeschalten, er schien einen Moment zu zögern.

„Dann fangen wir wohl am besten mal an...“, murmelte er dann, wandte sich mir zu. „Sie sind also Matsumura Karyu, wohnhaft in XXXXX, der Partner des Opfers.“

Ich nickte. Ein weiteres Mal blickte ich zum Diktiergerät. Es surrte leise, während sich das Band in der eingelegten Kassette drehte. Irgendwie machte mich das nervös.

„Dürfte ich Ihr Alter erfahren?“, stellte er dann die erste Frage. „Wegen den Akten“, fügte er noch hinzu.

Ich wurde angesehen, der andere wartete geduldig auf meine Antwort.

Schließlich holte ich tief Luft, schwieg aber dennoch. Irgendwas in mir sträubte sich dagegen, diesem eigentlich recht freundlichen Mann Auskunft zu geben. Ich wusste nicht was es war, aber irgendwie war es stärker als der Wille dazu, diese Fragen zu beantworten.
 

Schließlich rang meine Vernunft dieses sich sträubende Etwas nieder und ich flüsterte leise:

„Sechsundzwanzig.“

Er nickte. Dann erkundigte er sich nach meinem Beruf. Zu diesem Zwecke schlug er erneut sein Notizbuch auf, blätterte kurz darin herum, fragte mich dann, ob es richtig war, dass ich derzeit keine Arbeit hatte. Er stellte die Frage so, dass ich einfach nur nicken, oder den Kopf schütteln musste. Einerseits fand ich es sehr rücksichtsvoll von ihm, da ich das Gefühl hatte, irgendwas würde mir passieren, wenn ich noch einmal den Mund aufmachte. Andererseits jedoch war ich ihm gegenüber noch immer sehr misstrauisch. Er gehörte doch sicher zu dieser einen Kommissarin, die mir auf den Zahn gefühlt hatte, als gäbe es kein Morgen mehr, kurz nachdem ich Keiji aufgefunden hatte.
 

Die Fragerei ging weiter, doch schon auf die nächste Frage antwortete ich nicht mehr. Besser gesagt konnte ich nicht mehr antworten.

Oota-san wollte wissen, wo ich gestern Abend gewesen war, ob es stimmte, dass Keiji und ich uns gestritten hatten. Die Nachbarin hätte es ihm gesagt, fügte er noch hinzu, fühlte sich scheinbar nicht wirklich wohl, so in meiner Privatsphäre herumzuschnüffeln. Aber das war nun mal sein Beruf. Wenn es ihm nicht passte, hätte er nicht Polizist werden dürfen.

Aber ich wusste nicht mehr, was an jenem Abend passiert war.

Ich hatte keine Ahnung, ob mein Exfreund und ich mal wieder Streit gehabt hatten, oder ob gestern ein Abend gewesen war, den wir zur Abwechslung mal friedlich verbracht hatten. Beides wäre möglich, aber ich wusste nicht mehr, was zutraf. So hob ich ratlos die Schultern.

Das einzige, was ich wirklich mit hundertprozentiger Sicherheit sagen konnte, war, dass gestern unser letzter gemeinsamer Abend gewesen war, den wir zusammen verbracht hatten.
 

Der Rest des etwas einseitigen Gesprächs verlief gleich.

Oota-san fragte und ich antwortete nicht, blickte ihn nur stumm an, überlegte fieberhaft, ob mir etwas einfiel, was ich ihm sagen könnte. Ob mir etwas einfiel, was ihm und mir weiterhalf, was dazu beitrug den Mörder zu finden, der Keiji auf dem Gewissen hatte.

Doch ich wusste nichts.

Schließlich seufzte der Brünette.

„Belassen wir es erst einmal dabei.“

Ich sah ihm schweigend zu, wie er das Diktiergerät ausschaltete, es in seine Jackentasche steckte.
 

Er schwieg einen Moment, dann bückte er sich und hob eine Reisetasche auf seinen Schoß, die er, nachdem er die Flasche und die Gläser aus dem Weg gerückt hatte, auf den Tisch stellte.

„Ich habe Ihnen noch etwas zum Anziehen mitgebracht. Ich hoffe es ist das Richtige, was ich eingepackt habe. Bitteschön“, er schob die Tasche über den Tisch zu mir.

Langsam hob ich die Hände, zog sie schließlich auf meinen Schoß.

Oota-san erhob sich.

„Dann will ich Sie mal wieder in Ruhe lassen. Hoffentlich geht es Ihnen bald besser.“

Ich folgte seinen Bewegungen mit den Augen. Er kam um den Tisch herum, streckte seine Hand aus.

„Auf Wiedersehen“, sagte er, lächelte mich kaum merklich an. „Vielleicht komme ich morgen noch einmal vorbei, um zu sehen, wie es Ihnen geht.“

Ich hob ebenfalls die Hand, nahm seine, allerdings traute ich mich nicht so recht. Dementsprechend schüchtern und zurückhaltend fiel auch der Händedruck aus. Oota-san räusperte sich, richtete sich auf und machte dann ein paar Schritte in Richtung Tür.

„Nun denn...“, sagte er, hob die Hand, öffnete mit der anderen die Tür. „Bis bald.“

Ich blickte ihm wortlos hinterher.
 

Jetzt war ich wieder allein. Ich würde wieder in mein Zimmerchen kommen, wo Keiji vermutlich schon wartete, damit er mir weiter Angst machen und mich beschimpfen konnte. Ich wollte da nicht mehr zurück. Ich wollte weit weg, irgendwo hin, wo ich einfach nur mein Leben leben konnte, ohne irgendwelche Exfreunde, die mich im Tod noch heimsuchten. Wo ich einfach nur ich selbst sein konnte, ohne dass jemand mich als geisteskrank abstempelte, weil ich Lücken in meiner Erinnerung hatte.
 

Plötzlich sprang ich auf, schmiss die Reisetasche von meinem Schoß und rannte Oota-san hinterher.

Ich war so schnell an den beiden Pflegern vorbei, dass sie nur zusammenzucken konnten, mit etwas Verzögerung hinter mir her sprinteten.

Der Kommissar war noch nicht weit weg. Etwa in der Mitte des Ganges. Auf halbem Wege rief ich ein „Oota-san!“, woraufhin er sich umdrehte, stehen blieb.

Ich spürte, wie sich eine Hand auf meine Schulter legte und eine andere mich an meinem Oberarm packte und zum Anhalten zwang.

„Ich will hier weg!“, bat ich den Polizisten verzweifelt.

Er blickte mich an.

„Lassen Sie ihn los“, sagte er dann zu den beiden, die mich hielten.

„Aber-“

Er hob eine Augenbraue, sah sie warnend an, woraufhin ich losgelassen wurde.
 

Der Kleinere kam die letzten Schritte auf mich zu, hob die Hand.

Ein kleines Bisschen zuckte ich zusammen, als er sie an meine Wange legte, mit dem Daumen sanft über meine Haut strich.

„Ich werde mein Bestes tun“, versprach er leise.

Ich spürte, wie sich ein leichter Rotschimmer um meine Nase legte, ob der Berührung.

Stumm blickte ich ihn an.

„Ich werde alles mir Mögliche tun, um Ihnen zu helfen“, flüsterte er, ehe er die Hand wieder von meiner Wange nahm, den beiden Pflegern zunickte und sich dann umwandte.

Wie festgewurzelt stand ich mitten auf dem Gang und starrte ihm hinterher.



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  Vik
2009-09-14T19:54:48+00:00 14.09.2009 21:54
dein schreibstil ist genial!

hach karyu, allein in der psychiartrie... wein...
tsukasa hilf ihm :(!!!
Von:  Tricksy
2009-09-14T18:25:50+00:00 14.09.2009 20:25
karyu ;_;

SCHLUCHZ HEUL!
omg er tut mir so leid >-< du hast seine gedanken und gefühle richtig toll beschrieben
und tsukasa macht das schon richtig, wie er mit ihm umgeht ûu immerhin isser ja ein mensch
achja, das ende war wirklich toll ;__;
Von:  Micawber
2009-09-14T17:27:04+00:00 14.09.2009 19:27
sssssssssüß!!
Ou, Tsukasa tut mir leid aber ich hab so einen bösen verdacht +___+"....
Das Ende war Zucker, sehr schön geschrieben wirklich .0."



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