Wenn man tot ist...
Wenn man tot ist...
...heißt das nicht, dass man nicht mehr lebt.
„Buh!“
Ein erschrockener Schrei durchschnitt die angenehme Ruhe des frühen Morgens, ehe dieser durch ein lautes Plumpsen und einem darauf folgenden amüsiertem Kichern unterbrochen wurde.
„Verdammt, Rei! Ich habe dir schon tausend Mal gesagt, dass du aufhören sollst, mich so zu wecken!“, erklang es verärgert von dem anderen, wobei die aufgebrachte Stimme ihre Wirkung verlor, da sie doch noch recht verschlafen klang.
„Aber Kai, du hast verschlafen und anders bekomme ich dich doch nicht wach“, erklärte der Angesprochene noch immer vergnügt, bevor er mit Wohlwollen dabei zusah, wie der andere nun hellwach auf den Wecker blickte und erschrockenen Fußes aufsprang. „Warum hast du mich nicht eher geweckt?!“, murmelte Rei daraufhin zu sich selbst, ohne dass sein Freund den Satz hörte.
Einen kurzen Moment später erklangen schon die gleichen Worte von jenem, bevor er in das Badezimmer hechtete. „Warum hast du mich nicht eher geweckt?!“ Rei musste grinsen, rollte jedoch gleichzeitig auch mit den Augen, ehe er Kai ins Bad folgte und ihm dabei zusah, wie er sich das Gesicht wusch und sich schnell das graublaue Haar kämmte.
„Du verschläfst jedes Mal, wenn du einen frühen Termin hast. Irgendwann habe ich einfach keine Lust mehr, dich immer aus der Misere zu holen“, erwiderte Rei leicht einen Flunsch ziehend, indessen er die Arme vor der Brust verschränkte und sich auf den Wannenrand setzte. Einen Moment später spielte er mit den Spitzen seines schwarzen Haares, während er den anderen musterte.
Hiwatari Kai, geborener Russe, ehemaliger Beyblade-Meister, wenn auch nur – wie er es immer so schön betonte – mit seinem einstigen Team zusammen. Er war ein sturer Kopf, schon immer gewesen, würde es wohl auch immer sein. Es war einfach sein Wesen, das, was Rei an ihm am meisten schätzte. Er wusste sich durchzusetzen, war nicht umsonst damals der Leader ihres Teams gewesen. Mit einem Lächeln dachte der Schwarzhaarige an ihre gemeinsame Zeit zurück – es war mit die schönste in seinem Leben gewesen...
Das Klacken der Tür holte ihn mit einem Schlag aus seinen Gedanken und er konnte gerade noch sehen, wie Kai das Schlafzimmer verließ und in Richtung Küche schritt. Ohne einen Laut folgte Rei ihm.
„Wann wolltet ihr euch genau treffen?“
„In einer halben Stunde“, antwortete der Russe nach einem kurzen Blick auf die Uhr, als er zwei Scheiben Toast in den Röster schob und den Wasserkocher aufsetzte. Mit zugekniffenen Augen rieb er sich die Schläfen, die Nacht war wohl doch ein wenig zu kurz gewesen, so dass er nun mit Müdigkeit und leichten Kopfschmerzen zu kämpfen hatte.
„Du wirst zu spät kommen.“
Der Blick, den Kai dem anderen zuwarf, sagte deutlich, dass er dies auch selbst wusste, doch zu ändern war es dennoch nicht. „Er wird schon auf mich warten“, meinte der Russe nur und goss das nun heiße Wasser über das Kaffeepulver in einer Tasse.
„Dein Toast ist fertig.“
Stöhnend wandte Kai sich dem Schwarzhaarigen zu und sah ihn leicht genervt an. „Rei...“ Doch jener hob nur beschwichtigend die Hände und lächelte schief, setzte sich an den Küchentisch.
„Ich weiß, ich höre ja schon damit auf. Aber ich...bin einfach so nervös. Ihr macht jedes Mal so eine große Sache daraus“, erwiderte der Angesprochene leise, schaute dabei auf den Boden, als würde er den Blickkontakt mit seinem Freund meiden wollen.
Jener seufzte auf die Worte hin auf und ging auf Rei zu. Schweigend blieb er vor ihm stehen und hob die rechte Hand, um dem Schwarzhaarigen sanft über die Wange zu streicheln, doch Millimeter von der Haut entfernt hielt Kai auf einmal inne, bevor er seine Hand wieder sinken ließ und den anderen einen weiteren Moment einfach nur anstarrte. „Es ist auch eine große Sache“, meinte er daraufhin leise. „Sie haben einfach nicht das...Glück dich jeden Tag sehen zu können.“
„Ich weiß ja.“ Noch immer schief lächelnd und mit einem Hauch von Trauer in den Augen hob Rei seinen Blick. „Aber trotzdem... Mir wäre es lieber, sie würden eben nicht jedes Mal solch ein Trara daraus machen“, fügte er noch murmelnd hinzu, ehe auch er aufseufzte und einen Augenblick später allerdings schon wieder über das ganze Gesicht strahlte. „Egal, du solltest dich beeilen, sonst ist er noch sauer.“ Damit sprang er von seinem Platz auf und ging auf die Haustür zu, wohl um dort auf Kai zu warten.
Der Graublauhaarige blieb noch einen Moment so vor dem Stuhl stehen, ehe er sich setzte, wandte dann seinen Kopf in die Richtung, in die sein Freund verschwunden war. Tief einatmend nahm er einen Schluck von seinem Kaffee, goss den Rest einfach den Abfluss hinunter, und belegte mit einer schnellen Handbewegung sein nun schon abgekühltes Toast. Mit wenigen großen Bissen verschlang er dieses, wobei er sich dabei fast verschluckte.
„Du sollst doch nicht so schlingen“, kicherte Rei amüsiert, als er seinen Kopf in die Küche steckte, um zu sehen, wo sein Freund blieb, wurde zur Antwort mit einem bitterbösen Blick gestraft. Abermals ein Glucksen von sich gebend, verschwand der Kopf schnell wieder.
Den Kopf schüttelnd stand Kai auf, nahm den Schlüssel von der Kommode und ging an dem Schwarzhaarigen vorbei aus der Wohnung. Während er die Tür von außen abschloss, sah er aus dem Augenwinkel zu Rei und murmelte: „Ich werde wegen der Sache mit den anderen reden.“
Angesprochener nickte nur dankbar.
*OoO*
„Du kommst zu spät“, wurde Kai sofort begrüßt, als er sich setzte. Näselnd kamen diese Worte über die Lippen des anderen, was den Graublauhaarigen fragend die Augenbrauen heben ließ. „Hab mich beim Besuch bei Hiro erkältet“, kam auch sogleich die Antwort auf die unausgesprochene Frage.
Kai grinste und nahm wohlwollend wahr, dass auch Rei neben ihm sich ein amüsiertes Kichern verkneifen musste – dessen Laune schien sich wieder gebessert zu haben. „Habt ihr etwa wieder einen Mitternachtsausflug im Meer veranstaltet? Es ist zwar schon sehr heiß, aber das Wasser ist doch noch recht kalt.“ Wenigstens erklärte dies, warum sein Gegenüber bei diesem Wetter einen heißen Tee trank...
Jenem glitt ein seliger Ausdruck über das Gesicht, während er sich in alter Manier durch das orangefarbene Haar strich und einfach schwieg. Dies war Kai Antwort genug, so dass er nur den Kopf schütteln konnte. „Ihr lernt auch nichts aus euren Fehlern, dabei sollte man von Hiro etwas anderes erwarten“, meinte er belustigt, wurde dann jedoch einen Moment später wieder ernst. „Brooklyn, hast du-“ Der Graublauhaarige wurde in seinem Satz unterbrochen, als eine Kellnerin vor ihrem Tisch stehen blieb und sie freundlich ansah.
„Kann ich Ihnen irgendetwas bringen?“
Mit einem kurzen Blick zu dem noch dampfenden Tee seines Gegenübers antwortete Kai nur kurz und knapp: „Eine Tasse Kaffee, bitte.“ Nachdem die Kellnerin bestätigend genickt und ihr Blick noch einmal Brooklyn gestreift hatte, ging sie dann auch wieder. Der Russe sah leicht schmunzelnd zu Rei, der ihm gleichermaßen entgegenblickte, ehe er sich wieder sein Gegenüber zuwandte. „Hast du in den letzten Tagen mit Takao oder einem der anderen gesprochen?“
Der Angesprochene schüttelte den Kopf. „Max wollte mich wegen morgen eigentlich noch anrufen, aber bis jetzt habe ich nichts von ihm gehört. Warum fragst du?“
„Rei würde es morgen gerne etwas ruhiger angehen lassen, ohne das ganze Drumherum, was die Kindsköpfe sonst immer veranstalten“, erklärte Kai, beobachtete, wie der andere daraufhin in Richtung des Schwarzhaarigen blickte, ihn aber nicht wirklich fokussierte. „Und wenn sie sich noch nicht bei dir oder Hiro gemeldet haben“, fuhr er fort, „dann besteht ja die Chance, dass sie noch nicht viel geplant haben.“
Brooklyn nickte, wusste er, worauf sein inzwischen langjähriger Freund hinauswollte. Hiroshi und er, sie waren neben Kais besten Freunden Yuriy und Boris außerhalb des ehemaligen Bladebreaker-Teams die Einzigen, die in die ganze Sache eingeweiht waren, wenn auch nur durch einen dummen Zufall einige Wochen zuvor. Selbst die BaiFuZu hatten keine Ahnung von all dem. ‚Was sicher auch besser so ist’, dachte Brooklyn bei sich, als er an die Reaktionen dachte, als Reis altes Team von der schrecklichen Nachricht erfahren hatte. ‚Wenn sie alles wüssten, würde es im Chaos enden, jetzt, wo sie damit abgeschlossen haben...’ Letztendlich waren sie neun – die Bladebreakers, Yuriy, Boris, Hiro und er – es, die Bescheid wussten, für alle anderen war-
„Brook?“, wurde Brooklyn in seinen Gedanken unterbrochen. „Hast du mir zugehört?“
Angesprochener grinste entschuldigend. „Tut mir Leid, ich war in Gedanken.“
„Das habe ich bemerkt“, erwiderte Kai mit zusammengezogenen Augenbrauen. „Ich sagte, ich würde dann nachher gleich Takao anrufen und ihm alles erklären. Für dich wäre es in Ordnung, dass wir es morgen nicht so ausschweifen lassen?“
Ein Lächeln zierte Brooklyns Gesicht, während er seinen Kopf auf einer Hand abstützte und antwortete: „Natürlich. Ich kann es auch verstehen, wobei ich mir auch sicher bin, dass ihr ein wenig Zeit für euch haben wollt.“
Nach der Aussage hin musste Rei schmunzeln, sah mit keckem Blick zu dem Graublauhaarigen, der in dem Moment seinen Kaffee von der soeben bei ihnen wieder angekommenen Kellnerin gereicht bekam und einen vorsichtigen Schluck nahm. Mit einem kurzen Wink in Richtung seines Freundes zeigte Kai deutlich, dass er an das Gleiche dachte wie jener.
„Danke“, meinte er daraufhin zu Brooklyn gewandt. „Ich hoffe nur, Takao und die anderen verstehen es auch.“ ‚Wobei ich denke, dass das kein Problem sein sollte’, fügte er in Gedanken noch hinzu.
„Das wird schon“, meinte Brooklyn bestätigend. Mit einem Blick auf seine Armbanduhr trank er seinen Tee mit einem Zug aus und erhob sich daraufhin von seinem Platz. „Ich muss los, die Arbeit ruft. Sage einfach Bescheid, wann wir morgen da sein sollen, Hiro und ich sind flexibel, da wir uns eh frei genommen haben“, sagte er, indessen er ein paar Geldscheine auf den Tisch legte. Auf Kais Nicken hin schlug er diesem freundschaftlich auf die Schulter und streifte kurz den Blick Reis. „Bis dann, ihr beiden. Und genießt die Zeit zu zweit, bevor wir alle antanzen.“ Mit diesen Worten und einem eindeutigen Grinsen wandte er sich ab und verließ mit federnden Schritten und den Händen in den Hosentaschen das Eiscafé. Kopfschüttelnd sah der Russe noch, wie Brooklyn der Kellnerin flirtend zuwinkte, ehe er den jungen Mann aus den Augen verlor.
„Wann willst du Takao anrufen?“, wurde Kais Aufmerksamkeit wieder auf den Schwarzhaarigen neben sich gelenkt. Jener hatte seine Arme auf dem Tisch überkreuz gelegt und den Kopf auf sie gebettet, als er mit einem Finger hauchzart über den Unterarm seines Freundes strich. Mit einem kaum merklichen Lächeln nahm Kai wahr, dass er diese Berührung ganz leicht spüren konnte.
„Zu Hause. Ich denke, das könnte vielleicht ein längeres Gespräch werden, und das möchte ich meiner Handyrechnung nicht antun.“ Mit Freuden vernahm er das leise Lachen Reis auf diese Antwort hin, bevor er mit einem großen Schluck seinen schon leicht abgekühlten Kaffee austrank und einen Moment später auch schon die Kellnerin von zuvor heraneilen sah.
Fast schon verführerisch dreinblickend blieb sie vor Kai stehen. „Haben Sie noch einen Wunsch? Wir führen wirklich leckeren Milchkaffee oder wie wäre es mit einem kleinen Eisbecher mit hausgemachtem Eis und frischen Früchten zur Abkühlung?“, fragte sie, während sie die beiden leeren Tassen auf ihr Tablett stellte. Doch zu ihrer Enttäuschung schüttelte Kai den Kopf.
„Danke, aber ich werde nun gehen.“ Damit zückte er seine Geldbörse und hielt ihr einen Schein hin, wartend, dass sie diesen an sich nahm. „Stimmt so.“
Den anderen noch immer freundlich ansehend, gleichzeitig aber auch sichtbar traurig, dass der Russe schon gehen wollte, nahm die junge Frau das Geld dankend an sich und verschwand mit einem „Dann wünsche ich Ihnen noch einen schönen Tag“ zum nächsten Tisch, der bedient werden wollte, nicht jedoch, ohne sich noch einmal nach Kai umzusehen.
Jener hingegen achtete nicht auf sie und verließ schnellen Schrittes das Lokal.
„Entweder schien sie dich zu erkennen oder sie fand dich einfach nur attraktiv“, stellte Rei nach einer kurzen Zeit fest, in der sie beide schweigend in Richtung Heimat gelaufen waren.
„Was, wenn beides der Fall war?“, fragte der Graublauhaarige mit einem Grinsen nach, ignorierte dabei schon aus Gewohnheit die verwunderten Blicke, die ihm immer wieder von den anderen Passanten zugeworfen wurden.
„Dann muss ich sie wohl mal besuchen gehen und ihr ein paar schmutzige Details aus deinem Leben verraten“, erwiderte Rei daraufhin ebenfalls grinsend und versteckte sich im nächsten Augenblick vor dem wie zufällig aussehenden Seitenhieb des anderen, auch wenn ihm dieser gar nichts getan hätte – es war die Macht der Gewohnheit.
Kichernd verschwand der Schwarzhaarige von allen anderen unbemerkt in der Menschenmenge auf dem Bürgersteig, erahnte nur noch, wie Kai ihm kopfschüttelnd und gleichzeitig auch feixend hinterher sah.
Als jener sich ein paar Minuten später an die Haltestelle der Straßenbahn stellte und auf die nächste Mitfahrgelegenheit wartete – wollte er bei dieser Hitze ungern weiter laufen –, schweiften seine Gedanken in die Zeit vor ein paar Monaten ab. Damals hatte er sich in einer doch recht depressiven Stimmung befunden, die er sich vorher nie zugetraut hatte. Das war die Zeit gewesen, in der er sich sehr lange bei niemandem hatte blicken lassen, in der er den Kontakt zu den meisten vorerst abgebrochen und sich an den Ort zurückgezogen hatte, den er sich vor einer Weile mit Rei ausgesucht hatte, um ungestört sein zu können.
Er hatte einfach Ruhe benötigt.
Nun war es zwar nicht das Gleiche wie zuvor, aber es war eine Möglichkeit, damit fertig zu werden, eine Art zweiter Chance, auch wenn ihn im Inneren immer wieder die Angst plagte, diese könnte mit jedem neuen Tag vorbei sein. Doch er genoss es auch, ließ sich seine Zweifel nicht ansehen, obwohl er sich auch sicher war, Rei wusste von diesen.
Dennoch, immerhin hatte er als Einziger den großen Vorteil, den Schwarzhaarigen jeden Tag sehen zu können – etwas, wofür er Max, Takao, Kyoujyu und die anderen auch etwas bemitleidete. Aber zum Glück der anderen und auch zu seiner Freude gab es zwei Tage im Monat, an denen dies anders war, an denen eigentlich alles anders, eher wie zuvor war, wobei sie alle vor allem der Presse gegenüber deswegen schon oftmals in Erklärungsnot geraten waren. Sie alle freuten sich immer auf den ersten Tag der zunehmenden und den ersten Tag der abnehmenden Mondphase – und letzterer würde diese Nacht beginnen.
Unsanft wurde Kai aus seinen Gedanken gerissen, als ihm ein Ellenbogen schmerzvoll in die Seite gerammt wurde. Verärgert wollte er die Person neben sich schon anfahren, doch er hielt sich zurück, als er in die entschuldigend dreinblickenden Augen eines kleinen Mädchens sah. Zudem fuhr in dem Moment auch die Bahn in die Haltestelle ein, so dass er genervt die Augen rollte – es wurde schon wieder von hinten geschubst und gedrängelt.
Trotz der Masse, die sich in das öffentliche Verkehrsmittel gequetscht hatte – Kai wusste schon, warum er eigentlich nicht gern mit diesem fuhr –, konnte er noch einen Sitzplatz ergattern, ganz hinten im Waggon. Und keinen Augenblick später, nachdem er sich auf diesem niedergelassen hatte, tauchte Rei wieder vor ihm auf und setzte sich einfach auf seinen Schoß.
„Wo warst du?“, wisperte der Graublauhaarige so gut es bei dem Lärmpegel möglich war.
„Ich habe nachgesehen, was die Konditorei derzeit im Angebot hat“, antwortete der andere mit einem Blick, das Kai deutlich zeigte, dass er am nächsten Tag wohl einen kleinen Abstecher in dieses Geschäft machen würde. Er hoffte nur, er würde etwas finden, das bei dieser sengenden Hitze nicht sofort wegschmolz...
Mit einem Stöhnen öffnete der Russe den obersten Knopf seines Hemdes und krempelte die Ärmel dessen nach oben. Er wusste nicht, was ihn am Morgen dazu geritten hatte, etwas fast schon Langärmeliges anzuziehen – war wohl einfach die Hektik gewesen, redete er sich ein.
Als er das leise Lachen Reis vernahm, ignorierte er dieses einfach und fieberte der Haltestelle entgegen, bei der sie aussteigen mussten. Vielleicht war es doch keine so gute Idee gewesen, auf das Laufen zu verzichten...
*OoO*
„Und es ist wirklich kein Problem für euch?“ Mehr schon rhetorisch stellte Kai diese Frage, als dass sie wirklich noch ernst gemeint war. Ein Lächeln überflog seine Lippen bei der folgenden Antwort. „Rei hat bestimmt nichts dagegen, wenn wir es das nächste Mal wieder so wie sonst machen. Aber er will es eben nicht alle zwei Wochen so.“ Eine bestätigende Erwiderung suchend, fing er den Blick des Schwarzhaarigen ein, und als jener nickte, verfestigte sich sein Lächeln noch ein wenig.
„Sicher“, sprach Kai weiter, „ihr könnt morgen gerne vorbei kommen. ... So am späten Nachmittag?“ – Fragend sah er wieder zu Rei. – „Kommt dann einfach, Hiro und Brooklyn sage ich noch Bescheid.“ Der Russe musste sich ein Grinsen verkneifen, als er mitten im Gespräch den hauchzarten und kaum spürbaren Kuss seines Freundes auf seinem rechten Mundwinkel fühlte. „Danke, Takao, das bedeutet ihm viel. ... Ja, ich weiß. Bis morgen.“ Mit diesen Worten legte Kai den Hörer auf die Gabel und schaute den Schwarzhaarigen vor sich einfach nur an, der währenddessen über das ganze Gesicht strahlte.
„Danke, danke, danke!“, freute Rei sich immer wieder, indes er weitere federleichte Küsse auf dem Gesicht des anderen verteilte. Jener grinste nun schon nahezu bei dieser Reaktion und hob ohne nachzudenken die Hand, um seinem Freund durch das Haar fahren zu können, doch er hielt wie schon am Morgen dann mit einem Mal inne und starrte mit undefinierbarem Blick auf seine Finger.
„Nur noch ein paar Stunden“, wisperte Rei daraufhin glücklich, so dass Kai erst einmal nur nicken konnte. Er konnte es kaum noch erwarten, dass dieser Zeitpunkt kam...
Der Russe wollte gerade etwas erwidern, als auf einmal das Telefon anfing zu klingeln und er nach einem Blick auf das Display lautlos stöhnte. ‚Die Arbeit ruft’, wiederholte er in Gedanken die Worte Brooklyns, ehe er mit einem „Hiwatari Kai“ den Hörer abnahm.
*OoO*
Er musste eingeschlafen sein, denn als er ein sanftes Streicheln auf seiner Wange spürte und davon nach und nach aus seinen Träumen entführt wurde, war es bereits stockdunkel. Nur das einsame Licht der Straßenlaterne vor seinem Fenster erhellte das Zimmer.
Blinzelnd hob Kai die Lider und sah augenblicklich in zwei vom fahlen Licht erhellte Opale, die ihm liebevoll und gleichermaßen freudig entgegenblickten.
Wortlos zog Kai den anderen zu sich heran und in eine feste Umarmung. Die Augen schließend und den Moment einfach genießend drückte er Rei immer näher an sich, so dass dieser auf seinem Schoß zum Sitzen kam und ebenfalls seine Arme um seinen Freund schlang, eine Hand dabei in das graublaue Haar vergrub.
Lange saßen sie einfach nur so da, ließen sich weder vom Lärm von draußen stören, der in diesem Augenblick ungewohnt laut schien, noch achteten sie auf den Wecker, der schon seit Minuten im Nebenzimmer klingelte – Kai hatte ihn wie jedes Mal auf den richtigen Zeitpunkt gestellt, damit er diesen nicht durch einen dummen Umstand verpasste oder ihn – wie in diesem Fall – verschlief.
Auf den jeweils anderen fixiert, blendeten beide jungen Männer einfach alles um sie herum aus.
Kai lauschte mit stummer Erleichterung der leisen Atmung des Schwarzhaarigen, dessen Herzschlag, spürte das Heben und Senken der Brust beim Atmen. Er sog das Gefühl in sich auf, den anderen berühren zu können, dessen warme, wenn auch gleichzeitig kühle Haut, dessen Körperwärme spüren zu können, die Struktur von Reis Kleidung, das weiche Haar, durch das er immer wieder seine Finger gleiten ließ.
Mit tiefen Atemzügen sog er den Geruch des Schwarzhaarigen ein, der sich selbst über die Zeit der letzten Wochen nicht verändert hatte und noch immer so angenehm und beruhigend roch.
Endlich konnte er wieder so intensiv die Verbundenheit zwischen ihnen spüren, die zwar auch sonst immer da war, bei der jedoch auch immer etwas fehlte...gefehlt hatte. Sie erst hatte es möglich gemacht, dass die beiden Freunde eine zweite Chance erhalten hatten – daran glaubten sowohl Rei als auch Kai fest –, auch wenn diese sicherlich nicht so ausgefallen war, wie man es sich erhoffte...
All diese Gefühle und Empfindungen durchströmten den Russen wie jedes Mal mit einem Schlag und er wusste, ihm ging es nicht alleine so.
Weiterhin schweigend lösten sie sich ein wenig voneinander, Reis Hand wanderte dabei vom Hinterkopf seines Freundes zu dessen Gesicht und er strich mit der Kuppe des Zeigefingers sanft über Kais Wangen, hin zu den Lippen. Ein leicht melancholisches Lächeln umspielte diese, während der Graublauhaarige die Berührung nachahmte und ähnliche Reaktionen bekam.
Im stillen Einverständnis fanden sich ihre Lippen einen Augenblick später zu einem sanften Kuss, der nach kurzer Annäherungsphase und Auskostung immer leidenschaftlicher wurde, gleichermaßen aber auch zärtlich blieb.
Ein gedämpftes Seufzen erklang aus Kais Kehle, als seine Hände den Weg unter das Oberteil des anderen fanden und dieses Stück für Stück nach oben schoben, immer mehr nackte Haut frei gaben.
Nach und nach verloren sich beide jungen Männer in dem zärtlichen Ritual ihres „Wiedersehens“.
*OoO*
Seufzend erwachte Kai aus seinem Dämmerschlaf und streckte sich, versuchte, die sich nicht sofort vertreiben lassen wollende Müdigkeit aus seinen Gliedern zu schütteln. Gleichzeitig tastete er mit der linken Hand den Platz neben sich im Bett ab – und griff ins Leere. Blinzelnd öffnete er die Augen und hob den Kopf, um sich umsehen zu können, doch sein schwarzhaariger Freund war nirgends zu sehen.
Ein Blick auf die Uhr sagte Kai, dass es noch lange keine Zeit war aufzustehen, sie hatten noch genug Zeit, bis die anderen kommen würden. So erhob er sich gähnend aus seiner liegenden Position und fuhr sich fahrig durch die Haare, strich sie sich aus der Stirn und versuchte, sie gleichzeitig auch ein wenig zu entwirren, mehr oder minder erfolgreich.
Kopfschüttelnd sah der Russe, dass durch den Türspalt Licht aus seinem Arbeitszimmer schien. ‚Da ist er also’, dachte er daraufhin, ehe er seine Beine über den Bettrand schwang und nackten Fußes zum angrenzenden Raum ging, langsam die Tür zu diesem öffnete.
Das Bild, welches sich ihm bot, brachte Kai zum Lächeln.
Rei war, trotzdessen er nicht viel geschlafen hatte, schon sehr früh mit den ersten Sonnenstrahlen wach geworden. Lange hatte er den anderen einfach beim Schlafen beobachtet, hatte unsichtbare Linien auf dessen Haut gezeichnet und den Reaktionen auf diese Zärtlichkeit mit einem kecken Grinsen gelauscht.
Dann jedoch musste er aufstehen, als sein natürliches Verlangen ihn ins Badezimmer trieb. Als er wieder aus diesem trat, zog ihn es nicht direkt ins Schlafzimmer zurück, sondern in das Arbeitszimmer Kais, in dem er es sich auf dem komfortablen Chefsessel bequem machte. Lächelnd saß er eine Weile einfach in diesem, schaute derweil aus dem Fenster und beobachtete ein Amselpaar, das sich im Flug immer wieder zu necken schien, bis sein Blick auf die eine Schublade des Schreibtisches fiel.
Rei zögerte, als er seine Hand ausstreckte, um das Schubfach zu öffnen, doch dann gewann sein innerer Wunsch doch und er schloss die Lade ohne weiteres Stocken auf. Einen Moment später hielt er ein Paar weiße Lederhandschuhe in den Händen, strich vorsichtig, nahezu sanft über die Oberfläche.
Seufzend und leicht wehmütig erinnerte er sich, wann er diese Handschuhe von Kai damals geschenkt bekommen hatte – es war Winter und eine ihrer ersten richtigen Verabredungen gewesen, als Rei spät abends zu frieren begonnen hatte. Kurzerhand hatte Kai ihm diese Handschuhe gekauft. Es war das erste Geschenk, das er von dem Russen bekommen hatte, dementsprechend wichtig war es ihm auch.
Und nicht nur ihm, wie Kai ihn immer wieder erinnerte, indem er die Lederhandschuhe weiterhin in seinem Schreibtischschubfach aufbewahrte. Es war eine gemeinsame Erinnerung, gleichermaßen wie das erste Date an sich, das erste Mal, dass sie in einem Bett geschlafen, miteinander geschlafen hatten, das erste Mal, dass sie Streit und sich danach wieder versöhnt hatten. Der erste gemeinsame Urlaub als Paar und so weiter.
Solche Erinnerungen waren es, die ihnen in dem Moment, in der derzeitigen Situation immer wieder aufhalfen, Halt und Hoffnung gaben, auch wenn sie wussten, dass diese wohl nie erfüllt werden würde...
Die Gedanken abschüttelnd zog Rei die Handschuhe an und hielt die Hände mit ausgestreckten Armen vor seinem Gesicht, betrachtete jede einzelne Naht, als würden diese ihm Geschichten erzählen, vergaß dabei vollkommen die Zeit. – Und genau so fand Kai ihn später.
„Kommst du zurück ins Bett? Wir haben noch ein wenig Zeit, bis die anderen kommen.“
Vor Schreck zusammenzuckend schnellte der Schwarzhaarige herum und starrte seinen Freund zuerst ertappt an, bis seine Gesichtszüge wieder weicher wurden und er nickte. „Ja...“, wisperte er nur leise, wandte seinen Blick wieder zu den Handschuhen, ehe er diese abstreifte und in die Lade zurücklegte.
Langsam stand er auf und ging auf Kai zu, blieb vor diesem stehen und umarmte ihn einfach, schloss dabei die Augen. Seufzend vergrub er seine Nase in der samtigweichen Stelle zwischen Schulter und Hals des anderen, sog den Geruch tief ein.
Ebenso seufzend erwiderte Kai die Umarmung, indem er seine Arme um den anderen legte und den Kopf gegen dessen lehnte.
*OoO*
„Und danach hat er doch tatsächlich zu mir gesagt, ich wäre ein Feigling, dass ich nicht gegen ihn kämpfen möchte. Ich begreife einfach nicht, wie manche nicht verstehen können, dass wir aufgehört haben. Ich meine, Beyblade ist zwar mein Leben, aber ich kann mich doch nicht pausenlos damit beschäftigen!“
Mit einem Grinsen hörte Rei seinem japanischen Freund zu, wie er wild gestikulierend erzählte, was er in den letzten zwei Wochen so erlebt hatte. Er freute sich schon das Gesicht Takaos zu sehen, wenn er ihm am Ende seiner Geschichte erzählen würde, dass er das Meiste schon längst wusste, immerhin hatte er ihn das eine oder andere Mal besucht und war bei ihm gewesen. Eigentlich sollte der andere dies wissen – und Rei war sich sicher, er war sich dessen auch bewusst –, dennoch erzählte er alles jedes Mal. Es war schon zu einer Art Spiel zwischen ihnen geworden.
„Möchtest du noch etwas trinken?“ Max neben ihm hatte gerade die Sektflasche in der Hand und sah ihn fragend an. Mit einem kurzen Nicken antwortete der Schwarzhaarige und beobachtete, wie Max sich daraufhin seinem Freund zuwandte, der ihm nur stumm sein Glas hinhielt, sichtbar genervt von den Ausschweifungen seines ehemaligen Teammitgliedes war – manche Dinge würden sich eben nie ändern.
Rei fühlte sich wohl und er vermisste schon jetzt das Gefühl, wieder da sein zu können. Es war schon etwas anderes, sich mit seinen Freunden richtig zu unterhalten und nicht nur beobachten zu können, auch wenn er dankbar dafür war, dass es wenigstens bezüglich Kai anders war. Aber dennoch... Es war einfach etwas anderes.
„Was hast du denn die ganzen Tage gemacht?“, wurde Rei mit einem Mal von Brooklyn gefragt, der ihm gegenüber lächelnd an Hiroshi gelehnt saß und an seinem Glas nippte.
„Euch beobachtet“, grinste der Schwarzhaarige als Antwort, sah, wie Hiro leise kicherte und einen Blick zu seinem kleinen Bruder warf. „Also an sich nichts anderes als sonst auch.“ Schulterzuckend nahm er einen Bissen von dem Kuchen, den Kai zuvor noch bei der Konditorei in ihrer Nähe gekauft hatte, ließ sich den süßen Geschmack dessen auf der Zunge zergehen.
„Ich stelle es mir interessant vor“, meinte Max auf einmal. „Andere Leute beobachten, ohne dass sie es mitbekommen. Man kann dabei so vieles herausfinden, was man sonst wahrscheinlich nie erfahren würde...“
„Max!“ Empört schrie Kyoujyu auf diese Worte hin auf, wäre es ihm nie in den Sinn gekommen, so eine Situation so auszunutzen, auch wenn er sicherlich auch schon daran gedachte hatte...
Rei lachte kurz auf. „Glaube mir, Maxi, das ist auf Dauer sehr langweilig... Ich-“
„Rei?“, wurde der Angesprochene unterbrochen, was jenen fragend in Richtung Takao blicken ließ. „Du...“ Dieser stockte, biss sich mit unangenehmem Gefühl auf die Lippen, ehe er langsam und leise weitersprach. „Du...verschwindest...“
Mit undefinierbarem Blick sah Rei an sich herunter, jedoch konnte er selbst keinen Unterschied sehen. Mit einem Lächeln auf den Lippen, das deutlich zeigte, dass dies nicht ernst gemeint war, griff er nach seinem Glas, doch seine Hand langte mitten durch dieses hindurch, auch wenn er es gleichzeitig noch spürte. „Tja... Dann war es das dann wohl...“ Schief grinsend schaute er wieder auf, musterte jeden Einzelnen von seinen Freunden. „Bis in zwei Wochen dann, würde ich sagen“, sagte er leise.
Max sah ihn darauf nur sanft an, auch wenn ihm danach im Moment nicht gerade zu mute war, zu groß war der aufkommende Schmerz, den er jedes Mal verspürte, wenn er dies sah. In solchen Augenblicken wünschte er sich manchmal, er würde von all dem nichts wissen und lieber mit dem Gewissen leben, dass für Rei nun alles vorbei war...
Takao dagegen grinste über beide Ohren. „Bis dann“, meinte er fast schon ausgelassen, während Kyoujyu, Hitoshi und Brooklyn einfach nur nickten.
Traurig sah Rei den jungen Mann neben sich an, der seinen Blick auf die Hände des Schwarzhaarigen gerichtet hatte. Seufzend hob er eine Hand und legte sie auf die rechte Wange Kais, so dass dieser nun hochschaute und ihn bekümmert ansah. Ohne ein Wort beugte Rei sich nach vorne und legte seine Lippen auf die seines Freundes.
Der Kuss war hauchzart, kaum zu bemerken, aber sinnlich zugleich. Jedoch spürten sie beiden ihn mit jeder Sekunde immer weniger, bis er gar nicht mehr zu fühlen war und Kai die zuvor geschlossenen Augen wieder öffnete.
Eine Leere begann sich in dem Russen auszubreiten, eine Leere, bei der er froh war, dass er in diesem Moment nicht alleine war, dass die anderen noch immer zugegen waren und ihn ein wenig ablenken konnten. ... Eigentlich lenkten sie sich alle in diesem Augenblick immer gegenseitig ab, ließ dieser niemanden kalt.
Letztendlich schaute Kai seinen Freund, der sich gerade gegen ihn lehnte und seine Lider noch immer geschlossen hatte, mit einer tiefen Trauer in den Augen an. Mehr instinktiv als alles andere legte der Graublauhaarige seinen Arm auf die Lehne der Couch, auf der sie saßen, somit teils auch um den anderen, ohne dass sie beide etwas davon spüren konnten, als er sich wieder seinen Freunden zuwandte und sie in einen kleinen Plausch fielen.
Zwei Wochen.
Zwei Wochen, bis es wieder so wie früher sein konnte.
Sie wussten alle, diese zwei Wochen würden schneller vergehen.
Schneller, als sie es wohl erwarten würden.
So war es immer.
Ende
Auf die Tatsache, wie Rei umgekommen ist, wurde übrigens mit vollster Absicht nicht weiter eingegangen.
Ich hoffe, es hat euch gefallen x3
Über Kommentare würde ich mich wie immer freuen ^^