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C'era una volta...

Oder ein Schal auf Schatzsuche
von

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Jeder Anfang ist schwer. Oder einfach nur übergewichtig!

Aus dem Tagebuch des Captain Scarf
 

Mein Herz schwebt in enormen Höhen. Ein großer Schritt ist getan, ich habe einen Kaperbrief ergattert und bin somit vor dem Zugriff der Royal Navy geschützt. Für Franzosen und vor allem Spanier sind wir noch immer eine willkommene Beute, aber das macht ja schließlich den Reiz aus. Und abgesehen davon ist es viel amüsanter ein solch temperamentvolles Völkchen auszurauben als die stocksteifen Engländer, die lieber noch ne Tasse Tee trinken statt die Bordkanonen zu feuern.

Der letzte Abend ist nach einigem Gefeiere recht ausgelassen zu Ende gegangen, Marco hat heute einen sensationellen Kater und daher eine unbeschreiblich miese Laune. Ich schätze mal, er wollte durch den Suff die Erinnerungen an seine hohen Absätze verdrängen. Er wackelte mit den Schuhen wie eine Ente mit dem Hintern und ich musste wirklich an mich halten nicht zu lachen. Das wäre sonst wohl recht schmerzhaft geworden.

Merkwürdigerweise bin ich heute mit zahlreichen blauen Flecken aufgewacht. Sie schmerzen gerade so als wären es die Bezeugungen exzessiven Kneifens. Aber ich bin mir nicht wirklich sicher, ob Marco in der Nacht noch klaren Kopfes genug war eine derart subtile Rache zu nehmen. Nichts desto trotz bin ich heute mehr gefleckt denn je. Vielleicht will mein erster Maat mir eine neue Art von Körperbemalung verpassen?

„Maaaaarco. Maaaaarco! Wach aaaauf.“ Gut gelaunt rüttle ich an dem Berg Decke mit Füllung, aber er gibt nur ein qualvolles Grunzen ab. „Heute ist ein wichtiger Tag, komm schon!“

„Für dich Aas ist jeder Tag wichtig...“, stöhnt es gequält aus den Tiefen des Stoffes. „Immerhin könnte jeder Tag dein Letzter sein, so dumm wie du bist!“

Ich lache begeistert, immerhin ist dies ein zusammenhängender Satz und das bedeutet wiederum, dass Marcos Kater nun doch ein erträgliches Maß zu haben scheint.

„Freundlich, mein werter erster Maat, wie eh und je. Willst du denn nicht wissen warum der Tag so wichtig ist?“

„Nein!“

„Bist du dir sicher?“

„Jaa!“

„Wirklich ganz sicher?“ So schnell lasse ich nicht locker.

Aus dem Deckenhaufen schält sich Marcos zerknittertes Gesicht hervor und mit einem angewiderten Schmatzen blinzelt er mich aus verquollenen Augen an.

„Ich bin mir absolut sicher. Als ich das letzte Mal etwas wissen wollte, hast du mich in Rüschen gesteckt und jetzt hab ich das Gefühl im Mund als hätte ich an einem Hühnchen rumgelutscht.“

„Malerisch. Will ich mir nicht vorstellen.“ Ich runzle die Stirn und warte einen Augenblick.

Mein erster Maat zieht sich eine Feder aus dem Mund, starrt erst sie und dann mich entsetzt an. Ich zucke lediglich die Schultern.

„Du warst gestern ein recht resoluter Schläfer, unter anderem hast du einen Ringkampf mit deinem Kissen veranstaltet. Ich glaube, es hat aufgegeben als du es besonders feste gebissen hast.“

„Du lügst doch“, stöhnt Marco gepeinigt auf, doch scheinbar sagen ihm seine langsam wiederkehrenden Erinnerungsfetzen etwas anderes.

„Mitnichten, ich hatte leider auf das Kissen gesetzt und dre Silbermünzen an den Geizigen Smithsmitty verloren!“

„Ich hoffe, dein Ende ist grausam.“

„Zweifelsohne! Sieh dir die ganzen blauen Flecken an. Übergriffe auf den Ringrichter.“ Meine gute Laune steigert sich noch etwas und ich weiche mittlerweile mehr als geübt dem nach mir geworfenen angesabberten Kissen aus. „So, und nun werde ich dir verkünden warum der heutige Tag so wichtig ist.“

„Lass mich raten... Du bist auf eine Goldader gestoßen?“

„Nö, das wäre bestenfalls erheiternd, aber nicht so wichtig!“

„Nicht wichtig? Deine Werte sind aber ganz schön verschoben, du reicher Scheißer!“

„Ja ja, aber das ist egal. Wir treiben jetzt hier bitte keine Grundsatzdiskussion, da letztendlich die gesetzten Werte von Piraten und Mördern nun mal nicht gerade die mit dem größtmöglich ethischen Gehalt sind, richtig?“

„Halt dein Maul, du elender Besserwisser!“

Irgendwie komme ich nicht zum Punkt. Marco scheint mir nun doch recht kleinlich nachtragend zu sein und so beschließe ich, ihm ein wenig Zeit für sein äußerst männliches Schmollen zu lassen. Schnell rutsche ich in Hose und Schuhe, meinen wundervollen Schal lege ich selbst zum Schlafen nicht ab, stecke mir ein Hemd für den Notfall in die Bauchbinde und verlasse die Kabine.
 


 

Wir haben wieder gut Fahrt aufgenommen, der Hafen liegt bereits weit hinter uns und das Land ist nur noch als eine dunkle Linie am Horizont zu erkennen. Meine Erkältung ist nun auch endlich soweit abgeklungen, dass Bronson mich frei herumlaufen lässt und solange er mich nicht sieht, muss ich nicht mal ein Hemd anziehen. Freiheit für den Scarf, nichts geht über meinen in Fahrwind fliegenden Schal auf nackter Haut!

Genug der merkwürdigen Ausführungen, ich halte mal ein Pläuschchen hier und mal dort, verliere zwei Runden im Kartenspiel gegen den Verrückten Sven und genieße einfach das geruhsame Treiben an Deck. Wir haben guten Rückenwind, müssen kaum manövrieren und liegen daher problemfrei im Kurs. Es ist eine Bilderbuchfahrt will man meinen.

Ich langweile mich fürchterlich und wünsche mir aus vollstem Herzen, dass etwas geschehen möge!

Ich überlege eine Weile, ob ich nicht einfach nur aus Jux und Dollerei ein Wendemanöver befehlen soll, aber dann drohe ich mir den Zorn der Mannschaft zuzuziehen.

Im Allgemeinen wird ein Captain von der Mannschaft gewählt, ist auf deren Gedeih und Verderben angewiesen, aber ich für meinen Teil finde das zu unsicher. Besonders, da ich meine Mannen doch ab und an mal gerne reize. Ich bezahle sie lieber neben ihren üblichen Anteilen an der Beute, so gibt es für meine Mannschaft mehr als gewöhnlich zu holen, und so kann ich mir schlussfolgernd auch mehr erlauben. Aber irgendwann ist Ende der Fahnenstange, irgendwann würden selbst meine treuen Männer mich lynchen. Und das wahrscheinlich mit Freuden. Also sollte ich mein Glück besser nicht überstrapazieren.

Die Langweile macht mich rastlos, der lange Genesungsprozess allein hat mich schon beinahe an den Rand des Wahnsinns getrieben. Ich schreite das Deck entlang, immer auf und ab, aber nicht zu schnell um meine angekratzten Lungen nicht zu reizen. Ein vereinzelter Huster und Bronson steckt mich sofort wieder ins Bett.

Vielleicht sollte ich noch einmal zu Marco gehen um ihn in meine weiteren Pläne einzuweihen, aber ich habe das Gefühl, dass er gerade nicht sehr aufnahmefähig ist. Verfluchter Alkohol!

Ich bleibe an der Reling stehen, hier ist man dank eines Aufbauten aus Kisten, Tauknäueln und Fässer vor Wind und skeptischen Blicken geschützt. Das Meer und der Himmel scheinen sich in einer endlosen Weite zu vereinen, ich schmelze bei dem Gedanken an die grenzenlose Freiheit ein wenig vor mich hin.

„Hatschi!“

„Gesundheit.“

„Danke sehr.“

„Keine Ursache.“

Ein verklärtes Lächeln liegt auf meinem Gesicht und summend richte ich den Blick weiter auf den Horizont als mir bewusst wird, dass ich mich gerade mit einem Haufen Deckenaufbauten unterhalten habe. Ich stutze. Niesende Kisten bedeuten stets das Eine.

Ein wenig alarmiert pirsche ich mich an die Wand aus Kram heran, linse möglichst unauffällig über ein Fass hinüber und sehe in die verrotze Visage eines Jungens, der noch nicht wirklich den Kinderschuhen entwachsen ist.

„Was zum gut verdienenden Henker tust du hier???“

Er starrt mich bemüht gleichgültig an, aber das Zittern seiner Hände verrät seine Nervosität.

„Ganz offensichtlich bin ich ein blinder Passagier, mein Freund! Eine lange Geschichte verbindet mich mit dieser Tat und glaube mir, sie ist wirklich tragisch. Von daher flehe ich dich um dein Erbarmen als aufrichtiger Mann an und bitte dich mich nicht an den Captain dieses formidablen Schiffes zu verraten, denn es ist wohl ersichtlich, welch grausames Schicksal mich dann erwarten würde. Aber meine Vergangenheit ist von solcher Schrecknis angefüllt, dass dieses Wagnis es mir alle Male wert ist!“

Erschlagen von diesem unerwarteten Wortschwall glotze ich ihn an wie eine bärtige Dame. Er spricht nicht komplett akzentfrei, aber es ist eine wundervolle Schulbuchaussprache.

„Hä?“

Quatscht mich dieser dreiste Kurze da unglaublich zu?

„Ich... Verpetz mich bitte einfach nicht, ja?“ Er rollte die großen blauen Augen, hält mich scheinbar für etwas minderbemittelt. Aber im Moment bin ich auch etwas platt, dass muss ich ganz ehrlich zugeben. Doch ganz langsam finde ich zu meiner Hochform zurück.

„Und...äääh... warum nicht?“ Gut, könnte noch etwas dauern mit der Hochform.

„Weil der Captain mich dann wegen unerlaubter Mitfahrt auspeitschen lassen würde. Oder Schlimmeres!“ Er verdreht wieder die Augen. „Weißt du denn gar nichts?“

„Doch, schon. Aber das ist sehr inspirierend. Erzähle mir mehr!“

Ich klettere auf das Fass und sehe ihn gespannt an, er hingegen wird noch nervöser.

„Sag mal, spinnst du? Das ist verdammt auffällig, du Einfaltspinsel! Die Kante von Captain patrouilliert hier immer wieder entlang!“ Er schaut sich hektisch um, linst ängstlich über den Rand der nächsten Kiste.

„Bronson ist nicht der Captain.“ Ich schmatze leise und schnalze lässig mit der Zunge.

„Ach nein?“ Der Knabe ist sichtlich überrascht und streicht sein fettiges braunes Haar zurück. „Wer dann?“

„Der Captain der Omnia Amor Vincit sitzt direkt vor dir!“ Ich brüste mich ein wenig, doch das durch seine Rotznase geschnodderte Lachen des Kurzen nimmt mir schnell den Wind aus den Segeln.

„Ja sicher! Und ich bin die Königin von England!“

Nun gut, ich werde doch ein wenig betrübt.

„Gar nicht wahr. So hässlich ist die nicht!“

„Willst du Prügel?“ Der Knirps springt auf, er geht mir nicht einmal bis zur Schulter.

Ich schnipse ihm nur lässig gegen die Stirn und grinse breit.

„Ups, das war wohl weniger unauffällig, meinst du nicht auch?“

Bronson kommt mit schnellen Schritten herbei und der Junge erbleicht fürchterlich.

„Oh Scheiße!“
 


 

Bewaffnet mit einer dampfenden Schüssel voll bestem Eintopf, was auch immer das heißen mag, betrete ich meine Kabine. Ich wage einen neuen Vorstoß in Marcos Aufmerksamkeit und das Essen sollte zumindest die instinktgesteuerten Lebensgeister wieder zu wecken vermögen.

„Schatz, dass Essen ist fertiiiiiig!“

Meinem freundlichen Hausfrauenflöten folgt nur ein gereiztes Knurren und vor mich hinträllernd stelle ich die Schüssel auf den Tisch. Schnell stelle ich fest, dass Singen noch keine so gute Idee ist, mein Hals beginnt erneut fürchterlich zu kratzen und ich muss husten.

„Kannst du nicht endlich mal still sein, du beschissener Störenfried?!“

Während ich mich röchelnd und ächzend am Boden winde und um Luft ringe, steht Marco genervt auf, tritt mit einem großen Schritt über mich drüber und setzt sich mich ignorierend an den Tisch. Eine von den Tränen, die gerade recht zahlreich mein Gesicht herablaufen, ist aus Trauer um sein Desinteresse an meiner Person geboren.

„Vergiss es, das zieht nicht. Du willst nur Aufmerksamkeit, du Aas!“

Ganz schön grausam.

„Hast du kein Brot mitgebracht? Das ist doch keine Mahlzeit. Also echt, was kannst du eigentlich?“

Wirklich verdammt grausam. Von einem letzten gepeinigten Aufächzen untermalt beginnt die Ohnmacht ihre Finger nach mir auszustrecken, doch kräftige Hände setzen mich auf und schlagen mir nachdrücklich auf den Rücken bis ich wieder einigermaßen atmen kann. Mein Hals brennt wie Feuer und mir ist der Spaß daran vergangen Marco ärgern zu wollen.

Ein Schatten schiebt sich über mein Gesicht und ich blinzle vorsichtig für den Fall, dass dem Schatten eine Faust folgt. Stattdessen schwebt über meinem Gesicht ein Becher, von dem einzelne Wassertropfen herabrinnen. Ich setze mich auf und trinke gierig das recht kühle Nass, welches angenehm meinen Rachen hinuntergleitet. Es dauert eine Weile bis das Feuer in meinem Hals sich wieder legt, in der Zeit lausche ich still den Lauten meines speisenden ersten Maates. Es ist ein nahezu friedlicher Augenblick, ein wenig abstrakt, aber durchaus angenehm.

Der beinahe heilige Moment wird durch ein unüberhörbares Getöse an Deck beendet. Marco räuspert sich genervt und sieht mich dann mit mildem Erstaunen an.

„Wie kann das sein? Dort oben ist die Hölle los und du bist hier?“

Ich ziehe einen Flunsch und verschränke die Arme. Meine Stimme klingt so beleidigt wie ein Reibeisen beleidigt klingen kann.

„Ich bin nicht grundsätzlich die Ursache allen Chaos’!“

Sein Blick spricht Bände.

„Dieses eine Mal hat es einen anderen Grund!“

„Ach.... Und der wäre?“

„Ein... nicht eingeplanter Neuzugang.“

„Wir haben einen blinden Passagier an Bord? Und du als Captain bist hier? Hast du die Strafe etwa schon verhängt?“

„Nö.“ Ich lasse mich auf die federnde Matratze fallen und grinse milde. „Ich hab was Besseres vor.“

Marco runzelt alarmiert die Stirn, ich kann förmlich sehen wie ihm das Misstrauen in die Augen steigt.

„Was Besseres? Mit einem blinden Passagier? Der rein theoretisch ein Spitzel sein könnte?“

„Genau das.“ Ich zucke gut gelaunt die Schultern.

„Das kann nur Tote geben.“

„Und?“ Beinahe gelangweilt muss ich ein Gähnen unterdrücken. „Solange es niemanden trifft, den ich noch brauche, also nicht angestellte Seeleute eingeschlossen, ist das doch nun wirklich kein Grund um sich den Kopf zu zerbrechen.“ Ich drehe demonstrativ die Däumchen. „Weißt du, er ist noch sehr jung und ich denke, da ist ne Menge Geld zu holen...!“

Mein erster Maat spitzt offensichtlich die Ohren, aber sein Argwohn bleibt.

„Warum habe ich nur das Gefühl, dass dieser Kerl dich zu neuen Wahnsinnstaten inspiriert hat?“

„Weil es der Wahrheit entspricht!“ Ich bin begeistert, der heutige Tag wird immer besser.

Marco stöhnt indes gequält auf.

„Warum nur? Nach gestern dachte ich, es könnte nicht mehr viel schlimmer kommen. Aber jetzt muss ich erkennen, dass da selbst Besaufen nichts mehr bringt...“ Unter gepeinigtem Seufzen lässt er sich neben mich aufs Bett fallen und wickelt sich in seine Decke ein. Ich lasse ihn gewähren, für den Moment habe ich ein anderes Spielzeug.

Voller Tatendrang stehe ich auf, breite eine meiner Karten auf dem Tisch aus und studiere sie genau. Nach kurzer Zeit finde ich was ich suche und rolle das empfindliche Papier behutsam zusammen. Mit großen Schritten stürme ich an Deck, das unwillige Knurren meines ersten Maats hinter mir lassend.

„Bronson?!“ Ich stürme auf den bärigen Quartiermeister zu, der den blinden Passagier am Kragen gepackt hat und warnend beutelt.

„Captain! Du hast ja schon wieder keine Jacke an.“ Sein vorwurfsvoller Blick wandert über das lose Hemd an meinem Leib, welches der Wind nach Belieben herumzerrt.

„Was?! Dieser Kerl ist tatsächlich der Captain? Ich hab gedacht, das wäre ein schlechter Scherz... Ahhhh! Nicht schütteln!“ Der Junge wird etwas grün um die Nase und er würde mir fast leid tun, wenn er nicht so entsetzlich nervig wäre.

Ich ertappe mich bei dem Gedanken, dass ich da gerade meine eigene Medizin zu schmecken bekomme. Das ist ziemlich unangenehm und ich beschließe diese Angelegenheit völlig souverän zu klären.

„Ahahahaaaa.. Sehr amüsant. Bronson, sei so gut und schüttle noch mal richtig feste.“

Der Junge kotzt mir vor die Stiefel und ich muss mich mit einem wenig eleganten Sprung aus der Spritzzone schaffen. Sehr souverän.

Der Wacker Erik hat weitaus weniger Glück, er ist mal wieder eingeschlafen und nun besprenkelt. Ich seufze leise und unterdrücke ein angewidertes ‚Urgh’, schließlich sieht man sich als tapferer Pirat bei üblem Seegang mehr ausgesetzt als nur das bisschen Kotze.

Meine Gedanken sind ein wenig abgeschweift, ich reiße mich zusammen.

„Aber nur zu deiner Beruhigung, lieber Bronson, es geht mir schon viel besser. Wirklich! Und ich habe einen neuen Kurs.“

Mir entgeht das verhaltene Aufstöhnen der Mannschaft keineswegs, aber es klingt eher nach Katerstimmung als nach Rebellion.

„Da gibt es wundervollen Rum, hab ich gehört!“

Das Murren wird ein wenig begeisterter und ich nicke zufrieden. Ich schreite zum Steuerrad hinüber, Bronson überholt mich mit klackernden Holzbein und schubst Adlerauge Smith zur Seite um sich selbst an dem Holzrad aufbauen zu können. Eine gewitzte Finte, dem Quartiermeister kann ich nicht einfach das Ruder absprechen und das weiß er. Wahrscheinlich hätte sich Adlerauge Smith auch sonst nicht vertreiben lassen, aber jeder an Bord weiß um mein Unvermögen zu steuern. Dabei habe ich mittlerweile gelernt Backbord und Steuerbord auseinander zu halten, aber Lob habe ich scheinbar keines zu erwarten. Das ist nicht unbedingt motivierend.

Mir bleibt also nichts anderes übrig mich an den Deckenaufbau vor Bronson zu stützen, natürlich nicht zu feste, das Holz kann schließlich jederzeit nachgeben, und entschlossen auf den Horizont zu zeigen.

„Auf geht’s, Männer! Auf zu einem neuen Abenteuer.“

„Wir sind so tot... Warum musste ich mir unbedingt das Schiff aussuchen, dass von einem Irren befehligt wird?“ Der Junge kämpft verzweifelt gegen seine Fesseln und ich schaue ihm eine Weile vergnügt zu. Er murmelt auf Französisch, aber ich habe ja das seltene Glück in vielen Sprachen recht bewandert zu sein. Die meisten Seemänner beherrschen einige Sprachen, aber ich hab den Vorteil, dass sich mein Wortschatz nicht nur auf Schimpfworte beschränkt sondern sich auch über das geschäftliche und alltägliche Vokabular erstreckt.

„Weil der große Gott wollte, dass du was fürs Leben lernst.“ Ich grinse ihn von oben herab an, präge mir seine entgleisten Gesichtszüge ein und zucke die Schultern. „Und weil er wusste, dass ich durch dich schneller an mein Ziel komme.“

Ich laufe langsam die Stufen zum Mitteldeck hinunter und weide mich nach wie vor an seinem entsetzten Mienenspiel. Ich wüsste zu gerne, was er sich sein zukünftiges Schicksal vorstellt. Einen Meter vor ihm bleibe ich stehen, begutachte skeptisch seine Fesseln und trete dann erst näher. Ich habe von Marco viel gelernt, zumindest was die Sicherheitszone vor Schlägen betrifft.

Mit spitzen Fingern hebe ich sein Kinn an, mustere sein Gesicht und fahre an seiner Wange entlang.

„Du hast kaum Bartwuchs, ich würde dich auf höchstens vierzehn Jahre schätzen. Deine Haut ist noch recht weich, du bist also noch nicht allzu lange auf See. Auch von der Statur her bist du beinahe mehr Kind als Mann und ich wette meinen Schal darauf, dass du bisher nicht schwer körperlich gearbeitet hast.“

Ich wiege den Kopf hin und her.

„Kannst du schreiben?“

„Nun.... nicht wirklich.“ Er schüttelt beeindruckt den Kopf.

„Dann aber zeichnen?“

„Ja, schon. Woher....?“

„Du hast Tintenreste an den Fingern. Perfekt!“ Ich sehe zu Bronson hoch. „Bereit für den neuen Kurs?“

„Aye aye, Captain! Ich nehme an, unser neues Ziel ist der markierte Punkt auf der Karte?“

Ich muss zugeben, ich bin beeindruckt davon wie gelassen mein Quartiermeister bleibt.

„Ganz genau! Die Hafenstadt, um die ich das Herzchen gemalt habe!“

Der Junge vor mir stöhnt leise auf und sichert sich somit wieder meine Aufmerksamkeit. Ich beuge mich zu ihm, ziehe aus meinem Gürtel ein mehr oder weniger stumpfes Messer und setze es an den Seilen um seine Handgelenke an.

„Nun denn, kommen wir zu unserem ersten kleinen Abenteuer....“
 


 

„Ich sehe was, was du nicht siehst und das... ist weiß!“

„Hmm, das Segel?“

„Nein! Und das ist eher schmandig cremefarben.“

„Okay... dann die Wolke da!“

„Verdammt.“ Ich seufze und hänge meine beiden Arme über die Reling während ich gelangweilt das Kinn auf das splitternde Holz presse. „Du bist dran.“ Der Kurze ist echt gut.

„Ich sehe was, was du nicht siehst und das ist braun!“ Ein irres Gekicher ertönt hinter uns und wir seufzen synchron auf.

„Der Mast, Verrückter Sven. Es ist der Mast!“

„Woher wisst ihr das nur immer?“

„Du rufst es nun schon zum achten Mal dazwischen... Kleiner, du bist dran.“

„Ich sehe was, was du nicht siehst und das ist blau.“

„Der Himmel.“

„Nein.“

„Das Meer.“

„Richtig. Du bist dran.“

„Ich sehe was, was du nicht siehst und das ist braun!“

„SVEN!!“

„Was zum Henker treibt ihr da?!“ Die lieblich angefressene Stimme meines ersten Maates reißt mich aus meinem Frust.

„Uns ist langweilig bei der Flaute, daher spielen wir ’Ich sehe was, was du nicht siehst’. Willst du mitmachen?“

„Lass mich nachdenken... NEIN!“ Angesäuert tritt mir Marco gegen die Hüfte. Er verschränkt die Arme und betrachtet den Neuzugang kritisch. „Und das ist also der Schmarotzer, ja? Sieht nicht gerade aus, als könnte er viel hinbekommen!“

Ich verkneife mir zu sagen dass Marco gerade mal eine Handbreit größer ist als der Junge und dieser ihm mit größter Wahrscheinlichkeit noch innerhalb des nächsten halben Jahres über den Kopf wachsen wird. Aber es liegt mir so auf der Zunge, dass ich mir tatsächlich den Mund zuhalten muss.

„Was soll dieses dämliche Gehampel jetzt schon wieder?!“ Marcos Laune steigert sich immer mehr einem Wutanfall entgegen und er zieht schon wieder mit einer Hand an meinem Schal.

„Bist du seine Mutter oder sein Liebhaber?“ Der Junge stellt die Frage ohne Hintergedanken, zumindest klingt sein Tonfall weder spöttisch noch abwertend, eher neugierig. Als Antwort trifft ihn eine Faust im Gesicht und er landet heulend auf dem Deck.

Ich beuge mich ein wenig über ihn und halte Marco mit dem ausgestreckten Arm mehr oder weniger auf Abstand.

„Blinder Passagier, darf ich dir meinen cholerischen ersten Maat Marco vorstellen?“

„Ich bin nicht cholerisch!!!“

Bevor ich mich versehe, habe ich mir einen schmerzhaften Tritt gegen das Schienbein eingehandelt.

„Mein Fehler,“ ächze ich noch bevor ich neben dem Neuen zu Boden gehe. Ich schaue aus tränenden Augen in sein blutüberströmtes Gesicht, zumindest in die Teile, die er nicht jammernd mit den Händen bedeckt. „Mein Name ist Scarf und wie heißt du?“

An meinem Schienbein bildet sich ein wild pochendes Ei und ich verfluche den Halunken, der Marco ein derart verstärktes Schuhwerk verkauft hat.

„Robert...“

„Freut mich sehr, Robert. Ab heute gehörst du in meine Mannschaft.“

„WAS?!“ Seine angehauene Nase scheint vergessen, der Knabe starrt mich aus großen Augen entsetzt an. Und er hat in meinem ersten Maat unerwartete Unterstützung.

„Ja, genau. WAS?!“

„Nuschle ich? Robert gehört nun zu uns.“

„Und wenn ich gar nicht will?!“ Er schnaubt möglichst trotzig und wimmert dann wehleidig auf. Eine Lektion, die ich schon gelernt habe.

„Dann verkauf ich dich auf dem Sklavenmarkt oder lasse dich solange Kielholen, bis deine Haut in Fetzen hängt.“ Ich zucke gelassen die Schultern. „Wie man das nun mal so mit blinden Passagieren macht, nicht wahr?“

„Na wenn das so ist. Freut mich bei euch mitmachen zu dürfen.“ Robert streckt mir gequält grinsend die Hand entgegen und ich schüttle sie nachdrücklich.

„Herzlich willkommen an Bord der Omnia Amor Vincit!“

Marco stöhnt auf und verpasst uns noch jeweils einen Tritt bevor er laut fluchend abhaut.

„Wie süß, er ist eifersüchtig!“ Ich grinse, erhebe mich etwas umständlich und strecke Robert die Hand helfend hin, welche ich ja gerade eben erst losgelassen habe. Hachja, immer diese Dramatik in den kleinsten Gesten. „Und nun zu deiner wichtigsten Aufgabe hier an Bord.“

Ich sehe endlich das Ziel meiner Reise etwas näher rücken. So jemand wie Robert hat mir noch gefehlt, er ist das letzte kleine Steinchen in meinem Puzzle und nun kann ich anfangen es zusammenzusetzen. Ich weiß schon genau wie das Bild aussehen wird, aber es noch liegt vieles im Argen. Aber ab jetzt geht es mit Meilenstiefeln dem Ziel entgegen.
 

Avast, meee beloved Hearties!

Jetzt sind sie eine große Familie. Mama Scarf, Papa Marco und der kleine Robert. Das ist doch mal putzig, nicht wahr? Vorweihnachtliche Glücksstimmung...

AHHHH!!! Weihnachtspause ist nun angesagt, ich muss nun vorwiegend meine Geschenke fertig bekommen, daher wird NUV erst mal ein wenig zurückgestellt. Aber soweit mich die Muse geküsst und beflügelt hat, stechen wir in neue Seen! MUHAHAHHA! <3



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  Captn
2009-12-05T20:00:12+00:00 05.12.2009 21:00
SOoooooo, fertig!
Oooch, wie süß, Scarf hat n kleinen nervigen Kumpanen gefunden. xD
Jetzt können sie zusammen in trauter Zweisamkeit von Marco verprügelt werden.
Ey, Üsch hab ne Frage: Wenn der Typ Franzose ist und Robert heißt, wie spricht man das dann aus? Röbääähr'? Ich hoffe nich...
ABer Scarf ist in diesem Kapi leiiiiiicht tuntig rübergekommen. Vielleicht noch überreste der schwulen Kleidung des lezten Kapis?
Das "Ich sehe was, was du nicht siehst"-Spiel war süß. Lang lebe der verrückte Sven!
Er erinnert mich an Herr Riebmann (diesen Typen da, der in der Wand wohnt).....
Hmmm, Scarf braucht einen Zeichner an Bord? Was hat er vor, siene Lebensgeschichte als Grafic Novel niederzuschreiben? xD
Oder nein, lass mich raten, er will einen Schatz auf einer wahnsinnig schwer zu erreichenden Insel verbuddeln und braucht jemanden, der eine hübsche Schatzkarze zeichnen kann!
Oder er will seine gesegelte Rute auf eine rgroßen, selbstgemalten Karte haben....
Ist es überhaupt irgendwas mit na Karte? xD
Hach, ich mag die beziehnung von Scarf und Marco...die sind wie zwei kleine, flauschige Kätzchen...
ARKSSSSSS!!!!
*gerade von Marco an die nächste Wand gekickt wurde*
Ich gebe zurück in Studio...
*gargel*
Von:  Captn
2009-12-05T14:29:27+00:00 05.12.2009 15:29
ALta.... xD Ey, ich geh so getsern auf die Fanfic, sieh nur
"Oh, das letze Kapi hat schon n Kommi, dann hab ich das ja schon gelesen, Böh, dann muss ich wohl noch n bissl auf die Freischaltung vom nächsten Kommi warten >_<"
XDDDDD Altaaaaaaaaaaa
Kija, also wirklich, wegen dir musste ich einen Tag lang zum lesen warten!
Schäm dich zutiefst! xD
Jetzt muss ich aber trotzdem erst merlin gucken und NUV heute abend lesen.....
Von:  James
2009-12-04T19:07:33+00:00 04.12.2009 20:07
JA ERSTE! noch net gelesen aber voll geil xD ich weiß es.. ich WEISS ES!!!! so.. nachher noch kontruktive kritik oder so.. und zu den anderen kapis auch xD''


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