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Eltanin

Die Stimme der Drachen
von

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Die Stadt Selnub

Kapitel 2
 

Die Stadt Selnub
 

Kaya brauchte knapp zwei Wochen, bis sie sich auf dem Berg zurecht fand. Sie ging oft stundenlang auf Erkundungstour, natürlich immer in Begleitung ihres neuen Freundes. Kaya hatte sich angewöhnt laut mit dem Drachen zu sprechen, obwohl die Antworten nur telepatisch zurückkamen. Doch irgendwie schien der Drache immer besser sprechen zu können, wenn sie die Worte laut aussprach.
 

„Kaya, es wird immer dunkler, wir sollten zurück gehen!“ Der kleine Drache hüpfte nervös um sie herum. Kaya überprüfte eine ihrer Fallen und stellte enttäuscht fest, dass wieder keine Beute darin war.

„Ja ja, wir gehen gleich. Wie kann es sein, dass alle Köder gefuttert, aber kein einziges Tier gefangen wurde?“ Seufzend legte Kaya den Köder, in diesem Fall ein paar Nüsse, auf ihren Platz.

„Vielleicht sind die Tiere einfach zu schlau für dich!“, neckte sie der Drache und stupste sie mit seiner Schnauze an.

Kaya lachte und schupste den Drachen neckisch von sich. Die beiden waren sich in den zwei Wochen immer näher gekommen.

„Lass uns gehen, heute wird es wohl kein Essen geben.“ Der Drache rannte voraus und schaute noch einmal zu Kaya zurück. „Für dich vielleicht nicht!“

Der Drache rannte immer schneller und hüpfte ein paar Meter in die Höhe, wobei er seine lederartigen Flügel ausbreitete. Obwohl sich der Drache noch recht ungeschickt anstellte, würde es nicht mehr lange dauern, bis er flog, das wusste Kaya. Mit wachsendem Unmut bestätigte sich auch das, was sie noch über Drachenbabys wusste, sie wuchsen unglaublich schnell. Der Drache hatte sie nun um einige Zentimeter überholt. In den nächsten drei Monaten, das hatte sich Kaya gemerkt, würde der Drache bis zu fünf Meter in die Höhe schießen.
 

Kaya erreichte ihre Höhle kurz nach Einbruch der Dunkelheit. Sie hatten sich schon nach wenigen Tagen eine neue Höhle suchen müssen, denn der Drache passte nicht mehr durch den Eingang. Ihre neue Zuflucht war eine verlassene Bärenhöhle, wie es schien. Sie war nicht so gut versteckt, aber durchaus sicher.

Kaya fand ihren Freund kauend vor einem prasselnden Feuer. „Du hast ne Ewigkeit gebraucht, ich hab schon mal Feuer gemacht.“

Die Stimme des Drachen klang in Kayas Kopf voller Triumph, doch Kaya wusste, dass er nur ein paar Funken aus seinen Nüstern sprühen konnte und dann mit seinen Flügeln die Glut entfachte. Erschöpft setzte sie sich dich an den Drachen, um sich auf zu wärmen, allerdings klang dessen Schmatzen alles andere als appetitlich. Der Drache drehte seine blutverschmierte Schnauze in Kayas Richtung und entblößte eine Reihe messerartiger Zähne. „Ich will ja nicht so sein, da vorne hab ich was für dich hingelegt.“

Kaya schaute in die Richtung, in die der Drache blickte und entdeckte zwei tote Kaninchen. „Das du mit so wenig Futter überleben kannst, ist mir echt ein Rätsel...“

Der Drache schnaubte. Kaya lachte. „Ich hab doch ein viel kleineren Magen als du, ich brauch nicht so viel Energie.“ Kaya stand auf und beugte sich über die Kaninchen. „Danke, Drache. Aber das musst du nicht tun. Sollte ich verhungern, bin ich es eh nicht wert zu leben.“

Der Drache schaute sie ernst an. „Wenn du nicht mehr da bist, bin ich ganz alleine. Du bist ein Kind, oder? Also, musst du auch versorgt werden.“

Kaya häutete geschickt die Kaninchen und achtete darauf ihr Fell zu erhalten. „Du unterschätzt dich, Drache. Ich bin viele Jahre vor dir geboren. Ich bin acht Jahre alt und du nicht einmal ein Jahr, gib nicht so an.“ Kaya legte die Kaninchen auf ihr selbst gebasteltes Gerüst und ließ sie langsam vor sich hin garen. Der Drache schwieg eine Weile.

„Drachen sind von geburt an weiser als Menschen, sie werden mit einem großen Wissen geboren, selbst auf das Wissen ihrer Vorfahren können sie zugreifen.“ Das alles wusste Kaya bereits. Ihre Mutter hatte sie gut unterrichtet, nur dass sie sprechen konnten, hatte sie nicht gewusst. „Das alles weiß ich von meiner Mutter. Sie brauchte nur einige Sekunden um mir das bei zu bringen, was ihr Menschen in vielen Jahren erlernt.“

Kaya tastete nach den Kaninchen, sie waren noch nicht fertig. „Du gibst ja ganz schön an. Mir ist schon klar, dass ich nicht so schlau bin wie du. Aber dafür kannst du ja nichts, wärst du nicht als Drache geboren, sondern als Frosch, würdest du nur Quaken können.“
 

Der Drache brüllte, es war wohl so etwas, wie ein Lachen, denn er schaute Kaya belustigt an. „Du bist gar nicht mal so dumm, wie ich dachte, Kaya.“ - „Danke!“, antwortete sie sarkastisch und knabberte an einem der fertigen Kaninchen.

Als Kaya ihre Malzeit beendet hatte, lehnte sie sich zufrieden an den Drachen. „Kaya?“ – „Hm?“ Der Drache beugte sich so über Kaya, dass sie sich direkt in die Augen sehen konnten. „Ich bin in dem Alter, einen Namen zu bekommen. Ich darf mir keinen selbst aussuchen, weißt du einen für mich?“

Kaya überlegte lange. Die Frage hatte sie gerührt, doch Kaya hatte nie gehört, dass Drachen Namen hatten.

„Was bist du eigentlich?“ Der Drache schaute sie fragend an. „Was meinst du?“ – „Ich meine, bist du ein Weibchen oder ein Männchen?“ Die Augen des Drachen funkelten belustigt. „Ich bin eine junge Frau!“, antwortete das Drachenmädchen hochnäsig. „Ein Weibchen, also... hm...“ Kaya überging die Anspielung des Drachens. „Komm mal mit!“

Kaya stand auf und wartete auf den Drachen, der sich nur langsam aufrichtete.

„Hast du meine Frage vergessen?“, fragte sie beleidigt. Kaya schüttelte den Kopf und deutete auf den sternenklaren Himmel, als sie draußen waren.

„Dort oben gibt es Sternenbilder. Wir Menschen verbinden bestimmte Sternenanordnungen und geben ihnen Namen. Dort ist das Sternzeichen des Drachens.“ Kaya deutete auf die Annordnung verschiedener Sterne und das Drachenmädchen lauschte gespannt.

„Dieser Stern dort, im Auge des Drachens, heißt Eltanin! Wenn du ihn magst, werde ich dich Eltanin nennen.“

Der Drache schwieg lange. Er blickte auf den Sternenhimmel und in ihren Augen schienen Millionen von Sterne zu funkeln. Kaya war von diesem Anblick so ergriffen, dass sie vergaß zu atmen. Eine Ewigkeit schien zu vergehen, bis sich das Drachenmädchen endlich zu Kaya drehte. Kaya seufzte erleichtert.

„Was war das gerade?“, flüsterte Kaya. „Ein Ritual. Ab sofort sind die Sterne meine Zeugen. Mein Name ist Eltanin, ich wusste, du würdest ihn herausfinden!“

„Herausfinden? Wie meinst du das? Ich wusste doch gar nicht, wie du heißt!“ Eltanin schaute Kaya eindringlich an. „Dir kam dieser Name in den Sinn, weil du ihn gespürt hast. Manche Wesen verfügen über diese Gabe.“

Kaya weigerte sich, zu glauben, eine so besondere Gabe zu besitzen. Magie beherrschten zwar nur wenige Menschen, doch es gab genug bekannte und große Magier und Kaya war sich bewusst, das sie nur eine mittelmäßige Magierin war und werden würde.

„Früher gab es viele Menschen, wie dich, Kaya. Menschen, die mit uns Drachen sprechen konnten, doch das ist sehr lange her. Auch wir Drachen haben diese Fähigkeit, mit Menschen zu kommunizieren, nach und nach verloren. Ich glaube, das wir beide uns getroffen haben, war kein Zufall!“

Kaya schaute Eltanin fassungslos an. „Wie meinst du das? Früher konnten alle Menschen mit Drachen sprechen? Wieso steht davon nichts in den Geschichtsbüchern?“ Eltanin trottete langsam zurück in die Höhle und Kaya folgte ihr neugierig.

Die Nacht schien diesmal besonders kalt und Kaya lehnte sich gleich an den Körper des Drachens, als sie sich hinlegte.

„Alles, was ich weiß, wissen auch meine Brüder und Schwestern, doch sie verdrängen unsere Vergangenheit und sind wild und misstrauisch gegenüber jedem Wesen. Doch vor vielen Jahrhunderten war das anders. Menschen und Drachen lebten Seite an Seite in einer symbiotischen Beziehung. Das meiste Wissen der Menschen über Magie, stammt von uns Drachen.

Lange Zeit war alles Friedlich, doch irgendwann brach ein gigantischer Krieg aus und es wurden unzählige Menschen getötet. Jene Drachen, die sich mit einem Menschen verbunden hatten, starben ebenfalls und je länger der Krieg andauerte, desto weniger Drachen gab es. Die Drachen entschieden, dass es das beste für alle sei, wenn sie die Verbindung zu den Menschen abrechen würden und sich zurückzogen, um ihre Rasse vor dem Aussterben zu bewahren. Der Krieg endete und es gab keine Gewinner, nur Verlierer. Die Menschen verbrannten aus Frust und Zorn über das Verschwinden der Drachen, alles, was mit uns zu tun hatte.

Das Land brauchte lange, um sich von diesem Krieg zu erholen und so, wie die Menschen die Drachen nach und nach vergaßen, desto mehr verdrängten die Drachen ihre Vergangenheit mit den Menschen.“

Kaya saß lange schweigend in ihren Gedanken versunken da. Wie konnte es sein, das die Menschen etwas so wichtiges vergessen hatten? Alles, was Eltanin gesagt hatte, schien so unglaublich, doch es erklärte auch ihre momentane Situation und warum sie mir Eltanin sprechen konnte.

„Diese Verbindung mit einem Menschen, was hast du damit gemeint, Eltanin?“ Die Drachendame schreckte aus ihren eigenen Gedanken auf.

„Ich weiß nicht viel über diese Verbindung, nur das sie sehr eng war. Im Geiste haben sich Mensch und Drachen vereint, was beiden ganz besondere Fähigkeiten verlieh. Doch diese Verbindung ist vom ältesten Drachenrat verboten worden. Es ist gefährlich, sich mit einem Menschen zu vereinen. Menschen sind zerbrechliche Geschöpfe und wenn sie starben, starb auch ihr Drachenpartner.“ – „Und wenn die Drachen starben?“ Eltanin schnaufte und legte ihren schuppigen Kopf auf ihre Vorderpfoten. „Menschen könnten das überleben, aber wenn ihre Verbindung zu ihrem Partner zu stark war, starben auch sie.“

Kaya beugte sich zum Kopf ihrer Freundin runter. Sie flüsterte nur, doch Eltanin verstand sie genau. „Haben wir so eine Verbindung?“

Eltanin schreckte hoch und schaute Kaya ernst an. „Es war ein Versehen, ich habe aus Instinkt gehandelt!“

Kaya hatte die Drachendame noch nie so aufgebracht erlebt, aber sie beruhigte sich schnell. „Wie hast du es gemerkt?“

Kaya zuckte mit den Achseln. „Seit wir uns kennen spüre ich mehr und mehr etwas in meinem Inneren, das nicht ich bin. Es gehört irgendwie zu mir, aber es ist nicht ich. Ich weiß nicht, ob du das verstehst.“

Eltanin lachte, was eher, wie ein knurren wirkte. „Ich verstehe dich auch ohne Worte, Kaya. Auch ich spüre dich immer mehr in meinem Geist. Auch wenn ich anfangs angst hatte- zu spüren, dass immer jemand da ist, beruhigt mich irgendwie.“ Kaya nickte. „Ich fühle mich auch nicht mehr einsam. Das ist schön!“

Eltanin schwieg und Kaya schmiegte sich an den Drachen. Lange, nachdem Kaya schon eingeschlafen war, dachte Eltanin über alles nach. Sie hatte gegen ein Gesetz der Drachen verstoßen und es gab nur wenige, die dafür umso wichtiger waren.

Wenn jetzt, in diesen Kriegszeiten plötzlich ein Drachenmagier auftauchte, wäre das Gleichgewicht der Menschen dahin. Eltanin hatte in Kayas Geist beunruhigende Bilder gesehen. Die Soldaten hatten gezielt Kayas Familie und anschließend sie selbst gejagt. Wusste dieser feindliche König etwa von ihrer Gabe? Kaya war noch ein kleines Kind, nicht mehr lange und sie selbst müsste dieses Kind beschützen, schon um ihr eigenes Leben zu schützen.

Doch so schrecklich dieser Gedanke auch schien, wenn sie das Kind, das sich so friedlich an sie schmiegte, betrachtete, hatte sie ein warmes Gefühl im Herzen. „Ich hoffe uns bleibt noch viel zeit, bis all das in unser Leben tritt.“
 

Es blieb ihnen sogar mehr Zeit, als Eltanin je erhofft hatte.
 

„Gut, nur noch einen Augenblick... Jetzt!“

„Geschafft!“ Vor Kaya schwebte ein kränkliches Wildschwein und schien zu schlafen, doch es war tot. In den letzten zwei Jahren auf dem Berg hatte ihr Eltanin viele nützliche Arten gezeigt, wie man mit Magie jagte.

„Ich hätte nicht gedacht, dass ich mal so eine gute Magierin werde!“, lächelte sie ihre Freundin im Geiste an. Eltanin flog in einigen Kilometer Entfernung in Kreisen und suchte sich und Kaya Beute. Die ausgewachsene Drachendame hatte mit ihrer Anwesenheit die Meisten Tiere verscheucht und so gingen sie und Kaya immer getrennt jagen.

„Vergiss nicht, dass ein Teil davon auch meine Magie ist, Kaya.“ Kaya seufzte. Eltanin hatte in den letzten Jahren ihre Ausbildung in Magie übernommen und dieser Satz ging ihr immer mehr auf die Nerven.

„Ich weiß, ich weiß! Warum sagst du das dauernd, als ob ich deine Magie missbrauchen würde?“ – „Du sollst es nur nicht vergessen!“ Die Drachendame flog eine letzte Runde und machte sich auf den Rückweg. Die Verbindung der beiden hatte sich in den zwei Jahren auf den Berg so gefestigt, das sie immer wussten, wo der andere gerade war und was er dachte und sie unterhielten sich ausschließlich im Geiste. Das sie keine Geheimnisse voreinander haben konnten, störte die beiden nicht.

Die beiden hatten es sich zur Angewohnheit gemacht, alle paar Wochen ihr Versteck zu ändern, denn Unglaublicherweise begegneten den beiden von Zeit zu Zeit immer noch ein paar Soldaten von Aldebaran.

Es war ihnen ein leichtes, die Truppen zu umgehen, doch ihre Hartnäckigkeit war schon fast bewundernswert.

„Ist irgendein Schleicher in der Nähe?“, fragte Kaya ihre Freundin, als sie ihr Versteck erreichte. Eltanin setzte zur Landung an, was immer eine Menge Wind mit sich brachte, und bückte sich zu ihrer winzigen Partnerin hinunter. „Kein Soldat, weit und breit, die lassen sich diesmal ziemlich viel zeit.“ Kaya seufzte. „Vielleicht haben sie auch endlich aufgegeben!“ – „Schön wäre es ja, aber es ist unwahrscheinlich.“ Die beiden hatten sich an ihre Vorsichtsmaßnahmen gewöhnt und würden sie auch beibehalten wenn sich über Jahre kein Soldat blicken lassen würde.
 

Die Sonne ging langsam unter. Auf der Bergspitze herrschte ständig Winter, doch Kaya konnte an den kleinen Temperaturunterschieden und der Länge des Tages erkennen, dass auch im Tal Winter sein müsste.

„Wann willst du endlich in die Stadt aufbrechen, Kaya?“ In den letzten Tagen hatte Eltanin dieses Thema für Kaya viel zu oft angeschnitten.

„Warum drängst du mich dazu? Wir leben hier doch ganz gut, oder?“

Doch die Wahrheit sah anders aus. Manchmal gab es so lange keine Nahrung, dass sie sich mit Magie am Leben erhalten mussten und ganz ausgemergelt waren.

„Du hast Angst, oder? Angst, dass du mit den Menschen nicht mehr zurecht kommst. Kaya, du bist ein Mensch, du musst unter deinesgleichen Leben!“ Kaya schaute sauer zu ihrer Freundin hinauf. „Und was wird dann aus dir? Als ob du mit in die Stadt kommen könntest. Keiner der Menschen bedeutet mir etwas, lass mich damit in Ruhe!“

Kaya bereitete genervt ihr Essen zu und ignorierte die bohrenden Blicke der Drachendame. „Unsere Verbindung bleibt auch bestehen, wenn wir nicht aufeinander hocken. Die Stadt ist gar nicht so weit von hier entfernt, wenn du dann älter bist...“ – „Willst du damit sagen, dass ich dich nerve? Wieso bist du so verdammt stur? Ich bleibe bei dir und damit basta! Autsch!“ Kaya hatte sich so aufgeregt, dass sie sich mit ihrem selbst erstellten Messer schnitt.

Auch die Drachendame zuckte zusammen und schaute auf ihre vordere Klaue. „Wer von uns ist hier stur? Pass ein bisschen besser auf, das tut mir auch weh!“ Kaya ignorierte den Drachen und heilte ihren Finger in Sekundenbruchteilen.

Den restlichen Abend über schwiegen sie sich an. Seit ihrem kennen lernen hatte es immer mehr Situationen, wie diese gegeben. Die beiden stritten sich und machten so ihrem Unbehagen Luft, das in der letzten Zeit stetig wuchs.

Etwas geschah und sie wussten nicht, was es war.

„Wir sollten schlafen gehen, es scheint morgen sehr kalt zu werden.“ Die Drachendame hielt ihre Schnauze in den Wind. Kayas anfängliche Bedenken über die Größe von Eltanin hatte sich schnell in Luft aufgelöst.

Auch wenn sie selbst einige Zentimeter in den letzten Jahren gewachsen war, die Drachendame überragte sie um einige Meter. Auch das Äußere ihrer Partnerin hatte sich verändert. Aus dem grauen Drachenbaby mit den goldenen Augen war eine grazile silberne Drachendame mit eisblauen Augen geworden. Sie erinnerte Kaya irgendwie an einen Eisdrachen, denn sie passte perfekt zur ständigen Schneelandschaft.

„Lass uns schlafen.“, unterbrach Eltanin ihre Gedanken. Die beiden hatten aufgegeben passende Höhlen zu suchen und nutzten Eltanins natürliche Wärme um zu überleben. Kaya verschwand unter einen von Eltanins riesigen Schwingen.

„Du bist auch nervös, wegen diesem seltsamen Gefühl, oder?“

Eltanin schaute das schwarzhaarige Mädchen eindringlich an. Dann nickte sie. „Etwas geschieht und ich will dich in Sicherheit wissen, Kaya.“ Kaya schnaubte.

„Wo bin ich sicherer, als bei dir? Gerade, weil ich so nervös bin, will ich bei dir bleiben. Es wäre ein fehler, wenn wir uns jetzt trennen würden.“ Der Drache wirkte nicht überzeugt.

„Du bist noch ein Kind, du weißt gar nicht, was richtig für dich ist. Schlaf jetzt Kaya.“ Kaya widersprach nicht und schlief erschöpft ein.

In den letzten Jahren war Eltanin erst wie eine Schwester und dann wie eine Mutter für Kaya geworden und auch Eltanin behandelte das Menschenkind immer mehr wie ihre Tochter.
 

Kaya schreckte aus einem ihrer wirren Träume auf und auch Eltanin lauschte angespannt in die Stille. Irgendetwas war dort in der Dunkelheit.

Es war kein Geräusch, sondern ein Gefühl, dass Kaya aufgeweckt hatte. „Siehst du etwas, Eltanin?“

Die Drachendame spannte ihren Körper an. „Nein, aber das muss nichts heißen. Ich glaube, wir werden beobachtet!“ Kaya regte sich nicht und hielt ihren Atem an.

Mit ihren, durch den Drachen geschärften Sinnen, konnte sie leise Atemgeräusche hören. „Es sind Männer, ein Dutzend etwa.“ Kaya hätte fast laut gekeucht und hielt sich den Mund zu.

„Wie haben die Soldaten es geschafft, sich so leise an zu schleichen?“ Eltanin senkte ihren Kopf und tat so, als würde sie weiter schlafen, doch ihr Körper blieb angespannt.

„Das sind keine Soldaten, das sind Profis.“

Kaya wusste von ihrer Mutter, das es Menschen gab, die darauf spezialisiert waren, Drachen zu töten. Diese Drachentöter waren die geschicktesten Jäger, die es gab, doch sie jagten ausschließlich Drachen, die Menschen angegriffen hatten.

„Was wollen sie von dir, es weiß doch niemand, dass du hier bist!“ Kaya wollte unter dem Flügel hervorschauen, um sich selbst zu überzeugen, doch Eltanin spannte ihren Flügel an.

„Sie dürfen dich nicht sehen, Kaya. Mach dich bereit, sie greifen gleich an. Bleib so lange, wie möglich unter meinen Flügel und klettere dann unbemerkt auf meinen Rücken.“

Kaya war noch nie mit Eltanin geflogen, denn sie hatte schreckliche Höhenangst, doch die Angst um ihr Leben war stärker. Kaya klammerte sich an den Körper ihrer Freundin und wartete angespannt.

Sekunden schienen Stunden zu dauern und noch bevor Eltanin „Jetzt!“ rief, hatte sie den Angriff gehört. Lautes Männergeschrei ertönte und Eltanin bäumte sich auf. Die Luft war voll vom Sirren etlicher Pfeile.

Eltanin brüllte. Ihr Schwanz peitschte durch die Luft und verwischte wie beiläufig Kayas Feuerstelle. Kaya kletterte so schnell und unauffällig, wie möglich auf Eltanins Rücken und duckte sich. Die Pfeile schossen über den Drachen hinweg.

„Die wollen dich einfangen, du musst schnell weg fliegen!“ An den Pfeilen, die mehrere Widerhaken hatten, waren Seile befestigt worden und webten den Drachen allmählich ein.

Einige Zentimeter vor Kaya bohrte sich ein Haken in Eltanins Schuppen. Sie spürte ein leichtes Stechen im Rücken, streckte die Hand aus und durchtrennte das Seil mit ihrer Magie.

„Flieg schon!“

Eltanin spannte ihre Flügel und erhob sich mühsam in die Luft. Nicht nur die Seile erschwerten ihren Start, sondern auch Kayas zusätzliches Gewicht.

Langsam rissen alle Seile und Eltanin flog höher und höher. Kaya spürte ein leichtes Ziehen in ihrem Bauch, das dann schmerzhaft abriss. Eltanin brüllte und flog endlich aus der Reichweite der Pfeile davon.

„Bist du in Ordnung?“, fragten sie beide gleichzeitig. Kaya zog vorsichtig den Haken aus Eltanins Rücken und warf ihn weg.

„Ich verstehe es einfach nicht. Du hast dich nie einem Menschen gezeigt, woher wussten sie, dass du hier bist und warum haben sie dich angegriffen?“

Eltanin schnaufte unter Kayas Gewicht, nicht, dass sie zu schwer war, sondern einfach, weil es ungewohnt war und sie sich an einen neuen Flugstil gewöhnen musste.

„Ich glaube, die Soldaten haben sie beauftragt.“, antwortete ihr die Drachendame.

„Die Soldaten? Ich dachte, sie suchen mich, was hat das eine mit dem anderen zu tun?“

Eltanin flog eine lange Schleife und stieg weiter in die Höhe. Kaya bekam kaum Luft und ihre Ohren schmerzten vom Druck. Sofort änderte Eltanin ihre Flughöhe und Kaya erkannte unter sich den riesigen Schatten des Berges Cassoah.

„Lass uns erst ein gutes Versteck finden, dann erzähle ich dir von meinem Verdacht.“ Eltanin sank immer weiter in die tiefe und kreiste hin und wieder über einige Lichtungen, doch erst ein paar Stunden später landete sie vor einer riesigen Kuhle in der Felswand.

Kaya hatte während des Fluges ihre Höhenangst vollkommen überwunden. Durch ihre geschärften Sinne hatte sie einen Einblick in eine völlig neue, faszinierende Welt und diese Welt gefiel ihr. Fast war sie enttäuscht, als Eltanin landete.

„Ich glaube hier sind wir erst mal sicher.“

Kaya rutschte von Rücken ihrer Freundin und schaute sich mit wackeligen Beinen um. „Das glaube ich auch. Wir scheinen fast am Fuße des Berges zu sein.“

Eltanin hielt ihre Schnauze in den Wind und schloss ihre Augen. „Diesen Vorsprung werden sie nicht so schnell aufholen.“, sagte sie zufrieden und schaute zu ihrer zitternden Freundin hinunter. „Es wird niemand sehen, wenn wir ein Feuer machen.“
 

Nachdem Kaya die Wunden ihrer Freundin notdürftig versorgt und sich eine Weile am Feuer aufgewärmt hatte, schaute sie zu dem nervösen Drachen hinauf. „Wie hast du das mit den Soldaten vorhin gemeint?“

Eltanin schnaubte und legte ihren Kopf zwischen ihre Vorderpfoten. Sie war noch immer angespannt.

„Es ist nur eine Vermutung, aber ich glaube, die Soldaten haben die Drachenjäger angeheuert. Sie müssen die Höhle meiner Mutter untersucht haben und die Schale von meinen Ei entdeckt haben. Ich glaube nicht, dass sie von deiner Fähigkeit wissen aber ihre Hartnäckigkeit muss einen Grund haben. Sie wollen dich finden, tot oder lebendig. Vielleicht wollen sie ja in meinem Magen gucken, wer weiß.“

Kaya betrachtete die Drachendame nachdenklich. Was sie sagte schien sinnvoll und doch schien es nicht die ganze Wahrheit zu sein. „Aber ich hab gehört, dass die Drachenjäger eine ziemlich ehrenvolle Truppe sind, die nur zum Schutz von Menschen töten.“

„Ich kenne Menschen nur aus deinen Gedanken, aber wahrscheinlich haben die Soldaten ihnen eine Menge Geld angeboten oder ihnen irgendeine Geschichte von einem Angriff aufgetischt.“

Kaya glaubte nicht, dass die Drachenjäger wegen Geld ihre Ehre vergaßen. Ihr Vater hatte Kaya immer voller Stolz von den Drachentötern erzählt und dass sie stolzer und ehrenvoller als jeder Ritter im Reich waren.

„Wahrscheinlich hast du mit der Geschichte recht, die Soldaten müssen erzählt haben, dass du jemanden angegriffen hast.“ Kaya seufzte. „Das war es dann wohl mit unserer Ruhe. Jetzt haben wir nicht nur die Soldaten, sondern auch noch Drachentöter auf den Fersen. Na, das passt doch, zwei unschuldig Verfolgte.“

Eltanin fand das nicht besonders lustig. Kaya konnte nicht länger bei ihr bleiben. Ihr Gefühl sagte ihr, dass Kaya unbedingt unter andere Menschen musste und Drachen konnten ihren Gefühlen immer trauen.

„Kaya, hat deine Mutter dir nicht gesagt, dass du zu irgendeinem Menschen musst, wenn ihr getrennt werdet?“

Kaya blinzelte müde. Sie hatte sich an den warmen Körper der Drachendame geschmiegt und war eingedöst. „Ach ja, zu irgendwen der Mallenore heißt, sollte ich gehen. Ich hab keine Ahnung ob das ein Mann oder ne Frau ist, aber er oder sie war früher mit meinen Eltern befreundet gewesen. Mehr weiß ich auch nicht, wieso fragst du?“

Eltanin antwortete nicht sofort sondern schaute ihre müde Freundin ernst an. „Ich finde, du solltest auf deine Mutter hören, du solltest Mallenore suchen.“

Kayas Antwort war nur noch genuschelt. „Das hatten wir schon, ich verlass dich nicht, auf keinen Fall.“ Noch bevor Eltanin etwas sagen konnte, war Kaya eingeschlafen. Der Flug hatte sie beide gleichermaßen Erschöpft und verlangte jetzt seinen Preis, doch Eltanin schlief in dieser Nacht nicht. Einer würde von diesem Moment an immer Wache halten müssen.
 

Als die Sonne im Begriff war auf zu gehen, wurde Kaya von ihrer Partnerin geweckt, indem diese sie immer wieder mit ihrer Schnauze anstupste. „Kaya, wach auf! Du hast Fieber.“

Kayas Augenlieder fühlten sich schwer an. Jeder Muskel in ihrem Körper schmerzte, als sie versuchte, sich auf zu richten. Ihr war heiß und kalt gleichermaßen und ihr ganzer Körper war schweißbedeckt. „Was ist denn los? Wie ist das passiert?“

Trotz ihres körperlichen Zustands, konnte Kaya noch ziemlich klar denken.

Eltanin beschnupperte sie von oben bis unten. „Ich rieche Gift.“

Kaya konnte sich nicht erinnern in irgendeiner Weise mit Gift in Berührung gekommen zu sein. Plötzlich wurde ihr übel und Eltanin drehte sie zur Seite, sodass sie sich übergeben konnte. Danach half sie Kaya, sich auf zu richten.

„Du bekamst vor ein paar Stunden Fieber, danach wurde dein Zustand zusehends schlechter. Selbst meine Magie konnte nicht helfen.“ Nervös schleckte der Drache Kaya übers Gesicht. Die Kälte tat ihr gut.

Kaya schloss ihre Augen und heilte mit ihrer Magie die schlimmsten Symptome. Es funktionierte, wenn auch nicht so gut, wie sie gehofft hatte. Erleichtert seufzte sie und schaute hoch zu ihrer Drachenfreundin.

„Ich hab gehört, dass die Drachentöter Gifte einsetzten, um ihre Beute zu betäuben, aber sie haben mich doch gar nicht getroffen.“

Auch Eltanin beruhigte sich und beschnupperte Kaya erneut. „Deshalb hat meine Magie wohl nicht gewirkt. Dieses Gift muss speziell gegen Drachenmagie wirken, aber eine so kleine Menge, wie an den Widerhaken macht mir nichts aus.“ Eltanins Nüstern schnupperten an Kayas Händen.

„Du musst dich an einem der Haken geschnitten haben, Kaya. Sieh doch, deine Hand!“

Kaya schaute auf ihre rechte Hand und erschrak. Von einem winzigen Riss in ihrem Zeigefinger bis hin zu ihrem Ellenbogen traten ihre Adern deutlich und dunkelblau hervor. Ihr Arm sah ungesund rot aus und ihr Zeigefinger war stark geschwollen. Erst in diesem Augenblick bemerkte sie den stechenden Schmerz, der von ihrem Arm ausging.

Kaya konzentrierte sich und versuchte mit ihrer Magie, das Gift aus ihrem Arm heraus zu Filtern, doch ohne die Hilfe der Drachenmagie war das Ergebnis ernüchternd.

„Ich schaffe es nicht, ich hab noch nicht so viel Erfahrung im heilen.“ Eltanin stimmte ihr zu. „Da muss ein Profi ran, dir bleibt keine Wahl. Wenn du überleben willst, musst du in die Stadt.“

Kaya wehrte sich, das zu glauben, doch tief in ihrem Innern wusste sie, das Eltanin recht hatte.
 

„Du gibst wohl nie auf.“, murrte sie und erhob sich mühsam. Der Einsatz ihrer Magie hatte sie geschwächt und ihr Arm pochte schmerzhaft.

„Warte, ich nehme dir einen Teil der schmerzen ab.“ Eltanin schloss die Augen und Kaya fühlte sich augenblicklich besser.

„Danke, du musst das wirklich nicht tun, ich halt das schon aus, wirklich.“ Eltanin winkte ab. „Geteiltes Leid, ist halbes Leid. Beeilen wir uns lieber, spring auf.“

Eltanin legte sich flach auf ihren Bauch und Kaya kletterte umständlich auf ihren Rücken. Sie konnte ihren rechten Arm nicht mehr bewegen, er hing leblos an der Seite herab und fühlte sich wie ein großer Fremdkörper an, das Gift breitete sich weiter aus.
 

Eltanin flog so schnell sie konnte, brauchte aber dennoch einige Stunden, bis sie die Umrisse von Selnub erblickten. Kaya konnte das Gift mit ihrer Magie zurückhalten, doch schon bald würde sie zu erschöpft sein.
 

Um nicht schon weitem erkannt zu werden, flog Eltanin dicht über den riesigen Bäumen und landete auf einer kleinen Wiese.

Kaya stieg erschöpft ab und streichelte mit ihrer gesunden Hand die Schnauze ihrer Freundin. „Ich lasse mich behandeln und komme wieder. Lass dir ja nicht einfallen einfach zu verschwinden! Ich würde dir bis ans Ende der Welt folgen.“ – „Ich werde warten.“, versprach Eltanin erschöpft. Sie hatte den größten Schmerz des Kindes auf sich geladen und auch sie hatte mit den daraus resultierenden Folgen zu kämpfen.

Kaya nahm ihre Tasche, mit dem Geld ihrer Eltern und folgte einem Trampelpfad in Richtung Stadt.

Sie brauchte keine zehn Minuten, bis sie die gigantischen Mauern der Stadt erblickte. Kayas Eltern hatten ihr erzählt, dass Selnub ziemlich groß war, doch für sie war ja schon eine Windmühle groß.
 

Etwa 50 Meter neben Kaya trat eine kleinere Gruppe von Menschen mit einem voll beladenem Karren aus dem Wald.

Kaya zögerte kurz, entschloss sich dann aber sich ihnen an zu schließen. Sie hatte schon so lange keine Menschen gesehen, außer natürlich den Soldaten, sodass dieser Anblick ihr irgendwie fremd vorkam.

Die erschöpfte Händlergruppe bemerkte nicht einmal, dass Kaya ihnen folgte. Langsam, da sie mit dem Karren auf dem schneebedeckten Boden nicht gut vorankamen, bewegten sie sich auf die riesige Hängebrücke und das ebenso gigantische Tor zu.

Vor dem Tor standen zwei bewaffnete Soldaten, die jeden, der eintrat, genau beobachtete. Dieser Anblick machte Kaya nervös. Zwar hatten diese Soldaten andere Rüstungen, als ihre Verfolger, doch das jahrelange Verstecken hatte seine Spuren hinterlassen.
 

Kaya wurde bewusst, dass sie auffallen musste. Sie war ausschließlich mit Tierfell gekleidet, das sie selbst zusammen genäht hatte. Ihren Arm hatte sie mit einem, aus ihren alten Sachen hergestellten, Verband verdeckt.

Sie hatte Glück. Die Wachen starrten sie zwar mit zusammengekniffenen Augen an, doch als ihr Blick auf ihre Tasche fiel, ließen sie sie ohne ein Wort eintreten.
 

Kaya wurde fast von dem Lärm erschlagen. Sie hatte noch nie so viele Menschen auf einmal gesehen. Alle liefen wild durcheinander und jeder schien beschäftigt zu sein, denn als sie jemanden ansprach, um nach einen Arzt zu fragen, lief dieser sie fast über den Haufen. Aus der Ferne hörte sie verschiedene Flöten spielen.

Ohne lange zu überlegen ließ sich Kaya von Strom mitreißen.

Die Stadt schien gar kein Ende zu nehmen. Überall standen Häuser aus Stein dicht nebeneinander und jedes hatte mehrere Stockwerke. Kaya kam nicht umhin, die Schönheit der Häuser zu bewundern, denn einige wahren reich verziert und zeugten von großem künstlerischem Können.

„Trödel nicht herum, ich kann dir deine Schmerzen nicht mehr lange nehmen, auch meine Kräfte haben ein Ende.“

Kaya wunderte sich, dass sie die Stimme ihrer Freundin noch genauso deutlich hören konnte, als stünde sie vor ihr. Sie trat in eine der Seitengassen und schaute auf die Schilder der Geschäfte. Die meisten waren Wirtshäuser oder Spelunken.

Je weiter Kaya ging, um so schwächer fühlte sie sich, bis sie nur noch taumelnd voran kam. Ihre Schmerzen wurden von Minute zu Minute schlimmer.

Kaya war in einem Viertel angelangt, in dem riesige wunderschöne Häuser mit großen Gärten standen, doch es war nicht ein Mensch zu sehen.

Mühsam schleppte sie sich weiter. Konnte das Schicksal so grausam sein, dass sie an dem einzigen Ort in der Stadt angelangt war, in dem keine Menschen herum liefen?
 

Am Ende der breiten und gut gepflasterten Straße stand ein wunderschönes kleines Schloss, doch Kaya erkannte es nur noch verschwommen. Genauso verschwommen erkannte sie die Umrisse von zwei Menschen und einem Pferd.

Plötzlich schienen alle schmerzen über sie her zu fallen. Irgendwo in der Ferne hörte die Rufe einer Frauenstimme und dicht hinter ihrem Ohr hörte sie den erschöpften Schmerzensschrei von Eltanin, dann war alles dunkel.
 

Als Kaya aufwachte, war sie völlig verwirrt. Sie lag in einem großen weißen Bett, dass so weich war, wie sie es noch nie zuvor gespürt hatte.

Erst nach und nach kamen die Erinnerungen an das, was Geschehen war wieder in Kayas Gedächtnis. Sie hatte sich an einem vergifteten Haken der Drachenjäger verletzt und war in die Stadt gegangen um einen Arzt zu suchen... aber wo war sie eigentlich?
 

Kaya setzte sich auf und schaute sich um. Sie war in einem großen hellen Raum, in dessen Mitte ein Tisch mit einer Blumenvase stand. Der Schrank an der gegenüberliegenden Wand passte zu den verzierten Häuser der Stadt, er musste von einem guten Künstler gefertigt worden sein. Alles wirkte einladend und friedlich.

Erst in diesem Augenblick fiel Kaya auf, dass sie keine Schmerzen mehr hatte. Ihr rechter Arm hing in einer Schlinge und war sorgfältig verbunden worden. Ihr Zeigefinger war noch ein wenig angeschwollen, doch ihr Arm hatte, als sie unter den Verband schaute, seine ungesunde Farbe verloren und sah wieder ganz normal aus.

Gerade als Kaya unter ihren Verband schaute, kam eine Frau mit einem Tablett herein.

„Der muss schön dran bleiben, junge Dame, das ist eine Anweisung von unserer Herrin.“ Kaya erschrak und zuckte zusammen. Sie hatte seit über zwei Jahren mit keinem Menschen mehr gesprochen.

„Aber, aber.“, lachte die braunhaarige Frau. „Du musst doch nicht gleich erschrecken. Du hast sicher großen Hunger. Hier ist eine nahrhafte Suppe und etwas Brot.“

Die Frau legte das Tablett auf einen Hocker neben dem Bett in dem Kaya saß.

Sie war ziemlich hübsch, wie Kaya fand. Sie hatte braungelockte lange Haare und ein ehrliches Lächeln.

„V- Vielen Dank.“ Kayas Stimme war brüchig und klang ungewöhnlich leise.

Kaya konnte sich nicht erinnern, das sie im letzten Jahr überhaupt einmal gesprochen hatte, denn sie hatte sich angewöhnt nur noch telepatisch mit Eltanin zu sprechen.

Die Frau lächelte und strich ihr liebevoll durch die Haare. „Wenn du dich kräftig genug fühlst, möchte unsere Herrin mit dir sprechen. Nach dem Essen schaut die Magierin noch einmal nach dir.“ Kaya nickte. Als die Frau den Raum verlassen hatte, stürzte sie sich sofort auf die Suppe. Sie hatte noch nie in ihrem Leben etwas so köstliches gegessen.

„Kaya, wie fühlst du dich?“ Schon als Kaya aufgewacht war, hatte sie Eltanin in ihrem Geist gespürt, so wie es immer war, daher erschrak sie nicht, als die Stimme plötzlich in ihrem Kopf widerhallte.

„Das weißt du doch, schließlich fühlst du das selbe.“

Kaya spürte, dass Eltanin lächelte. „Was ist geschehen?“

Kaya schaute sich noch einmal um. Durch das Fenster konnte sie einen riesigen Garten sehen. „Ich bin wohl in so einem Viertel für Reiche gelandet. Davon hat mir Mama mal erzählt. Die müssen zu denen gehören, die gesehen habe, kurz bevor ich ohnmächtig wurde.“ – „Es tut mir Leid, Kaya. Wäre ich nur ein wenig stärker, dann hättest du nicht solche schmerzen gehabt.“ Kaya winkte ab. „Du kannst nun wirklich nichts dafür, ohne dich wäre ich doch längst gestorben.“
 

Als Kaya aufgegessen hatte versuchte sie auf zu stehen, mit dem Ergebnis das sie gleich wieder ins Bett fiel. Ihre Knie waren weich, wie Butter.

Man hatte ihr ein weißes Nachthemd aus Leinen angezogen und sie gewaschen, ihre Kleidung konnte sie nirgends entdecken.

„Das möchte ich gar nicht erst sehen, sofort wieder hinlegen.“, ertönte eine strenge Frauenstimme als Kaya erneut versuchte auf zu stehen.

Eine ältere Frau mit grauen Haaren und einer hellblauen Robe stand in der Tür und schaute Kaya streng an. Diese zog ihre Beine wieder unter die Decke und schaute die Frau erschrocken an.

Das Gesicht der Alten wurde weicher und sie setzte sich neben Kayas Bett auf einen Stuhl.

„Mein Name ist Horana deCande, ich bin die Magierin dieses Hauses. Ich habe deine Verletzung geheilt.“

Ihre Stimme klang trotz des immerwährenden strengen Tons sehr gutmütig.

„Vielen Dank, Madame.“, antwortete Kaya und erinnerte sich an die Erziehung ihrer Mutter, die ihr eingetrichtert hatte, wie wichtig Höflichkeit gegenüber Fremden war.

Die Magierin nickte. „Bitte nenne mich Lady Horana. Nun, mit wem habe ich das Vergnügen?“
 

Kaya überlegte kurz. Sie wurde schließlich gesucht, konnte sie ihren Namen gefahrlos verraten?

„Was meinst du, Eltanin?“ – „Wenn es nur der Vorname ist, wird das schon in Ordnung sein.“

„Mein Name ist Kaya.“, antwortete sie verspätet.

Die Magierin nickte erneut. „Nun, Miss Kaya, in deinem Blut befand sich ein sehr starkes Gift, das dich fast umgebracht hätte. Es stellt sich doch die Frage, wie das Geschehen konnte.“ Kaya antwortete nicht gleich, denn sie besprach jede ihrer Antworten mit Eltanin.

„Ich habe mich an einem Eisenhaken geschnitten.“ Berichtete Kaya wahrheitsgemäß.
 

Die Magierin schien sich nicht an Kayas seltsamen Verhalten zu stören. „Einem Haken? Wie sah der aus?“

Kaya hatte nicht genau auf die Haken geachtet und zuckte mit den Schultern.

„Er war etwas größer als meine Hand und hing an einem Stück Seil. Ich glaube er war schwarz und hatte mehrere Widerhaken, ich weiß nicht mehr genau, wie viele.“ Kayas Stimme war noch immer sehr leise und ziemlich hoch, doch nicht mehr so brüchig, wie zuvor.

Die Magierin fuhr auf. „Wusste ich es doch! Sie wollte es nicht glauben, aber es war das Gift von diesen bestialischen Drachentötern!“
 

Kaya schaute sie verwirrt an, für ihr alter schien die Frau doch recht agil.

Lady Horana setzte sich wieder neben Kaya und griff nach ihren badagierten Arm.

„Du hattest wirklich großes Glück, Kind. Dieses Gift bedeutet für die meisten Menschen der sichere Tod. Dass du es durch die ganze Stadt bis hierher geschafft hast, ist ein Wunder.“
 

Während Lady Horana sprach entfernte sie Kayas Verband und untersuchte ihren geschwollenen Finger genau. Auch Kaya warf einen Blick auf ihren Zeigefinger und war alles andere als begeistert.

Es sah fast so aus, als hätte ein Kleinkind versucht mit buntem Ton einen Finger nach zu stellen, aber es war alles andere als gelungen. Ihr Finger war unförmig angeschwollen und mindestens doppelt so dick, wie die anderen Finger. Ihre Fingerkuppe hatte einen roten Riss und war von einem blauem Kranz umgeben, der wiederum von einem hellgrünen Kranz umgeben war. Der Rest des Fingers leuchtete in verschiedenen Rottönen.

Der Anblick war alles andere als angenehm und Kaya war froh, das Lady Horana den Finger wieder verband.
 

„Na das sieht doch schon gut aus.“, murmelte die alte Frau und lachte, als sie Kayas verdutztes Gesicht sah.

„Gestern sah es noch bedeutend schlechter aus, doch bei diesen Fortschritten wirst du schon in ein paar Tagen wieder gesund sein.“

Kaya atmete erleichtert aus. Die alte Magierin lächelte und stand auf. „Ruh dich noch ein wenig aus, Miss Kaya. Meine Herrin wünscht ein dringendes Gespräch. Ich habe ihr gesagt, dass du noch zu schwach bist. Ich werde nachher noch einmal nach dir sehen, bis dahin schlaf gut.“

Lady Horana verbeugte sich höflich und verließ das Zimmer.

„Jetzt, wo sie weg ist und du kein Gift mehr in deinem Körper hast, kann ich dir endlich helfen.“ Eltanins Stimme klang erleichtert und aufgeregt zugleich. Noch bevor Kaya etwas erwidern konnte, spürte sie die Magie des Drachens durch ihren Körper strömen.
 

Als Kaya wieder ihre Augen öffnete, fühlte sie sich erfrischt und stark.

„Ich glaube, ich sollte hier verschwinden, bevor diese „Herrin“ noch unangenehme Fragen stellt.“
 

Kaya stand auf und sah sich im Raum um. Ihre Beine hatten ihre alte Kraft zurück erlangt und auch sonst war sie vollkommen genesen, nur ihr Finger sah noch genauso aus, wie zuvor.

Da Kaya ihre Sachen nirgends finden konnte, stöberte sie in den Schränken herum und würfelte sich aus den ihr viel zu großen Sachen etwas zusammen.

Sie zog sich ein viel zu großes weißes Hemd über und auch ihre braune Hose musste sie mehrmals umkrempeln. Zuletzt funktionierte sie einen langen schwarzen Schal zum Gürtel um und lief zum nächsten Schank.

Zu ihrer großen Überraschung fand sie ein Kindermantel, der ihr nur ein wenig zu groß war und ein paar warme Stiefel, die sie fest zu band. So würde sie sicher nicht erfrieren und konnte zurück zu Eltanin.

Kaya schlich zum Fenster und musste enttäuscht feststellen, dass sie sich im zweiten Stock befand. Sie hatte einen herrlichen Ausblick auf einen wunderschönen, riesigen Garten, in dem einige Menschen eilig hin und her liefen. In diese Stadt schienen es alle irgendwie eilig zu haben.
 

Wohl oder übel musste sich Kaya durch das Haus schleichen. Als Kaya die Tür öffnete, hörte sie leise Stimmen, die sich langsam auf sie zu bewegten. Kaya schlich den langen hellen Flur entlang, der an einer Treppe endete und sah sich um. Die Stimmen kamen die Treppe hoch und das schien ihr einziger Fluchtweg zu sein.

Ohne lange zu überlegen, öffnete Kaya die Tür rechts neben ihr und machte sie, so leise, wie möglich, wieder zu. Die beiden Frauen, zu denen die Stimmen gehörten, gingen lachend an der Tür vorbei.

Mit klopfenden Herzen sah sich Kaya in ihrer neuen Umgebung um. Das Zimmer war sehr klein und lang im halbdunkeln, da die dunklen Vorhänge nur einen Spalt breit geöffnet waren. Am Ende des Raumes stand ein riesiges Himmelbett und eine kleine Kommode, auf der eine Schüssel Wasser stand und sonst nichts. Der Raum verzichtete vollkommen auf irgendwelche Verzierungen und wirkte düster und kalt.

Kaya ging langsam auf das Bett zu und erschrak, als sie erkannte, dass in dem Bett jemand schlief. Sie hielt den Atem an und sah sich verzweifelt nach einem Versteck um. Natürlich gab es keines.

Kaya hörte ein leises und schwaches Husten und ging neugierig auf das Bett zu.
 

Zu ihrer Erleichterung schlief ein uralter Mann darin. Er hatte langes, ziemlich dünnes, weißes Haar und seine Haut schien ihm viel zu groß zu sein, so faltig war sie.

Kaya wagte sich noch näher heran und erschrak, als sie die geöffneten Augen des Mannes sah. Doch was sollte er schon tun? Laut um Hilfe schreien konnte er wohl kaum noch.
 

Der Mann stöhnte und schaute Kaya direkt an. Seine Augen waren über die Jahre erblindet, das erkannte Kaya an der Trübung auf seinen Pupillen, nein, vor ihm musste sich Kaya nicht in acht nehmen.

„Wer ist da?“, hörte Kaya eine schwache Männerstimme flüstern, als sie durch den Vorhang nach draußen schaute. Kaya antwortete nicht, sondern blieb still stehen.
 

„Wer bist du, Mädchen?“ Entsetzt drehte sich Kaya um und schaute den alten Mann an. Er konnte sie doch unmöglich sehen. Hatte er ein so gutes Gehör, dass er sogar ihr Geschlecht erkennen konnte? Kaya bezweifelte es.

„I-Ich wollte nicht... Ich meine, ich will Ihnen nichts tun. Ich wollte nur...“, verzweifelt suchte Kaya nach einer Ausrede. Der alte Mann schaute ihr direkt in die Augen.

Er hustete erneut, doch diesmal klang es fast wie ein Lachen. „Verstecken?“

Kaya nickte fassungslos.

„Woher wissen Sie das?“

Der Alte streckte seine zitternde Hand aus und sah Kaya erwartungsvoll an. „Ich werde dir auch nichts tun.“, hauchte der Mann. „Selbst wenn ich es könnte.“

Zögernd nahm Kaya die zitternde Hand des Alten an und war erstaunt, wie warm diese war.

Während Kaya sich auf die Bettkante setzte, nahm der Alte ihre Hand zwischen seine beiden Hände und lächelte Müde.

Er führte Kayas Hand an seine Wange und schloss die Augen.

„So stark.“, hauchte er. „Aber viel zu Jung, viel, viel zu Jung.“ Kaya war es nicht unangenehm, doch sie wunderte sich über das seltsame Verhalten des Alten. Wahrscheinlich war er schon senil und verwechselte sie.

„Ich kannte deinen Vater.“, sagte der Alte plötzlich und klang nicht mehr so schwach. Auch seine Augen schienen etwas klarer zu sein.

Kaya zog erschrocken ihre Hand zurück. „Wer sind sie?“, fragte Kaya leise.

Der Alte richtete sich mühsam auf und sah Kaya auf eine Art und Weise an, die ihr gar nicht gefiel. Es schien so, als wüsste er alles über sie, sogar ihre geheimsten Gedanken und es war nicht so, wie bei Eltanin, bei der es ganz natürlich zu sein schien.

„Der Alte kommt mir irgendwie vertraut vor.“, hörte Kaya Eltanins Stimme. „Aber ich weiß nicht, ob negativ, oder positiv, halte dich lieber von ihm fern.“

Der Alte beugte sich nach vorne und flüsterte Kaya ins Ohr. „Sag deiner Freundin, das ich auf eurer Seite bin.“

Kaya sprang, nun vollkommen verwirrt, auf und sah den Alten mit aufgerissenen Augen an. „Wer sind sie?“, fragte sie erneut.

Der Alte antwortete nicht, sondern grinste sie nur an, wobei er seine zwei einzigen Zähne entblößte. So wie der alte Mann da saß, in seinem weißen Nachthemd in diesem dunklen Zimmer, wirkte es auf Kaya äußerst unheimlich. Seine Aungen schienen ihr irgendwie Schwarz, nein, sie waren schwarz.

Voller Panik stieß Kaya die Tür auf und lief blindlings davon. Hinter ihr hallte das verzerrte Lachen des Alten.
 

„Wer oder was war das?“, fragte sie ihre Freundin ängstlich. „Ich weiß es nicht, tut mir Leid, es fällt mir einfach nicht ein.“

„Schon gut, ich muss hier nur einfach schnell verschwinden.“

Doch das war leichter gedacht, als getan. Zu ihrem großen Glück, befand sich niemand auf der Treppe, doch als Kaya an ihrem Ende angekommen war, hörte sie eine große Menschenmenge.

Im Erdgeschoss waren die Decken viel höher als in den anderen zwei Stockwerken und der kleine Flur endete in einer riesigen, von Säulen getragenen Halle.

In dieser Halle herrschte reges Treiben und Kaya entdeckte eine Gruppe von Männern in Rüstungen. Für einen Moment setzte ihr Herz aus, als Kaya die Rüstungen erkannte. „Das sind Aldebarans Soldaten!“, sandte sie ihrer Freundin entsetzt.

„Beruhige dich Kaya. Sie dürfen dich nicht entdecken!“

Kaya atmete tief ein und schlich von Säule zu Säule, wenn sie sich sicher war, dass niemand in ihre Richtung schaute. Glücklicherweise befand sich eine Reihe von Säulen nahe der Wand und lag im Schatten, ein idealer Platz zum verstecken.

Kaya hatte es schon fast bis zum großen, offenstehenden Eingangstor geschafft, lediglich zwei Säulen trennten sie von ihrer fast- Freiheit.

„Wollen Sie wirklich einen offenen Krieg wegen eines Kindes riskieren?“, schrei einer der Soldaten. Neugierig schaute Kaya in ihre Richtung. Ein Dutzend voll bewaffneter Soldaten standen einer hoch gewachsenen Frau in heller Rüstung gegenüber. Kaya erkannte sofort, dass es sich um niemand anderes, als die Herrin handeln konnte.

Die Frau hatte lange hellbraune Haare, die sie mit einem weißen Tuch zurückgebunden hatte. Ihre hellgrünen Augen stachen wie zwei glitzernde Smaragde aus ihrem markanten, aber durchaus hübschen Gesicht heraus. Ihre Statur und Haltung zeigte deutlich, dass sie hinter keinem Mann zurück stand. Nie zuvor hatte Kaya eine so starke Frau gesehen.

Sie verzog keine Miene, als sie antwortete. „Ich weiß nicht, wie sie darauf kommen, aber wir haben hier niemanden Unterschlupf gewährt und alle Kinder in diesem Schloss gehören zur Familie oder zur Familie der Angestellten.“

Der Anführer der Soldaten spukte der Frau vor die Füße. „Wir haben von unseren Boten erfahren, dass sie heute morgen ein verletztes Mädchen aufgenommen haben! Liefern Sie es aus oder es wird noch schwere Folgen haben!“

Kayas Herz klopfte immer schneller.

Die Frau lächelte, aber ihre Augen blieben hart. „Sie müssen ziemlich schlechte Boten haben. Lady Horana?“ Die Menge teilte sich und die alte Magierin stellte sich an die Seite ihrer Herrin.

„Habt ihr ein fremdes Mädchen gesehen oder von einem verletzten Kind gehört?“

Die Soldaten kamen beim Anblick der Magierin sichtlich ins Schwitzen und wichen einige Schritte zurück.

„Mitnichten, Mailady. Alle Kinder hier im Schloss sind wohlauf und mir bekannt, ich wüsste von einem Fremden Kind.“ Die Stimme der Magierin war so eindringlich, das es keinen Zweifel gab, dass sie die Wahrheit sagte und als Kaya überlegte, stimmte es sogar. Die Magierin hatte nicht gelogen, denn sie hatte Kaya ja schon kennen gelernt und sie war wohlauf...
 

Die Soldaten starrten die Frau nur hasserfüllt und stolzierten dann aus dem Tor zu ihren Pferden, die Kaya wiehern hören konnte.

Als sich das Hufgetrappel entfernte unterhielten sich die beiden Frauen weiter.

„Wie geht es unserem Gast, Lady Horana?“, fragte die Frau in der Rüstung. Die Alte lächelte. „Sie ist kräftiger, als sie aussieht. Sie wird überleben, aber sie ist noch sehr schwach. Sie hat schon versucht auf zu stehen, aber es wird noch einige Tage dauern, bis sich ihr Körper vollständig erholt hat.“ Die beiden Frauen gingen langsam weiter.

„Ich habe sie ein Bisschen befragt. Es war zweifellos das Gift dieser Drachentöter, sie konnte den Widerhaken genau beschreiben.“ Die „Herrin“ nickte ernst. „Ich hatte meine Zweifel aber es wird wohl so sein. Wie ist das Mädchen denn so?“

Die Magierin überlegte kurz. „Ein recht schüchternes aber höfliches Ding. Sie hat eine Stimme, wie ein kleines Mäuschen. Sie scheint mir auch ein wenig, nun ja, zurückgeblieben, sie hat immer recht lange gebraucht um zu antworten...“

Kaya konnte die Stimmen der Frauen nicht mehr hören, da sie auf der Treppe verschwanden.

Erleichtert schlich Kaya in Richtung Eingangstor und spähte ins Freie. Ein paar Männer trugen Holzkisten in einen Pferdekarren und einige Kinder spielte im Schnee. Wie sollte sie bloß an ihnen vorbei kommen?

Aus einiger Entfernung hörte sie eine Frauenstimme rufen. „Hey, Murrash! Könnt ihr mir kurz mal helfen? Das hier muss auch noch mit!“

Die Männer staksten davon und Kaya lief blitzschnell hinter den Karren. Sie konnte sich unmöglich in diesen kleinem Ding verstecken.

Die Kinder waren so in ihr Spiel vertieft, dass sie den Schatten, der hinter einem kleinem, schneebedeckten Strauch verschwand gar nicht bemerkten.
 

Kaya schlich von Busch zu Busch und entfernte sich immer weiter von dem Gebäude. Als sie kurz zurück schaute, blieb ihr ein Augenblick der Mund offen stehen. Sie hatte zwar gehört, dass sie sich in einem Schloss befand und das Innere schien auch unglaublich groß, doch, das, was sie sah, verschlug ihr doch den Atem.

Das weiße Schloss war unbeschreiblich schön und wurde zum Innerem immer höher, sodass die Mitte ein riesiger dünner runder Turm war. Nie zuvor hatte Kaya ein so gigantisches Gebäude gesehen und sie kam sich mit einem mal ganz klein vor.
 

„Ein prachtvolles Gebäude, nicht wahr?“, hörte Kaya eine Männerstimme neben sich. Sie erschrak so sehr, dass sie auf den hintern plumpste und den Mann in der Rüstung mit aufgerissenen Augen anstarrte. Wieso hatte sie ihn nicht kommen gehört? Kayas Ohren waren schärfer, als die normaler Menschen und sie hätte selbst ein Eichhörnchen schleichen gehört. Wie war das nur möglich?
 

Der Mann lachte und reichte Kaya seine Hand. „Nur keine Angst, ich tu dir doch nichts.“ Kaya kroch rückwärts in Richtung Gebüsch.

Der Mann seufzte und nahm seinen Helm ab. Er war ein äußerst hübscher Mann mit einem feinem Gesicht und langen weißen Haaren, obwohl er gerade mal an die zwanzig zu sein schien.
 

Erst in diesem Augenblick erkannte Kaya, dass der Mann nicht die Rüstung der feindlichen Soldaten trug, doch es beruhigte sie keineswegs. Sie wollte von niemanden gefunden werden, auch nicht von den Einheimischen.

Mühsam richtete sich Kaya auf und wollte davon rennen, fiel aber bäuchlings auf den Boden und schlug sich das Knie auf.

Der Mann eilte ihr zur Hilfe. „Alles in Ordnung, Kleines? Lass mal sehen.“

Kaya wollte erneut aufstehen und davon laufen, wurde aber mit sanfter Gewalt von dem jungen Mann festgehalten.

„Ich sagte doch, ich tu dir nichts.“, sagte der Mann mit sanfter Stimme und lächelte Kaya aufmunternd an. Doch Kaya war alles andere, als beruhigt. Ihr Herz hämmerte laut vor angst und sie sah sich voller Panik nach einer Fluchtmöglichkeit um.

„Meine Güte, da hast du dich aber ordentlich gestoßen.“ Der Mann schaute auf Kayas Knie, das stark blutete und runzelte die Stirn. Kaya merkte lediglich ein leichtes Stechen im Knie, sie war noch immer viel zu verwirrt um irgendetwas zu spüren.

„Kaya, beruhige dich. Ich glaube nicht, dass er dir etwas tun will, denk doch nach!“, hörte Kaya die Stimme ihrer Freundin. Und ihre Worte halfen.

Kayas Herzschlag normalisierte sich und sie sah den Mann misstrauisch an. Dieser riss einen streifen aus seinem Hemd und verband Kayas Knie. „Das muss erst mal reichen, bis ich dich zu Lady Horana gebracht habe. Siehst du, ist doch gleich viel besser!“ Der junge Mann sprach zu Kaya, wie zu einem Kleinkind.

Kaya war sich nicht sicher, ob seine Freundlichkeit nur gespielt war, doch sie fand ihn keineswegs böse.

Der junge Mann hob Kaya hoch und ging langsam in Richtung Schloss.

Kaya war peinlich berührt und wurde rot. Sie ertrug es nicht in seine freundlichen braunen Augen zu schauen und guckte beschämt auf ihre bandagierte Hand.
 

Sicher würde die Magierin wütend werden, da sie versucht hatte weg zu laufen. Ganz sicher würden sie ihr Ketten anlegen oder sie einsperren. Die beiden Frauen hatten sie gerettet und beschützt und Kaya dankte es ihnen, indem sie davon lief. Mit einem Mal fühlte sie sich schuldig.
 

Als der junge Mann zusammen mit Kaya durch das Tor schritt, merkte sie immer mehr den heftigen Schmerz in ihrem Knie und schluckte die Tränen tapfer hinunter.

„Wir sind gleich da.“, lächelte der Mann zuversichtlich und Kaya knetete nervös ihre Hände, als er die Treppe hinauf ging.
 

„Mein Knie tut ganz schön weh, willst du mir gar nicht helfen?“, fragte Kaya die Drachendame enttäuscht. Kaya spürte, wie Eltanin lächelte. „Das ist ein ganz normaler Schmerz, den hat jedes Kind mal zu ertragen. Du willst doch kein Weichei werden, oder?“ – „Wie kannst du in so einer Situation scherze machen? Die werden mich bestimmt einsperren, oder foltern oder so!“ Die Drachendame schnaubte. „Das glaubst doch wohl selbst nicht. Ich spüre in den Herzen dieser Menschen nichts feindliches. Sie wollen dir nur helfen, sonst hätten sie dich wohl kaum gerettet. Hab etwas mehr vertrauen in die Menschen, Kaya!“
 

Kaya musste zugeben, dass ihre Freundin recht hatte. Bis jetzt, waren sie ihr gegenüber immer freundlich und respektvoll gewesen. Kaya entspannte sich ein wenig und versteifte sich nicht länger.

Der junge Mann lächelte ihr freundlich zu und stellte sich vor eine Tür im zweiten Stock. Es war der gleiche Raum, aus dem sie geflohen war und aus dem Inneren erklangen aufgeregte Frauenstimmen. „Sie kann sich wohl kaum in Luft aufgelöst haben. Seid ihr sicher, dass keiner dieser Soldaten hier hinauf gekommen ist?“, hörte Kaya die aufgeregte Stimme Lady Horanas.
 

Der Junge Mann klopft umständlich an, da er Kaya auf seinen Armen trug und zwei Sekunden später wurde die Tür wurde aufgerissen.

Lady Horana war vollkommen verwirrt, als sie den jungen Mann mit dem Kind auf dem Arm sah und trat verdutz beiseite, um ihn herein zu lassen.

„Malik, wie hast du, ich meine, warum hast du sie aus ihrem Zimmer geholt?“

Malik trug Kaya in ihr Bett und schaute die Magierin amüsiert an. „Ich weiß nicht, wovon Ihr redet, Meister. Ich habe das Mädchen zufällig im Garten gefunden, ich habe sie nur zurück gebracht.“
 

Lady Horana betrachtete den jungen Mann argwöhnisch und wandte sich dann an Kaya. „Ist das wahr, Kaya.“ Diese nickte beschämt.

Lady Horanas Augen weiteten sich überrascht. „Aber du kannst doch unmöglich schon aufstehen, du bist doch noch viel zu schwach, wie konntest du nur so leichtsinnig sein!“
 

„Lady Horana, nun schimpfen Sie das Mädchen doch nicht so aus und beruhigen Sie sich.“, mischte sich die braunhaarige Frau in der Rüstung ein. Sie hatte sich die Szene aus einer Ecke ruhig angeschaut.

Lady Horana scheuchte die andere, zwei Soldaten und zwei Frauen, aus dem Raum und schloss hinter ihnen die Tür.

„Meister, sie ist hingefallen und hat sich am Knie verletzt, Sie sollten sie heilen.“ Lady Horana schaute auf Kayas notdürftig bandagiertes Knie und setzte sich neben das Bett auf den Stuhl.

Als sie den Stofffetzen entfernte mischte sich auch erstmals Kaya ein.

„Nein, das ist nicht nötig, das kann ich auch alleine.“ Alle drei im Raum schauten sie fragend an. Kaya schloss die Augen und legte ihre Hand auf ihr Knie. Auch wenn sie nicht allzu gut im heilen war, waren offene Wunden doch ihre Stärke und sie hatte die Wunde binnen weniger Sekunden geheilt. Lediglich ein leichtes Kribbeln blieb zurück.
 

„Gar keine schlechte Technik.“, sagte Lady Horana nachdenklich. Die Frau in der Rüstung hatte einen wissenden Blick, der Kaya irgendwie nicht gefiel. Als hätte sie eine Bestätigung für eine Vermutung gefunden.

Malik lächelte nur gewohnt freundlich und lehnte sich an den Türrahmen.
 

„Ich habe mir fast gedacht, dass du eine Magierin bist, aber du kannst dich unmöglich so schnell erholt haben, das würde sogar meine Kraft übersteigen.“ Kaya schwieg. Was hätte sie auch antworten sollen? Dass es Drachenmagie war, die sie so schnell geheilt hatte?
 

Lady Horana seufzt. „Wie dem auch sei. Ich werde erst einmal schauen, wie es wirklich um ihren Zustand steht, dann kannst du sie ja immer noch verhören, Mallenore.“ Kaya zuckte zusammen und starrte die Frau überrascht an. Diese lächelte und schien Kayas Reaktion erwartet zu haben.

„Hast du gehört, das ist Mallenore!“ Kaya spürte, wie die Drachendame nickte. „Ja, du hast sie gefunden. Ich glaube fast, sie kennt dich.“ Auch Kaya hatte dieses Gefühl.
 

„Du meine Güte.“, hörte sie Lady Horana sagen. Diese hatte Kaya den Mantel und die Stiefel ausgezogen und schaute mit hoch gezogenen Augenbrauen auf Kayas selbst zusammengestellte Kleidung.

„Ich fürchte, die Kleidung meiner Angestellten ist dir ein wenig zu groß, Kaya.“, sprach sie Mallenore zum ersten Mal persönlich an. Kaya starrte beschämt auf ihre Finger. „Tut mir Leid.“, sagte sie kleinlaut.

Mallenore lachte und strich ihr durch die Haare. „Das muss es nicht. Ich werde dir passende Kleidung besorgen, während dich die wehrte Lady Horana untersucht, danach können wir uns ja bei einem Tässchen Tee unterhalten.

Mallenore verließ das Zimmer und Malik folgte ihr.
 

Lady Horana untersuchte Kaya von oben bis unten und drückte mal hier und mal da gegen. Zum Schluss schaute sie sich noch einmal Kayas Finger an und schien etwas zufriedener. „Da hat sich nicht allzu viel getan, das wird wohl noch eine Weile dauern, ehe das verheilt ist.“

Sie verband gleich die ganze Hand und legte den Arm in eine Schlaufe. „Du musst den Arm unbedingt ruhig halten, hast du verstanden? Die letzten Giftspuren werden nur so von deinem Körper abgestoßen.“ Etwas, an der Art, wie Lady Horana mit ihr sprach hatte sich verändert. Kaya fand, dass sie fast wie ihre Mutter klang, wenn sie ihr eine Lektion in Magie erteilte.

„Verstanden.“, antwortete Kaya ernst.

Es klopfte an der Tür und eine Dienerin kam mit einem Haufen Kleidung im Arm herein. „Die Herrin hat mich gebeten, diese Sachen hier ab zu geben.“ Lady Horana nickte. „Leg sie bitte auf das Bett.“ Als die Dienerin den Raum verlassen hatte, half Horana Kaya in die Kleidung band ihre zuletzt die Schuhe zu. „Das ist doch um einiges ansehnlicher!“, nickte sie zufrieden.

Kaya war ganz ihrer Meinung. Sie hatte ein dünnes Unterhemd und darüber einen gemütlichen hellblauen Pullover aus Schafswolle an. Dieser war fast wie ein Kleid geschnitten und verdeckte sogar ihren Hals, da er einen hohen Kragen hatte. Kaya hatte nie zuvor ein solch geschnittenes Kleidungsstück gesehen und fand es für die Jahreszeit äußerst praktisch. Auch ihre schwarze, lange Unterhose war bequem und warm. Darüber trug sie eine dunkelblaue Leinenhose und ihre weißen Stiefel waren mit Fell gefüttert und mit weißen Bändern zugeschnürt. Nie zuvor hatte sich Kaya so wohl in ihrer Haut gefühlt.

„Ach, hier ist ja noch was.“, bemerkte Lady Horana, als Kaya gerade aufstand. Sie hielt eine kurze lilafarbene Weste hoch und zog sie Kaya über. Auf der Brust prangte das Wappen eines weißen Vogels. „Damit jeder erkennt, dass du zum Schloss gehörst.“, erklärte Lady Horana lächelnd und klopfte Kaya auf die Schulter. „Ich kämme dir nur noch schnell deine Haare und dann kann es auch schon losgehen.“



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