Drift off
Der Morgen nach Halloween war ein ruhiger Morgen. Im Grunde genommen völlig typisch für Destiny Island, da dies eine sehr harmonische Insel war.
Völlig untypisch war jedoch, dass es viel zu ruhig war.
Kein Vogel wollte singen, keine Kinder, die draußen auf der Straße spielten, keine nervigen Nachbarn, die lauthals tratschten und somit die vielen Langschläfer aus dem Schlaf rissen. Nichts.
Außerdem war es auch noch ein sehr bewölkter Tag – feucht, nasskalt.
Vielleicht war dies der Grund, dass dieser Tag anders anfing. Vielleicht.
Inmitten dieser getrübten Idylle lag ein wenig abseits von allem eine Villa, in der sich ganz allein zwei Jungs befanden.
Einer der Beiden schlief noch, der Andere erwachte gerade aus seinem Traumland.
Dieser Junge hatte silbernes, mittellanges Haar. Sein Gesicht glich dem einer Puppe, war jedoch keinesfalls zu feminin.
Seine Augenfarbe war schwer zu bestimmen, da er diese ständig wechselte. Von blau und grün, bis hin zu türkis und lila. Kontaktlinsen waren schon etwas Praktisches.
Als er sich aufrichtete und sich den Schlaf aus den Augen strich, rutschte die Decke hinunter über seinen gut gebauten Oberkörper.
Riku – so hieß der Junge mit dem silbernen Haar – hatte Muskeln und war äußerst sportlich, da er in vielen Sportkursen war und auch in seiner Freizeit etwas für seinen Körper tat.
Was er noch hatte, und was nicht gerade angenehm war, war ein Kater. Wohl bemerkt nicht das Tier.
Er fasste sich an den Kopf, murrte ein wenig und sah dann zu dem neben ihm Liegenden hinunter.
Der noch Schlafende hatte feuerrotes, ebenso fast mittellanges Haar, trug es jedoch stets zu einem Teil nach oben gestylt.
Auch er war schlank, sportlich und muskulös, hatte jedoch stechend grüne Augen.
Sein Name war Axel.
Er war das, was man einen Morgenmuffel nannte – ein typischer Langschläfer.
Doch besonders an diesem Tag wollte er länger schlafen, da er ebenfalls die Auswirkungen der Halloweenparty vom Vortag spürte.
Leider war Riku nicht wirklich das, was man gnädig nennen konnte, weswegen der Andere auch schon wieder in die schmerzhafte Realität zurück gekehrt war.
Eigentlich hätte der Rotschopf ihm nun böse, oder zumindest von ihm genervt sein müssen. Stattdessen gab er dem Jungen mit dem silbernen Haar einen zarten Kuss auf den Mund, ehe dieser sich von dem Bett erheben konnte.
„Verdammter Kater“, presste der soeben Aufgestandene hervor und gab sich Mühe dabei, nicht wieder in sein Bett zu plumpsen.
Trotz der hämmernden Schmerzen in seinem Kopf, besah sich der Rothaarige seinen Kumpel und murmelte mit einem Grinsen: „Da haben wir es gestern wohl ein kleines bisschen übertrieben.“
Dennoch hatten die Beiden keinen Filmriss. Zumindest keinen Gravierenden.
Sie konnten sich an so einige Stationen des vorigen Abends erinnern.
Nach einem ‚gemütlichen’ Horrorfilm mit Knabbereien, hatten sich die zwei Jungs gemeinsam auf eine Party begeben – eine Kostümparty.
Riku war als Werwolf gegangen, hatte sich aber nicht großartig in ein extra Kostüm gesteckt. Ein Paar Wolfsohren, ein Schweif und ein wenig Kunstblut an seinen Mundwinkeln hatten es auch getan. Ein Partymensch war er nämlich nicht.
Vor allem Kostümfeste fand er kindisch, doch einer gewissen Person zu Liebe war er dennoch dorthin gegangen.
Diese Person war zwar auch nicht ständig auf irgendwelchen Feiern, hatte aber gerne etwas Spaß. Da war eine Halloweenparty doch genau das Richtige gewesen.
Axel, der diese sogenannte Person war, hatte seinen Auftritt als Vampir gehabt.
Er hingegen hatte sich dann allerdings doch ein wenig mehr Mühe mit seiner Verkleidung gemacht.
Sein Kostüm war barockähnlich angehaucht und dunkel gewesen. Dazu hatte er noch einen langen, schwarzen Umhang getragen. Sein Gesicht hatte er extra blasser gepudert und seine Augen mehr als sonst mit Kajalstift betont. Außerdem hatte er sich noch Vampirzähne besorgt und hatte sich ebenfalls Kunstblut an seinen Mundwinkeln aufgetragen.
Der Rothaarige hatte wirklich unbeschreiblich gut ausgesehen, doch auch sein eher unbegeisterter Kollege hatte ihm ihn nichts nachgestanden.
Nachdem die Beiden unglaublich viel getrunken, ausgelassen getanzt und danach nochmals eine Menge getrunken hatten, hatten sie die Party verlassen, um ein kleines Rollenspiel zu spielen.
Die Jugendlichen waren durch die dunklen Straßen von Destiny Island gerannt und hatten das verkörpert, was sie auf der Feier dargestellt hatten.
Vor allem im betrunkenen Zustand war es sehr aufregend gewesen, da es sehr realitätstreu gewesen war.
Ein anderes Detail des Abends war noch, dass sie Sex hatten – guten Sex.
Die Beiden waren das, was man ein Paar nennen konnte, zumindest inoffiziell.
Offiziell waren die Beiden nämlich nur die besten Kumpels.
Sie schämten sich nicht füreinander – keinesfalls.
Doch mussten sie damit wirklich an die Öffentlichkeit gehen um sich gewissermaßen zu outen?
Eine Menge von Problemen in Kauf nehmen, in der Beliebtheitsskala nicht mehr ganz oben stehen und überall als – ‚liebevoll’ genannt – Schwuchteln zu gelten?
Eher nicht.
Sie waren so zufrieden wie es gerade war.
Nachdem sich die Beiden geduscht und sich dabei noch ein wenig über die letzten Geschehnisse unterhalten hatten, zogen sie sich an und machten sich auf den Weg um einzukaufen, denn im Kühlschrank herrschte gähnende Leere.
Axel hatte seinen festen Freund so auf Trapp gehalten, dass dieser gar nicht dazu gekommen war den Kühlschrank zu füllen.
Nicht, dass Riku alleine wohnte – nein. Seine Eltern waren ständig auf Geschäftsreise und so musste der Silberhaarige schon fast ganz alleine für sich selbst Sorgen, was ihm jedoch keinesfalls missfiel.
„Du sollst wieder Wolfsohren haben“, jammerte Axel aus heiterem Himmel auf dem Weg zum Supermarkt.
Ihm hatte das nächtliche Rollenspiel nämlich sehr gefallen.
„Tja“, entgegnete ihm der Andere nur schmunzelnd und ging weiter. Viel konnte er dazu einfach nicht sagen, wobei er es doch irgendwo selbst schade fand, dass Axel seine Vampirbeißerchen nicht mehr hatte.
Während die Beiden durch die Stadt liefen stellten sie fest, dass Destiny Island wie ausgestorben wirkte.
Kein einziger Mensch war auf der Straße, in den Wohnhäusern und Geschäften brannte nirgendwo Licht und das obwohl es doch recht dunkel durch die Wolken war.
Immer noch zwitscherte kein Vogel, kein Hund und auch keine Katze war auf der Straße zu sehen – nichts.
„Irgendwie ist das ja schon gruselig“, murmelte der Rothaarige vor sich hin, wollte die unheimliche Stille nicht durch seine Bemerkung brechen.
Riku nickte nur. Ihm ging es genauso.
Anschließend fuhr er sich durch die Haare und ging weiter, sah sich dabei ein paar Mal um.
Danach blickte er jedoch zu Axel, als er merkte, dass dieser seine Hand nahm.
Ein sanftes Lächeln zierte die Lippen des Rothaarigen, ein Lächeln, das nur für Riku bestimmt war.
Der Silberling drückte die Hand des etwas Größeren und lächelte ebenso zurück - schätzte diese Geste.
Bald darauf kamen sie auch bei dem Kaufhaus an, das sonst so voller Menschen war.
Zwar brannten dort die Lichter, doch kein einziges Auto stand auf dem Parkplatz.
Als die jungen Männer über Selbigen gingen konnte man nur ihre Schritte vernehmen und ein unbekanntes Klirren.
Es war jedoch nicht das Klirren eines zerbrechenden Gegenstandes.
Eher ein Klirren, das durch eine lockere Metallkette verursacht wurde und durch den sachten Wind immer wieder zu hören war.
Als die Beiden den Weg über den Parkplatz zurück gelegt hatten und das Kaufhaus betraten, mussten sie zu ihrem Verwundern feststellen, dass es leer war.
Menschenleer.