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Hasentage: Outtake 3 und 4

von

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Lukas und Isa - Oktober

Lukas und Isa
 

Der Wind pfiff Lukas scharf ins Gesicht. Er radelte durch die Straßen vom Friedhof zurück nach Haus. Wie so oft war er am Nachmittag noch rausgefahren und hatte seinen Vater besucht. Mit ihm konnte er einfach reden, der hörte ihm zu. Und Lukas wusste, wenn es ihm nicht reichte einfach nur zu reden dann antwortete sein Papa ihm auch. Da konnten die anderen ihm noch so viel er klären, dass Tote nicht reden. Es dämmerte schon leicht und ihm fröstelte. Lukas trat in die Pedale und sauste die Straßen entlang. Dem knallgebe Wagen, der ihm in einer Kurve gefährlich nahe kam, schenkte er keine Beachtung, dafür aber um so mehr dem Laub, das nass und rutschig unter seinen Reifen auf dem Bürgersteig überall herumlag. Die Toreinfahrt war offen und aus der guten Stube schien das Licht bis in den Garten hinein. Lukas wunderte sich ein wenig, seine Mutter war die letzten Monate Nachmittags immer weg gewesen und oft auch nach dem Abendessen wieder verschwunden. Doch er freute sich darauf, dass sie mal wieder einen Abend zusammen verbringen konnten. Brav wie er war brachte er sein Rad in die Garage, nestelte den Schlüssel unter Pulli und T-Shirt hervor und fegte dann durch die Tür.

Erst vor dem gedeckten Esstisch viel sein Blick auf die Uhr, 20:35 Uhr. 'Scheiße, das gibt Ärger…' dachte er sich, als er auch das leicht angespannte Gesicht seiner Mutter sah. Doch seine Mutter sagte nicht. Sie schickte ihn Händewaschen und tat ihnen beiden das Abendessen auf die Teller. Gulaschsuppe. Nicht wirklich Lukas Lieblingsessen, aber doch essbar. Ein, zwei mal nahm Lukas Anlauf ein bisschen was vom heutigen Nachmittag zu erzählen, doch entmutigt durch die ständigen Ermahnungen dass man mit vollem Mund nicht aß und er de Teller ranziehen und mit dem Brötchen nicht so krümeln solle gab er bald auf. Es wurde ein Abendessen wie die meisten seit sein Vater tot war und Lukas konnte ihn dann doch gar nicht schnell genug hinter sich bringen um aus der unterkühlten Atmosphäre des Wohnzimmers zu flüchten.
 

Beim allabendlichen Gute-Nacht-Wünschen hielt ihn seine Mutter dann doch noch auf. „Ach noch was, Lukas. Ich hab mittlerweile jemanden kennengelernt. Er wird morgen hier einziehen und seine Tochter wird das neue Gästezimmer bekommen. Vertragt euch bitte, ja?“

Wammm! Wie vom Zug überrollt blieb Lukas auf dem Flur vor seinem Zimmer stehen, auch als seine Mutter schon lange wieder ihm Wohnzimmer verschwunden war. Bewegen können hätte er sich nicht, und auch keinen einzigen Schritt tun. Woher sollte er denn wissen, dass da wirklich auch Boden unter seinen Füßen sein würde, da blieb er doch lieber stehen.
 

Das Nächste woran Lukas sich wieder erinnerte war, dass er frierend und nur mit Schafanzug und Turnschuhen auf dem Friedhof saß und die Kälte vom Grabstein seinen Arsch hinauf kroch. Der bleiche Mond schien hoch über ihm und war verschleiert vor lauter Tränen. Tausend und kein Gedanke raste durch seinen Kopf, als er durch die nächtlichen Straßen zurückging. Einzig das Gefühl verraten worden zu sein war klar und eindeutig. Und er vermisste seinen Vater so sehr!

An der Haustür griff er automatisch unter die Kleidung an seine Brust und tatsächlich, er hatte es geschafft sich seinen Schlüssel umzuhängen. Wieder schossen ihm die Tränen aus den Augen, weil er sich daran erinnerte, wie sein Vater ihm schon von früh an diesen Schlüssel am Bindfaden immer und immer wieder um den Hals gehangen hatte. Bei jeden noch so kleinen Spaziergang. 'Gehe niemals, hörst du Lukas, niemals ohne diesen Schlüssel aus dem Haus. Dann kommst du immer wieder nach Hause.' Hörte er die Worte wieder in seinen Ohren.

Lukas schlich durchs dunkle Haus in sein Zimmer. Die Heizung ganz groß gestellt verkroch er sich unter seine Decke und hasst zum wiederholten Mal seine Mutter, dass sie ihm an seinem siebten Geburtstag seinen Teddy weggenommen hatte. War doch egal dass er ein Schulkind war und nur Kindergartenkinder ein Stofftier brauchten. In seinem Zimmer unter der Bettdecke sah das doch keiner. Doch auch sein Vater hatte ihn damals nicht wider herbeizaubern können.
 

Vor Kälte und Heulen erschöpft schlief Lukas dann doch recht bald ein und erst das Klopfen an seiner Tür weckte ihn. „Aufstehen Lukas!“ Es war der Hunger, der Lukas schlussendlich dazu veranlasste, dem Befehl Folge zu leisten. Zu seinem Glück hatte er das T-Shirt vom Vortag auf die Schnelle nicht finden können und sich ein frisches aus dem Schrank geholt, so traf ihn lediglich der kritische Blick seiner Mutter und die Kommentare blieben aus.

Wohin der Rest des Vormittags verschwunden war konnte Lukas nicht sagen, denn auf einmal schellte es an der Türe. Der Besuch kam. Nein, nicht Besuch korrigierte sich Lukas, die würden jetzt für immer bleiben. Mit versteinerter Miene folgte er dem strengen Blick seiner Mutter und trat neben sie an die Haustür. Der knallgebe Kombi der in ihre Einfahrt stand kam ihm wage vertraut vor. Lukas erinnerte sich, ihn des Öfteren in den Straßen hatte parken gesehen, wenn er Nachmittags nach Hause gekommen war. Ein Mann wie es tausende gab kam auf sie zu, beachtete ihn kaum und nahm seine Mutter auch gleich in den Arm.

Den Wortwechsel an Schnulzigkeiten überhörte Lukas, seine Aufmerksamkeit galt dem Mädchen, das eindeutig in ein Sonntagskleid gestopft neben dem Auto stehen geblieben war. Ihrer beiden Blicke kreuzen sich, der von Lukas war hasserfüllt und der des Mädchens zeigte, dass sie am liebsten im Boden versinken würde.

Doch die Erwachsenen durchbrachen den Moment und riefen die Kinder ins Haus. Die Kurzführung durchs Haus geschah wohl nur anstaltshalber und war anscheinend für dass Mädchen gedacht. Lukas merkte sofort, dass der Mann sich hier eindeutig auskannte und es gefiel ihm überhaupt nicht. Die Runde endete im Wohnzimmer wo Lukas neben das Mädchen auf die Couch gesetzt wurde. Der Mann setzte sich ihnen gegenüber auf einen Sessel und seine Mutter blieb sehen, wie so oft.

„Isabelle, Lukas. Wir, eure Eltern, leben ab jetzt zusammen. Und das heißt für euch, dass ihr ab sofort Geschwister seid.“ „Wir möchten dass ihr euch vertragt und uns keinen Streit oder Kummer macht, habt ihr verstanden?“

Eingeschüchtert ob der strengen Worte konnten die beiden nur mit den Köpfen nicken. Dann wurden sie auch schon alleine gelassen, das frischgebackene Pärchen wollte in den Möbelmarkt und ihr Schlafzimmer neu einrichten. „In den Taschen und Kisten sind Isabelles Sachen, räumt die doch schon mal ins ehemalige Gästezimmer!“ wurden ihnen einige Taschen und Kartons in den Flur geräumt. Doch die Kinder blieben noch eine Weile sitzen, wie Statuen, fassungslos.
 

Es war Isabelle, die das Schweigen brach. „Kann ich hier irgendwo aufs Klo gehen?“ fragte sie flüsternd. Mechanisch beschrieb Lukas ihr den Weg zum Gästeklo. Dann stand auch er auf und öffnete die Tür in den Garten. Nein, er würde jetzt nicht weinen! Nicht vor seiner Mutter und erst recht nicht vor diesen Fremden! Lukas wischte sich über die trockenen Augen und presste seine Kiefer fest aufeinander.

Mit einem Blick, als würde er gleich auf irgendetwas einschlagen wollen trat er auf den Flur. Dort saß das fremde Mädchen auf einem der Kartons und sah schüchtern zu ihm auf. „Treppe rauf, hinten am Ende. Ich weiß ja nicht wie's bei euch zugeht, aber ich krieg ein gehöriges Donnerwetter, wenn der Krempel noch hier ist, wenn die zurückkommen, also pack an!“ Er griff sich wahllos eine Tasche und stapfte die Treppe hinauf. Hinter sich hörte Lukas, wie das Mädchen sich erhob und ihm hinterher kam.

Schweigend brachten sie zuerst die kleineren Sachen hinauf, wobei jeder versuchte, dem anderen möglichst nicht zu nahe zu kommen. Bei den Kartons mussten sie dann aber doch zusammen anpacken. Was ein Erwachsener locker tragen kann ist für ein Kind halt eben doch viel zu schwer. Eigentlich ja auch für zwei Kinder, doch keiner der beiden gab sich vor dem anderen die Blöße. Schlimmer noch, dann hätte man ja Mama, beziehungsweise Papa erklären müssen warum die Sachen noch unten standen und unabhängig voneinander war ihnen beiden klar, das das Elternstück des anderen das bestimmt genauso wenig interessiert hätte wie das Eigene.

Kaum war alles abgestellt macht Lukas auf dem Absatz kehrt und verzog sich in sein Zimmer. Fehlte noch, dass er diesem Etwas auch noch beim Einräumen helfen sollte. Das sollte die Mal ruhig alleine machen! Lukas schmiss sich auf sein Bett und unbemerkt rollte eine Träne seine Wange hinunter. Er sah aus dem Fenster. Die Bäume leuchteten strahlend bunt wie lange nicht und eigentlich hätte es ein wunderschöner Herbst werden können....
 

Erstaunlich schnell regelte sich ein neuer Tagesablauf in der neuen Familie ein. Seine Mutter scheuchte alle des Morgens aus dem Bett, und während eines Morgentoasts las Isabelles Vater die Zeitung und die Kinder machten sich ihre Schulbrote zurecht. Aus dem Haus gingen sie gemeinsam, doch dann trennten sich die Wege der Kinder. Lukas düste auf seinem Fahrrad zu Schule und kümmerte sich nicht mehr um Isabelle. Auf dem Heimweg überholte er sie oft, tat aber so als sähe er sie nicht.

Auf ein gemeinsames Mittagessen bestanden sonderbarer Weise beide Erwachsenen. Wenngleich es keine Zeit am Tag gab, zu der mehr geschwiegen wurde als da. Doch das war nur die ersten paar Tage so, dann riss dass Mädchen die Konversation an sich. Naja, man sollte besser sagen, sie erzählte einfach so vor sich in. Eigentlich total unwichtiges und uninteressantes Zeug , wer will schon wissen wie sich die Farbe der Blätter über die Tage hinweg veränderte oder wo welche Pfützen auf dem Gehsteig waren, aber es war immer noch besser als die Stille der vorangegangenen Tage. Desinteressiert hörte Lukas also zwangsläufig zu und nach ein paar Tagen sah er dann doch mal verwundert auf. Das hatte er doch gestern schon mal gehört und davor bestimmt auch schon mal. Verwundert schaute er auf und musterte die Fremde am Küchentisch zum ersten Mal genauer. Irgendwie schien die wohl auch überhaupt nicht einverstanden mit der Situation und konnte die Stille anscheinend noch weniger ertragen wie er.

Ein ganz leichtes unmerkliches Grinsen huschte einen Moment über sein Gesicht. Dann warf er einen prüfenden Blick auf ihre Eltern. Gedanklich merkte er sich den heutigen Tag und nahm vor die Mittage weiter zu beobachten. Wann würde wohl die anderen beiden bemerken, dass Isabelle sich eigentlich ständig nur wiederholte?
 

Ein wenig fasziniert ihn, wie man bloß so viel plappern konnte, ohne wirklich was zu sagen. Doch je mehr er zuhörte, desto mehr bekam er mit, das Isabell eigentlich nur zwei Themen anschnitt. Das eine war typischer Small-Talk, meist über das Wetter. Doch das andere war Ballett. Sie machte das wohl schon seit dem Kindergarten und trainierte immer noch zwei Mal in der Woche. Und das obwohl das jetzt am anderen Ende der Stadt war. Und sie hatten am ersten Advent ihre alljährliche Weihnachtsaufführung wo sie eine der Hauptrollen tanzte! Sie musste wohl ziemlich gut sein.

Lukas fragte sich, wie sie das wohl hingekommen sollte, Wochenends fuhren von hier keine Busse und Isabelle Vater machte keine Anstalten irgendwie zu verstehen zu geben, dass er davon mitbekommen hätte, geschweige denn, dass er sie bringen oder abholen wollte.

Doch mehr Gedanken machte Lukas sich nicht. Was gingen ihn die beiden an, die einfach so in sein Leben und in das Haus seines Vaters eingedrungen waren. Das einzig Positive war, dass seine Mutter ihn nicht mehr so hinterher kontrollierte wie zu den Zeiten, seit sein Vater tot war. Und das nutzte er redlich aus. Zu den 'offiziellen Familienzeiten' zeigte er sich als anwesend, die Schulstunden saß er brav ab, doch den Rest des Tages stromerte er draußen rum, bloß weit weg von allem. Oft war er auf dem Friedhof, bei seinem Vater, da hatte er in der alten Eiche in der Nähe des Grabes eine breite Astgabel gefunden, die auch beim stärksten Regen noch trocken blieb. Und der Küster sah eh nicht, was oberhalb seines Kopfes war, also konnte der ihn auch nicht wegscheuchen.
 

Fortsetzung im November…



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