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Die Blutfinke

Wenn die Phantasie zur Waffe wird
von

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Zeichnen

Über sich schmunzelnd räumte sie den Schaden weg. Sie musste sich eingestehen, dass sie sehr müde war, außerdem wurde in der Schule erst über das Thema Abtreibung gesprochen. Die anderen hatten es ganz cool hingenommen, aber ihr war es nahe gegangen. „Ich bin wohl doch ein Weichei, wenn mich alles so sehr bewegt“, sagte sie sich scheltend.

Dann machte sie sich das gewünschte Käsebrot mit Gurke.

Der Appetit war zurückgekehrt. Sie nahm das Brot und die Hand, lächelte und führte es zum Mund und öffnete den Mund.

Applaus ertöte.

Sie hielt inne.

Es kam vom Wohnzimmer. Die Talkshow lief noch im Fernsehen.

Aber Marie-Louise hatte doch den Apparat ausgeschaltet!

Sie legte das Brot nieder und ging energisch in das Wohnzimmer.

„Huch!“
 

Erschrocken stand sie da.

Da war ein Kind.

Ein kleiner Junge.

Er sah armselig aus, der Pullover war übergroß und löchrig, die Hose schmutzig und abgetragen. Er trug keine Schuhe, die Füße steckten in dicken Socken. Seine Hände waren schmutzig, die strähnigen Haare umrahmten ein bleiches Gesicht und fahlen Augen, die sie stechend musterten.

Wie kam er her?

Der kleine Junge saß auf dem Teppich. Über den ausgestreckten Beinchen hatte er einen großen Ringblock liegen und in der rechten Hand hielt er einen roten Kugelschreiber, den er wie einen Stock mit allen Fingern umklammerte.

Marie-Louise rang nach Luft. Dann fasste sie sich halbwegs und hauchte die Frage: „Wie kamst du hier herein?“ Sie schätzte sein Alter auf sechs bis sieben Jahre.

Der Junge schaute sie mit großen Augen an. Sein Blick hatte nichts kindliches, ihr war, als hätten seine Augen schon unendlich viel gesehen. Dann wandte er den Block zu und kritzelte er über das Papier. Sie erschauderte.

„Haben dich meine Eltern herein gelassen? Wie heißt du denn?“

Er antwortete nicht.

Sie wurde gereizt. „Kannst du nicht antworten?“

Er schwieg und fuhr mit dem Kugelschreiber hektisch über das Papier. Er überzog es mit roten Wirbeln.

Sie beugte sich vor und fasste ihn an der Schulter. Er zuckte zusammen. Er hielt kurz inne, dann raste er noch heftiger über den Block. Ein heftiger roter Sturm wütete und riss das Papier auf, der Kugelschreiber pflügte über das darunter liegende Blatt.

Sie ließ ihm los und trat zurück.

Sie beobachtete ihn schweigend. Dann drehte sie ab und ging in die Küche um zu Essen. Sie war überrascht, dass ihre Eltern ein Kind nach Hause gebracht hatten ohne es ihr zu sagen. Überhaupt war es sonderbar, dass ihre Eltern ein fremdes Kind herein gelassen hatten.
 

Sie hielt inne. War er eingebrochen? Sollte sie die Polizei rufen?

Marie-Louise ging zur Tür. Diese hatte sie beim Eintreten auf geschlossen. Waren Fenster offen? Sie schritt durch das leere Haus. Sie betrat die einzelnen Zimmer, sie ging in den Keller und in die Garage, sie rüttelte an den Fenstern. Alles war abgeschlossen.

So wie immer. So wie es die Eltern verlangt hatten. So, wie sie es ihr immer befohlen hatten sorgfältig alles abzuschließen, denn Einbrecher lauerten überall…

Nur eine Tür war halb offen. Der rechte Türflügel des großen Biedermeierschrankes im Flur zur Garage stand offen. Dahinter leuchteten die Bretter der Rückwand des Schrankes. Im gemaserten Holz starrte sie die dunkle Astmaserung wie Augen an.

Sie drückte die Tür zu. Dann kehrte sie in die Küche zurück.
 

Als sie ins Brot gebissen hatte, richtete sie ihren Blick zur Küchentür. Der Junge stand vor ihr. In der Hand hielt er ein Blatt Papier.

„Für mich?“ Sie lächelte ihn flüchtig an.

Er reichte ihr das Blatt. Sie nahm es freundlich ab. Darauf war ein Gesicht gezeichnet; so deutete sie die Wirbel auf roten Kugelschreiber. Ein großer Kreis, die Umrisslinie hastig gezogen, darin zwei kleinere Wirbel, in ihrem Zentrum stark verdichtet. Dicke Striche zu Balken verdichtet, führten von diesen Flächen parallel aus dem großen Kreis heraus, auch hier hatte die Kinderhand leidenschaftlich gewütet, dass das Papier an manchen Stellen durchgedrückt war.

Marie-Louise schaute sich das Bild an. Ein weinendes Gesicht? Aber war es denn ein Gesicht? Nase und Mund fehlten und die „Augen“ füllten den Kreis nahezu aus. Unter dem großen Kreis gingen vier dünne Linien aus als wären es Gliedmaßen eines Tintenfisches. Sollte es ein Tier sein?

Sie schaute den Jungen in die Augen. Das verunsicherte ihn und er drehte sich weg.

„Kannst du sprechen?“

Er reagierte nicht.

Sie seufzte. Wie sollte sie mit ihm reden können wenn er nicht darauf reagierte? Oder hörte er nicht? Warum hatte er dann den Fernseher ein geschaltet?

Ah! Sie begriff. Damit SIE ihm wahr nahm! Also konnte er nicht sprechen, folgerte sie.
 

„Magst du etwas Essen?“ Marie-Louise deute auf ihr Brot. Die Zeichnung hatte sie auf die Ablage gelegt.

Er schüttelte den Kopf und kehrte zurück ins Wohnzimmer. Sie zuckte mit den Schultern und nahm das Brot in die Hand. Nun wollte sie sich nicht mehr stören lassen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  EzraGallagher
2011-01-08T13:02:56+00:00 08.01.2011 14:02
In diesem Kapitel fand ich Marie Louises Reaktion auf das fremde Kind ein bisschen ungewöhnlich, denn normalerweise würde man doch eher versuchen mit seinen Eltern oder vielleicht auch der Polizei Kontakt aufzunehmen, wenn plötzlich ein kleines Kind, was auch noch ein bisschen verwahrlost aussieht, in der Küche auftaucht. vor allem wenn man gerade noch eine Sendung über Kinder mit paranormalen Fähigkeiten im fernsehen geguckt hat.
Das hat mich an dem Kapitel ein bisschen gewundert. Sonst fand ich es ganz gut, und auch ein bisschen unheimlich:)
Von:  nufan2039
2008-10-31T12:35:25+00:00 31.10.2008 13:35
Hm. Ich finde es immer noch spannend, aber auch merkwürdig, wie sie darauf reagiert, dass da ein fremdes Kind ist. Will definitiv wissen, wie es weiter geht. ^^
Was mir aufgefallen ist, manche Worte wirken gekünselt, gestellt. So als hättest du umbedingt gewählte Worte nutzen wollen. Dadurch wirkt es manchmal gestellt. Aber die Story find ich interessant!


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