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Vergangene Schatten

von

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Schande

Stöhnend lag sie auf dem schmutzigen Boden. Ihr ganzer Körper war mit eitrigen Wunden und Prellungen übersät. Äusserst behutsam versuchte die junge Queen* sich aufzusetzen, doch jeder einzelne ihrer Muskeln sträubte sich gegen die kleinste Bewegung, so dass sie wieder zurück auf die Seite fiel und durch zusammengepresste Kiefer vor Schmerzen laut aufkeuchte. Ihr Blick verschwamm zusehends und sie drohte erneut in Ohnmacht zu fallen. Verbittert kämpfte die junge Straßenkatze dagegen an. Wenn sie jetzt ins Dunkel zurückfiel, würde sie womöglich nicht mehr daraus erwachen. Und ihre kleine Schwester brauchte sie doch ...

Und während sie sich gegen das dumpfe, schleichende Gefühl der Erschöpfung wehrte, hörte sie Schritte näher kommen. Erneut keuchte sie laut auf, hob aber gleichzeitig den Kopf und zwang sich, ihrem Peiniger in die Augen zu sehen. Jemand schnalzte vorwürfig mit der Zunge und eine große Gestalt beugte sich zu ihr herab. Seine scharlachroten Augen stachen in die ihren, doch die junge Streunerin wandte sich nicht ab. Die Genugtuung sollte er nicht auch noch erfahren!

"Schätzchen, Schätzchen", sagte eine kehlige Stimme in sanftem Tonfall und ein weiteres Schnalzen ertönte.

"Hast du tatsächlich geglaubt, du würdest mich so leicht loswerden, Bombalurina? So mir nichts, dir nichts? Tsss", machte der Kater über ihr und klang beinahe so als wäre er über die Naivität der jungen Straßenkatze erstaunt. Seine langen, scharfen Krallen strichen mit der Spitze über ihr fast bis zur Unkenntlichkeit zerfetztes, rötliches Fellmuster und streichelten ihren weißen Bauch. Bombalurina wollte sich wehren, wollte diese ekelhaften Pfoten von ihrer Brust stoßen, doch sie konnte nicht. Zu groß war der Schmerz in ihren Armen, in ihrem ganzen Körper. Wieder dachte sie an ihre kleine Schwester Demeter, die völlig allein in ihrer beider Versteck auf ihre Rückkehr wartete ...

"Macavity!", stieß Bombalurina hervor und wand sich leicht unter seinen Krallen- ein Fehler.

"Gibt es etwas, das ich aus deinem dreckigen Maul noch erfahren sollte, du verräterisches Miststück?", fauchte der Kater und grub sofort seine Klauen in ihr schutzloses Fleisch. Die junge Queen kreischte unter seiner Misshandlung laut in höchsten Tönen auf und wünschte sich augenblicklich endlos, friedlich, schmerzfrei schlafend-

Ruckartig zog Macavity seine Krallen aus ihrer Haut und Bombalurina schnappte nach Luft. Der Kater wollte sich schon erheben als leise, flehende Worte aus ihrem Mund kamen.

"Ihr-...ihr habt...versprochen- dass Demeter nichts...geschehen wird", brachte sie unter größten Mühen hervor und unterdrückte noch mühseliger die Tränen.

"B-bitte...macht mit mir, was ihr wollt, aber-...verschont...meine Schwester..."

Einige seiner Kumpanen im Hintergrund lachten schallend, doch Macavity brachte sie rasch zum Schweigen. Noch einmal beugte er sich zu Bombalurina, die am ganzen Leib zitterte, herunter und ein bösartiges Grinsen verzerrte sein Gesicht.

"So, so, so. Ich biete dir meinen Schutz, meine Güte, sogar einen Platz an meiner Seite an und du dankst es mir, indem du mich erst verrätst und nun obendrein mit kindischen Sorgen um das kleine Schwesterchen Demeter meine Ehre anzweifelst." Scheinbar zutiefst verletzt setzte der diabolische Katzenteufel eine traurige Miene auf.

"Nun, wenn du nur immer brav das getan hättest, was ich von dir verlangt habe, hättest du nie um die kleine Demeter fürchten müssen. Doch anscheinend muss ich dir erst auf anderen Wegen beibringen, welche Konsequenzen dein Ungehorsam auch in Zukunft haben wird!"

Für Bombalurina wurde es immer schwerer, die Fassung zu bewahren. Macavity beobachtete genüsslich den Ausdruck der Angst in ihren Augen, bevor er fortfuhr: "Du kannst so viel trotzen und betteln, wie du willst. Wie eure erbärmliche Mutter werdet auch ihr beide mir gehören - genauso wie alles, was nach euch kommt!"

Und dann packte das grausame Ungetüm die hilflose, erschöpfte Queen und nahm sie brutal. Die junge Straßenkatze kreischte durchdringend, brachte aber keinen Widerstand mehr auf. Innerlich verfluchte Bombalurina das, was wegen ihm in ihr wachsen würde, mit größtem Abscheu und endloser Verachtung und nahm sich vor, es sofort nach der Geburt zu ertränken. Doch dieses neue Leben würde ihnen beiden, der jungen Queen und ihrer Schwester Demeter, bald mehr Mut und Hoffnung bedeuten, Macavity und seinen Kumpanen vielleicht für immer zu entfliehen ...
 


 

*aus dem Englischen für erwachsene, weibliche Katzen

Schauergeschichten

"Und ich sage dir, Dracuma-Katzen gibt es nicht!"

Aufgeregt hockte Etcetera auf ihrem hübschen, weiß-blau kariertem Kissen und raufte sich entnervt die wuschligen Ohren. Warum musste Pouncival, dieser Idiot, auch unbedingt ihrer kleinen Zieh-Schwester Electra beinahe kurz vorm Schlafengehen dieses Gruselmärchen aufbinden? Jetzt kauerte das Nesthäckchen der Jellicles verängstigt in ihrem Korb, während an Schlaf nicht zu denken war.

"Und wenn doch? Dann werden sie kommen, wenn du aus dem Zimmer gehst und ein Dracuma-Kater wird mir in den Hals beißen!" Nun fing Electra tatsächlich an zu weinen und Etcetera nahm sich fest vor, dem vorlauten Straßenkater Pouncival bei der nächsten Gelegenheit einen gepfefferten Tritt in den Hintern zu verpassen.

"Electra", begann sie mit ruhiger Stimme und versuchte gleichzeitig nicht die Geduld zu verlieren, "das war nur eine Geschichte, mit der Pouncival dir Angst einjagen wollte." Langsam krabbelte Etcetera zu der Kleinen hinüber und nahm das Kätzchen tröstend in die Arme. Schniefend schmiegte Electra sich in das helle, getigerte Fell ihrer Schwester und schaute sie aus großen, blauen Augen an.

"Bist du da auch ganz sicher?", fragte die Kleine mit einer Mischung aus Ernst und Skepsis und Etcetera nickte. "Klar. Ganz abgesehen davon könnten Dracuma-Katzen in so hellen Nächten wie heute ihr Versteck gar nicht verlassen, weil- "

" -der Mondschein sie sofort einfrieren würde", unterbrach sie Electra, sprang blitzschnell aus ihrem Korb und lief zur großen Fenstertür im Zimmer. Durch das Glas erblickte das Kätzchen den großen, silbernen Halbmond und unzählige, glitzernde Sterne und seufzte erleichert auf; am nachtschwarzen Himmel war nicht eine Wolke zu sehen.

Auch Etcetera konnte sich ein erleichtertes Stöhnen nicht verkneifen. "Na siehst du. Heute Nacht und Morgen kannst du ruhig schlafen und ich wäre dir sehr dankbar, wenn ich das auch könnte." Noch immer schwirrte ihr nach einem überschwänglichen Party-Morgen mit einigen Jellicle-Katzen von der Straße und mehreren großzügigen Schalen sehr süßer Früchtemilch gehörig der Kopf und Etcetera hoffte, dass sie Electra nun ausreichend davon überzeugt hatte, eine Mütze voll Schlaf zu nehmen. Allein ihren Nerven zuliebe ...

"Na gut." Und unverzüglich kletterte der kleine Wirbelwind in ihren Korb zurück, rieb zum Abschied noch ihren Kopf an Etceteras und verschwand mit einem genuschelten "Schlaf gut" unter ihrer bunten Wolldecke. Müde, aber unendlich zufrieden kuschelte sich Etcetera ebenfalls in ihre Kissen im eigenen Korb und schnurrte wohlig. Es dauerte auch nicht lange, dass sie in geheimnissvolle Traumwelten entschwebte ...
 

Schleier verschwammen vor ihrem Blickfeld, so dass sie nichts erkennen konnte, außer schwarze Finsternis. "Wo bin ich?", dachte Etcetera erstaunt und auch unbehaglich, weil dieser Ort ihr auf eine schauerliche Art und Weise vertraut und bekannt vorkam.

Allmählich schälten sich Umrisse von hohen Gebäuden, Mauern und unbeleuchteten Straßenlaternen aus der Dunkelheit. Zögerlich machte die junge Katze noch ein paar Schritte, bevor sich aus dem Nichts eine gewaltige Gestalt genau vor ihr aufbäumte und mit langen, scharfen Krallen nach ihr langte. Erschrocken versuchte sie nach hinten auszuweichen, da stürtzte sich das Monster auf sie und Etcetera erblickte nur noch zwei furchteinflößende, scharlachrote Augen als das Ungetüm sich über sie beugte und das Kätzchen verschlang ...
 

Zu tiefst erschrocken und schweißgebadet schreckte Etcetera aus ihrem Traum hoch und wandte sich sofort im Zimmer um. Niemand war hier, außer Electra, die seelenruhig schlummerte, und schon gar keine unheimliche, schwarze Gestalt.

Verärgert über sich selbst fuhr sich Etcetera energisch über die Ohren und legte sich wieder hin; das war auch wirklich zu albern. Dass sie noch versucht hatte, Electra dieses dumme Märchen auszureden und nun selbst davon Albträume bekam. Allerdings ... je mehr sie darüber nachdachte, desto stärker wurde dieses grausige Gefühl der Vertrautheit, das das Kätzchen bereits im Traum verspürt hatte. Doch sosehr sich Etcetera auch bemühte, sie kam nicht dahinter, woher sie es kannte. Unruhig wälzte sie sich hin und her, merkwürdiger Weise hellwach - und mit dem schrecklichen Gedanken im Hinterkopf, dass, wenn sie es nicht bald erraten würde, etwas schlimmes geschehen würde ...
 


 

Zur selben Zeit rollte sich Sillabub in ihrem Korb herum und konnte wie Ectetera nur schwer einschlafen. Obwohl die Kissen im Korb warm und weich waren und das Kätzchen mit allem der Welt zufrieden war. Im Korb nebenan döste die wenig jüngere Sulumi dagegen friedlich und sorglos. Victoria seufzte auf als Sillabub ihre Ruhestatt verließ und ruhelos im Zimmer auf- und abwanderte.

"Was ist los, Silla?" Besorgt wandte die junge, schneeweiße Queen der Freundin das Gesicht zu und ließ die Ohren leicht sinken. Sie hatte es gerne, wenn die etwas jüngere Sillabub bei ihr und ihrer Zieh-Schwester Sulumi übernachtete und mochte sich dann auch ohne Widerrede um alles kümmern - so wie dem Kätzchen ihren eigentlichen Schlafplatz anzubieten. Umso bedrückter fühlte sich Victoria jetzt, sollte Sillabub doch in dieser Nacht problemlos einschlummern können, wo die folgende Nacht für sie etwas ganz besonderes sein würde ...

Sillabub kratzte sich einen Moment lang am linken Ohr und machte dann eine traurige Miene. "Ich weiß nicht ... ich weiß, ich sollte mich eigentlich auf morgen nacht freuen ... aber ..." Entmutigt setzte sich das Kätzchen auf den Fußboden, ließ sie den Kopf sinken und spielte an einem losen Faden im Teppich.

"Aber?" Vorsichtig hakte Victoria argwöhnisch nach und nahm neben Sillabub auf dem Teppich platz. Aufmunternd zupfte sie neckisch an Sillabubs Schwanzspitze und zog anschließend den Kopf ein als deren Pfoten ihren weißen Ohren gefährlich nahe kamen. Doch das schokoladenbraune Kätzchen nahm sie rasch wieder zurück und vergrub sich erneut in Gedanken.

"Na ja, ich hab jedes Jahr zum Geburtstag den Eindruck, das mit meiner Schwester irgendwas nicht stimmt. Sie ist dann immer so ungewöhnlich ruhig und schweigsam ... immer wenn ich sie anspreche, ist sie völlig in Gedanken versunken und reagiert dann gereizt und genervt." Das Kätzchen legte den Kopf in beide Pfoten und atmete schwer aus. Victoria legte den Kopf schräg; derartiges war ihr noch nie aufgefallen. Aber Sillabub kannte ihre Schwester vermutlich viel besser durch den ungewöhnlich engen Kontakt, den die Beiden pflegten. Schließlich hob Sillabub den Kopf und sah ihrer Freundin zum ersten Mal an diesem Abend richtig in die Augen.

"Dass es so ist, ist ja noch nicht einmal das Schlimmste, weil ich nichts daran ändern kann. Dass kann nur sie selber. Aber ich weiß ja nicht einmal, warum das so ist, ich würde ihr so gerne helfen ..." Voller Gram fiel das Kätzchen in sich zusammen. Soweit sie sich zurückerinnern konnte, wurden alle ihre Geburtstage mit der Zurückgezogenheit und Unzufriedenheit ihrer sonst so lebhaften ältesten Schwester überschattet. Daher hatte Sillabub ihre Geburtstage, die wie die der anderen Jellicle-Katzen immer sehr festlich und fröhlich organisiert gewesen waren, nie richtig genießen können. Und wenn sie morgen nacht in das "Teenie"-Alter eintreten würde, würde Sillabubs Geburtstagsfeier beinahe einem zweiten Jellicle-Ball gleichkommen!

"Meinst du, dass das irgendwas mit mir zu tun hat?", fragte sie an Victoria gewandt sehr leise - und bereute es sofort.

"Unsinn!" Victoria reagierte heftiger als sie selbst es erwartet hatte und senkte ihre Stimme augenblicklich. "Natürlich nicht, Süße, sie wird schon ihre Gründe dafür haben, sei es, dass ihr ein paar fette Ratten bei der Jagd vor der Nase entwischt sind oder dass sie mal wieder eine Abfuhr von Tugger erhalten hat." Hingebungsvoll knetete die junge Katze die zierlichen Ohren ihrer Freundin. Sillabub schnurrte wohlig, obwohl sie mit Victorias Erklärung nicht ganz zufrieden war. Doch vielleicht würde ihre Schwester morgen bei diesem erfreulichen Anlass besser gelaunt sein. Und auch Victoria hoffte, dass die eigenwillige Straßenkatze, ihrer Schwester zuliebe, wenigstens dieses eine Mal versuchen würde, ihre Gefühlszustände vor allen anderen zu verstecken um sich mit Sillabub zu amüsieren.

Letztenendes ging Sillabub dann doch zurück in ihren Korb um wenigstens noch ein paar Stunden zu schlafen. Victoria hingegen hockte noch lange auf dem Fensterbrett und beobachtete nachdenklich den silbrig schimmernden, ungewöhnlich großen Halbmond. In einem Versuch, mehr über die folgenden Nächte zu erfahren, fragte sie die Sterne um Rat, die jedoch nur still und schweigsam allmählich verblassten ...
 


 

Ungefähr zur gleichen Zeit als Sillabub Victoria von ihren Sorgen berichtete, huschten zwei schwarze Schatten durch Londons enge Gassen. Als wären sie ein Herz und ein Gedanke, genügte ein Blick vom jeweils anderen und ein Nicken oder Kopfschütteln um sich über Richtung und Ziel zu einigen. Als sie den Schatten der hohen Gassenwände beim Sprung auf eine steinerne Mauer verließen, flutete das silbrige Mondlicht auf ihrer beider Erscheinung und zeigte die außergewöhnlichen Fellfarben der zwei Straßenkatzen: schwarz mit bunten Flecken und Streifen. Fast völlig identisch schlichen sie über die Mauer als die hintere der beiden Katzen plötzlich den Kopf hob und schnupperte. Blitzartig fuhr der Kopf der vorangegangenen herum und lag schräg.

"Was ist los, Tantomile?" Die Stimme eines Katers erklang und wirkte neugierig. Seine Zwillingsschwester antwortete nicht sofort und schnupperte abermals, so als müsste sie sich erst ganz und gar sicher werden. Doch seine Spur waberte so deutlich in ihrer feinen Nase, dass Tantomile es nicht mehr leugnen konnte - was sie am allerliebsten getan hätte.

"Macavity" Kaum mehr als ein Flüstern drang es an die guten Ohren ihres Bruders, die sich daraufhin augenblicklich flach zurücklegten. Nun versuchte dieser ebenfalls, den markanten Geruch der Unsichtbaren Pfote wahrzunehmen, doch ohne Erfolg. "Bist du sicher?", fragte er seinen Zwilling und ihr durchdringender, warnender Blick ersetzte wie schon so oft jede ausgesprochene Antwort.

"Wir müssen sie warnen, Coricopat", sagte die Streunerin nur, streckte sich sofort in die Höhe und stieß kurz hintereinander mehrere hohe Schreilaute aus. Nur Bruchteile von Sekunden später tat Coricopat es ihr nach, so dass sie zweistimmig einen Warngesang begannen mit dem Ziel, erst alle übrigen Straßenkatzen und danach auch die Hauskatzen zu erreichen.
 

Wir haben Macavitys Spur an der Grenze unseres Revieres aufgenommen. Wir wissen nicht wo er ist, nur, dass er uns seit vielen Jahren außerhalb des Jellicle-Balls auf dem Schrottplatz nicht mehr so gefährlich nahe gekommen ist, wie heute Nacht. Wir werden beide unverzüglich alle Grenzen unseres Revieres absuchen und Bericht erstatten. Zur Sicherheit der eigenen Person und zum Schutz des gesamten Klans der Jellicle-Katzen DARF NIEMAND MEHR DIE GASSEN RUND UM DIESES VIERTEL ALLEIN AUFSUCHEN!
 

Den letzten Satz betonten die beiden mit einem besonders schrillen Kreischen, bevor sie verstummten. Danach patroullierten die Zwillinge gemeinsam durch ihr weitläufiges Revier, immer wachsam und stets darauf vorbereitet, Macavity und seinen Handlangern hinter der nächsten Gassenmauer zu begegnen. Doch in dieser Nacht war keine Spur von dem Katzenschurken zu finden, dennoch machten sich sowohl Tantomile als auch Coricopat darauf gefasst, dass er nicht mehr allzu lange auf sich warten würde!

Geburtstagsfeier und alte Bekannte

Natürlich hatten noch in derselben Nacht schließlich alle Straßenkatzen die Nachricht der Zwillinge erhalten und dementsprechend gehandelt. Einige, wie Tumblebrutus und sein Bruder Pouncival, waren von einer erfolgreichen Jagd augenblicklich in ihr Quartier zurückgekehrt, ebenso wie die Schwestern Bombalurina und Demeter, die über einen ähnlichen Gesang Kontakt zu den Hauskatzen aufgenommen hatten. Für die Jüngeren hatte die Warnung auch schon Folgen gehabt: Cacao, die Tochter von Cassandra und Alonzo, stöhnte auf vor Enttäuschung als sie, mit der Erkärung, Pouncival besuchen zu wollen, das Haus verlassen wollte und von ihrem Vater zurückgehalten wurde.

"Aber weshalb denn? Hat das wieder irgendetwas mit Mama zu tun?" Anfänglich hatte Cassandra sich schwer damit getan, den stürmischen, übermütigen Pouncival an der Seite ihrer Tochter zu akzeptieren, weil er ihrer Meinung nach für Cacao nicht gut genug war. Schließlich war es den Beiden mühselig und auch abenteuerlich gelungen, sie doch zu überzeugen. Nun aber regten sich in Cacao wieder Zweifel und Panik. Hatte sie es sich wieder anders überlegt?

Doch Alonzo schüttelte den Kopf. Natürlich waren die Sorgen seiner Tochter, zugegeben, nicht ganz unbegründet, aber im Vergleich zu dem tatsächlichen Grund kamen sie dem Kater beinahe kindisch vor.

"Um euch brauchst du dir, zumindest in dieser Hinsicht, keine Sorgen zu machen. Aber Tantomile und Coricopat haben Macavitys Spur an der Grenze zu ihrem Revier gefunden und daher alle anderen gewarnt."

Cacao schlug sich erschrocken die Pfote vor den Mund. "Was? Aber getroffen haben sie ihn hoffentlich nicht, oder?" Das pure Entsetzen stand in ihren Augen und unwillkürlich fing das Kätzchen an zu zittern.

Auf ihre Frage hin zuckte Alonzo die Achseln. "Das kann ich dir nicht sagen. Sie wollten anschließend noch ihre restlichen Grenzen kontrollieren. Allerdings hat uns die Nachricht auch verhältnissmäßig spät erreicht." Um Cacao zu beruhigen, fuhr er ermutigend fort.

"Du brauchst dir aber nicht den Kopf zu zerbrechen, die beiden wissen, was sie tun; ihnen wird nichts passieren."

Als Cacao nach einer Weile auf dem Fensterbrett saß und sehnsüchtig nach draußen starrte, klangen ihr die Worte ihres Vaters noch lange in den Ohren. Außerdem kam jede Warnung diesen Ausmaßes fast einem Stubenarrest gleich, der es ihr zwar ermöglichte, Electra und Victoria, aber nicht Sillabub, und noch viel wichtiger, Pouncival zu treffen. So langweilte sich das hellbraun gesprenkelte Kätzchen fürchterlich, bis sie schließlich zu Munkustrap und seinen beiden Ziehtöchtern Etcetera und Electra aufbrach. Da Sillabub heute Nacht ihren 13. Geburtstag feiern würde, waren vermutlich schon einige Jellicles bei den beiden versammelt und planten die Organisation der Fete. Und den damit verbundenen Trubel konnte Cacao jetzt mehr als genug gebrauchen.
 


 

"Was hat sie? Och, komm Tizi, sag, dass das nicht war ist!"

Etcetera hatte nun entgültig die Nase voll: wütend warf sie eine bis obenhin gefüllte Streichholzschachtel nach dem Straßenkater, der sich beinahe vor Lachen nicht mehr einkriegen wollte und empört aufmaunzte als das Geschoss ihn am Kopf traf.

"Heeeeey!!" Mit einer Mischung aus Ärger und gespieltem Übermut holte Pouncival weit aus und wollte Etcetera mit dem Flaschendeckel bewerfen, den er in der Pfote hielt. Doch eben in diesem Moment betrat Munkustrap das Zimmer und der junge Tom* konnte seine "Munition" gerade noch vor ihm verbergen und begnügte sich stattdessen damit, das hellgetigerte Kätzchen sauer anzufauchen.

"Gibt es irgendwelche Gründe dafür, dass hier Gegenstände durch das Zimmer fliegen und ihr euch wie rauflustige Straßenhunde aufführen müsst?" Obwohl die Stimme des Katers ruhig klang, war der strenge, warnende Unterton nicht zu überhören. Besorgt beobachtete Etcetera, wie seine Augenbrauen immer höher wanderten und warf Pouncival nun einen bösen Blick zu; schließlich durften sie und Electra es mal wieder ausbaden, wenn Munkustrap sich jetzt aufregte.

Doch dem Kater schien der Sinn nicht danach zu stehen. Er fixierte Pouncival mit einem vielsagenden Blick, bevor er sich daran machte, eine riesige Schüssel in Richtung der Küche zu schieben.

"Sillabub hat ihren 13. Geburtstag, also reisst euch beide zusammen.", sagte Munkustrap nur. Anschließend rief er Electra zu sich, die auch augenblicklich kam, um ihm eifrig zu helfen.

Verärgert zischte Etcetera Pouncival daher äusserst leise an, damit Munkustrap es nicht bemerkte: "Um deine Frage zu beantworten, ja, Electra hatte höllische Angst, dass jeden Moment eine Dracuma-Katze kommen und sie beißen würde. Sie konnte fast die ganze Nacht über deswegen nicht einschlafen!" Und jetzt begann das Kätzchen wirklich zu knurren.

"Also sieh gefälligst zu, was du ihr das nächste Mal vor dem Schlafengehen für Geschichten unter die Nase reibst, sonst erzähl ich Munkustrap und Skimbleshanks davon!" Drohend durchbohrten ihre haselnussbraunen Augen seine dunkelgrünen, bevor sich Etcetera wieder daran machte, aus pink-, gelb- und blaufarbenen Fäden ein hübsches, gemustertes Halsband für Sillabub zu ihrer Geburtstagsparty heute Nacht zu flechten. Bald darauf besserte sich ihre Laune auch erheblich darüber, so dass sie ihren Streit mit dem Straßenkater schnell vergaß.

Wenig später trafen fast zeitgleich auch Cacao und Mistofelees, sowie die Zwillinge gemeinsam mit den beiden Schwestern Demeter und Bombalurina ein, um bei den Vorbereitungen für die Feier zu helfen. Dass Tantomile und Coricopat sofort mit Munkustrap im nächsten ruhigen Zimmer verschwanden, war dabei genauso unverwunderlich wie die Tatsache, dass Cacao und Pouncival sich erfreut begrüßten und unter Etceteras und Demeters verschmitzter Miene ebenfalls den Raum verließen. Bombalurina half sogleich Electra, die dabei ein äusserst unappetitliches Durcheinander verursachte, einen eigentlich sehr schmackhaften Fischsalat zuzubereiten. Dabei musste sie sich ein Kichern verkneifen als die kleine Jellicle beim Durchmischen der Fischbrocken fast kopfüber in die gewaltige Schüssel fiel. Gerade noch rechtzeitig hielt die Straßenkatze sie fest und zupfte spielerisch an ihren Ohren.

"Ich glaube dir durchaus, dass der Salat sehr lecker ist, aber wir Anderen wollen auch alle noch was davon essen, also halte dich ein wenig zurück, Schätzchen!" Grinsend kitzelte sie Electra an den Pfoten und entlockte ihr ein Kichern.

In diesem Moment betrat Demeter die Küche, deutete mit gespielt entsetztem Gesicht auf den Fußboden, der fast komplett in Fischöl und Wasser schwamm und schlug die Pfoten über dem Kopf zusammen: "Sag mal, habt ihr den Fisch in der Küche gefangen? Wie sieht`s den hier aus?" Doch dann konnte auch sie sich das Lachen nicht verkneifen, machte einen Satz auf den Rand der Spüle und schnappte sich sofort den darinliegenden Wischlappen. Als Electra es ihr nachtun wollte, schüttelte die Queen jedoch den Kopf und lächelte. "Schon gut, Süße, du hast uns schon genug geholfen."

Mit einem Blick in das bedrückte Gesicht des Kätzchens fügte sie noch hinzu: "Ist gut Electra, frag doch mal nach, ob Mistofelees und Etcetera bei der Dekoration noch Hilfe brauchen." Geschickt wischte Demeter die Suppe auf dem Fußboden auf. "Mhmmhm", machte Electra, nickte dabei und trippelte aus der Küche.

"Hoffentlich berät sich dein Göttergatte noch solange mit Tantomile und Coricopat, bis dieses Chaos hier beseitigt ist", meinte Bombalurina grinsend und nahm sich schnell einen zweiten Lappen um ihrer Schwester zu helfen. Demeter schüttelte lächelnd den Kopf. "Glaubst du, Munkustrap könnte Electra wegen irgendetwas böse sein? Ich denke, sie ist für ihn bald nicht mehr weniger eine Tochter als Shadow unser Sohn ist." Nach einer kleinen Pause blickte die Queen von der Fischsuppe auf um ihrer Schwester ins Gesicht zu schauen.

"Wann willst du es ihr endlich sagen, Lu? Wie lange willst du ihr ihre tatsächliche Herkunft noch verschweigen?" Obwohl außer ihnen niemand in der Küche war, senkte Demeter die Stimme beinahe zu einem Flüstern. Bombalurina zögerte, bevor sie ihr eine Antwort gab.

"Ich weiß nicht, ob ich es ihr überhaupt jemals sagen sollte. Sie kennt Macavity und weiß, wozu er fähig ist. Ich kann den Gedanken nicht ertragen, dass sie den Klan verlässt, oder sich sogar -" Sie brach ab. Das Letzte war zu schrecklich, als es auszusprechen oder auch nur daran zu denken.

Demeter schwieg; sie wusste, dass Bombalurina ihre Meinung dazu kannte. Sie stimmte mit ihrer Schwester darin überein, dass die ganze Sache alles andere als einfach war, gerade wenn sie es erfuhr. Doch genauso wichtig war es, dass sie die Wahrheit erfuhr ...
 

*aus dem Englischen für erwachsene, männliche Katzen (entspricht dem "Kater")
 


 

Auf dem Schrottplatz, der in einiger Entfernung von mehreren Wohnblöcken eingezäunt und daher auch ab und an von Autoscheinwerfern gestreift wurde, war in dieser Nacht der Teufel los; dank Mistofelees magischer Kräfte glühte jedes einzelne Lämpchen an der gewaltigen Lichterkette, die beinahe die gesamte freie Fläche überspannte und tauchte die Szenerie in knallbunte Farben. Ein altes Radio spielte schwungvolle Rhythmen und Melodien und die Stimmung war ausgelassen und fröhlich, nahezu alle waren entweder beim Tanzen oder taten sich an Erdbeer- oder Schokomilch und Fischsalat gütlich.

Fast alle.

Bombalurina hielt sich unschlüssig am Rand der Tanzfläche, von ihrer sonstigen Unbefangenheit war nichts mehr geblieben. Sie schmollte nicht - Oh nein, das hatte sie den Anderen versprochen! Aber in dieser Nacht kehrten die Ereignisse von vor vielen Jahren schrecklich lebendiger und greifbarer zurück als in jeder anderen. Die Straßenkatze konnte das Gesicht, sein Gesicht, über ihr und seine Pfoten auf ihrem Körper nicht aus ihrer Erinnerung verbannen, hartnäckig kehrte er zu ihr zurück. Immer dann, wenn Bombalurina in ihr Gesicht, in ihre Augen sah ...

Erschrocken und wütend über sich selbst schüttelte Bombalurina den Kopf; an so etwas durfte sie nicht denken! Erst recht nicht jetzt. Aus den Augenwinkeln bemerkte die Queen ihre Schwester Demeter an der Seite ihres Partners Munkustrap, die ihr verstohlene Blicke zuwarf. Tief durchatmend fasste die Straßenkatze sich ein Herz und schritt energisch auf die Fläche. Auffordernd umwarb sie inbrünstig den egozentrischen Hauskater Rum Tum Tugger, der soviel Charisma wie Selbstbewusstsein besaß und sich zum Ärger von Etcetera, die den Katzenfrauenheld ebenfalls umtanzte, auf einen recht intensiven Flirt mit Bombalurina einließ. Dabei kam sie in die Nähe von Sillabub, die von mehreren Katern gleichzeitig umtanzt wurde und ihr ein strahlendes Lächeln schenkte. Das Gück, was Bombalurina darin erkannte, schien sie plötzlich alles Böse der letzten Jahre vergessen zu lassen. Breit lächelnd rieb sie ihren Rücken an Tuggers und schob sich auf diese Weise in Sillabubs Nähe. Das schokoladenbraune Kätzchen mit dem weißen Bauch war beinahe komplett mit Alonzo beschäfigt, der einen geschmeidigen, leichten Tango mit ihr tanzte und sich an ihren strahlenden Augen erfreute.

Mungojerrie und seine Freundin Rumpleteazer, bei allen Jellicles für ihre gemeinsamen Streiche und ihre nie endende Zweisamkeit bekannt, legten inzwischen gemeinsam einen ziemlich wilden Swing aufs Parkett, dem Etcetera und Tumblebrutus sich zusammen bald anschlossen. Scheinbar völlig unwillkürlich sahen die lebhaften Sprünge und ausschweifenden Tanzschritte aus und mussten auf einen zufälligen Beobachter sehr abstrus und chaotisch wirken. Electra runzelte verwirrt die Stirn als sie den beiden Paaren eine Weile zusah und fragte schließlich Pouncival um einen Tanz. Schmunzelnd nickte er gut gelaunt und beide gesellten sich zu Alonzo, Admetus und Mistofelees, die alle abwechselnd mit Sillabub tantzten. Sie genoss die Aufmerksamkeit, die ihr in dieser Nacht zweifellos zustand, sichtlich.

Irgendwann stießen auch Plato und Victoria, die die Freundin herzlich umarmte und beglückwünschte, dazu und eine ganze Weile später, nach vielen Wechseln, hatte jeder seinen festen Tanzpartner gefunden. Nun kehrte man vollständig zum Jellicle-Tanz zurück, der auch sonst auf dem jährlichen Ball getanzt wurde, zu dessen Höhepunkt Etcetera, Victoria, Sulumi, Cacao und Electra im fließenden Licht des Mondes Sillabub das mehrfarbig gearbeitete Halsband überreichten. Anschließend hob Munkustrap das Kätzchen, das beide Arme weit zum Mond ausstreckte, auf seine Schulter um sie der Nacht und der `Ewigen Katze´, ihrer aller Beschützerin, zu präsentieren. Fast musste Sillabub die Augen zukneifen als sie in das weiße, gleißende Licht der Mondstrahlen blickte. Dann jedoch öffnete sie ihr Maul und begann mit ihrer hellen, klaren Stimme einen Vers, der sich zu diesem Anlass über viele Generationen hinweg nicht verändert hatte:
 

"Ewige Katze, Mutter der Nacht,

Silberne Sterne, schimmernd voll Pracht:

Geboren im Mondlicht, gesegnet mit Glück

Kehrt eure Tochter nun schließlich zu euch zurück!"
 

Mit einem langezogenen, klaren Schrei endete ihr Gesang, bevor Munkustrap das Kätzchen wieder herunter ließ und alle Jellicle-Katzen erneut anstimmten um gemeinsam der Ewigen Katze zu danken. Der Ritus fand seinen Abschluss als die dicke Wolkendecke plötzlich unvorhergesehen die Mondstrahlen erstickte und alle Körper in sich zusammenfielen, so als hätten ihnen die Wolken mit dem Mondlicht gleichzeitig das Leben geraubt. Einige Zeit verharrten sie in dieser Position, bis die Zwillinge als Erste aus der Starre erwachten und sich langsam erhoben. Sofort kehrte das Leben in die anderen zurück und nach und nach standen alle auf.

Aus Respekt vor der Bedeutung dieser wichtigen Momente war das Fest und damit Sillabubs Geburtstag an dieser Stelle offiziel beendet. Trotzdem luden einige Straßenkater wie Pouncival und Tumblebrutus das Kätzchen dazu ein, in den Gassen ungestört noch etwas weiterzufeiern. Auch Etcetera, sowie Jerry und Teazer waren von dieser Möglichkeit nicht abgeneigt, bis Munkustrap daran erinnerte, dass ein Herumstreunen in den Gassen, noch dazu mit jungen Kätzchen, derzeitig nicht in Frage kam. Tugger schließlich bot an, die Party in der Garage seines Wohnhauses fortzusetzen und erntete auf seinen Vorschlag ausnahmsweise sogar Zustimmung und Begeisterung auf Seiten der Straßenkater. Nach der Überredungskunst von Cacao und Etcetera erklärte sich auch Sillabub bereit, noch ein paar Stunden zu feiern. Andere Katzen wie Victoria und Mistofelees, ebenso Demeter, Munkustrap, Alonzo und Cassandra zogen es vor, das Singen und Tanzen für diese Nacht zu beenden. In Tuggers Garage jedoch fand die Party erst ein Ende als alle Beteiligten sich die Pfoten wundgetantzt hatten und sich setzen mussten oder aber vor lauter Fruchtmilch ohnehin kaum noch gerade stehen konnten. Das letzte Paar, dass schließlich kapitulierte, waren die außerordentlich trinkfeste Bombalurina und Rum Tum Tugger selbst.

Etcetera saß noch lange am Rand der Tanzfläche und starrte Tugger verträumt und verliebt beim Tanz mit der Straßenkatze an. Wie sehr wünschte sie sich jetzt an ihre Stelle ... doch Tugger hatte schon auf mehreren Jellicle-Bällen, denen das Kätzchen im Laufe der Jahre beigewohnt hatte, klargestellt, das die glühende, temperamentvolle, stolze Queen seine absolute Favoriten war - was zwar nicht hieß, das er sich an irgendeine Katze auf dieser Erde in diesem Leben gebunden hätte, doch Bombalurina hatte eine besondere Stellung bei ihm inne ... was genau es war, konnte Etcetera nicht sagen. Das Kätzchen genoss jeden Flirt und jede engere Nähe, die der charismatische Tom ihr gewährte - immer mit dem Gedanken, oder eigentlich eher mit der Angst im Hinterkopf, es könnte das letzte Mal sein, das er Derartiges zuließ. Natürlich war Etcetera auch nicht so dumm, sich Hals über Kopf in den Katzenfrauenheld zu verlieben und entsprechende Gegengefühle zu erwarten. Seine Launen änderten sich von Tag zu Tag, so dass er Bombalurina plötzlich aus heiterem Himmel zurückwies und Etcetera dafür umso mehr Aufmerksamkeit schenkte. Trotzdem machte das Kätzchen sich keine Illusion: sie war von Tugger ungefähr so weit entfernt, wie Mungojerrie und Rumpleteazer von einem Leben in völliger Zurückhaltung und Unschuld.

Irgendwann erhob sie sich und verließ die Garage. Mungojerrie und Rumpleteazer boten ihr an, sie nach Hause zu begleiten, doch das Kätzchen lehnte dankend ab; wenn sie jetzt mit den beiden mitging, würde Etcetera nie zu Hause ankommen!

"Schon gut, danke." Und damit verabschiedete sie sich von allen Hinterbliebenen und schlug die Richtung zum Haus von Munkustrap ein. Als sie an einer Gabelung vorbeikam, der das Kätzchen sonst immer nach links folgte um den verwinkelten Gassen zu entgehen, lief sie aufs Geratewohl nach rechts. Dieser Weg war merklich kürzer, weil er das Viertel genau durchschnitt und Etcetera wollte nur noch so schnell wie möglich nach Hause in ihr warmes Körbchen und schlafen. Deshalb missachtete sie auch die kleine Stimme in ihrem Hinterkopf, die sie davor warnte.

Ich bin ja auf die Art und Weise fast zu Hause, tröstete sie sich und ihr schlechtes Gewissen als sie durch die dunklen Gassen schlich und vorsichtshalber ihre Krallen zog. Man konnte ja nie wissen!

Und gerade als sich vor Etcetera bereits das Ende der Gasse auftat, packten sie mehrere kräftige Pfoten von hinten und zerrten das Kätzchen wieder zurück in die Finsternis. Etcetera wollte erschrocken aufschreien, doch eine andere Pfote schob sich auf ihr Maul und erstickte jeden Laut. Strampelnd und zappelnd versuchte sie sich loszureißen, doch dann erkannte sie seinen Geruch. Da erstarrte Etcetera verängstigt als sie mit ihren weit aufgerissenen, braunen Augen in die Scharlachroten von Macavity blickte. So entsetzlich nahe war er dem jungen Kätzchen lange nicht gewesen.

Nicht mehr, seit sie seine Bande, die Scare Strays, damals für die Jellicle Cats verlassen hatte ...

Einer seiner Kumpane hielt sie noch immer fest im Griff, so, dass eine Flucht unmöglich wurde. So konnte das Kätzchen nichts weiter tun als dabei zuzusehen, wie er ihr immer näher kam und seine Pranken nach ihr ausstreckte. Ängstlich zog sie den Kopf ein -

"Na sieh mal einer an, wen haben wir denn da?" Die kehlige Stimme des rotgetigerten Straßenkaters durchschnitt die Stille und ein Grinsen verzerrte sein Gesicht, "dich hab ich ja ewig nicht mehr gesehen, Tizi. Und meine Freunde haben dich auch schon vermisst." Dieser Satz löste Gelächter bei seinen Handlangern aus während Etcetera beinahe jeden Mut und alle Zuversicht verlor, diese Nacht heil zu überstehen.

Ein verhängnisvoller Handel

Zitternd zwang sie sich, Macavity weiter anzusehen.

"Pech für sie!", stieß das Kätzchen hervor, bemüht, ihm nicht das ganze Ausmaß ihrer Angst zu zeigen. Doch der Kater schien sie förmlich zu riechen. Grinsend führte er seine Pfoten mit den überlangen Klauen ganz nah an Etcetera heran, packte schließlich ihr Kinn und zog es mit einem Ruck hoch. Sie stieß durch zusammengebissene Kiefer einen Laut aus, der einem unwilligen Fauchen ähnelte und versuchte sofort, ihren Kopf wegzudrehen. Doch sein Griff war fest wie ein Schraubstock und verhinderte jede Gegenwehr.

"Ohhh!", machte Macavity höhnisch als wäre das Kätzchen nur mit Mühe im Zaum zu halten.

"Ich habe mir ja gedacht, dass du mich nicht so schnell vergessen würdest, aber ich konnte nicht ahnen, wie sehr du mich anscheinend vermisst hast."

Ein bedrohlich anmutendes Grollen drang aus seiner Kehle, doch dabei handelte es sich bei Macavity lediglich um ein Schnurren. Womöglich stellte er sich vor, wie er den Rest der Nacht mit Etcetera verbringen wollte ...

"Was willst du?" Trotzig schlug sie der Unsichtbaren Pfote diese Frage entgegen, gefror jedoch als sich sein Grinsen verbreiterte.

"Wenn ich mich recht erinnere, war ich immer Derjenige von uns beiden, der die Fragen gestellt hat, nicht wahr?" Nahezu sanft streichelte Macavity über ihr Kinn und versetzte Etcetera im nächsten Moment aus heiterem Himmel einen heftigen Schlag ins Gesicht. Das Kätzchen stöhnte auf vor Schmerzen und schmeckte Blut, das sich rasch in ihrem Mundraum ausbreitete. Noch immer hielten seine Kumpane sie fest, auf einen knappen Wink von Macavity hin ließen sie die junge Jellicle sofort los. Der raue, schmutzige Boden empfing sie, hart und kalt.

Trotz allem richtete sich Etcetera augenblicklich auf und sah sich von mindestens einem halben Dutzend grobschlächtiger, zerzauster Straßenkater umringt, die einen undurchdringlichen Kreis um das Kätzchen und Macavity schlossen. An Flucht war nicht zu denken - noch nicht.

"Fangen wir doch einfach an", begann Macavity und seine Oberlippe kräuselte sich.

"Wie geht es dir denn zuzeit so? Spielst du noch mit bunten, flauschigen Wollknäueln oder jagst oberflächlichen, verweichlichten Hauskatern hinterher?"

Ein Gröhlen aus den Reihen der anderen Straßenkater ertönte. Ein hämisches Lächeln gesellte sich zu den vorhandenen Ausdrücken auf Macavitys Gesicht während er seine Augen in die der jungen Katze vor ihm bohrte.

"Natürlich, ich kenne doch deinen Ehrgeiz, etwas Besseres sein zu wollen als dir zusteht", fuhr er fort und erfreute sich an dem Zorn, der in ihren Blick trat.

"Im Gegensatz zu anderen ehemaligen und gegenwärtigen Straßenkatzen weiß ich wenigstens etwas Sinnvolles mit meiner Zeit anzufangen!", entgegenete Etcetera und fauchte wütend.

"Meine Freunde müssen sich nie darüber beschweren, dass ihnen plötzlich unverhergesehen und auf rätselhafte Weise etwas Wertvolles abhanden gekommen ist!"

"Deine Freunde!" Laut lachte der Straßenkater und wandte sich gehässig an Etcetera. "Glaubst du wirklich, dass du nach allem, was du getan hast, noch wahre Freunde haben kannst?" Macavitys Tonfall veränderte sich, doch das gehässige Lächeln blieb.

"Ich erinnere mich nur an die niedlichen, kleinen, hilflosen Bastarde, die du an die Köter ausgeliefert hast. Oder- ", und jetzt wanderte sein Blick über die schäbige Gassenmauer, " -die zahllosen Fensterscheiben, die du mit deinen Krallen zerstört hast. Oh, und natürlich nicht zu vergessen, die unzähligen Male, die du in fremde Häuser eingestiegen bist um wertvollen Schmuck zu stehlen!" Die Unsichtbare Pfote legte fast vorwurfsvoll den Kopf schräg und seine Augen glühten.

"Aber selbstverständlich weiß der gute alte Munkustrap nichts davon, was für eine hinterlistige, durchtriebene kleine Göre er sich da aus der Gosse in sein Haus geholt hat." Nun trat Macavity ihr allmählich näher, bis Etcetera sogar die feine Narbe erkennen konnte, die das gesamte rechte Ohr des Katzenschurken durchzog. Vermutlich von einer jungen Streunerin, die daraufhin ihr Leben lassen musste ... die junge Katze dachte nicht weiter darüber nach. Das war nun völlig unwichtig!

Denn als Macavity weitersprach, gefror ihr das Blut in den Adern: "Denn ich gehe mal sehr stark davon aus, dass du achso dankbar dafür warst, eine neue Familie- ", er betonte das Wort besonders, " -gefunden zu haben, dass du völlig vergessen hast, ihnen davon zu erzählen!"

Lauernd wartete der Anführer der Scare Strays die Reaktion der jungen Jellicle ab, die nun versuchte, nach hinten auszuweichen, bis sie mit dem Rücken gegen mehrere Komplizen stieß. Lachend schubsten diese das Kätzchen in den Kreis zurück während Macavity verstehend die Augenbrauen hochzog.

"Habe ich nicht recht, Tizi?"

Nun gab es keinen Ausweg mehr; Etcetera war hoffnungslos in einem Dilemma gefangen. Verzweifelt überschlug sie im Kopf ihre Möglichkeiten.

Natürlich hatte Macavity recht. Aus Angst, sie würde wieder verjagt und verstoßen werden, hatte weder Munkustrap noch sonst jemand von ihrer Zeit bei den Scare Strays erfahren, niemandem hatte Etcetera sich anvertraut. Dass die anderen Jellicles dem Kätzchen mit Verständnis begegnet wären, war ihr dabei nie in den Sinn gekommen und Etcetera hatte auch keinerlei Erwartungen daran gestellt; sie alle wussten, wozu die Bande und vor allem ihr Anführer fähig war.

Macavity ließ sich nicht anmerken, dass das Kätzchen ihm allein mit ihrem Schweigen ein gefundenes Fressen geliefert hatte, endlich an die Nachkommenschaft der Jellicles und, noch wichtiger, an sie, heranzukommen.

"Wie auch immer ... ", setzte die Unsichtbare Pfote noch hinzu und bleckte die Zähne, " ... eigentlich ist es egal, ob du vorhattest, noch irgendjemandem davon zu berichten." Seine Augen verengten sich zu Schlitzen und er fuhr blitzschnell die scharfen Krallen ein und sofort wieder aus. Etcetera war wie gelähmt und starrte den hünenhaften Straßenkater aus vor Grauen weit aufgerissenen Augen an.

"Was- ...? Ich ... ich werde niemandem davon erzählen- !", brach es trotzig und verzweifelt aus ihr heraus. Sie konnte nicht verhindern, dass ihre Stimme zitterte während ihre haselnussbraunen Augen wie hypnotisiert an seinen langen Krallen klebten. Doch dann nahm die junge Katze ihren ganzen, noch vorhandenen Mut zusammen.

"Töte mich, dann werden sie es nie erfahren müssen!"

Ob ihr Gegenüber von ihrer Courage überrascht war, würde für Etcetera auf immer ein Rätsel bleiben, denn Macavitys Miene war unergründlich als er antwortete.

"Das wäre überaus schade. Ich wünsche nämlich, dass du deinen kleinen Freundinnen noch etwas erzählst, oder- ", und jetzt zeigte sich wieder ein breites Grinsen in seinem vernarbten Gesicht, " -sagen wir eher, das du mit ihnen einen kleinen Spaziergang machst." Die scharlachroten Augen flackerten vor Begierde und das Kätzchen begriff entsetzt sofort den Hintergrund seiner "Bitte".

"NIEMALS!", schrie sie so laut, dass es von den Gassenmauern rundherum wiederhallte und in ihren Augen funkelte es vor Zorn. Macavity hatte fragend und erstaunt den Kopf schräg gelegt.

"Nein?" Die rotglühenden Augen wurden größer, doch diesmal lächelte oder grinste er nicht.

"Ich verlange doch nichts Unmögliches, nicht wahr?"

Etcetera zitterte am ganzen Körper ohne etwas dagegen tun zu können: "Niemals", wiederholte sie noch einmal leise und knurrte kaum hörbar.

Der Straßenkater musterte sie einige Sekunden lang ausdruckslos, bevor er fortfuhr.

"Dann bist du also tatsächlich so schwach." Resigniert hob Macavity seine linke Pranke und mehrere, kräftige Pfoten packten Etcetera abermals und wie schon vorhin versuchte sie sich sofort verbissen loszureißen - ohne Erfolg. Macavity hingegen sah nun hinauf zum dunklen Himmel, an dem vor lauter Wolken nicht ein Stern zu erkennen war. Einer seiner Handlanger riss an Etceteras Ohren ihren Kopf so stark nach oben, dass sie glaubte, er würde sie der jungen Katze abreißen.

"Die Sterne sind die guten Freunde aller Straßenkatzen. Sie wissen alles und verraten manche Dinge, die uns von größtem Nutzen sein können. In diesem Fall- ", und jetzt wandte er sich wieder der jungen Jellicle zu, " -lassen sie uns auch ganz andere Dinge wissen ... " Der Straßenkater lächelte boshaft.

"Neulich zum Beispiel haben sie mir mehr über Munkustrap und dein zu Hause erzählt - dort, wo, wenn ich auf dem neusten Stand der Dinge bin, auch diese kleine Rotznase inzwischen wohnt, die du immer so rührend behütest." Die roten Augen sprühten beinahe Hohnfunken.

"Kindliche Naivität ist so leicht auszuspielen, von kindlicher Neugier ganz zu schweigen. Was glaubst du würde sie davon halten, mich mal zu besuchen? Würde sich die Kleine freuen, mich zu sehen?"

Etcetera hatte während seiner Rede mehrmals heftig den Kopf geschüttelt und unterdrückte ihre Tränen: "Du bluffst!", stieß sie hervor und riss ihren Kopf so stark hin und her, dass sie sich aus dem Griff des Katers, der ihre Ohren festgehalten hatte, befreite und Macavity voller Wut anstarrte. Dieser zog die Augenbrauen hoch, gab aber ansonsten den Anschein als hätte er die junge Katze nicht gehört.

"Die Sterne lügen nie, Tizi, dass müsstest du aber selbst wissen. Sie belügen mich genauso wenig, wie die kleine Electra es tun wird, wenn ich sie nach den Häusern von euch anderen fragen werde. Du hast doch gelernt, wie überzeugend ich sein kann, wenn ich etwas wissen will!"

Obwohl seine Komplizen sie auf Kommando losließen, blieb Etcetera wie versteinert stehen. Das konnte er nicht machen ... Er blufft!, schoss es ihr durch den Kopf. Doch woher wollte sie das genau wissen? Die Unsichtbare Pfote hatte schon vorher die Fähigkeit zu Dingen bewiesen, von denen alle geglaubt hatten, dass sie unmöglich waren. Und die junge Jellicle zögerte keine Sekunde daran, die Wahrheit zu erkennen; bei der nächsten Gelegenheit würde Macavity ihr Schwesterchen entweder entführen oder fortlocken um aus ihr herauszuquetschen, was er wissen wollte - und Electra würde ihm nicht standhalten, völlig gleich, ob der Katzenschurke sie danach laufen ließ oder einfach umbrachte. Allein der Gedanke daran raubte Etcetera fast den Verstand.

"Ich- bitte ... egal, was mit mir passiert ... haltet Electra da raus, ich- ich werde machen, was du willst, wenn du sie nur in Ruhe lässt!" Die Worte sprudelten nur so aus ihr heraus, ohne, dass die junge Katze in der Lage war, über sie nachzudenken und ein Beben durchfuhr ihren Körper. Da sie den Mund anschließend fest geschlossen hatte, drang kein Laut über ihre Lippen, doch Etcetera spürte, wie ihr das Wasser in die Augen stieg.

Sie würde alles tun, was er wollte. Sie würde all ihre Freundinnen verraten. Sie würde sogar Munkustrap verraten. Alles, um sicherzugehen, dass ihrer Zieh-Schwester nichts zustieß. Macavity unterdrückte ein Lachen und ließ sich ihren letzten Satz genüsslich auf der Zunge zergehen; das hatte er alles schon einmal gehört.

"Ich versichere dir, der Kleinen wird nichts, aber auch gar nichts geschehen - wenn du alle deine Freundinnen und Freunde in der übernächsten Nacht zu einem kleinen Spaziergang durch diese Gassen überreden kannst. Das schaffst du doch, Tizi, da bin ich sicher. Oh - und sieh zu, dass Munkustrap und alle anderen auf Distanz bleiben. Sonst kann ich für nichts mehr garantieren!"

Und noch bevor die junge Jellicle etwas sagen oder tun konnte, gab der Anführer der Scare Strays seiner Gang einen Wink und die Streuner verschwanden im weit verzeigten Gassennetz der Stadt. Wie verloren blieb Etcetera stehen, unfassbar und verzweifelt darüber, wie einfach es für die Unsichtbare Pfote gewesen war, sie derart auszunutzen, sie dazu zu bringen, etwas dermaßen Furchtbares zu tun. Doch auf der anderen Seite - was hätte sie tun sollen?

Die junge Katze schluchzte und sank auf die Knie; ihr Blick verschwamm unter den vielen Tränen, so dass sie einige Augenblicke gar nichts mehr sah. Die sonst so lebhafte und fröhliche Etcetera weinte bitterlich. Sie konnte doch niemandem mehr in die Augen sehen. Einen Moment lang erwog das Kätzchen tatsächlich, noch in dieser Nacht die Stadt zu verlassen und sowohl die Scare Strays als auch die Jellicles, die ohne sie sicher besser dran waren, für immer hinter sich zu lassen. Doch gleich in der nächsten Sekunde sah Etcetera die lachenden und glücklichen Gesichter von Electra, Sillabub, Victoria, Pouncival und allen anderen vor sich und wusste, dass sie sich nirgendwo sonst mehr auf der Welt wohl oder auch nur zu Hause fühlen würde.

Irgendwann erhob sich Etcetera und schleppte sich noch immer weinend nach Hause. Kurz bevor sie die Straße erreichte, in der sich ihr zu Hause befand, rieb sich die junge Katze heftig über die tränennassen Augen, die inzwischen ziemlich schmerzten; bestimmt waren sie völlig gerötet und geschwollen. Als sie sich der Haustür näherte, betete sie inständig, nicht Munkustrap über den Weg laufen und dem besorgten Tom über ihr verweintes Gesicht Rede und Antwort stehen zu müssen. Schnell ließ sich die junge Jellicle eine Lüge einfallen und schob leise die Katzenklappe in der Tür nach innen auf.

Electra lag mit Sicherheit schon in ihrem Korb und schlief sorglos und selig. Etcetera schluckte schwer und spürte einen gewaltigen Kloß in ihrem Hals während sie den Flur durchquerte und in ein großes Zimmer schlich. Im Türrahmen blieb die junge Katze wie angewurzelt stehen als sie sah, dass hinter der letzten, angelehnten Tür noch Licht brannte.

Mist! Munkustrap war also noch wach und hatte sie vermutlich auch schon bemerkt. Etcetera mochte den Tabby-Kater nicht anlügen, doch noch viel weniger mochte sie ihrem Mentor von der Begegnung mit Macavity und ihrem Versprechen erzählen ...

Gerade während die junge Katze darüber nachdachte, öffnete sich die angelehnte Tür mit dem Licht noch einen Spalt breiter und Munkustrap erschien mit einem eigentümlichen Ausdruck im Gesicht.

"Ach, kommst du auch schon, Etcetera?", fragte er etwas schroff mit hochgezogenen Augenbrauen und wandte seine Ohren zu der Standuhr hinter ihm, zum Zeichen, dass er auf das Kätzchen gewartet hatte. Sein Gegenüber ließ schuldbewusst die Ohren leicht sinken und entlockte dem graugetigertem Tom eine äusserst überraschte Miene. "Alles in Ordnung?", fügte Munkustrap noch stirnrunzelnd hinzu und ging einige Schritte auf die junge Jellicle zu.

Na toll: Jetzt war alles zu spät! Etcetera senkte leicht den Kopf um ihm nicht auf Anhieb ihre roten Augen zu zeigen, die sicherlich schon fast so glühen mussten wie die von Macavity, doch Munkustrap war stutzig geworden und starrte sie entsetzt an.

"Was ist denn mit deiner Lippe passiert?" Noch bevor sie sich wehren konnte, hielt der Kater mit beiden Pfoten rechts und links ihr Gesicht fest und fuhr mit dem Daumen vorsichtig über ihre aufgesprungene Lippe. Richtig! Das hatte sie ja total vergessen -

"Ich bin - hingefallen!"

Das war die Schwindelei, die Etcetera sich zurecht gelegt hatte und im Grunde war das gar nicht mal so abwegig. Doch die hellgrünen Augen des Toms schienen keineswegs überzeugt und bohrten sich beinahe in ihre Verweinten hinein, so als wollten sie aus ihnen die Wahrheit lesen. Wenigstens sah es so aus als würde Munkustrap diese über die verwundete Unterlippe der Tabby-Jellicle nicht bemerken. Die junge Katze schluckte abermals leise, gab sich aber ansonsten Mühe, sich nichts anmerken zu lassen: "Es ist nichts schlimmes, ehrlich, das tut nicht mal weh. Ich hatte das schon fast vergessen- "

"Bist du sicher, das du nicht mit irgendeinem Straßenkater zusammengestoßen bist?", fragte Munkustrap mit schräg gelegtem Kopf, allerdings ohne jeden Hintergedanken; hätte er tatsächlich erfahren, wen das Kätzchen wo getroffen hatte, jetzt, wo die Gassen in dieser Gegend ein absolutes Tabu waren, hätte die junge Jellicle neben ihrer aufgeschlagenen Unterlippe noch mindestens eine Ohrfeige riskiert. Etcetera zögerte und antwortete nicht sofort.

"Ich- ich hab noch einiges an Fruchtmilch getrunken, bevor ich nach Hause gegangen bin", log die junge Jellicle und zwang sich, ihm weiter in die Augen zu schauen um sich nicht zu verraten, "und hab auf dem Rückweg durch Tuggers Vorgarten die kleine Treppe versäumt." Das Kätzchen staunte selbst darüber, dass sie dem graugetigerten Tabby, nach allem, was ihr heute Nacht widerfahren war, noch derart abgebrüht dieses Märchen auf die Nase binden konnte.

Das schien den Kater zumindest fürs Erste zu überzeugen. Missbilligend verdrehte Munkustrap die grünen Augen und nahm sich für seinen Schützling vor, dass Etcetera in der nächsten Zeit so schnell keine Party mehr besuchen würde.

"Schön. Ich hole jetzt die Kräutersalbe und danach verschwindest du leise und möglichst ohne Electra zu wecken, in deinen Korb." Und ohne einen weiteren Blick oder ein weiteres Wort ging der gestreifte Tom in Richtung Badezimmer und kehrte mit einer einigermaßen großen, runden Dose zurück. Etcetera verzog das Gesicht; das Zeug schmeckte genauso unangenehm wie es roch als Munkustrap den Deckel abschraubte. Vorsichtig steckte die junge Katze ihre Pfote in die übel, scharf riechende Paste und verteilte einige Ballenspitzen behutsam auf der Wunde. Gleich darauf kniff sie die Augen zusammen, weil die Salbe schmerzhaft brannte wie Feuer.

"Gute Nacht", würgte Etcetera in Richtung des graugetigerten Katers hervor und schlich auf leisesten Samtpfoten in ihr und Electras Schlafzimmer. Die kleine Erhebung unter der bunten Wolldecke in Electras Korb hob und senkte sich sanft und regelmäßig, das Kätzchen befand sich offenbar in der schönsten und tiefsten Traumwelt. Schnell kletterte Etcetera in ihren eigenen Korb und kroch unter die weiche, mit kleinen Troddeln am Rand verziehrte Decke. Doch an Schlaf war nicht zu denken. Die junge Jellicle drückte ihr Gesicht tief in ihre Kissen hinein, während vor ihrem geistigen Auge immer wieder die Gestalt aus ihrem Alptraum wiederkehrte. Doch niemand in diesem Haus, noch nicht einmal Munkustraps gute Ohren, hörte auch nur das kleinste Geräusch, die Nacht blieb undurchdringlich und dunkel als Etcetera still für sich um ihre Freunde und die Zukunft der Jellicle-Katzen weinte.

Die fliegenden Sterne

Als Electra am nächsten Morgen erwachte, stieg eben die Sonne aus der Erde in den Himmel hinauf und das Kätzchen beobachtete von ihrem Korb aus, wie die goldroten Lichtstrahlen ganz allmählich über den Boden bis zu ihrem Fensterbrett krochen. Anschließend wandte sie ihren Kopf wieder der Sonne zu - und erschrak.

"Etcetera!", rief die Kleine entsetzt und stürzte zum Schlafkorb der älteren Schwester hinüber, "Etcetera, das musst du dir ansehen: die Sonne blutet!"

Die junge Jellicle, die erst in der Dämmerung schließlich vor Erschöpfung eingedöst war, wälzte sich unter ihrer Decke im Korb auf die andere Seite, runzelte verständnislos die Stirn und schüttelte den Kopf.

"Freut mich auch, dass du schon wach bist, Electra." Den bissigen Unterton konnte sie sich einfach nicht mehr verkneifen, doch das rötliche Tabby-Kätzchen schien sich nicht daran zu stören. Im Gegenteil, nun gab sich Electra größte Mühe, die junge Katze an der Pfote aus dem Korb zu ziehen.

"Jetzt mach schon, Etcetera, die Sonne ist verletzt!"

Stöhnend gab diese es endlich auf und erhob sich: "Was erzählst du da eigentlich für einen Unsinn? Niemand kann die Sonne verletzen und sie blutet auch nicht!"

"Aber wenn ich es dir doch sage!", beharrte das Kätzchen aufgeregt und zog die missmutige, resignierte Etcetera vor das hohe Fenster. Als sie den blutroten Glutball am Morgenhimmel stehen sah, dachte die junge Jellicle, ihr Herz müsste stehen bleiben, doch sie offenbarte ihre Gedanken nicht vor Electra. Noch mehr Anlass zur Beunruhigung, egal welchen Ausmaßes, wollte Etcetera ihr nicht geben, denn ihre kleine Schwester klebte fast mit den blauen Augen am Fensterglas. "Hoffentlich ist es nicht so schlimm, nicht, dass sie morgen nicht mehr aufsteigt." Mit einem Ausdruck größten Erntes im Gesicht wandte sich das Kätzchen schließlich von der roten Sonne ab und verließ munter das Zimmer.

"Munkustrap weiß bestimmt, warum sie heute so aussieht!"

Etcetera seufzte und wollte ihr gerade folgen als der Anblick der roten Sonne eine grausige Assoziation in ihr hervorrief. Schnell drehte die junge Jellicle ihren Kopf in eine andere Richtung und hastete aus dem Raum.
 

"Nun, ich glaube nicht, dass die Sonne bleibende Schäden davontragen wird." Ernst, trotz seines Schmunzelns, saß Munkustrap den beiden Kätzchen gegenüber und zwinkerte Etcetera zu. Diese bemühte sich um ein schwaches Lächeln, während der graugetigerte Kater sich Electra zuwandte. Sein Tonfall veränderte sich als er weitersprach.

"Allerdings sind wir an solchen Tagen besonders vorsichtig; es könnte sein, dass etwas bis dahin Unvorhergesehenes oder Schlimmes geschieht."

"Wie zum Beispiel, dass Macavity plötzlich auftaucht", entfuhr es Etcetera unwillkürlich leise, doch Electra wandte ihr sofort erschrocken beide Ohren zu. "Macavity?" Die blauen Augen wuchsen vor Angst, doch Etcetera beschwichtigte sie augenblicklich: "Keine Angst, dir wird schon nichts passieren!" Sie sprach mit betont locker klingender Stimme und zwang sich zu einem Grinsen. Schnurrend lehnte Electra sich an ihre ältere Schwester und Etcetera hielt sie mit beiden Armen fest.

Munkustrap nickte mit einem vielsagenden Blick und fuhr fort.

"Es könnte für uns tatsächlich das Zeichen sein, dass Macavity uns bald in irgendeiner Weise Schwierigkeiten bereiten wird." Seine hellgrünen Augen blitzten kurz grimmig, dann wurde ihr Blick wieder warmer und freundlicher als sie das kleine Tabby-Kätzchen fixierten.

"Allerdings könnte es auch bedeuten, dass bald etwas Wertvolles zu Bruch geht, wenn du nachher im Wohnzimmer Ball spielst!" Spielerisch zupfte Munkustrap an deren rötlichen Ohren um ihr die Angst zu nehmen. Das Kätzchen schrie lachend mit sehr hoher Stimme auf und langte mit ihren Pfoten nach seinen. Blitzschnell zog der getigerte Tom sie grinsend weg, bevor das Spiel von Neuem begann.

Etcetera saß lächelnd daneben und vergaß für einen Moment lang all ihre Sorgen. Sie erhob sich schließlich mit der Begründung, Munkustraps richtigen Sohn Shadow besuchen zu wollen. Der junge Tom lebte inzwischen mit Pouncival und dessen Bruder Tumblebrutus in einer Dreier-WG auf der Straße. Nur selten kehrte er ins elterliche Haus zurück und verblieb lieber in der Nähe seiner Mutter Demeter, die allerdings regelmäßig darauf bestand, gemeinsam mit ihm das Haus aufzusuchen. Deshalb kam es öfter vor, dass Munkustrap und Shadow sich auf halber Strecke auf der Straße trafen. Dabei liebte der junge Jellicle seinen Vater über alles, doch Munkustrap hatte schon früh gespürt, dass es seinen Sohn nach draussen in die Freiheit zog. Seiner Meinung nach konnte das nur dem Temperament von Bombalurina, das bei Shadow offensichtlich viel stärker zum Ausdruck kam als bei seiner Partnerin Demeter, zu verdanken sein. Damit brachte er die hübsche, sinnliche Queen oft zum Lachen.

"Wenn das so wäre, müsste das Kätzchen meiner Schwester die Unschuld und Schüchternheit in Person sein." Und obwohl die Straßenkatze noch lachte, wurden ihre Augen danach starr und lachten nicht mehr mit.

Als Shadow und Etcetera sich mehr oder weniger zufällig in den Straßen der Stadt begegneten, umarmten sich die beiden Jellicles erfreut. "Was machst du denn hier?", fragte der junge Tom sofort mit aufmerksam gespitzten Ohren und legte fragend den Kopf schräg; er sah seinem Vater dabei so ungeheuer ähnlich, dass Etcetera leicht mulmig wurde. Dabei war sie sogar noch älter als Shadow!

"Ich wollte dich fragen, ob du Lust hast, mit Electra, Victoria, Sulumi, Sillabub, Cacao und mir morgen Nacht in die Achter-Gasse zu kommen. Oh, und vielleicht fragst du Pounce auch gleich. Cacao würde sich bestimmt freuen, wenn der mitkäme." Diese Sätze verließen ihr Maul wie ein auswendig gelerntes Gedicht. Der junge Kater runzelte skeptisch die Stirn.

"Warum? Und außerdem, hälst du das wirklich für eine gute Idee? Die Achter-Gasse, an der sich acht Wege schneiden, ist verboten, bis Macavity aufgespürt ist!" Argwöhnisch musterte Shadow das Kätzchen, das hastig den Kopf schüttelte: "Ach, Quatsch! Wir wollen doch nicht dort übernachten. Aber woanders geht es nicht!" Aufgeregt gestikulierte sie wild in Richtung des Toms, der noch immer reichlich verwirrt wirkte.

"Aber was willst du denn da?"

Verschwörerisch gelang der jungen Tabby sogar ein Grinsen. "Das wirst du dann schon sehen." Und hoffte innerlich, dass der Sturkopf sich doch endlich überzeugen ließ, indem sie den Kater neugierig machte. Tatsächlich schien ihre Saat nun aufzugehen; Shadow nickte langsam und versprach, Pouncival mitzubringen. "Und du bist sicher, dass du weißt, was du tust, Tizi?" Das war mehr eine Feststellung als eine Frage und trotzdem brachte er Etcetera dazu, auf- und in seine Augen zu schauen.

"Logo weiß ich, was ich tue", meinte sie lächelnd. Als Shadow sich außer Hörweite zum Gehen gewandt hatte, fügte die junge Katze noch murmelnd hinzu: "Ich war mir dessen noch nie so sicher."
 


 

"Wie weit wollen wir denn noch in dieses Netz rein, Tizi? Ganz ehrlich, mir ist nicht wohl dabei."

Victorias Stimme war kaum ein Flüstern, während sich die schneeweiße Queen ständig nervös umwandte, ob jemand sie verfolgte. Etcetera verdrehte genervt die Augen und auch Pouncival und Shadow, die eben zu allen anderen Kätzchen dazugestoßen waren, grinsten. "Mach dir nicht gleich ins Fell, Vici, wir sind doch auch noch da!", gab Pouncival verschmitzt zurück; der junge Jellicle hatte, wie sein Mitbewohner, seine Krallen gezogen und schaute wachsam umher. Victoria warf dem Straßenkater einen sehr bissigen Blick zu und legte eine Pfote um Sulumi.

"Etcetera?", fragte sie erneut um endlich eine Antwort auf ihre Frage zu erhalten. Etcetera wandte den Kopf zu der weißen Katze um und zwinkerte: "Nicht mehr weit. Und wenn wir da sind, werdet ihr alle mit mir darin übereinstimmen, dass der Weg sich gelohnt hat."

Victoria zog zweifelnd die Ohren nach hinten. "Wenn du das sagst ... "

Und so schlich die kleine Gruppe weiter durch das Gassenviertel, wobei die beiden jungen Kater jeweils rechts und links die Kätzchen flankierten. Oft schnupperten die jungen Jellicle-Katzen in die Nachtluft hinein, doch von Macavity und seiner Bande fand niemand eine Spur. Allerdings drehte der Wind oftmals in dieser Nacht, so dass das Trüppchen mehrmals auf Seitengassen ausweichen musste um Straßenhunden, die sie plötzlich witterten, zu entgehen.

Als die Kreuzung der acht Gassen entfernt sichtbar wurde, beschleunigte Etcetera zunehmend ihre Schritte, in der Hoffnung, ihr Plan würde aufgehen. Natürlich hatte die junge Katze ihre Freunde nicht ohne Hintertürchen in diese Falle gelockt; in der Hoffnung, Macavity doch noch überlisten zu können, hatten sie und Electra nicht wie sonst die Eingangstür, sondern das hohe Fenster in ihrem Schlafzimmer benutzt um das Haus zu verlassen. Es stand noch immer offen als Zeichen für Munkustrap, der dann, unabhängig von Macavity, feststellen würde, dass die Kätzchen fort waren. Zusätzlich hatte Etcetera, von Electra unbemerkt, eine eindeutige Botschaft gut sichtbar in den hölzernen Fensterrahmen geritzt. Wenn Munkustrap wie jeden Abend noch einmal bei ihnen vorbeischauen würde, würde es ihm nicht entgehen.

Schließlich konnte die helle Tabby ja nicht den Kater bewusst auf Macavity ansetzen, nur um letztenendes Electras Leben zu gefährden!

Der Wind zauste böhig durch ihr aller Fell und brachte die jungen Jellicles zum Zittern. Sillabub zog wie Sulumi, Cacao und Electra die Schultern hoch und bibberte; es war wirklich ungewöhnlich kalt in dieser Nacht, doch abgesehen von der Kälte war da noch etwas anderes, was ihr Unwohlsein bereitete.

Pouncival und sein Kumpel Shadow schienen es nicht zu bemerken. Etcetera biss sich auf die Unterlippe und trieb sie weiter zur Eile an.

"Los, kommt, sonst ist es zu spät!" Und dann fing sie an zu laufen.

"Heeeey, Tizi, warte doch mal!", rief Electra und stürmte sofort hinter der hellen Tabby her. Sulumi zögerte erst, nahm dann jedoch kurzerhand Victorias Pfote und zog die überraschte Queen hinter sich her. Daraufhin konnte es auch Pouncival sich nicht nehmen lassen, Cacao mit einem breiten Grinsen an der linken Pfote zu packen und den anderen mit ihr im Schlepptau in schnellem Lauf zu folgen. Zurück blieben Shadow und Sillabub; beide warfen sich einen kurzen Blick zu, wandten sich jedoch sofort ab und rannten hinter der Gruppe her.

Als die zwei jungen Katzen sie erreicht hatten, versuchten die anderen bereits, das Dach eines verlassenen Lagerhauses zu erklimmen. Dabei musste Pouncival wieder einmal zeigen, was er konnte: auf dem schmalen Vorsprung des Daches balancierte der junge Tom hin und her und alberte ununterbrochen herum, sehr zur Belustigung von Cacao und Sulumi, rutschte jedoch auf einem losen Ziegel aus, der daraufhin herunterfiel. Gerade noch rechtzeitig gelang es dem Straßenkater, höher auf die Dachschräge zu springen als der herabgefallene Stein unten am Boden zerschellte. Ein wenig erschrocken krallte Pouncival sich an den Ziegeln fest, die unter seinem Gewicht glücklicherweise nicht nachgaben und richtete sich vorsichtig auf. Cacao war im ersten Augenblick vor Schreck zu Eis erstarrt und streckte nun ihre Pfote zu ihm aus. "Danke", nuschelte der junge Jellicle nur und ließ sich hochhelfen. Kaum war er glücklich oben angekommen kuschelte Cacao sich in seine Arme und schnurrte erleichert.

"So, hoffentlich sind alle anderen jetzt auch auf den Gedanken gekommen, sich irgendwo hinzusetzen, wo sie möglichst nicht runterfallen können", meinte Etceteras helle Stimme ungeduldig und ein wenig verärgert. Electra hatte sich an den äußersten Rand der einen Dachseite gesetzt und sich zu ihrer Zieh-Schwester umgedreht: "Warum sind wir denn nun hier?", fragte sie neugierig und starrte zurück über die Dächer der Stadt. Die Aussicht war unleugbar fantastisch, doch das Kätzchen war skeptisch; außer den Lichtscheinen, ausgehend von einigen wenigen Straßenlaternen, konnte sie in der Dunkelheit nicht viel erkennen.

"Du schaust in die falsche Richtung, du Nase!", meinte Etcetera deshalb lachend und zwickte ihr Schwesterchen in die Seite. Schrill quietschte Electra auf und schlug verärgert deren Pfoten weg: "Lass das, ich mag das nicht, das weißt du ganz genau!" Anschließend demonstrierte das Kätzchen eindrucksvoll, wie gut sie darin war, die Beleidigte Leberwurst zu spielen.

Shadow musste kichern; er hatte zwar nur wenig Zeit mit Electra verbracht, da er bald nach ihrer Adoption das Haus verlassen hatte. Trotzdem hatte der junge Tom sie von Anfang an in sein Herz geschlossen. Daher balancierte der Kater vorsichtig über das Dach zu Electra hinüber. Die kleine Jellicle wandte der Gruppe mit verschränkten Armen den Rücken zu und hatte die Ohren pikiert spitz nach oben gedreht.

"Ach, komm schon Electra", meinte Shadow und setzte sich neben sie. Das Tabby-Kätzchen wandte ihm erst ihre Ohren zu, eine Angewohnheit, die sie unter Garantie von Munkustrap übernommen hatte, bevor sie sich ganz zu dem jungen Kater umdrehte: "Aber nur weil du es bist!" Mit diesen Worten lehnte sich Electra an Shadow an und schnurrte zufrieden.

Das war echt typisch! Etcetera bließ missmutig ihre Wangen auf und ließ die Luft lautstark entweichen, dann bemühte sich die junge Katze wieder um die Aufmerksamkeit ihrer Freunde.

"Jetzt kann es nicht mehr lange dauern, bis sie kommen. Richtet eurer Augenmerk auf den Nachthimmel, dann könnt ihr sie sehen!" Erneut klang sie sehr aufgeregt und sah ebenfalls mit leuchtenden Augen zum Himmel hinauf.

"Was ist denn da nun?" Electras Ungeduld übertrug sich allmählich auf die anderen. Sulumi konnte sich ein langes Gähnen nicht verkneifen; sie hatte den ganzen Tag über nicht geschlafen und auch Sillabub wünschte sich langsam in ihren warmen Korb ...

"Also, mir reichts langsam Tizi, entschuldige bitte", meinte Victoria schließlich und streckte ihre langen schlanken Beine, "ich hatte nichts dagegen, mitzukommen, aber wenn das noch allzu lange dauert, möchte ich jetzt geh- "

Weiter kam sie nicht, denn ein lauter Ausruf von Pouncival brachte alle zum Schweigen. Der junge Tom kauerte auf dem äußersten Rand des Daches und wies mit der Pfote begeistert zum Himmel auf etwas, das vor wenigen Augenblicken vor seinen großen, erstaunten Augen dort vorbeigezischt war. "Das habt ihr noch nicht gesehen!" Sofort drehten sich die anderen in seine Richtung und versuchten hektisch den Grund für seine Freude auszumachen, als es erneut geschah: winzige Lichter wie helle Funken flogen blitzschnell an ihnen vorbei, und da waren noch viele, viele mehr! Die Kätzchen konnten sich daran nicht sattsehen und auch Victoria nahm wieder platz und verfolgte faziniert diesen seltsamen Tanz. "Was ist das?", wollte Sulumi wissen und auch Shadow war wie gebannt. Sillabub schüttelte den Kopf.

"Ich hab keine Ahnung." Da sah sie das nächste Licht vorüberziehen und folgte ihm ratlos und gespannt mit den Augen. "Aber sie sehen aus wie- "

"STERNE!", unterbrach Electra sie laut, während sie unentwegt zum Himmel starrte und lachte, "das sind Fliegende Sterne!" Das Kätzchen saß mit dem Rücken zu Victoria, die sich zu Sillabub gewandt hatte und zweifelnd die Ohren zur Seite stellte. Doch der schokoladenbraunen jungen Jellicle war es gleich; derartiges hatte sie noch nie in ihrem Leben gesehen.

Etcetera genoss das Schauspiel solange, bis sie einen Hauch von Macavitys Spur vernahm. Sie hütete sich, jetzt äußerlich nervös zu werden - zumindest nicht, bis die anderen ihn ebenfalls rochen. Das hellgetigerte Kätzchen spannte ihren ganzen Körper an, bereit, die Scare Strays jeden Moment auf den umliegenden Dächern zu entdecken. Schließlich war es so verabredet gewesen.

Doch noch geschah nichts.

Kein Macavity.

Plötzlich spürte sie eine Pfote auf ihrer Schulter und zuckte heftig und erschrocken zusammen. Gerade drehte sich Etcetera wütend um, doch jeder Zorn verrauchte als sie in Electras blaue Augen blickte: "Cool, dass du mit uns heute Nacht hergekommen bist." Noch immer flogen die Sterne über den sonst finsteren Himmel und es schien als würden sie auf die Erde niederregnen. Etcetera wagte es nicht, zu dem Tabby-Kätzchen zurück zuschauen und musste sich abwenden. Aber wenn alles nach Plan lief, würden sie alle mit dem Schrecken davon kommen und niemandem würde etwas geschehen. Vor allem Electra wäre in Sicherheit ...

Die junge Jellicle nickte langsam und leicht beklommen; ihr Gegenüber bekam davon nichts mit und beschäftigte sich wieder mit dem Sternenphänomen am Himmel.

Ein paar Schritte weiter entfernt hockte Cacao auf Pouncivals Schoß und zählte mit ihm die vorbeifliegenden Lichter.

"... 12, 13, 14 - da, schau, da war noch eins!", rief Cacao strahlend und zählte an den Ballenspitzen die Lichter ab. "Nein, 16, mach deine Augen auf!", neckte der junge Streuner grinsend und drückte sie noch mehr an sich. Das hellbraun-gefleckte Kätzchen schnurrte und schaute in seine Augen: "Ich sehe noch zwei mehr, Pounce", sagte das Kätzchen mit leiser Stimme lächelnd und zeichnete mit ihren Pfotenspitzen die braunen Muster um Pouncivals Augen nach; da sein rechtes Auge fast völlig braun war, strich Cacao bis über seine Nase. Der junge Tom schnurrte wohlig und erschauderte beinahe unmerklich. Er grinste.

"Ich habe auch noch zwei gefunden und schon lange bemerkt, dass kein Stern am Himmel heller leuchten kann als sie." Zärtlich biss er seiner Auserwählten ins linke Ohr und genoss den Moment, in dem Cacao scharf die Luft einsog und ihren Kopf heftig an seinem Körper rieb. Jetzt oder nie!-

Doch eben in dem Augenblick als Pouncival den Kopf weiter neigte um Cacao zu küssen, bemerkte er einen Schatten, der genauso schnell wieder verschwand wie er aufgetaucht war. Und als er den Kopf weg von Cacao in eine andere Richtung wandte, nahm er nicht nur mehr ihre zarte Spur, sondern auch andere Fährten wahr - darunter auch die markante des Straßenkaters, den Pouncival jetzt, gerade hier mit Cacao, am allerwenigsten treffen wollte. Sofort drehte der junge Kater sich zu den anderen um. Cacao sah ihn verunsichert an: "Was ist los, Pounce?" Das Kätzchen hatte den Kopf fragend schräg gelegt, bekam aber keine Antwort.

Etcetera spürte im selben Moment als Pouncival den Kopf von Cacao wegdrehte, seine Nervosität und dass er die Katzen bemerkt hatte. Während Sulumi, Victoria, Sillabub und Electra noch wie gebannt zum Himmel schauten, wandte Shadow sich ebenfalls seinem Kumpel zu. "Hey, Pouncival, alles in Milch und Butter?" Argwöhnisch stand er auf als auch er aus den Augenwinkeln die Gestalten erkannte, die ständig um das Haus herum huschten. Wie zu Eis erstarrt beobachtete der junge Jellicle sie einige Sekunden, fassungslos und wohl viel zu spät witterte auch er schließlich die Gefahr, in der sie alle schwebten:

"SIE SIND HIER!"

Sein Schrei, bestehend aus einem entsetztem Fauchen und alarmierendem Kreischen scheuchte blitzartig alle anderen Jellicles auf, deren feine Nasen in dem Duftgemisch der Feinde gefangen schienen. Nun beugte sich auch Sulumi hektisch vor um die Streuner zu erspähen, musste allerdings von Victoria im Nacken wieder zurückgezogen werden um nicht herunter zu fallen. Electra stand die pure Angst im Gesicht, wimmernd drückte sie sich an die anderen Katzen.

"Was wollen die von uns?", rief Cacao angstvoll und wich vom Rand des Daches zurück - keine Sekunde zu früh. Schon tauchte ein großer, dunkler Kopf mit zerrissenen Ohren vor ihr auf und bleckte die Zähne: "Was denn? Bin ich etwa nicht so hübsch wie dein Freund?" Der Kater öffnete sein Maul, entblößte dabei ein äusserst hässliches Gebiss und fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. "Bist recht ansehnlich, genau richtig für- " Weiter kam er nicht, denn Pouncival erschien mit einem Mal in seinem Blickfeld und versetzte dem Streuner einen heftigen Tritt ins Gesicht: "ELENDER MISTKERL!", schrie der junge Tom wutentbrannt, zog Cacao mit einem kräftigen Ruck auf die Beine und packte ihre Pfote. "Bleib bei mir, was auch immer geschieht!"

Das Kätzchen nickte zitternd während der lüsterne Straßenkater sich nun fauchend und knurrend den Dachrand hinaufzog und drehte sich auch zu den anderen um. Shadow rangelte wild mit einem anderen Streuner, der ebenfalls aufs Dach klettern wollte und versuchte immer wieder, ihn herunter zu stoßen.

"Das hat keinen Sinn, Shadow, wir müssen hier verschwinden!" Mit diesen Worten nahm Pouncival mit Cacao Anlauf und beide sprangen mit einem gewaltigen Satz von diesem auf die umliegenden Dächer. Nur Bruchteile von Sekunden später folgten Sillabub, Sulumi, Victoria und Etcetera, während Shadow Electra huckepack nahm, das Kätzchen anwies, sich gut festzuhalten und schließlich selbst sprang. Als die beiden drüben waren, warf Shadow einen Blick zurück auf das Dach und erkannte die hünenhafte Gestalt von Macavity, der seine Bande um sich scharrte und beide Arme in Richtung der Kätzchen ausstreckte.

"Los! Holt sie mir!" Seine dunkle, raue Stimme hallte durch die Nacht und schon setzten sich die Scare Strays in Bewegung. Als Shadow die Meute auf sich zukommen sah, fand er endlich die Kontrolle über seine Beine wieder und jagte mit Electra auf dem Rücken ihren Freunden hinterher. Sulumi und Victoria hatten bereits das Dach über die Regenrinne verlassen, ebenso wie Pouncival und Cacao, die nun Shadow und Etcetera zur Eile antrieben. "Nun mach schon!", rief auch Sillabub panisch; die Kater waren fast bei ihnen.

Bevor Shadow etwas erwidern konnte, hatte sich vor ihm Etcetera die Regenrinne hinutergehangelt und war schon unten. "Beeilt euch", feuerte sie die Freunde an und lief zu Pouncival und Victoria hinüber. "Na los, Electra geht vor!", schrie auch das schokoladenbraune Kätzchen und deutete unmissverständlich nach unten. Der junge Jellicle nickte: "Wir sehen uns unten!", rief er ihr ermutigend zu und schwang sich am klirrenden Blech zum Boden hinab. Direkt danach wollte Sillabub es ihm gleichtun, doch kräftige, schmutzige Pfoten packten das Kätzchen und hielten sie fest. Sillabub begann sofort instinktiv damit, den Kopf heftigst hin- und her zu werfen und mit Armen und Beinen zu schlagen und zu treten. Dabei stieß sie mit weit aufgerissenem Maul einen schrillen, markerschütternden Hilfeschrei aus, den nichts und niemand mehr unterdrücken konnte. Shadow, der noch nicht ganz unten angelangt war, versuchte augenblicklich hektisch wieder herauf zu gelangen. "Sillabub!", rief er verzweifelt und klammerte sich an der Rinne fest, konnte jedoch nicht verhindern, dass er langsam an ihr abrutschte, "NEIIIN! ... "
 


 

"Puh, bei der Ewigen Katze, das war echt knapp!" Mungojerrie schnaufte laut und sank mit dem Rücken an der steinernen Gassenmauer herab. Neben ihm tat Rumpleteazer es ihm gleich und beide stießen fast synchron einen erleichterten Seufzer aus. Zu ihrem großen Glück hatte der dickbauchige Koch, dem das Pärchen einen gewaltigen Broiler quasi direkt vor seiner Knollennase weggeschnappt hatte, die Jagd auf die vorwitzigen Streuner hinter der neunten Gassenbiegung resigniert, aber nichts desto trotz laut schimpfend aufgegeben, und war in seine Küche zurückgekehrt. Nach einer kurzen Atempause, in der beide wieder tief Luft holten, besah Teazer das Grillhähnchen mit Stielaugen: "Mhm, der sieht wirklich hervorragend aus", bemerkte die buntgetigerte Queen und leckte sich hungrig ihr Maul.

Jerry grinste: "Na dann, Lady's First!" Das ließ sich seine Partnerin nicht zweimal sagen, brach sich gekonnt den rechten Flügel ab und biss in das weiche, knusperige Fleisch hinein. "Oah, mhm, der is wirklif fo gut fie er auschieht." Und in windeseile hatte sie den Flügel bis auf den Knochen abgenagt und griff bereits nach dem anderen.

"Hey, lass mir aber auch noch was übrig, ja?" Lachend trennte der Tom gerade eines der Beine ab, damit er von dem Leckerbissen auch noch etwas abbekam als er einen schrillen, hohen Schrei vernahm. Stirnrunzelnd richtete Jerry sich auf und auch Rumpleteazer erhob sich, noch kauend, mit fragend nach vorne gedrehten Ohren: "Was ischt denn da losch?- War das nicht unsere kleine Silla?"

"Auf jeden!" Und schon stürmten die beiden los, ein wenig um den großen, saftigen Broiler trauernd, der einfach in der Gasse liegen blieb. Doch sowohl für Jerry als auch für Teazer war klar, dass der gesamte Klan um die Kätzchen weit mehr Tränen vergießen würde.
 


 

Das Kätzchen oben auf dem Dach kreischte und fauchte inzwischen fürchterlich, doch die Kater unternahmen beinahe nichts um sie zu bändigen oder gar zu schwächen. Sillabub wollte sich im Moment nicht fragen warum - denn etwas anderes war viel merkwürdiger.

"Macavity ist nicht hier, passt auf!" So laut wie möglich rief sie das ihren Freunden zu, lediglich schraubstockartig an den Armen gepackt um sie an der Flucht zu hindern. Shadow hatte es nun aufgegeben und wollte einen anderen Weg hinauf suchen als er die Worte des Kätzchens hörte: "Was meinst du?" Doch die Worte blieben dem jungen Tom im Hals stecken als die grimmigen Gesichter mehrerer Scare Strays über ihm auftauchten und anfingen, laut zu fauchen. Electra, die sich an Shadows Schultern klammerte, zog ängstlich den Kopf ein.



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Kommentare zu dieser Fanfic (2)

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Von:  Julchen-Beilschmidt
2009-02-08T21:10:27+00:00 08.02.2009 22:10
Macavity hab ich nie gemocht und jetzt macht er schon wieder das Jelicle- Fest zunichte?
Der Mistkater!
Von:  Julchen-Beilschmidt
2009-02-08T20:57:41+00:00 08.02.2009 21:57
Wow... ich finde es ein sehr interessantes Fanfic.
Ich hab zwas noch nie Cats gesehen, doch die englische Version auf DVD gesehen.

*favo*
bisses _-Lilium-_


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