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Emo(tions)gesteuert

Und am Ende bleibt immer die Frage: Warum?
von

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Auf den ersten Blick

Als es zur 5-Minuten-Pause klingelte, wurde ich regelrecht bestürmt.

Kaum dass der Lehrer das Wort „Pause“, welches in der Tat das erste Deutsche in seinem Unterricht war, ausgesprochen hatte, fand ich mich von einer Mädchentraube umringt und mit Fragen bombardiert.
 

Ich verstand kein Wort.
 

Und demnach musste ich etwas hilflos dreingeblickt haben, denn ein Mädchen mit definitiv nicht natürlichen Haarfarben und einer verrückten Frisur drängte sich zu meinem Tisch durch und brachte ihre Mitschülerinnen zum Schweigen.

„Jetzt aber mal langsam, so wird das nichts.“

Freundlich lächelnd drehte sie sich zu mir um.

„Also. Wer bist du und wo kommst du her?“

Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass sie langsamer und deutlicher redete als die anderen Mädchen eben, aber das konnte auch Einbildung sein.
 

Ich räusperte mich und versuchte eine Antwort.

Dabei machte ich den Fehler, in ihre tiefbraunen Augen zu blicken. Sofort lief ich knatsch rot an und senkte den Blick, um intensiv meine Füße unter dem Pult zu inspizieren. Antworten musste ich trotzdem. Und ohne Blickkontakt schaffte ich es auch, meine Stimmbänder dazu zu bringen, einen Ton von sich zu geben.

„I-ich bin Lio… und ich komme aus Miami, wir sind in den Sommerferien umgezogen…“

Sofort hörte man das ein oder andere Mädchen quietschen oder mit seiner Nachbarin zu tuscheln anfangen hören.

Die Bunthaarige, die inzwischen auf meinem Tisch saß, lachte.

„Ein Ami, was? Na, dann pass auf, dass dir die Nachhilfe-Anfragen nicht über den Kopf wachsen!“
 

Verwirrt sah ich sie an, aber sie kam nicht mehr dazu, mir zu antworten, denn in dem Moment betrat erneut der spießige Pauker den Raum und scheuchte mit einem süffisanten „Time is up, ladies“ alle wieder auf ihre Plätze.
 

Zu behaupten, dass ich von der folgenden Unterrichtsstunde viel mitbekam, wäre eine glatte Lüge gewesen. Im Gegenteil, es kam zu einem extrem peinlichen Zwischenfall.

Ich saß friedlich und gedanklich auf der anderen Seite des atlantischen Ozeans auf meinem Platz und starrte aus dem Fenster, intensiv mit dem Gedanken beschäftigt, zu welcher Tages- beziehungsweise Nachtzeit ich Griff am besten anrufen könnte, ohne ihn allzu sehr zu stören.

Aber meiner sehr offenherzigen Mimik war wohl anzusehen, dass ich nicht so ganz bei der Sache war, und das auch noch am ersten Tag. Jedenfalls ragte plötzlich vor mir ein hoher, dunkler Turm in Gestalt meines Lehrers auf.

„You should be listening carefully if you want to get good marks”, war sein einziger, strenger Kommentar.

Und ich tat das Dümmste was ich machen konnte. Statt brav zu nicken und den Mund geschlossen zu halten, gab ich ihm eine Antwort, die nicht das Produkt eines wohlüberdachten Gedankengangs sein konnte.

„Sorry, Sir, but I don’t think you can teach me anything ‘bout my mother tongue.”
 

Dieser Satz war mein Ende, jedenfalls was diesen Lehrer betraf. Ich sah es genau in seinem Blick, dass ich jetzt als ‚Feind‘ eingestuft wurde. Meine Mitschüler mochten ja denken, dass ich der obercoole Ami war, aber im wirklichen Leben war ich nun mal eigentlich alles andere als cool, weshalb mir unter dem Deathglare meines Englischlehrers auch der Angstschweiß ausbrach und ich mich auf meinem Platz noch kleiner machte, als ich ohnehin schon war.
 

Diesmal war ich für das Pausenklingeln aus tiefster Seele dankbar, normalerweise hatte ich nichts gegen Schule, klar konnte man seine Zeit auch sinnvoller verbringen, aber es gab auch schlechtere Optionen.

Aber dieser Lehrer machte mir einfach Angst, und so war ich schrecklich froh, flüchten zu können.
 

An der Tür wartete das bunthaarige Mädchen auf mich. Sie grinste mich freundlich an und nickte einladend mit dem Kopf den Schulflur hinunter.

„Komm mit, ich zeig dir, wie’s hier so läuft!“

Sie wandte sich um und lief einfach los, und ich folgte ihr. Was hätte ich auch sonst tun sollen? Ein so nettes Angebot ablehnen, nur weil sie eine seltsame Frisur mit dem fransigen Pony und den bunten Dreads am Hinterkopf hatte und ihre Klamotten ein wenig schräg waren?

Sicherlich nicht. Meine Mum hatte mir nicht umsonst von Kindesbeinen an Toleranz als höchste Tugend eingeimpft. Also folgte ich ihr.

Irgendwie hatte ich erwartet, dass es hier so war wie zu Hause an der High School, und man sich seinen Weg durch die Flure mühsam erkämpfen musste. Aber entweder bekam ich jetzt doch endlich etwas von der deutschen Höflichkeit zu spüren, und hier verteilte man sich einfach dicht an den Wänden und ließ die Mitte für sich bewegende Personen frei, oder das Mädchen vor mir teilte die Massen wie Moses das Meer. Solche Leute hatte es zu Hause auch gegeben. Cheerleader. Oder das Footballteam. Konnte ja hier ähnlich sein, oder nicht? Wo Menschen waren, gab es eine Hierarchie, und auch deutsche Gymnasien hatten mit hundertprozentiger Sicherheit ihre Schulstars. Nur hatte ich zu Hause nie etwas mit Menschen dieses Schlages zu tun gehabt, weil sie meistens dem seltsamen Phänomen entsprachen, einfach… gaga zu sein, wie Queen es vor ungezählten Jahren so schön ausgedrückt hatten.

Die Bunthaarige drehte just in dem Moment, in dem ich in Gedanken an die Rocklegenden grinste, den Kopf und sah mich über die Schulter an, lächelte, wohl zufrieden damit, dass ich ihr nachlief, und öffnete den Mund.

„Ich bin übrigens Roka.“

Kurz blinzelte ich verwirrt, denn das klang irgendwie so gar nicht so, wie ich mir einen deutschen Vornamen vorstellte, so gar nicht nach Karl und Hans und Gisela und Petra, ihr wisst schon, was ich meine, oder?

Aber dann lächelte ich.

„Lio.“

Warum sollte man sich nicht auch hier mit Spitznamen ansprechen? War doch wohl überall auf der Welt unter den Nicht-Erwachsenen Gang und Gäbe.

„Ich weiß. Hast du vorhin schon gesagt.“
 

Sie führte mich auf den Schulhof im Zentrum der Gebäude.

„Also, da sind die Naturwissenschaften, Chemie ganz oben und Biologie ganz unten, Physik in der Mitte. Das da drüben“ – sie zeigte auf den größten Gebäudetrakt – „sind die ganzen Klassenräume, da rennt man den meisten Kindern über den Weg. Unsereins hat da Sprachen und Mathe und so was. Und der Rest, also Erdkunde und Geschichte und Philosophie und so weiter, hat da drüben seine Fachräume.“

Ich nickte nur.

„Wenn du jemals Fragen hast, frag mich oder sonst irgendwen, ist kein Ding.“

Sie strahlte mich an.

„So, und jetzt zeige ich dir das, was wirklich wichtig ist.“

Sie packte meine Hand, um mich nicht zu verlieren, und zog mich durch die Schülermassen.

„Pass auf, halt dich von der Treppe fern, da hängen die Hopper und Ghettokinder rum, und die können so ein süßes Kerlchen wie dich gar nicht gern leiden. Die Cafeteria gehört der Partei ‚Reich und aufgeblasen‘, also bleibst du da auch besser nicht länger als nötig. Die Bibliothek ist ganz nett, wenn du was arbeiten willst, denn die ‚freundliche‘ Dame vom Tresen setzt das Lärmverbot resolut durch. Im Endeffekt auch nicht wirklich prickelnd.“

Der Informationsschwall erschlug mich zwar, aber überraschenderweise verstand ich doch, was sie mir sagen wollte, was mich ehrlich gesagt selbst erstaunte. So gute Deutschkenntnisse hatte ich mir dann doch nicht zugetraut.

Aber ich überspielte meine Unsicherheit mit einem Lächeln und nickte brav, um zu zeigen, dass ich verstanden hatte.

„Deshalb bring ich dich jetzt zu ein paar Leuten, die besser zu dir passen.“

Ein breites Grinsen begleitete ihre Worte, und wir durchquerten ein weiteres Gebäude, was uns auf einen größeren Hof brachte. Zielsicher steuerte Roka eine Baumgruppe an, unter der sich ein paar Bänke befanden, die ein U formten, ein Ort, wie geschaffen für eine eingeschworene Gemeinschaft, die sich selbst genügte und keine Fremden brauchte.

Auf diesen Bänken nun hingen ein gutes Dutzend Gestalten herum, die mein Herz gleich ein bisschen höher schlagen ließen. Denn ich erblickte, wohin ich auch sah, gefärbtes Haar – meistens schwarz, manchmal blond, hier und da bunte Extensions – mit dem unverkennbaren Seitenscheitel und schräg geschnittenem Pony, Chucks und Vans, die unter Röhrenjeans hervor lugten, und aus einem lose um den Nacken getragenen Kopfhörerpaar ließ sich ein Song von „Funeral Diner“ erahnen.

Emos.

Gleichgesinnte.

Das zaghafte, leicht schüchterne Lächeln um meine Mundwinkel vertiefte sich automatisch.
 

Roka unterdessen zog mich gnadenlos mitten in die Gruppe hinein, die sie lautstark begrüßte, sobald sie uns bemerkt hatten, und Küsschen folgten, sobald sie in Reichweite war.

Ich blieb am Rand stehen, unsicher, wie ich mich verhalten sollte. Einfach irgendwo dazusetzen? Warten? Wieder gehen?

Da war die obligatorische Massenknutscherei aber auch schon vorüber, und die Bunthaarige kehrte an meine Seite zurück und legte mir einen Arm um die Schultern. Ich spürte sofort, wie ich leicht rot um die Nase wurde. Klar, es war normal, dass man sich berührte und berührt wurde, aber trotzdem, wir kannten uns doch noch gar nicht…

„Leute, mein Englischkurs hat heute Morgen nen Neuzugang gekriegt, und ich dachte mir, ihr findet ihn vielleicht genauso niedlich wie ich…“

Sie grinste in die Runde, bevor sie bei mir hängen blieb und mir einen leichten Schubs nach vorne gab.

„Na los, nicht so schüchtern! Hier beißt keiner! Na ja, jedenfalls nicht feste…“

Ich wurde natürlich sofort wieder feuerrot.

Da stand ich also, mit einer weithin leuchtenden Glühbirne, wackligen Knien und einer trockenen Kehle vor elf fremden Gesichtern, die mich teilweise neugierig, teils abwartend anstarrten und musterten.

Ich räusperte mich und suchte mein Heil in der Flucht meines Blicks Richtung Boden. Ich konnte einfach nicht reden, wenn mir jemand in die Augen sah!

„Hi, ich bin Lio… wir sind vor zwei Wochen von Miami hier her gezogen…“

Schüchtern hob ich den Blick und wurde von vielen freundlich lächelnden Gesichtern in Empfang genommen. Roka ließ sich auf eine der Bänke fallen und zog mich neben sich, man rutschte bereitwillig zusammen und machte uns Platz.

Ein etwas rundlicheres Mädchen neben mir griff nach meiner Hand und drückte sie kurz. Der schwarze Pony war mit einer bunten Spange zurückgeklammert und zwei warme grüne Augen blinzelten mich an.

„Hi, ich bin Marcy.“

Und damit begann sie, mir die restlichen Leute vorzustellen.

Eine Viertelstunde später, in der ich mehr Namen und die dazugehörigen Gesichter, Hobbys und Eigenheiten kennen gelernt hatte, als ich mir auf einmal merken konnte, wandte Marcy sich schließlich einem schweigsamen, recht unauffälligen Typen mit fast weiß gebleichten Haaren zu, der bis jetzt noch keinen Ton von sich gegeben hatte.

Meine Augen suchten Roka, die irgendwann von meiner Seite verschwunden war, und fanden sie an einen der Bäume gelehnt, ein viel kleineres und offensichtlich jüngeres Ding mit feinen, blonden Haaren, in denen sich ein paar rosa und blaue Extensions fanden und das aufgrund der Tatsache, dass es in dem babyblauen Kapuzenwollpulli nahezu ertrank, unglaublich dünn sein musste, im Arm. Die Kleine schmiegte sich an Rokas flache Brust, als würde sie dort Schutz suchen, und krallte die unlackierten Fingernägel in das schwarze Oberteil, während Roka ihr anscheinend beruhigende Worte ins Ohr murmelte und ihr immer wieder kleine Küsse auf Wange und Stirn hauchte, während sie ihr über die Haare strich.

Ich sah rasch weg, denn ich hatte das dumpfe Gefühl, dass mich das, was sich dort am Baumstamm abspielte, nichts anging.
 

Und dann sah ich ihn.

Er lehnte am nächsten Baum, eine Zigarette zwischen den Fingern, die andere Hand lässig in der Tasche der weit geschnittenen Tarnfarbenhose vergraben, die aber auf Hüfte saß und zusammen mit dem figurbetont sitzenden, simplen schwarzen T-Shirt ab und zu einen winzigen Streifen Bauch offenbarte, wenn er sich bewegte, und unterhielt sich mit einem Kerl mit dunkelgrünen Haaren.

Seine perfekt geschwungenen Lippen verzogen sich zu einem unglaublich anziehenden Lächeln, als sein Gesprächspartner irgendeinen Witz riss, und schlossen sich so sinnlich um die Zigarette, die zwischen den schwarz lackierten Fingernägeln klemmte, dass sich mir die Frage aufdrängte, wie es wohl wäre, von ihm geküsst zu werden. Er musste ein guter Küsser sein…

Der schwarze, nicht zu dick aufgetragene Eyeliner betonte seine schönen, smaragdgrün glühenden Augen, der leicht glänzende Lidschatten war farblich perfekt auf die kastanienbraunen Strähnen im dunkleren, tadellos gestylten Haar abgestimmt, das den Wunsch in mir weckte, es zu berühren. Nur einmal von ihm beachtet werden…

Er hob den Blick, und begegnete meinem.

Ich versank in den intensivgrünen Tiefen seiner Iriden, und all meine Probleme schienen sich in Luft aufzulösen. Mein Bauch kribbelte sacht, ich fühlte mich unglaublich leicht, fast schon schwerelos.

„Kilian? Kommst du?“

Er sah weg, zerriss das schmale Band zwischen unseren Augen, und nickte.

„Kilian…“, wisperte ich leise, als er ging.
 

Roka griff nach meinem Handgelenk.

„Auf geht’s, Sportsfreund, wir haben Geschichte!“

Ich nickte leicht abwesend, und ließ mich – den Kopf in den Wolken – von ihr mitziehen.

Kilian…
 


 

~~~

Ich fürchte, ich kann die Deadline nicht einhalten... Ich hab nur noch knapp nen Monat >.< Und noch so viel zu tun! Vielleicht sollte ich die Story zweiteilen, dann könnte ich es unter Umständen noch schaffen. Aber dann hat die hier definitiv kein Happy End o.o
 

Und das Phänomen der Verselbstständigung hat auch wieder zugeschlagen. Eigentlich sollte Roka keine so große Rolle kriegen... und jetzt hab ich auch für sie schon ihre ganz eigene Geschichte im Kopf... vielleicht wird das die Fortsetzung XP



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  -Cally-
2009-09-04T12:19:21+00:00 04.09.2009 14:19
SWEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEEET ♥.♥
supi kapitel!
Hm Kilian mag ich nicht so sehr ..
aber iwie ist er shcon geil xD
ok ..ich hab stimmungsschwankungen xDDD

*knuddel* bg

glg *Already_Dead
Von:  Saki-hime
2009-04-15T22:01:54+00:00 16.04.2009 00:01
AHHH verdammt! Ich habs Kommi vergessen! >o<
Tolliges Kapi =DDD
und naya was soll ich sagen? =D
...Kilian...! xD
mach schnell weiter! x3

Saki-hime *flausch*

Ps: bei Lio fühl ich mich auch immer angesprochen! xD *das auch als spitznamne hat*


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