Drabble 26 - Song for you
A song for you
Es war mitten in der Nacht. Eine zarte, sanfte Melodie weckte sie aus dem Schlaf. Angenehme Töne schienen ihre weiche Haut zu streicheln. Langsam und vorsichtig schlug Shiho ihre Augen auf. Ihr rotes Haar floss über das Weiß der kuscheligen Bettwäsche. Ihre liebliche Gestalt hob sich vom Schwarz der Nacht um sie herum ab. Der Schein des Mondes kitzelte ihre Nase. Sie spitzte die Ohren. Die Musik kam von unten. Noch etwas müde entschloss sie sich, noch etwas im Bett zu bleiben. Wahrscheinlich war es bald vorbei und sie würde weiterschlafen können, auch wenn sie schon gerne wissen wollte, wer da um Mitternacht Musik hörte – und weshalb. Sie ärgerte sich ein wenig über sich selbst. Eigentlich war sie richtig neugierig, doch dieses warme Bett…
Einige Minuten lauschte sie den Liedern, harmonische Kunstwerke alter Zeiten und Neuschöpfungen der verschiedensten Künstler. Sie liebte es, dem leisen Klang der Musik zu lauschen. Musik war so beruhigend und gleichzeitig so voll von Emotionen. Lieder brachten sie zum Weinen, zum Lachen, zum Vergeben und zum Vergessen. Lieder brachten sie zum Denken und zum Handeln, zum Leben und zum Lieben. Sie liebte nur ihn…
Ai stand auf. Durch das offene Fenster drang die Kälte der Nacht und lies sie schaudern. Die Laute der Dunkelheit rangen mit dem Klang der Töne. Es waren die Schatten, die immer und immer wieder versuchten, sie und ihr Herz für sich einzunehmen, doch er schaffte es Tag um Tag die Schatten zu vertreiben, die sie gefangen nehmen wollten. Er stellte sich mutig den Gefahren des Lebens, war ihr Beschützer, ihre Rettungsleine, an ihn konnte sie sich klammern, wenn sie in Not war. Er war lebenswichtig. Sie dankte ihm mit ihrer Liebe dafür…
Wie eine Katze glitt sie durch das Zwielicht ihres Zimmers. Sicheren Schrittes passierte sie all die Dinge, die in ihrem Leben einen festen Platz hatten. Sie nahmen Raum ein und gewannen dadurch Bedeutung. Doch anstatt sie zu bedrängen, hatte sie sie lieb gewonnen. Es war ihr persönliches Reich mit ihren persönlichen Besitzungen. Ganz anders als damals bei der Organisation…
Wie das Licht der Flamme rauschten ihre glatten, roten Haare durch die Nachtluft. Kühl war es geworden in ihrem Zimmer, aber sie schlief gerne in der Kälte. Es erinnerte sie an die Kälte und Herzlosigkeit des Tages. So oft sagte er ihr, dass es schöne Dinge im Leben gab und dass sie versuchen musste, sie zu sehen. Sie wünschte es sich so, sie sehen zu können. Immer und immer wieder machte er ihr Hoffung, versuchte ihren Tag zu erhellen – wenn auch nur unterbewusst versuchte er, sie glücklich zu machen. Er war das einzige „Gute“…
Sie folgte dem Klang der Musik. Töne huschten wie auf Samtpfoten durch die Stille. Sie hörte, dass der Professor schlief. Wer konnte es sonst sein, der da unten eine CD nach der Anderen in den CD-Player legte? Vielleicht war es ja…
Ihre Hand ergriff das Geländer und klammerte sich daran fest. So eine verrückte Idee! Welcher Mörder würde sich schon ankündigen, indem er Musik hörte? Was bitte würde das für einen Sinn machen? Ihr Unterbewusstsein jedoch wollte einfach nicht gehorchen und bohrte den Gedanken der Angst tief in ihren Verstand. Wo war ihre berüchtigte Rationalität geblieben? Wie eine Maus schlich sie sich die lange Treppe ins Wohnzimmer hinunter. Von dort, wo der Fernseher stand drang Licht zu ihr herüber. Sie folgte dem Schein bis sie ganz nah herangekommen war. Vorsichtig, um kein Geräusch zu machen, lehnte sie sich gegen die Wand und spähte um die Ecke…
Vor dem CD-Player kniete eine Gestalt, um ihn herum lauter CDs verteilt. Seine braunen Haare verdeckten sein jungenhaftes Gesicht. Ratlos suchte er in dem wild verstreuten Haufen MusikCDs herum. „Ich find es einfach nicht“, fluchte er vor sich hin und zerzauste sich die Haare. Jetzt hatte er schon so lange gesucht und hatte immer noch nicht gefunden, was er suchte…
„Was suchst du denn?“, fragte sie. Sein Kopf fuhr herum und er sah ihr tief in die Augen, sein Blick von Erstaunen und Überraschung gezeichnet. „Ach…ach...nichts!“, stotterte er herum und rieb sich den Hinterkopf. Jaja, wieder ganz unschuldig wie immer. „Das sieht aber anders aus“, brachte sie es auf den Punkt und zuckte skeptisch mit der Augenbraue…
„Ja, ich geb’s ja zu“, flüsterte er niedergeschlagen. Sie hatte ihn erwischt, da weil hatte er ja nur:
„I’m searching a song for you“, lächelte er. „Ich kann mich einfach nicht entscheiden…“