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Der Wunsch

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Der Wunsch
 

Es war einmal ein kleiner Kater namens Finn, der sich nichts Sehnlicheres wünschte als ein Mensch zu werden.

Seine Mutter hatte ihn und seine drei Geschwister im letzten Spätsommer zur Welt gebracht. Sie lebten in einem großen Haus zusammen mit ganz vielen Mäusen, Menschen und anderem, was kreuchte und fleuchte. Seine Aufgabe war es, zusammen mit den anderen Katzen, die Mäuse zu fangen, damit sie den Menschen nicht das Futter wegfraßen.

„Am Besten, “ hat ihm seine Mutter beigebracht, „legt man sich in der Vorratskammer auf die Lauer. Irgendwann kommen diese kleinen Lümmel schon aus ihren Löchern.“

Seine Mutter liebte die Jagd, ihrer Meinung nach waren Katzen nur zu diesem Zweck erschaffen worden. Das bläute sie ihren Kindern auch immerzu ein.

Finn allerdings fand überhaupt nichts Tolles darin und auch das kindliche Herumtollen seiner Geschwister reizte ihn nicht oft.
 

Seine Abenteuer spielten sich in den Straßen und Gassen mit all den vielen Menschen ab. Ihn faszinierte es, was Menschen alles mit ihren Pfoten machen konnten. Oft beobachtete er sie, wie sie Dinge herumzogen oder trugen oder mit großen Gegenständen auf andere große Gegenstände hauten. Finn hat es schon selbst ausprobiert, aber er konnte nicht einmal irgendetwas richtig greifen, geschweige denn tragen. Einige von diesen Menschen ritten sogar auf großen Tieren herum. Das hatte der Kater allerdings noch nicht ausprobiert. Denn immer wenn er nur in die Nähe von diesen schnaubenden Tieren kam, schlugen sie aus und wieherten ganz laut.

Wenn seine Mutter ihn dann dabei erwischte, wie er herumstreunte, so war sie sehr wütend.

„Wo kommst du denn jetzt wieder her? Hier wartet jede Menge Arbeit, glaub nicht, dass ich dir das Futter auch noch hinterher trage!“ Sie mochte keine faulen Katzen, wie sie immer sagte.
 

Winter war längst eingebrochen. Der kalte Wind blies durch die kleinen Gassen und Finn hasste Kälte.

Seine Streifzüge wurden immer weniger. Umso häufiger verzog er sich in das Dachgeschoss, wo Lilly wohnte. Sie war die Tochter des großen Mannes, der im Haus das Sagen hatte. So schien es zumindest, da er den lieben langen Tag nur herumschrie, bis allen Beteiligten die Ohren dröhnten.

Der kleine Kater mochte Lilly sehr gern, denn sie redete mit ihm, als wäre er ein Mensch. Und oft nahm sie ihn auf ihren Schoß, setzte sich ganz nah an den Holzofen um ihm etwas aus dicken Klötzen mit ganz vielen dünnen Blättern darin, die nicht grün und wie Blätter aussahen, vorzulesen. Das mochte Finn ganz besonders. Dankbar schnurrte er dann für sie. Am Liebsten las Lilly aus einem ganz besonders dicken Klotz vor, in dem viele Geschichten waren. Finn wusste nicht, was genau Prinzen oder Prinzessinnen waren, aber das mussten wohl sehr tolle Geschöpfe sein, denn die kamen in fast jeder Geschichte vor.

Oft teilte das Mädchen sein Abendbrot mit dem Kater. Dann bekam er Wurst und warme Milch. Finn war jedes Mal sehr froh, wenn er keine Maus fressen musste. Es war nicht so, dass Finn Mitleid mit diesen kleinen Tieren hatte, aber sie schmeckten nicht besonders gut und er mochte ihr Fiepen nicht, wenn sie unter seinen Krallen um ihr Leben kämpften.

Da hatten es die Menschen wahrlich besser! Sie konnten aus diesem großen Vorratsraum einfach ihr Essen holen, ohne es vorher jagen zu müssen. Und hatten in ihren Räumen offene Stellen mit Feuer, die wohlig warm hielten.
 

Finns bester Freund war Jojo, ein dicker, getigerter Kater aus der Nachbarschaft. Jojo liebte es, den lieben langen Tag wegzudösen. Und da er bereits viel mehr Jahre zählte, wie der kleine Finn, war Jojo so etwas wie ein allwissender Ratgeber für ihn. Zum Beispiel hatte er ihm erklärt, warum sich Menschen Wasser über den Kopf gossen und darin lagen: „Das kommt daher, dass sie keine so lange Zunge haben, wie wir Katzen und sich deswegen nicht überall lecken können.“

Finn freute sich immer über die Gespräche mit Jojo, er half ihm wirklich, die Menschen besser zu verstehen.
 

Eines Tages suchte Finn seinen Freund auf. Jojo lag auf dem Teppich vor dem Feuer des Wohnzimmers seiner alten Herrin.

„Du, Jojo, hast du dir schon einmal gewünscht, ein Mensch zu sein?“ Finn legte sich zu dem anderen Kater und räkelte sich in der Wärme.

„Schon wieder einer von deinen verrückten Ideen? Wieso sollte ich ein Mensch sein wollen? Die rennen immer nur von einem zum anderen Fleck und wissen das Leben gar nicht zu genießen.

Als Katze kannst du den ganzen Tag schlafen und am Abend bekommst du dein Fressen. Was willst du denn mehr?“ Jojo gähnte ausgiebig und drehte sich auf die andere Seite, in der Hoffnung, dass er dann in Ruhe gelassen würde.

„Aber hast du dich noch nie gefragt, wie es wäre? Lesen zu können und zu singen, ich wäre gern ein Mensch. Dann könnte ich mit Lilly tanzen!“ Der kleine Kater gab keine Ruhe, sondern fing an, sein weißes Fell zu putzen.

„Singen? Dann wünsch dir doch gleich, dass du ein Vogel wirst. Ich finde keinen Gefallen an den Menschen, sie sind laut und rücksichtslos. Wenn du dir mal ansiehst, wie die mit Tieren umgehen. Schlagen tun sie sie, dabei haben die Tiere ihnen doch nichts getan.

Außerdem bist du ja noch klein. Warte erstmal, bis du groß und stark bist, dann wirst du noch so manche Katzenfreuden entdecken.“ Jojo gab sich geschlagen und streckte seine Glieder um wach zu werden. Finn legte seinen Kopf schief und starrte ins Feuer. Katzenfreuden? Etwa soetwas, wie Mäusejagd? Nein danke! Er konnte nicht verstehen, wie andere Katzen nur so vernarrt darin sein konnten.

„Nein! Ich will nicht groß werden und schon gar keine Katze mehr sein! Damit finde ich mich auf gar keinen Fall ab. Es muss doch irgendeinen Weg geben, dass ich ein Mensch werden kann?“

„Nun reg dich doch nicht so auf. Hm, ich habe zwar nicht die geringste Ahnung, ob das tatsächlich funktioniert…aber.“ Begann Jojo, als ihn Finn auch schon unterbrach:

„Aber was denn? Von was redest du? Gibt es denn etwas, das mich in einen Menschen verwandeln könnte?“

„Lass mich doch erstmal ausreden. Ach, dieses Bürschchen wird mich noch um meine Gelassenheit bringen,“ murmelte der dicke Kater bevor er fortfuhr: „Außerhalb der Stadt gibt es einen dunklen, dichten Wald. Es führt ein breiter Weg hindurch und irgendwo auf dem Weg gibt es eine kleine Weggabelung zu einem alten Brunnen. Und dieser Brunnen, so sagt man sich, erfüllt einem einen Wunsch, wenn man eine Münze hineinwirft.

Das wäre doch die Lösung deines Problems, oder etwa nicht?“

„Das klingt ja fantastisch! Jetzt muss ich nur noch eine Münze finden…aber sag mal Jojo.“

„Hm? Was ist denn jetzt schon wieder?“ Er dachte, dass er den Kleinen endlich abgeschüttelt hatte und weiterschlafen konnte.

„Was ist denn eine Münze?“ Finn starrte mit seinen großen, grünen Augen dem Freund mitten ins Gesicht, als dieser seine Augen wieder langsam öffnete. Jojo seufzte und gähnte erneut.

„Ach Kleiner, weißt du denn nicht einmal, was eine Münze ist? Die Menschen tragen sie immer in Beuteln am Gürteln mit sich rum. Und wenn sie sich bewegen, klimpern diese kleinen Dinger ganz ulkig. Am besten, du schleichst dich ein bisschen im Haus herum, irgendwo findest du schon eine.

Sie sind rund und glänzen, manche haben ein Loch in der Mitte. Man kann sie in den Maul nehmen, aber schmecken tun sie überhaupt nicht. Und hart sind sie obendrein.“

„Dann machs gut, Jojo. Wenn ich ein Mensch bin, werde ich dich trotzdem weiterhin besuchen kommen, ja?“ Finn wartete nicht mehr auf die Antwort sondern sprintete zum Fenster hinaus und hinauf auf das Dach seines Zuhauses.
 

Der Abend war längst hereingebrochen und der Mond ging langsam auf. Es würde eine klare, kalte Nacht werden, dachte der kleine Kater.

Über einen Spalt im Dachfenster kam er leicht ins Haus und kratzte an Lillys Tür.

Sie schien allerdings nicht da zu sein, also musste er woanders nach einer Münze suchen. Als er Lillys Vater im großen Saal entdeckte, wusste er sofort, was Jojo mit dem Beutel am Gürtel meinte.

Der große, dicke Mensch saß an der langen Tafel und schaufelte sich zusammen mit anderen Menschen jede Menge Essen in sich hinein. Seine Menschenfreundin saß auch am Tisch. Sie redete gerade eindringlich auf ihren Vater ein.

Finn kroch unter den Tisch und schlich zu den klumpigen Füßen des Mannes.

„Vater, ich brauche einen neuen Kamm. Darf ich morgen mit Melanie zusammen zum Markt und mir einen kaufen?“ Finn lauschte, das war Lillys Stimme.

„Wie, brauchst du einen neuen Kamm? Was fehlt denn dem Alten?“ Seine Worte waren nur undeutlich zu vernehmen. Er schluckte wohl nicht gern, bevor er sprach.

„Der ist mir aus Versehen heruntergefallen und ist abgebrochen.“

„Ach Mensch, Lilly! Der war doch von deiner Mutter! Pass doch auf deine Sachen ein bisschen besser auf.“

„Es tut mir Leid, Vater. Das kommt nie wieder vor.“

„Na gut, wie viel brauchst du denn, mein Kind?“

Während des Gespräches saß Finn unter dem Tisch und zerbrach sich den Kopf, wie er unbemerkt an die Münzen herankommen könnte. Als der Mann den Beutel von seinem Gürtel entknotete und dieser aus Finns Blickfeld verschwand, schlüpfte er erschrocken hinter dem Tischtusch hervor um zu sehen, was nun geschah.

„Nicht viel, ein paar Groschen reichen.“ Da zählte der Vater einige Münzen auf den Tisch.

Münzen! Da sind Münzen! Aufgeregt zuckte Finns Schwanz und er beobachtete, wie Lilly die Geldstücke aufhob, sich aufrichtete und auf ihr Zimmer lief. Der kleine Kater folgte ihr eilig.
 

Finn wartete geduldig, bis Lilly sich ins Bett gelegt hatte und eingeschlafen war, bevor er auf den Nachttisch hüpfte. Die Münzen waren wirklich recht klein und hatten ein eckiges Loch in der Mitte. Vorsichtig versuchte er, eine davon in den Mund zu nehmen. Jedoch störten seine Eckzähne ungemein und die Münze kullerte auf den Boden. Vor Schreck zuckte der Kater zusammen und versuchte sich zu ducken, aber das Mädchen war von dem Geräusch nicht aufgewacht, also sprang er wieder hinunter und versuchte sich aufs Neue an der Münze.

Diesmal klappte es, er steckte seinen unteren linken Eckzahn in das Loch der Münze und schloss sein Maul darum. Die Münze schmeckte äußerst komisch und war ganz bestimmt nicht nach seinem Geschmack. Aber er sollte sie ja auch nicht essen.

Finn schlüpfte aus dem Zimmer und schlich durch das dunkle Haus. Als er am Stall vorbeikam, zögerte er. Sollte er seiner Mutter und den Geschwistern Lebewohl sagen?

Aber nein, sie würden ihn nur aufhalten und ihn auslachen. Er wendete sich zur Straße hin und kroch unter einem kleinen Loch im Tor hinaus.
 

Es war eisig kalt. Grauer Schnee lag matschig auf dem Steinpflaster. Finns Pfoten zuckten vor der Nässe und der Kälte. Doch er kehrte nicht um, sein Entschluss stand fest. Nur das Ziel vor Augen rannte er zum Stadttor.

Bald war er auf der Landstraße und spürte seine Beine kaum mehr. Die Bewegung hielt ihn einigermaßen warm. Das einzige, das störte, war die harte Münze in seinem Maul.

Aber auch daran störte er sich nicht mehr lange.

Der Wald war schon in Sicht. Riesig ragten die Stämme gen Himmel und die blätterlosen Äste schaukelten leicht im eisigen Wind. Finn schauderte. Er war noch nie in einem Wald gewesen und alles war so riesig und dunkel. Keine Lebewesen schienen unterwegs zu sein, außer ihm.

Den großen Weg im Wald fand er leicht, die Erde war zerfurcht durch tiefe Wagenspuren und hart gefroren.

Die Entschlusskraft, die ihn am Anfang noch beflügelt hatte, war verflogen. Der kleine Kater schlich einsam durch den Wald, ab und zu von rechts nach links blickend.

Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis er endlich den kleinen Trampelpfad entdeckte, der sich rechts vom großen Weg durch noch dichtere Zweige wand. Zaghaft betrat Finn ihn. Was mag ihn wohl erwarten, am Ende dieses Weges? Ob er sich wohl schon verlaufen hatte?

Es war wirklich eisig, er konnte seinen Atem vor sich in Dampfwölkchen aufgehen sehen.

Gemächlich fielen dicke Schneeflocken herab, den Himmel konnte er durch all die kahlen Zweige kaum erkennen. Langsam tastete er sich weiter. Er war wohl wirklich ganz allein in diesem gespenstischen Wald. Der Kater schniefte, seine Nase lief. Er sehnte sich zu seiner Mutter, wo es warm war im Stall oder zu Lilly ins Bett, die eine weiche Daunendecke besaß und wo das Feuer noch leicht im Ofen glimmte. Und langsam schmerzte sein Kiefer schon vom Halten der Münze in seinem Maul. Wenn er wirklich einmal ein Mensch werden würde, musste er nie wieder Dinge im Mund herumtragen. Seine Pfoten würden endlich richtig greifen können!
 

Der Wald öffnete sich zu einer Lichtung. Eine schneeweiße Lichtung, auf der in der Mitte ein alter Steinbrunnen stand. Es war also wahr, was Jojo ihm erzählt hatte.

Voller Vorfreude rannte Finn durch den Schnee auf den Brunnen zu. Mit einem beherzten Sprung schaffte er es auf die Kante und warf die Münze hinein.

„Ich wünsche mir, ein Mensch zu sein!“ Schrie er so laut er konnte. Nichts geschah.

Sein Atem ging stoßend, der Schnee fiel immer dichter vom Himmel.

Plötzlich begann etwas im Brunnen zu leuchten und schwebte zu ihm hinauf.

Es war eine Fee mit richtigen regenbogenfarbenen Schmetterlingsflügeln und einem Kleid aus tausenden funkelnden Perlen. Ihr Haar schimmerte blau in die Nacht hinein und sie lächelte während ihre Augen gütig zu ihm hinabblickten.

„Ich grüße dich, kleiner Kater. Du hast mich gerufen?“

„N-nein, ich hab dich nicht gerufen… ich hab mir nur etwas gewünscht.“ Finn hatte Angst vor dieser strahlenden Gestalt. So etwas kannte er nur aus den Geschichten, die Lilly ihm immer vorgelesen hatte.

„Ja, du hast eine Münze zu mir hinabgeworfen und dir gewünscht, ein Mensch zu werden.“

Langsam begann Finn an zu nicken. Seine Nackenhaare hörten nicht auf, sich zu sträuben.

„Nun, den Wunsch kann ich dir erfüllen. Wenn du es wirklich möchtest,“ erklärte ihm die Fee.

„Ja, jaaa, ich möchte es wirklich! Ich möchte lesen können und singen und tanzen und auf großen Tieren reiten!“ Sein Gegenüber lachte laut auf.

„Aber, kleiner Kater, warum möchtest du es denn so sehr? Du hast doch so ein schönes Leben als Katze zusammen mit deiner Familie im Haus des Tuchhändlers.“

Finn dachte an Lilly, wie sie zum Mittwinterfest mit einem anderen Menschen am Feuer getanzt hatte, so erklärte es ihm Jojo im Nachhinein zumindest, und seitdem wünschte er sich sehnlichst, auch so tanzen zu können.

Die Fee schien seine Gedanken gelesen zu haben, denn sie fuhr fort: „Nun gut, ich erkenne, dass es dir wirklich ernst damit ist. Schließlich hast du dich in einer solch kalten Nacht bis hierher durchgeschlagen. Aber merke dir eines: Bist du ein Mensch, gibt es kein Zurück mehr. Egal, wie sehr du es dir wünschst.“

Das war Finn egal, denn er wollte sowieso nicht mehr Kater sein. So nickte er nur zum Einverständnis.

„Nun gut, lasst uns beginnen.“ Sie hob ihre Hände aus denen kleine Sterne zu rieseln schienen und berührte den weißen Kater an der Stirn, dieser schloss seine Augen.

Einen Augenblick später war alles vollbracht. Finn öffnete die Augen wieder und blickte auf seine Pfoten hinunter, die keine mehr waren.

„Ach du meine Güte, aber du brauchst etwas zu Anziehen! So kannst du natürlich nicht zurück in die Stadt“ Die Fee lächelte und schwang erneut ihre Hände.

Nun trug er einen warmen Mantel, lange Hosen und dicke Stiefel. Finn grinste. Er war zum Mensch geworden! Ein richtiger Mensch!

Vorsichtig glitt er vom Brunnenrand und versuchte auf den zwei Beinen zu stehen. Es war leichter als er dachte. Er fing an im Schnee auf der Lichtung zu tanzen und lachte laut, merkte nicht einmal das Verschwinden der Fee.

Als er sich umblickte, war alles wieder dunkel, das Leuchten war verschwunden.

„Mit Menschenaugen sieht man echt wenig!“ Rief er aus und erschrak über die eigene Stimme.

Immer noch voller Glückseligkeit machte er sich auf den Heimweg. Die Zeit schien zu fliegen, obwohl er nun noch weniger sah, als vorher, erschien ihm der Wald gar nicht mehr so gruselig. Schneeflocken tanzten um ihn herum und schienen selbst ein Wenig Licht auszustrahlen. Schon stand er vor den Stadttoren. Jedoch konnte er nicht mehr einfach hindurchschlüpfen, wie er es als Katze konnte.

Überhaupt erschien ihm alles viel kleiner, als von seinem früheren Blickwinkel. Nun musste er nur bis zur Dämmerung warten um hineingelassen zu werden.
 

Am nächsten Morgen wachte Finn völlig steif gefroren am Wegrand auf. Die Tore der Stadt waren bereits offen und der Junge rannte freudig los zu Lilly. Was wird sie sich wundern ihn zu sehen!

Doch er kam nicht einmal in das Haus hinein. Man knallte ihm das Tor vor der Nase zu.

Noch war Finn nicht entmutigt. Er wusste, dass seine Menschenfreundin heute zum Markt gehen wollte und so lauerte er in der Nähe des Tores.

So langsam regte sich der Hunger in ihm und auch die Kleidung wärmte ihn nicht mehr. Finn versuchte sich mit Springen warm zu halten. Als Lilly plötzlich mit ihrer Amme aus dem Tor hinaustrat.

„Lilly!“ Er schrie freudig auf und rannte auf sie zu. Lilly allerdings wich vor ihm zurück.

„Wer bist du? Ich kenne dich nicht!“

„Aber ich bin es doch! Finn, der kleine Kater…ach ja, jetzt bin ich ein Junge! Ein Menschenjunge! Ich war im Wald und da war ein Brunnen, ich hab eine Münze aus deinem Zimmer stibitzt und bin damit zum Brunnen und habe mir gewünscht, ein Mensch zu sein.“ Der Junge redete so schnell, dass das Mädchen kaum mitkam. Misstrauisch verengten sich Lillys Augen. Die Geschichte hörte sich unglaubwürdig an. Sie drehte sich auf dem Absatz um, ihre roten Locken wirbelten in der Bewegung mit. Lilly ging weiter, ohne den merkwürdigen Jungen mit den struppigen, strohfarbenen Haaren und der Stupsnase noch eines Blickes zu würdigen.

Entsetzt stand Finn da und wusste nicht, was er tun sollte. „Aber Lilly…“ begann er, als die Amme sich energisch dazwischen meldete und ihm den Umgang mit ihrem Schützling verbat.
 

Am Boden zerstört, lehnte er sich an die Ziegelmauer. Er fühlte, wie die Euphorie aus ihm wich.

Was sollte er nun tun? Er konnte nicht mehr nach Hause zurück und Lilly kannte ihn nicht mehr.

Damit hatte er nicht gerechnet. Wie konnte sie nur so kaltherzig sein? Tränen rannen ihm warm die geröteten Wangen herab. Sein Hals schmerzte von der kalten Luft und er war müde von der langen Wanderung.

Am Liebsten wollte er sich nur irgendwo hinlegen. Aber aus seinem früheren Katzenleben wusste er, dass nur schlechte Menschen sich einfach auf den Boden legten um zu schlafen.

Er musste sich ein neues Heim suchen und vor allem jemanden, der ihm etwas zu essen gab.

Niedergeschlagen schlich er durch die Straßen, bis er beim Markt angelangt war. Früher bewunderte er all die schreienden und geschäftigen Menschen, außerdem konnte man hier als Katze so einige Leckereien stibitzen.

Nun konnte er hier vielleicht für einen Menschen arbeiten, der ihm etwas zu essen gab?

Jedoch hatte Finn kein Glück. Es war doch Winter, da wollte niemand einen wildfremden Burschen anstellen. Jeder klammerte sich nur noch am blanken Überleben.

Als er dann beim Stehlen erwischt wurde und durch die Straßen gejagt wurde, flüchtete er sich wieder in den Wald.
 

Voller Verzweiflung grub er seine Hände in den Schnee, nahm einen weißen Haufen heraus und stopfte ihn sich in den Mund. Es war eiskalt, aber löschte auch den brennenden Durst.

So konnte es nicht weitergehen, das wusste Finn. Aber selbst für die Mäusejagd war er nun viel zu langsam. „Menschen können keine Mäuse fangen, deswegen haben sie uns.“ Hallte die Stimme seiner Mutter in seinem Kopf.

„Ich war so dumm. Mensch sein ist die schlechteste Idee, die ich jemals hatte. Es macht überhaupt keinen Spaß und Lilly mag mich auch nicht mehr.“ Er fing wieder an zu schluchzen.

Allmählich senkte er sich in den Schnee, ganz langsam entspannten sich seine Glieder und er schloss die Augen. Es ist gar nicht so schlimm, wenn er hier einschlafen würde. Auf einmal war ihm merkwürdig warm zumute. Es war das erste gute Gefühl, das ihn am heutigen Tag erfüllte.
 

Finn schrak aus dem Schlaf auf, Hundegebell dröhnte ihm entgegen, er spitzte die Ohren und blinzelte in ein grelles, gelbes Licht. Warmer Atem blies ihm entgegen.

„Hey kleines Kerlchen, geht’s dir gut?“ Es war ein in grün gekleideter Mann mit einem buschigen Bart. Seine Augen waren im dämmrigen Licht nicht zu erkennen, aber auf seiner Stirn zeichneten sich Sorgenfalten. Große Hände streckten sich Finn entgegen und hoben ihn auf.

„Was hast du denn da? Ist das ein Groschen? Seltsam.“ Der Mann nahm ihm die Münze aus dem Maul.

Da sah Finn zu sich herab und erkannte weiße Pfoten, seine weißen Pfoten! Überrascht weitete er seine Augen. Was ging hier vor?

„Ach du Ärmster, du bist ja völlig unterkühlt! Ich nehm’ dich erstmal zu mir, da ists warm.“

Der kleine Kater ließ es mit sich geschehen. Er konnte sich nicht vorstellen, dass ihm noch etwas Schlimmeres widerfahren konnte. Auf seinem Rücken hatte der Mann einen langen, harten Gegenstand umgebunden. In der anderen Hand trug er eine alte Öllampe. Hinter ihm folgten seine zwei Hunde Schwanz wedelnd.
 

Er brachte Finn in eine alte Holzhütte, die nach Fichten roch. Sie war warm von dem Feuer, das in einer offenen Stelle knisterte. Auf einem Schaukelstuhl davor lag eine Katze mit seltsamer Zeichnung. Ihr Gesicht, die Pfoten und der Schwanz waren dunkel, aber der Rest ihres Felles war hell, wie warme Milch. Sie wachte von einem Schlummer auf, als sich die Holztür krachend öffnete.

„Oh Lilly, habe ich dich geweckt? Sieh dir mal an, wen ich hier mitgebracht habe!“

Der kleine Kater richtete sich auf. Die Katze hieß Lilly? Sein Herz fing an, schneller zu pochen.

Jedoch war er noch viel zu schwach, um eigenständig von dem Mann hinunter zu springen.

Also legte dieser ihn neben dem Katzenmädchen auf den Stuhl.

Sie beschnupperte ihn, leckte ihm die gefrorenen Ohren und schnurrte beruhigend.

Auch Finn hatte angefangen zu schnurren und fühlte sich unglaublich geborgen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  SunWarrior
2009-09-07T22:52:15+00:00 08.09.2009 00:52
Au weh-man, habe ich doch glatt nen kommi vergessen-also ich finde diese kleine Geschichte wunderbar. solche kleinen Märchen gefallen mir, und du hast hier ein richtig schönes geschrieben. weiter so.


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