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Taste Of Confusion [Outtakes]

Kleine Szenen aus der TOC-Reihe
von

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Outtake IIIb - Verloren (TOC III, Jonas)

Ich konnte das letzte Kapitel einfach nicht so stehen lassen, wie es war. Ich musste einfach noch den nächsten Tag schreiben. Dieses Mal Jojos Perspektive, einfach weil's besser passt, weil ich ihn schon lange nicht mehr geschrieben habe und weil ich ihn so sehr liebe - auch wenn ich hier mal wieder extrem grausam zu ihm bin.

;___;
 

Taschentuchwarnung an alle, nur zur Sicherheit! Streckenweise könnte es zu vereinzelten Heulflashs kommen. Ihr seid gewarnt!
 

Das Kapitel ist ungebetat, also falls ihr Fehler findet, immer her mit den Infos, damit ich sie später ausmerzen kann.
 

Für Aschra. Ich weiß, Du wirst mich für dieses Kapitel noch viel mehr hassen als für das letzte, aber es ist trotzdem für Dich. Meine Entschädigung dafür, dass Du so lange warten musstest, obwohl Du eigentlich ganz scharf auf Deine erste Runde des Dresden Files-RPGs warst. Aber jetzt bin ich fertig, also können wir das ja nachholen.

*knuddel*
 

Viel Spaß beim Lesen, soweit das möglich ist!
 

Karma
 

oOo
 

Gedämpftes Wasserrauschen reißt mich am Samstagmorgen aus dem Schlaf. Leise und schlaftrunken grummelnd taste ich nach Dennis, aber er liegt nicht mehr neben mir. Okay, also kommt das Geräusch wohl von der Dusche. Dann ist er offenbar schon aufgestanden. Ich kann nicht umhin, das schade zu finden. Es wäre schön gewesen, ebenso in seinem Arm aufzuwachen, wie ich gestern in seinem Arm eingeschlafen bin.
 

Als meine Gedanken an diesem Punkt ankommen, stürzen sämtliche Erinnerungen der vergangenen Nacht wieder auf mich ein. Schlagartig bin ich viel zu wach, mein Gesicht glüht und ich vergrabe es schnell in dem nach Dennis riechenden Kopfkissen. Oh Gott, was haben wir nur getan? Einerseits ist mir das alles unglaublich peinlich, aber andererseits ... Ich weiß auch nicht. Ich hätte nie gedacht, dass Dennis ebenso fühlen könnte wie ich, dass er mich ebenso sehr küssen und ... noch andere Dinge mit mir tun wollen könnte. Genau deshalb habe ich ihm ja auch in den vergangenen zwei Jahren nie von meinen Gefühlen erzählt. Ich hatte viel zuviel Angst davor, aber das war ja wohl unnötig. So oft habe ich davon geträumt, dass so etwas wie letzte Nacht passieren würde, aber jetzt, wo es tatsächlich passiert ist, bin ich einerseits überglücklich und schäme mich gleichzeitig in Grund und Boden. Ich kann nicht fassen, dass Dennis und ich ... dass wir tatsächlich ... so etwas getan haben. Das ist einfach nur peinlich – peinlich und wunderschön, irgendwie.
 

Die Badezimmertür klappt auf und kurz darauf wieder zu, aber zu meiner Enttäuschung kommt Dennis nicht zurück in sein Zimmer und zu mir. Stattdessen höre ich Geklapper aus der Küche, also macht er wohl Frühstück. Oder versucht es zumindest. Dennis ist in der Küche ein hoffnungsloser Fall. Eigentlich wollte ich ja heute früher aufstehen als er, Brötchen holen und ihn zu seinem Geburtstag mit einem fertig gedeckten Frühstückstisch überraschen, aber das ist ja wohl gründlich in die Hose gegangen. Na ja, auch nicht schlimm. Dann übernehme ich eben später das Kochen, wenn es ans Mittagessen geht. Dennis' Mutter reißt ihm sonst noch den Kopf ab, wenn er in ihrer Küche herumfuhrwerkt. Sie hasst es, wenn sie hinter ihm herräumen muss. Und ich habe ihr ja gestern versprochen, dass ich mich darum kümmere.
 

Mit diesen Gedanken im Hinterkopf schlage ich die Bettdecke zurück, um endlich mal aufzustehen, aber sobald ich an mir herunterblicke, schießt mir auch noch mein restliches Blut ohne Umwege direkt ins Gesicht. Ich bin vollkommen nackt und die Flecken auf meinem Bauch ... nun ja, ich weiß ganz genau, was das ist. Himmel, das ist wirklich passiert! Ich habe tatsächlich nicht geträumt, sondern Dennis und ich haben wirklich ... Ich hätte nie gedacht, dass Küssen so toll ist. Und das andere ... das auch.
 

Peinlich berührt, aber dennoch mit einem Lächeln im Gesicht, das ich einfach nicht unterdrücken kann, suche ich mir hastig ein paar Sachen zusammen und husche schnell ins Bad. Zum Glück kann man den Flur von der Küche aus nicht einsehen. Trotzdem schließe ich die Badezimmertür hinter mir ab, denn irgendwie will ich nicht, dass Dennis mich jetzt so sieht. Letzte Nacht war es immerhin dunkel und das ist es jetzt nicht mehr. Was, wenn ich ihm bei Tageslicht nicht mehr so gut gefalle wie gestern?
 

Quatsch. Du machst Dir mal wieder viel zu viele Sorgen wegen unwichtiger Kleinigkeiten, Jojo, ermahne ich mich selbst, lege meine Klamotten auf die Waschmaschine und steige dann erst mal unter die Dusche, um die Spuren von letzter Nacht ebenso abzuwaschen wie meine blöden Zweifel. Nach allem, was gestern passiert ist, kann doch jetzt eigentlich nur alles gut werden, oder nicht?
 

Ich brauche eine knappe Viertelstunde, bis ich fertig geduscht, abgetrocknet und angezogen bin. Meine Schwimmsachen von gestern hat Dennis schon gefaltet auf die Waschmaschine gelegt, so dass ich sie nur noch mitnehmen und in meinen Rucksack packen muss. Einen Moment lang frage ich mich, warum er sie nicht eben kurz in sein Zimmer gebracht und auf meine Tasche gelegt hat, aber dann zucke ich mit den Schultern und beschließe, dass das ja eigentlich gar nicht so wichtig ist. Einpacken kann ich mein Zeug auch sehr gut selbst. Ich bin ja schließlich kein Kleinkind mehr.
 

Nachdem ich meine Sachen wieder in meinem Rucksack verstaut habe, schlucke ich erst noch einmal und wische mir meine feuchten Hände an meiner Hose ab, ehe ich mich auf den Weg in die Küche mache. Dabei klopft mir mein Herz bis zum Hals. Ich bin irgendwie ziemlich nervös, obwohl das eigentlich vollkommen unsinnig ist. Schließlich ist zwischen Dennis und mir doch jetzt alles geklärt. Er weiß Bescheid über meine Gefühle. Vielleicht bin ich ja auch gerade deshalb verunsichert. Ich weiß es nicht genau. Ich weiß nur, dass ich mit jedem Schritt nervöser werde. Dabei gibt es dafür nun wirklich keinen Grund.
 

Jetzt mach Dich doch nicht lächerlich, Jojo!, rufe ich mich selbst zur Ordnung, straffe mich ein bisschen und überwinde auch noch die letzten paar Schritte, die mich noch von der Küche trennen. Die Küchentür ist offen, Dennis steckt gerade halb im Kühlschrank und ich starre ihn erst einmal einen Moment lang einfach nur an, ehe ich mich leise räuspere. Sofort versteift er sich und ein Klirren verrät mir, dass ihm wohl irgendetwas aus der Hand gerutscht ist.
 

"Ich wollte Dich nicht erschrecken. Tut mir leid", entschuldige ich mich leise. Dennis taucht wieder aus dem Kühlschrank auf und winkt mit seiner freien Hand – in der anderen hält er die Milchkanne, die Sarah und er ihrer Mutter letztes Jahr zum Geburtstag geschenkt haben – ab, blickt mich dabei aber nicht an. Dieses Verhalten versetzt mir einen kleinen Stich, aber den ignoriere ich. Das, was gestern passiert ist, ist ja schließlich nicht nur für mich Neuland. Klar, dass Dennis auch etwas mit sich zu kämpfen hat und nicht so genau weiß, wie er sich jetzt verhalten soll.
 

Ich will mir gerade einen Stuhl zurückziehen, um mich zu setzen, als Dennis scheinbar doch seine Stimme wiederfindet. Seine Worte jedoch lassen mich wie angewurzelt da stehen bleiben, wo ich gerade stehe. "Guten Morgen, Jonas", begrüßt er mich nämlich – noch immer ohne mich anzusehen – und in meinem Inneren zieht sich alles zusammen. Jonas. Dennis hat mich noch nie Jonas genannt. Er hat immer nur Jo zu mir gesagt. Schon immer. Früher, als wir noch kleiner waren, haben Nico und er sich einen Spaß daraus gemacht, Jojo unter sich aufzuteilen. Jeder eine Silbe. Nico hat irgendwann damit aufgehört und mich nur noch Jojo genannt, aber Dennis nie. Er hat mich immer nur Jo genannt, nie anders.
 

Meine Hand, die noch immer auf der Stuhllehne liegt, beginnt zu zittern, als mir ein ganz ekliger, hässlicher Gedanke kommt. Für ihn hat die letzte Nacht nicht dasselbe bedeutet wie für mich. Ich brauche keine Bestätigung um zu wissen, dass es so ist. Für Dennis ist das, was passiert ist, ein Fehler und sonst nichts. Etwas, das nie hätte passieren dürfen.
 

Meine Augen beginnen zu brennen und irgendetwas Ätzendes steigt mir bis in die Kehle, aber ich schlucke das ebenso herunter wie meine Tränen. Ich hätte es wissen müssen. Es war doch eigentlich glasklar. Dennis steht auf Mädchen. Er stand schon immer auf Mädchen und das, was gestern war, hat absolut gar nichts daran geändert. Er steht immer noch auf Mädchen und ich bin nun mal keins. Ich habe mir nur etwas vorgemacht. Er wird nie dasselbe für mich empfinden. Er wird mich nie lieben – jedenfalls nicht so, wie ich es mir schon seit fast zwei Jahren wünsche. Ich bin – oder war – sein bester Freund, sonst nichts. Nicht mehr. Und das werde ich auch nie sein. All das weiß ich mit einer Klarheit, als hätte er mir das tatsächlich gesagt. Dabei sagt er gar nichts.
 

Am liebsten würde ich mich jetzt irgendwo verkriechen und einfach nur heulen, aber ich zwinge mich, diesem Impuls nicht nachzugeben. Auch ohne sein Gesicht wirklich erkennen zu können weiß ich, dass Dennis sich für das, was gestern zwischen uns passiert ist, unglaublich schämt. Er will es nicht zur Sprache bringen, aber mir ist klar, dass wir darüber sprechen müssen – jedenfalls dann, wenn wir weiterhin befreundet sein wollen. Und so weh es mir auch tut zu wissen, dass er mich nicht so liebt wie ich ihn liebe, ich will ihn trotzdem nicht ganz verlieren. Wenn er schon nicht mein Freund sein kann, dann soll er wenigstens mein bester Freund bleiben. Ich ertrage das schon. Ich habe auch die letzten zwei Jahre durchgehalten, also schaffe ich auch das. Für ihn kriege ich das hin.
 

"Ich ...", fängt Dennis an, aber ich lasse ihn nicht ausreden. "Ich weiß, was Du sagen willst", unterbreche ich ihn und wundere mich ein bisschen darüber, wie ruhig und gefasst ich klinge. Je länger ich ihn ansehe, desto mehr fühle ich mich, als würde mir das Herz rausgerissen, aber meiner Stimme hört man das nicht an. Zum Glück. Dennis fühlt sich auch so unübersehbar schlecht genug, da muss er sich nicht auch noch meinetwegen Sorgen machen.
 

"Und es ist okay. Wirklich", versichere ich ihm, obwohl ich die Worte kaum über die Lippen bringe. Sie sind eine Lüge, aber ich kann nicht anders. Ich kann Dennis nicht sagen, dass es eben nicht okay für mich ist. Ich kann ihm nicht sagen, wie mies ich mich jetzt gerade fühle und wie grausam es ist, das, was man sich so lange gewünscht hat, ein einziges Mal zu bekommen, nur um danach sofort klargemacht zu kriegen, dass es ein Fehler war, der sich nicht wiederholen darf und wird. Ein Teil von mir möchte ihn anschreien, ein anderer Teil möchte ihn anflehen, es sich doch noch mal zu überlegen, aber ich verpasse diesen beiden Teilen einen imaginären Knebel und spreche schnell weiter, solange meine Stimme noch fest und glaubwürdig genug klingt, damit Dennis mir meine Lügen auch abkauft.
 

"Ich weiß, dass das nie hätte passieren dürfen." Ich hätte nie nachgeben dürfen. Auch wenn er es war, der damit angefangen hat, mich zu küssen, ich hätte mich nie darauf einlassen dürfen. Dann würde sich jetzt nicht jedes Wort anfühlen wie ein weiteres Messer in meinem Herzen. Aber das ist meine eigene Schuld. Ich hätte Nein sagen können, aber das habe ich nicht getan. Weil ich es nicht wollte. Weil ich wenigstens ein Mal, ein einziges Mal nur, fühlen wollte, wie es sein könnte, das zu haben, was ich mir mehr als alles andere wünsche. Dass ich jetzt die Konsequenzen meiner Handlung tragen muss ist nur recht und billig.
 

Mit ein bisschen Anstrengung schaffe ich es sogar, dass sich meine Lippen zu einem Lächeln verziehen, das hoffentlich aufmunternd aussieht und nicht so traurig und hoffnungslos, wie ich mich gerade fühle. "Mach Dir keine Sorgen, Dennis. Wenn Du willst, können wir einfach so tun, als wäre das nicht passiert." Wider besseren Wissens hoffe ich, dass Dennis mir widerspricht, aber das tut er nicht. Er steht einfach nur stumm und mit hängenden Schultern da und sieht mich immer noch nicht an, sondern starrt auf den Küchentisch, als stünde dort irgendwo die Lösung für unser Problem. Ich würde das Ganze hier gerne leichter machen – für ihn und für mich –, aber das ist unmöglich. Mehr als das, was ich hier gerade tue, schaffe ich einfach nicht.
 

"Gib ... Gib mir nur ein bisschen Zeit, ja?", bitte ich meinen besten Freund und als er zaghaft nickt, zwinge ich mich dazu, den Stuhl, an dessen Lehne ich mich die ganze Zeit festgeklammert habe, doch endlich wieder loszulassen. Ich fühle mich, als könnte ich jeden Moment einfach so zusammenbrechen, aber das verbiete ich mir. Nicht hier, nicht jetzt. Ich kann meinen Gefühlen freien Lauf lassen, wenn ich erst mal wieder zu Hause bin, vorher nicht.
 

"Ich denke, es ist besser, wenn ich jetzt nach Hause fahre. Sei mir nicht böse, ja?" Auch jetzt hält Dennis mich nicht auf, als ich mich umdrehe und die Küche verlasse, um meine Sachen zu holen. Ich muss mich förmlich zwingen, mich nicht noch einmal in seinem Zimmer umzusehen und meine Augen vor allem von seinem Bett fernzuhalten, aber mit Mühe und Not gelingt mir auch das. Ich setze meinen Rucksack auf, schnappe mir meine Tasche und wende dem Zimmer dann entschlossen den Rücken zu.
 

Auf dem Weg zur Wohnungstür muss ich an der Küche vorbei. Dennis steht im Türrahmen, aber scheinbar kann er mich auch jetzt noch nicht richtig ansehen. "Ich ruf Dich an, sobald ... in ein paar Tagen, okay?", teile ich ihm mit und wieder nickt er, schweigt aber auch weiterhin. Ein Teil von mir möchte ihn nur zu gerne schütteln und eine Rechtfertigung von ihm verlangen, aber eigentlich spielt das alles doch keine Rolle mehr. Es ist doch egal, warum er mich gestern geküsst und ... diese Dinge mit mir getan hat. Das ist vorbei. Gestern Nacht ist Geschichte und in ein paar Tagen oder Wochen haben wir uns sicher selbst davon überzeugt, dass das alles niemals passiert ist. Wäre sicher besser für uns beide und unsere Freundschaft.
 

"Soll ich Nico von Dir grüßen?" Ich weiß nicht so recht, warum ich diese Frage überhaupt stelle. Dennis scheint auch einen Moment lang verwirrt zu sein, aber dann hebt er den Blick und sieht mich zum ersten Mal heute doch an. Der plötzliche Blickkontakt ist beinahe zu viel für mich, aber ich zwinge mich, ihn nicht abzubrechen. "Mach das", sagt Dennis so leise, dass ich ihn kaum höre, und nun ist es an mir zu nicken. "Okay. Dann bis demnächst", verabschiede ich mich mit letzter Kraft und wenn ich nicht ganz genau wüsste, dass es nicht wahr ist, könnte ich beinahe glauben, dass wirklich nichts geschehen ist.
 

Ich bin schon beinahe aus der Tür, als mir noch etwas einfällt, also bleibe ich stehen und drehe mich noch einmal halb um. Diese eine Sache muss ich jetzt klären, solange ich es noch kann. "Das, was ich gestern gesagt hab ... Vergiss es einfach, okay?" Es ist zwar die Wahrheit – eine Wahrheit, die sich auch nicht ändern wird –, aber ich glaube sicher nicht zu Unrecht, dass diese Worte einfach nicht so stehen bleiben dürfen, wenn Dennis und ich weiterhin Freunde sein wollen. Er muss vergessen, dass ich ihm jemals gesagt habe, dass ich ihn liebe. Und ich sollte das am besten auch vergessen. Ich wünschte nur, das wäre so einfach, wie es klingt. Warum gibt es eigentlich keinen Schalter, der unerwünschte Gefühle einfach abstellt? Wenn es so einen Schalter gäbe, wäre das Leben sehr viel einfacher.
 

"I-In Ordnung." Dennis' Stimme zittert deutlich und diese Tatsache bestärkt mich darin, dass ich das Richtige tue – für uns beide. Er kann offenbar nicht damit umgehen, dass ich so für ihn empfinde und dass ich das, was da letzte Nacht passiert ist, tatsächlich wollte. Und nicht nur das. Wenn ich ehrlich bin, dann muss ich gestehen, dass ich mir immer noch mehr wünsche. Ich weiß, dass es keinen Sinn hat, darauf zu hoffen, aber ich kann es nicht ändern. Jedenfalls nicht so schnell. Ein nicht gerade kleiner Teil von mir wünscht sich nichts mehr als dass Dennis mir jetzt sagt, dass es okay ist, dass er nur unsicher war und dass er meine Gefühle erwidert. Aber ich weiß, dass das nicht passieren wird. Nie. Damit muss ich leben.
 

"Bis dann", quetsche ich irgendwie an dem fetten Kloß vorbei, der sich in meinem Hals gebildet hat, wuchte meine Tasche hoch und mache mich auf den Weg zum Bahnhof. Ich blicke nicht zurück, denn wenn ich das jetzt tue, dann verliere ich unter Garantie die Fassung. Und das will ich nicht. Ich will nicht, dass irgendjemand mich zusammenbrechen und heulen sieht – vor allem nicht Dennis. Er soll nicht wissen, wie schwer mir das gerade gefallen ist und wie weh mir das alles tut.
 

Wie samstags üblich herrscht am Bahnhof ein ziemliches Gedränge, aber so seltsam es ist, ich bin froh darüber. Je mehr Menschen in meiner Nähe sind, desto besser. Das gibt mir die Gelegenheit, meine Gedanken von Dennis und der letzten Nacht weg auf andere Dinge zu lenken. Ich muss mich durch eine wahre Menschenmasse drängen, um meinen Zug noch zu erwischen.
 

Die Abteile sind alle voll, also mache ich es mir auf der Treppe im Gang bequem. Ich ziehe meine Tasche so nah zu mir, dass sie niemandem im Weg liegt, krame meinen MP3-Player aus meinem Rucksack und schiebe mir die Stöpsel in die Ohren. Im Moment brauche ich wirklich jede Ablenkung, die ich kriegen kann. Aus diesem Grund schließe ich meine Augen auch nicht wie üblich, sondern lasse meinen Blick durch den vollen Zug schweifen und beschäftige mich während der eineinhalbstündigen Fahrt damit zu erraten, in welchem Verhältnis meine Mitreisenden wohl zueinander stehen. Das hält mich beschäftigt und verhindert, dass ich zu sehr grübeln kann.
 

Ganz so gut, wie ich es mir erhofft habe, funktioniert das allerdings leider auch nicht. Spätestens als sich irgendwann an einer Haltestelle ein junges Pärchen direkt vor meinen Augen in die Arme fällt, würde ich am liebsten schreien. Mit einem Mal ist alles wieder da: Das Gefühl von Dennis' Lippen auf meinen, seine warme Haut unter meinen Fingern, sein heißer Atem und sein Stöhnen.
 

Unwillkürlich taste ich mit meinen Fingern nach der Stelle an meinem Hals, an der er sich gestern festgesaugt hat. Bestimmt habe ich einen unübersehbaren Knutschfleck. Nach dem Duschen habe ich nicht wirklich darauf geachtet, aber jetzt muss ich das plötzlich ganz dringend überprüfen, also krame ich meinen kleinen Spiegel aus der Tasche, werfe einen Blick hinein und finde meine Befürchtung bestätigt. Ein großer, fast schon violetter Fleck ragt deutlich sichtbar aus dem Kragen meines Shirts und als ich noch einmal genauer hinsehe, stelle ich fest, dass sich darunter scheinbar noch einer befindet. Ich ziehe mein Shirt ein wenig zur Seite und finde tatsächlich noch einen zweiten, etwas kleineren Fleck, der allerdings dunkelrot ist.
 

Zittrig seufzend verstaue ich den Spiegel wieder in meiner Tasche und lehne meinen Kopf an das kalte Metall des Treppengeländers. Diese beiden Knutschflecke sind der eindeutige Beweis dafür, dass die letzte Nacht kein Traum und auch keine Einbildung war. Und sie bedeuten, dass ich ein ziemlich großes Problem habe. Wie soll ich meinen Eltern und meinem Bruder denn bitteschön erklären, woher ich diese Knutschflecke habe, ohne ihnen Dinge über mich zu verraten, die ich ihnen nicht sagen will?
 

Über diese Grübeleien verpasse ich um ein Haar meine Haltestelle. Ich schaffe es gerade noch, meine Sachen und mich rauszuquetschen, ehe der Zug wieder anfährt. Wenig angetan von der Aussicht auf eine zwanzigminütige Busfahrt schleppe ich mein Zeug zur Bushaltestelle und muss dort noch fast eine halbe Stunde warten, weil mir der Bus, den ich eigentlich hätte kriegen müssen, natürlich vor der Nase weggefahren ist. Ich weiß nicht genau, ob ich lachen, heulen oder schreien soll, entscheide mich schlussendlich aber für nichts von alledem und lasse mich einfach nur auf einen der unbequemen Metallstühle fallen, die im Boden verankert sind. Inzwischen will ich einfach nur nach Hause, mich in mein Bett verkriechen und die letzten vierundzwanzig Stunden komplett aus meinem Gedächtnis streichen.
 

Dadurch, dass mein Bus Verspätung hat, vergeht alles in allem eine knappe Stunde, bis ich endlich zu Hause ankomme. Reichlich genervt krame ich meinen Schlüssel heraus, schließe die Tür auf und möchte sie am liebsten gleich wieder zuwerfen, als ich aus dem Wohnzimmer die Stimmen meines Bruders und meines Cousins höre. Nichts gegen Lukas, wirklich nicht, aber gerade heute kann ich den Zwerg absolut nicht gebrauchen. Nicht in meiner jetzigen Verfassung.
 

Da alles Jammern allerdings keinen Sinn hätte, hieve ich meine Tasche in den Flur, kicke die Tür vielleicht eine Spur zu laut hinter mir zu und schleppe dann erst mal meine Sachen in das Zimmer, das ich mir mit meinem Bruder teile. "Ich bin's!", rufe ich dabei laut genug, damit Nico und Lukas wissen, wer da gekommen ist. Ich kann gut darauf verzichten, dass einer von beiden nachschauen kommt und mich mit Fragen darüber löchert, warum ich jetzt schon zu Hause bin. Schließlich war ursprünglich geplant, dass ich erst morgen Abend wieder nach Hause komme. Ich bin also mehr als einen Tag zu früh dran, aber im Augenblick könnte mir nichts egaler sein.
 

Ich nehme mir die Zeit, meine Sachen erst mal auszupacken und wieder in meinen Schrank zu räumen, ehe ich mich in das Unvermeidliche füge und rüber ins Wohnzimmer gehe. Mein Bruder lümmelt auf der Couch, sein bandagierter Fuß liegt auf dem Wohnzimmertisch und auf seinem Schoß steht eine Schüssel, in der sich eine Mischung aus Chips und Popcorn befindet – Nicos üblicher Fernsehsnack. Ich habe keine Ahnung, wie er es schafft, Süßes und Scharfes zu kombinieren, ohne dass ihm schlecht wird, aber wenn es ihm schmeckt, bitteschön.
 

Lukas hockt wie üblich im Schneidersitz auf dem Boden vor der Couch, seine Hand fischt gerade in Nicos Fressalienschüssel herum und er grinst breit, während er sich halb den Hals verrenkt, um mich aus seiner Position ansehen zu können. Warum auch umdrehen? Nein, das ist für einen Lukas Ritter natürlich viel zu anstrengend! Das geht doch nicht! Allein die Vorstellung ...!
 

Obwohl ich mich noch immer absolut mies fühle, muss ich unwillkürlich doch ein bisschen grinsen. Lukas hat oft diese Wirkung – besonders dann, wenn er sich wie jetzt erst eine Handvoll Popcorn in den Mund schaufelt und dann an diesem halben Kilo vorbei eine Begrüßung zu formulieren versucht. Zum Glück kenne ich das schon, sonst hätte ich sein "Ei, Gogo!" sicher nicht als das verstanden, was es bedeuten soll.
 

"Hey, ihr Zwei." Meine Stimme klang auch schon mal besser. Jetzt, wo ich zu Hause bin, schnürt mir das, was passiert ist, förmlich die Kehle zu, so dass ich mich anstrengen muss, um überhaupt noch sprechen zu können. Das entgeht meinem Bruder natürlich nicht, denn er stellt – achtes Weltwunder! – tatsächlich die Schüssel beiseite und richtet sich etwas auf, um mich besser ansehen zu können. Dabei verzieht er kurz das Gesicht vor Schmerz, als er seinen verstauchten Knöchel versehentlich belastet.
 

"Solltest Du nicht eigentlich noch bei Dennis sein, Jojo?", will er wissen und ich nicke ein wenig mühsam. Allein seinen Namen aus dem Mund meines Bruders zu hören tut schon weh, aber so gerne ich das auch tun würde, ich kann mich jetzt nicht einfach in unser Zimmer verkrümeln und mich in meinem Elend vergraben. Wenn ich das jetzt tue, dann kommt wenigstens einer von beiden mir hinterher und fragt mich aus. Und das ist nun wirklich das Letzte, was ich im Augenblick gebrauchen kann.
 

Aus diesem Grund ringe ich mich dazu durch, das Wohnzimmer zu betreten und mich neben Nico auf die Couch fallen zu lassen. Sofort dreht er sich halb zu mir um und auch Lukas wendet dem Fernseher den Rücken zu. Scheinbar bin ich also interessanter als eine Aufzeichnung eines alten Queen-Konzerts. Ich fühle mich ja so wahnsinnig geehrt.
 

"Solltest Du nicht eigentlich im Bett liegen und Deinen Knöchel schonen?", umgehe ich eine direkte Antwort auf Nicos Frage und werfe dann einen Blick zu Lukas, der mich mit schiefgelegtem Kopf interessiert mustert. Ich bin mir ziemlich sicher, dass sein Blick an meinem Hals klebt, aber ehe er irgendetwas dazu sagen kann, komme ich ihm zuvor. "Und solltest Du nicht bei Deiner Schwester im Krankenhaus sein?" Larissa ist am Donnerstag am Blinddarm operiert worden. Deshalb sind Mama und Papa ja auch nicht zu Hause. Sie wollten heute zusammen mit Onkel Holger und Tante Katja ins Krankenhaus, um Larissa zu besuchen. Und eigentlich sollte Lukas dabei sein, wenn ich mich nicht irre.
 

"Isi hat mich rausgeschmissen. Ich bin ihr auf den Keks gegangen, hat sie gesagt." Lukas grinst mich breit an und ich schüttele den Kopf. Das ist so typisch. Lukas kann eine ganz schöne Nervensäge sein. Und meistens tut es ihm noch nicht mal leid, wenn er jemandem den letzten Nerv raubt. Arme Larissa. Ich kann mir lebhaft vorstellen, wie Lukas sie halb in den Wahnsinn getrieben hat. Darin ist er wirklich ganz groß. Keiner kann so sehr nerven wie er.
 

"Sie hat gemeint, ich soll frühestens nächste Woche wiederkommen. Und da ich keine Lust hatte, den Rest des Tages alleine zu Hause rumzuhängen, bis meine Eltern zurückkommen, dachte ich, ich besuche einfach Nico mal. Der war ja schließlich auch alleine und so konnten wir uns zusammen langweilen", erklärt Lukas mir weiter, richtet sich auf Hände und Knie auf und krabbelt so zu mir rüber. "Ist das da an Deinem Hals ein Knutschfleck?", erkundigt er sich dabei ungeniert und ich kann fühlen, wie mein Gesicht heiß wird.
 

"Wenn's so aussieht, dann wird's wohl einer sein", gebe ich deutlich schnippischer zurück als beabsichtigt, aber das beeindruckt Lukas kein bisschen. "Und woher hast Du den?", bohrt er stattdessen weiter, aber ich presse meine Lippen ganz fest zusammen und sage nichts dazu. Ich kann, will und werde nicht über das reden, was gestern Nacht passiert ist – jedenfalls nicht, solange Lukas hier ist. Er muss auch nicht alles wissen. Er ist schließlich erst vierzehn. Und außerdem geht ihn das auch absolut nichts an.
 

"Lu?", lenkt mein Bruder Lukas' Aufmerksamkeit auf sich und als der Zwerg ihn ansieht, runzelt Nico die Stirn. Dabei blickt er aus dem Augenwinkel zu mir und ich kann förmlich sehen, wie es hinter seiner Stirn arbeitet. Nico ist nicht dumm. Er stellt sich manchmal ziemlich blöd an und kann auch sehr vernagelt sein, wenn es um das Begreifen irgendwelcher Dinge geht, die ihn nicht interessieren, aber ich bin mir absolut sicher, dass er mir ansieht, dass meine viel zu frühe Heimkehr einen Grund haben muss, über den ich nicht in Lukas' Gegenwart sprechen will. Er kennt mich eben.
 

Aber da ist er nicht der Einzige. Lukas sieht Nico kurz an, dann wandert sein Blick zurück zu mir und etwas Nachdenkliches schleicht sich in seine Augen. "Ich störe, oder?", fragt er und ehe ich reagieren kann, hat Nico auch schon genickt. "Du kannst ja morgen wiederkommen", schlägt er vor und Lukas stützt sich mit beiden Händen auf meinen Knien ab, um sich vom Boden aufzurappeln. "Mach ich", sagt er keinesfalls beleidigt, klaut sich noch etwas Popcorn und klettert dann umständlich über Nicos hochgelegte Beine, anstatt einfach den Wohnzimmertisch zu umrunden – noch etwas, was einfach typisch für ihn ist. Warum einfach, wenn es auch umständlich geht?
 

Diese Aktion entlockt mir ein kurzes Grinsen, das allerdings nicht lange auf meinen Lippen bleibt. "Ruft an, wenn's nicht passt, okay?", verlangt Lukas noch, drückt Nico und mich noch einmal kurz zum Abschied – wozu er sich von hinten über die Couch hängen muss und noch fast runterpurzelt – und verschwindet dann in den Flur. Kurz darauf klappt die Haustür hinter ihm zu und ich atme unwillkürlich auf. So nervtötend Lukas auch meistens ist, er kann auch erstaunlich taktvoll sein, wenn es die Situation erfordert.
 

"Okay, was ist los, Jojo?" Taktgefühl ist nicht unbedingt Nicos starke Seite, aber das habe ich auch nicht erwartet. So ist er nun mal. Immer mit dem Kopf durch die Wand, wenn er etwas wissen will. Trotzdem antworte ich ihm nicht gleich, sondern ziehe erst mal meine Beine an meinen Körper und schlinge meine Arme darum. Meinen Blick hefte ich auf den Bildschirm, aber Freddie Mercury sieht mit einem Mal irgendwie sehr undeutlich und verschwommen aus.
 

"Wenn ich jetzt behaupte, dass alles in Ordnung ist, glaubst Du mir nicht, oder?", höre ich mich selbst fragen und kann aus dem Augenwinkel sehen, wie Nico den Kopf schüttelt. "Kein Wort", bestätigt er meine Vermutung. "Dafür kenn ich Dich einfach zu gut. Du wärst ganz sicher nicht jetzt schon zu Hause, wenn's dafür keinen triftigen Grund gäbe. Nicht an Dennis' Geburtstag." Bei der Nennung von Dennis' Namen zucke ich unwillkürlich zusammen, was meinem Bruder natürlich nicht entgeht. "Habt ihr euch gestritten?", will er wissen und ich schüttele den Kopf. Dabei beiße ich mir auf die Unterlippe, aber auch das kann nicht verhindern, dass sich das Wasser in meinen Augen selbstständig macht, über meine Wangen rollt und auf meine Jeans tropft.
 

"Nein, wir ... Wir haben uns nicht gestritten." Haben wir ja wirklich nicht. Wir haben uns nur im Eifer des Gefechts zu etwas ganz, ganz Blödem hinreißen lassen, das wir nicht mehr ungeschehen machen können, obwohl zumindest einer von uns beiden genau das am liebsten tun würde. Und was mich betrifft ... Ich weiß irgendwie immer noch nicht, ob es besser wäre, wenn das nie passiert wäre, oder ob das genauso schlimm wäre. Wäre es besser gewesen, wenn ich Dennis' Küsse nicht erwidert hätte? Hätte ich ihn doch besser wegschubsen und meine Gefühle für ihn verleugnen sollen? Aber dann wüsste ich jetzt immer noch nicht, wie es sich anfühlt, von ihm berührt zu werden, ihn zu küssen und ...
 

"Was ist dann passiert?", unterbricht mein Bruder meine Gedankengänge und ich kneife meine Augen einen Moment lang fest zusammen, um nicht noch mehr zu heulen. Dadurch bemerke ich erst, dass Nico näher zu mir gerutscht ist, als er mir einen Arm um die Schultern legt und mich so zu sich zieht. "Du kannst mir alles erzählen, Jojo", flüstert er in meine Haare und ich mache mich noch ein bisschen kleiner. Ich weiß nicht, ob ich wirklich darüber reden will, aber während ich noch mit mir selbst hadere, sprudeln die Worte auch schon aus mir heraus.
 

"Er ... hat mich geküsst. Gestern Abend. Ich ... hab geschlafen und als ich wach wurde, da ... da hat er mich geküsst. Immer und immer wieder. Und ich ... ich hab ... ihn auch geküsst. Ich hab mir das schon so lange gewünscht und ... Wir ... Irgendwie sind wir auf seinem Bett gelandet und ... da haben wir dann ... Ich ... Ich ... Ich hab ihm gesagt, dass ... dass ich ihn liebe, aber er ... Er liebt mich nicht. Er war nur ... nur neugierig oder was weiß ich. Für ihn ... war das alles ein Fehler, den er ... am liebsten nur noch vergessen will. Ich ... ich hab gesagt, das ist okay für mich, aber ... Es tut so weh!"
 

Vor lauter Schluchzen kann ich mich selbst kaum verstehen, aber Nico scheint damit weniger Probleme zu haben. Sein Griff festigt sich noch etwas und er zieht mich noch näher an sich, so dass ich mich an ihn klammern kann. Und genau das tue ich auch. Ich kann einfach nicht mehr. Die ganze Zeit, seit ich die Wahrheit begriffen habe, habe ich das Wissen verdrängt, aber jetzt ist alles wieder da und mir wird endgültig klar, dass ich alle meine Hoffnungen begraben muss, wenn ich je wieder normal mit Dennis umgehen will. Ich weiß nicht, wie ich das hinkriegen soll, aber ich weiß, dass ich es schaffen muss. Ich will ihn nicht ganz verlieren, aber ich habe keine Ahnung, wie ich ihm bei unserem nächsten Treffen gegenübertreten soll. Ich weiß nicht, wie lange ich brauchen werde, bis ich mich wirklich damit abgefunden habe, dass der Traum, von dem ich gedacht habe, er hätte sich letzte Nacht erfüllt, jetzt nicht mal mehr eine Erinnerung bleiben darf.
 

Wie lange ich mich so an meinen Bruder klette und einfach nur heule, weiß ich nicht. Nico bleibt die ganze Zeit über stumm und streichelt mir nur tröstend über den Rücken. Er stellt aber keine weiteren Fragen, sondern lässt mich so lange in Ruhe, bis ich mich wieder einigermaßen gefangen habe. Als ich mich aus seinen Armen winde, stelle ich fest, dass sein Shirt klatschnass ist, aber er geht einfach darüber hinweg, als hätte ich nicht gerade noch versucht, ihn mit meinen Tränen aufzuweichen.
 

"Tut mir leid", entschuldige ich mich leise, aber er schüttelt einfach nur den Kopf. "Blödsinn", winkt er ab, rückt noch ein Stück näher und drückt meinen Kopf mit sanfter Gewalt zurück auf seine Schulter. "Du brauchst Dich nicht zu entschuldigen. Für gar nichts, klar?", sagt er und streicht mir leicht über die Haare. "Aber wenn ich Dennis das nächste Mal sehe, bringe ich ihn eigenhändig um", grollt er dann und zieht mich noch etwas fester an sich, obwohl ich mich gegen seinen Griff wehre. Nur ein bisschen, nicht viel. Dafür tut es viel zu gut, so festgehalten zu werden. Und ein Teil von mir spendet den Worten meines Bruders Beifall. Dieser Teil von mir will Dennis leiden sehen dafür, dass er mir so weh getan hat.
 

Dem Rest von mir ist allerdings durchaus bewusst, dass das nichts bringen würde – und dass es noch dazu falsch wäre. "Es ist nicht seine Schuld", verteidige ich meinen besten Freund deshalb und fange mir dafür einen bösen Blick von meinem Bruder ein. "Jedenfalls nicht nur", schränke ich daraufhin ein. "Ich hätte jederzeit Nein sagen können, aber das hab ich nicht. Weil ich nicht Nein sagen wollte. Weil ich ihn küssen und berühren wollte. Weil ich wollte, dass er mich küsst und berührt. Weil ich gehofft hab, dass er ... dass er das Gleiche für mich empfindet."
 

"Trotzdem", beharrt Nico stur. "Er hat angefangen, also ist es auch seine Schuld. Er kennt Dich lange genug um zu wissen, das Du eh nie Nein sagst – auch dann nicht, wenn Du zu irgendwas eigentlich gar keine Lust hast. Er hätte es besser wissen müssen", fährt er fort und obwohl ich ihm zumindest teilweise Recht geben muss, schüttele ich dennoch den Kopf.
 

"Wir sind beide schuld an der Situation", erwidere ich und wische mir erst mal über die Augen, ehe ich etwas von meinem Bruder abrücke. Nur ein kleines Stück, so dass ich ihn besser ansehen kann, ohne mich komplett von ihm zu lösen. "Aber ich hab ihm versprochen, das Ganze einfach zu vergessen, und das werde ich auch durchziehen. Ich brauche nur etwas Zeit, das ist alles. Und ich will nicht, dass Du Dich meinetwegen mit ihm streitest, Nico. Das ist etwas zwischen Dennis und mir. Ich komm schon damit klar."
 

Ich versuche ein wenig zu lächeln, aber ich fürchte, es wird nur eine wenig glaubwürdige Grimasse daraus. "Behalte das, was ich Dir gerade erzählt hab, also bitte für Dich, ja? Bitte, Nico", flehe ich meinen Bruder an und er zieht ärgerlich die Augenbrauen zusammen, nickt aber schließlich doch mit deutlichem Widerwillen, als ihm klar wird, dass ich es ernst meine. Ich will nicht, dass Dennis und er sich wegen dieser Sache streiten. Ich will nicht mal, dass Dennis je erfährt, dass ich Nico davon erzählt habe. Schließlich will er nur vergessen und es wäre nicht sehr hilfreich – weder für ihn noch für mich –, wenn Nico uns ständig daran erinnert.
 

Ein paar Minuten lang sagt mein Bruder gar nichts mehr, doch dann legt er plötzlich den Kopf schief und bedenkt mich mit einem fragenden Blick. "Stehst Du auf Jungs?", fragt er so direkt, wie es nun mal seine Art ist, und ich nicke. Was würde es jetzt auch noch bringen, es zu leugnen, nachdem ich ihm ja praktisch schon erzählt habe, dass ich in meinen besten Freund verliebt bin?
 

Seltsamerweise macht es mir im Moment nicht mal etwas aus, über dieses Thema zu reden. Vielleicht hat der Tag mir insgesamt schon zu viel abverlangt und ich habe einfach nicht mehr die Energie, um Angst vor Nicos Reaktion auf mein Geständnis zu haben. Eigentlich wollte ich ihm das einerseits nie und andererseits schon lange erzählen. Na ja, was soll's? Jetzt ist es jedenfalls raus. Und wenn Nico mich jetzt hasst, auch egal. Ich bin inzwischen einfach nur noch total erschöpft. Ich könnte auf der Stelle einschlafen.
 

"Ich hau mich hin", teile ich meinem Bruder mit und rappele mich auf, um in unser Zimmer zu gehen. Zu meinem Erstaunen hievt er sich ebenfalls von der Couch hoch, schnappt sich seine Krücken und folgt mir. "Ich lass Dich jetzt nicht alleine", erklärt er mir auf meinen irritierten Blick hin und ich muss unwillkürlich doch ein bisschen lächeln. "Du bist der beste Bruder der Welt", lasse ich Nico wissen und er grinst mich breit an. "Ich werd Dich daran erinnern, wenn ich das nächste Mal Scheiße gebaut hab und Du mir dafür den Hals umdrehen willst", sagt er und ich kann nicht anders: Ich fange an zu lachen. Mein Liebesleben mag im Augenblick die reinste Katastrophe sein und wird es wohl auch noch für eine ganze Weile bleiben, aber mein Bruder ist eindeutig der Allerbeste.
 

oOo
 

Ob ihr's glaubt oder nicht, Leute, wenn die TOC-Reihe so verlaufen wäre, wüsste ich sogar schon, wie's weitergeht. Und nein, ich werde jetzt nicht sagen, dass ich dazu nichts mehr schreibe, einfach weil ich das nicht mit Sicherheit sagen kann. Wer weiß, was noch kommt? Ich jedenfalls nicht. Ich lasse mich überraschen.
 

So, und jetzt bin ich weg. Man liest sich!
 

Karma



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  Schwarzfeder
2011-07-28T08:39:42+00:00 28.07.2011 10:39
So~ endlich hab ich es mal geschafft...danke noch mal für den hint ^^"
*tief durchatme und mich noch mals streck*
Musste ja erstmal Feuerholz beschaffen und so...das dauert xD
Also...

*tief durchatme*

Du *pie~p*
*heul schluchz*
Wie kannst du nur TToTT?
Ich mein...das is so...autsch und so heul und so...verdammte scheiße...und das schlimmste ist, dass du es so gut geschrieben hast und im Nachsatz erwähnt hast, dass du sogar wüsstest, wie es weitergehen könnte und verdammt...wie kannst du das tun?

..

Jetzt bin ich nämlich neugierig =o="

*sigh*

Aber ich bin trotzdem froh, dass es nur ein 'was wäre wenn' ist...weil...Jojo wäre wohl einfach nicht so wie im TOC und das wäre wirklich nicht schön, weil er einfach toll ist so wie er ist...außerdem hätte dann die Szene weshalb er schlussendlich auch zum Trauzeugen wird nicht so stattfinden können, weil Jojo und Dennis sich wohl eher nicht in der stadt getroffen hätten und Jojo im wohl nicht ins Gesicht hätte schleudern können, dass er schwul ist...glaub ich...jedenfalls hätte Devlin dann nicht alles hören können undundund...

Also...irgendwo ist es gut so wie es ist...*neugier versuch zur Seite zu schieben*

Und weißt du warum ich dich dann doch NICHT verbrennen werde sondern dir das ganze mühsam zusammengesammelte Feuerholz schenke?

Bedank dich bei Lukas!

xD

Ich bin im Dreieck gesprungen vor Freude, als ich das gelesen hab! Ohne scheiß ich glaub Lukas wird auf immer mein heimlicher Held bleiben...ich liebe diesen kleinen Spring-ins-Feld einfach so abgöttisch, dass es echt nicht mehr normal ist x3 Aber eins sag ich dir...mit Tränen in den Augen abzufeiern weil Lukas auftaucht und er wieder einfach total Lukas ist sieht total strange aus xD Aber trotzdem...ich habe irgendwie echt das Bedürfnis etwas über ihn und aus seiner Sicht zu lese x.x" Ich bin schlimm...wiklich...

Alles in allem, kann ich leider nicht so ganz wirklich viel mit dir schimpfen, obwohl du Jojo so leiden lässt einmal wegen Lukas und weil ich auf der Arbeit hocke ^^"

Vielleicht nimmst du das Feuerholz und machst dir ein schönes Lagerfeuer und guckst mal was dir noch so einfällt ;D

Jedenfalls schlüpf ich wieder von dannen und such mir wohl mal besser ein Versteck, weil ich befürchte nun Ziel der Morddrohungen zu werden xD

bis denne
Schwarzfeder

P.S.: Es gefällt mir aber trotzallem irgendwie...hoffe das ist deutlich geworden ^^"
Von:  Wanda_Maximoff
2011-07-24T19:39:32+00:00 24.07.2011 21:39
Mir haben die beiden Outtakes zu TOC III sehr gut gefallen und gerade bei diesem Kapitel war ich öfters kurz vorm Heulen.

Allerdings bin ich auch froh darüber, dass es nur ein "was wäre, wenn" ist... Nicht nur, weil Jojo so leiden muss, sondern auch weil ich mir die ganze TOC Reihe nicht vorstellen könnte, wenn das damals so gelaufen wäre. Das würde ja auf die ganze Geschichte von ihm und Adrian auch ein anderes Licht werfen und diese Geschichte mag ich so, wie sie ist, mit dem Hintergrund, den sie hat. Hm, ich glaube, ich werde gerade sentimental oder so. Jedenfalls freu ich mich darauf noch mehr von dir zu lesen.

Viele Grüße
Galium_Odoratum
Von:  Aschra
2011-07-22T18:19:27+00:00 22.07.2011 20:19
*heul*
Ich will mich gerade umdrehen und dich ganz kräftig schlagen, da ich aber zur Zeit nichts sehe lass ich das weil ich sonst vielleicht deinen GG treffen könnte!
Die beiden Kapitel sind gut geschrieben aber ich bin froh das sie nur was wäre wenn sind weil sonst hätte ich die TOC Klamotte wohl nicht mehr so gern wie ich sie habe!

Im Moment kannst du froh sein das ich wusste was kommt weil sonst wäre ich dir jetzt richtig Böse und würde mich Colorblind anschließen und dich mit ihr zusammen auf den nächst besten Scheiterhaufen zerren, ohne Feuerlöscher, da ich es jedoch wusste lass ich das und bin einfach nur muksch und geh jetzt wieder auf mein Sofabett und heul noch ne Runde!!!


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