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Move me

Teil VII der "Späte Erkenntnis"-Reihe
von

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schwarzer Montag

Ein kleiner Schreibflash hat mich dieses Wochenende heimgesucht und ihr kriegt schneller was zu lesen, als ich dachte... Ich wünsche viel Freude damit
 

Saber ließ sich erschöpft auf das Sofa nieder. Der Nachmittag mit Freunden war anstrengend gewesen. Vor allem deswegen, weil er knapp zwei Wochen davor jeden Tag alleine gewesen war und er einen solchen Rummel nicht mehr gewöhnt war. Aber, und das konnte Saber nicht abstreiten, es hatte ihm auch Kraft gegeben. Seine Freunde würden alle zu ihm halten. Er war nicht alleine. Saber zog die Decke über seine Beine und lugte ins Schlafzimmer hinüber. Laura hatte gar nicht erst gefragt, ob sie an diesem Abend bleiben sollte, sie war einfach hier geblieben. Saber hatte das Gefühl, dass Laura gar nicht nachhause wollte, ansonsten wäre sie sicherlich mit Fireball und April mitgefahren.

Aber es war Saber recht, wenn er nicht ganz alleine in seiner Wohnung sitzen musste. Die beiden hatten vorhin noch abgewaschen und waren einen Sprung an der frischen Luft gewesen. In den Abendstunden war es ruhig in der Wohnsiedlung und auf den Straßen klärte sich die Luft. Es war entspannend gewesen, auch, wenn sie sich meistens nur angeschwiegen hatten. Saber hatte das undefinierbare Gefühl, Laura würde ihn auch so verstehen, ohne große Worte. Traurig senkte Saber den Kopf. Das hatte er auch von Synthia einst gedacht. Seine Frau hatte einen vernünftigen und liebevollen Eindruck auf ihn gemacht, aber dem war nicht so gewesen. Sie hatte nicht akzeptieren wollen, dass Saber Verpflichtungen außerhalb des Familienverbandes hatte. Der Schotte schluckte schwer. In manchen Nächten vermisste er sie. Er vermisste ihr ebenholzschwarzes, weiches Haar, das immer nach Sandelholz roch und ihre Berührungen. Synthia war immer sparsam mit Zärtlichkeiten gewesen, trotzdem war es das gewesen, was Saber als erstes schmerzlich vermisste. Mit den trübsinnigen Gedanken sank er in sich zusammen. Es war aus und vorbei, das spürte Saber. Synthia machte keinerlei Anstalten, noch einmal mit sich reden zu lassen. Seit sie erfahren hatte, dass Saber Matthew bei Laura gelassen hatte, hatte sie jeden Kontakt abgebrochen.

Das schlimmste daran war, dass er Matthew seither nicht mehr gesehen hatte. Er war zu Synthia gefahren, nachdem er wieder zuhause angekommen war, wollte seinen Sohn abholen, wie jedes Wochenende. Doch seine Frau hatte ihn verteufelt und ihn sofort wieder fort geschickt. Er dürfte Matthew nicht mehr sehen. Es hätte ihr gereicht, dass Saber ihr Kind zu einer wildfremden Frau gegeben hatte und nicht einmal so viel war, sie anzurufen und sie über den Vorfall zu informieren. Saber schloss die Augen und fuhr sich mit beiden Händen übers Gesicht. In diesem Moment hatte Synthia ihm das Herz aus der Brust gerissen. Kein Bitten und Flehen hätten Synthia erweichen können, sie war stur geblieben und hatte ihm vorerst jeglichen Kontakt zu Matthew untersagt. Alleine bei dem Gedanken daran stiegen Saber die Tränen in die Augen. Er wollte Matthew ein guter Vater sein, er wollte es wirklich, aber er war auch ein Star Sheriff. Der Schotte konnte nicht hier bleiben, wenn das Neue Grenzland die Star Sheriffs und Ramrod brauchte.

Langsam fiel Saber zur Seite und legte sich auf das Sofa. Wie lange würde er noch ein Star Sheriff sein? Bis Montag? Er glaubte nicht wirklich daran, nach dieser Ausschusssitzung noch im Dienst des Oberkommandos zu stehen. Saber musste sich eingestehen, dass er falsche Entscheidungen getroffen hatte. Und vieles hatte er schlicht und ergreifend gar nicht erst bemerkt. Aber Unwissenheit schützte bekanntlich nicht vor Strafe und so musste Saber den Tatsachen ins Auge sehen. Er würde nicht nur wegen der letzten Mission seinen Posten verlieren, sondern auch wegen der Angelegenheit mit Fireball.

Der jüngste Champion aller Zeiten kam Saber in den Sinn. Fireball war ein guter Kamerad und Freund, aber mehr noch als das, war Fireball ein enger Vertrauter. Wer hätte jemals gedacht, dass der Heißsporn ihm einmal Ratschläge erteilte? Saber schüttelte den Kopf, drehte sich auf den Rücken und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. Niemals hätte Saber darauf gewettet, dass aus Fireball einmal ein solcher Mensch würde. Aber, und das gestand sich Saber sofort ein, diese Ereignisse hätten sogar den leichtsinnigsten und unbeschwertesten Menschen zur Vernunft gebracht. Saber war froh, dass der Japaner wieder nach Yuma gezogen war, auch wenn er für eine Wohnungsbesichtigung noch keine Zeit gehabt hatte. Es war ein gutes Gefühl, all seine Freunde in der Nähe zu wissen.

Es war ein beruhigendes Gefühl, Laura in der Nähe zu wissen. Mit diesen Gedanken schlief Saber schließlich ein.
 

Nachdenklich stützte Fireball den Kopf auf die Hände und starrte auf die beiden Papiere, die auf dem Tisch vor ihm lagen. Es war schon spät, doch schlafen konnte Fireball dennoch nicht. Er war mit April ins Bett gegangen, nur um wieder aufzustehen, nachdem sie eingeschlafen war. Und nun saß er im Schneidersitz auf der roten Couch und zermarterte sich den Kopf. Neben den Zetteln stand eine Tasse Tee, der Rennfahrer hoffte, dass ihn das Getränk schläfrig machte. Er hatte, was er brauchte, aber seit Commander Eagle ihn darüber informiert hatte, dass er nun ebenfalls belangt werden konnte, schien ihm ihr Vorhaben nicht mehr idiotensicher. Klar, die Arbeitserlaubnis würde keine Probleme machen, aber die auf den letzten Drücker nachgereichte Gesundmeldung würde die Ausschussmitglieder skeptisch machen. Fieberhaft überlegte sich Fireball eine Ausrede nach der anderen, wieso Dr. Perry erst jetzt eine rausrückte, nur um die Ideen allesamt gleich wieder zu verwerfen. Ob er sich bei Dr. Shirota absichern sollte?

Schnaubend schüttelte Fireball den Kopf. Niemals! Der gute Dr. Shirota würde sich vorher etwas abhacken, bevor er bei einer so linken Partie Helferlein spielte. Wenn er nicht gleich zu einem der Ausschussmitglieder ging und das Vorhaben seines Patienten verpetzte. Das würde Dr. Shirota sogar ähnlich sehen, Fireball verdrehte genervt die Augen. Auch der Weg war versperrt. Aber wie sollte er Saber bloß aus dieser misslichen Lage heraus helfen? Immerhin war er es gewesen, der sich über Sabers Befehl hinweggesetzt hatte und trotzdem an Board geblieben war. Und er war es auch gewesen, der Tomas auf den Plan gerufen hatte.

Haare raufend stand Fireball schließlich auf. Je länger er darüber nachdachte, desto eher wollte er das Zeug auf dem Tisch gegen die Wand schießen und aus der Haut fahren. Ein japanischer Fluch verließ zischend seine Lippen. Er wollte Saber nicht hängen lassen, wusste aber beim besten Willen nicht, wie er das machen sollte. Der Schotte hatte ihm strikt verboten, für ihn zu lügen. Und die Wahrheit war einfach nur bescheiden. Fireball konnte sich nicht einfach am Montag über Sabers Wunsch hinwegsetzen und alle Schuld auf sich nehmen. Saber vertraute ihm. Noch ein herzhafter Fluch sprudelte aus ihm heraus: „Verdammter Mist ist das!“

Als Fireball endlich einsah, dass er im Augenblick weder etwas tun konnte, noch mit seinem Ärger etwas erreichen würde, schlich er wieder ins Schlafzimmer zurück. Leise schob er sich unter die Decke, drängte seinen Körper an April und umarmte sie. Sie seufzte zufrieden auf und schob sich instinktiv in Fireballs Umarmung. Fireball strich ihr die Haare aus der Stirn, begann ihr eine Strähne zu zwirbeln, bis er schließlich einschlief.
 

„Huch, was sehen meine entzündeten Äuglein da?“, Colt rieb sich neben Saber die Augen und spähte ein zweites Mal den Weg hinunter. Fireball und April kamen an diesem Morgen gemeinsam ins Oberkommando. Beide in Uniform. Also würden alle vier dieses Mal in dieser blauen Uniform der Kavallerie vor den Ausschussmitgliedern stehen. Irgendwie sah es seltsam aus, wie Colt fand. Den Rennfahrer hatte man noch nie zuvor in einer Uniform dieser Art gesehen. Der Cowboy schüttelte den Kopf. Nein, stand dem Wuschelkopf nicht übertrieben gut. Da hatte der japanische Fuchs in seiner weißen Polizeiuniform um Welten besser ausgesehen. Es konnte aber auch sein, dass es Colt nur nicht gefiel, weil er diesen Klimbim des Oberkommandos nicht mehr riechen konnte.

Saber schüttelte leicht den Kopf. Colt würde es nie lernen. Der Schotte machte einige Schritte auf seine Freunde zu und begrüßte sie kurz. Das Unausweichliche stand ihnen nun bevor. Während April tapfer nickte und auf Colt zu ging, hielten sich Saber und Fireball kurz an der Schulter fest. Beide prüften den anderen kurz und nickten dann entschlossen.

Die Geste des gegenseitigen Haltens brauchte im Augenblick vor allem Saber. Er hatte ein mulmiges Gefühl, der Tag hatte für ihn schon mit einem schlechten Omen angefangen. Saber hatte die Befürchtung, dass sich der weitere Verlauf des Tages so fortsetzen könnte. Nachdem er tief Luft geholt hatte und sich im Geiste noch einmal eingeredet hatte, dass sich seine Ängste nicht bestätigen würden, führte Saber seine Freunde in das Hauptgebäude.
 

Wie der Säbelschwinger vorhergesagt hatte, fand die Anhörung unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Lediglich die drei Mitglieder der ersten Untersuchungskommission, Commander Eagle und die vier Star Sheriffs nahmen an dieser außerordentlichen Sitzung teil. Die acht Personen verteilten sich über den großen Tisch, wobei die drei Ausschussmitglieder an einer Seite Platz nahmen und die Star Sheriffs sowie Commander Eagle am anderen Ende einen Stuhl zugewiesen bekamen. Der Aktenberg war im Vergleich zur letzten Sitzung auf die doppelte Größe angewachsen.

Der Vorsitzende erhob die Stimme, nachdem alle Platz genommen hatten. Er stand auf und deutete auf Saber und Fireball: „Sie beide sind ziemlich raffiniert. Aber nicht raffiniert genug. Dachten Sie wirklich, dass wir keine zweite Meinung zu Ihrer nachgereichten Gesundmeldung einholen würden?“

Der scharfe Blick des Vorsitzenden blieb an Fireball haften. Unweigerlich zog Fireball den Kopf ein. Es hatte sich bewahrheitet. Warum wunderte es ihn nur so sehr? Überwältigt brummte der ehemalige Rennfahrer: „Dr. Shirota.“

Missbilligend nickte der Vorsitzende. Er kam sich von den Beteiligten mittlerweile im großen Stil an der Nase herumgeführt vor und das wollte er so schnell als möglich in dieser Sitzung unterbinden. Wenn die Herren vor ihm nicht aufpassten, würde sie alle gleichermaßen zur Verantwortung gezogen werden. Nur ein falscher Ton und der Vorsitzende war zu allem bereit. Er fuhr mit dunkler Stimme fort: „Ihr Hausarzt war so frei uns einige Unterlagen zukommen zu lassen, Mister Hikari. Und Ihre Pflicht, Offizier Rider, wäre es gewesen, das auch zu tun. Haben Sie aber nicht. Und da ich annehme, dass Sie ein guter Freund von Mister Hikari sind, behaupte ich, dass Sie es ohnehin wussten.“, nun bekam Saber sein Fett weg: „Kurzum, es war verantwortungslos, Mister Hikari an Board gehen zu lassen. Das wissen Sie genauso gut wie ich.“

Saber blinzelte zwischen dem Vorsitzenden und Fireball hin und her. Sein schlechtes Gefühl bestätigte sich. Am besten wäre gewesen, wenn er an diesem Morgen nicht aufgestanden wäre. Zuerst die Hiobsbotschaft beim Frühstück und nun das hier. Sabers schlimmster Albtraum wurde war. Er blickte in Fireballs Gesicht und senkte schließlich gebrochen den Blick. Der Ausschuss hatte Recht. Mit jeder Silbe hatten die drei Herren vor ihnen Recht. Er hätte Fireball wieder nachhause schicken sollen, der Säbelschwinger hätte nicht riskieren dürfen, dass Fireball bei diesem Einsatz sein Leben riskierte. Betroffen nickte er lediglich und antwortete einsilbig: „Ja, Sir.“

Ein Geständnis vom kommandierenden Offizier war ganz nach dem Geschmack des Vorsitzenden. Dennoch blieb es ihm ein Rätsel, wie Saber derart unverantwortlich hatte handeln können. Er wusste von Colonel McRae und auch aus der Gerüchteküche des Oberkommandos, dass diese Einheit hier nicht bloß ein wild zusammen gewürfelter Haufen war, sondern Freunde. Die vier Star Sheriffs der Einheit Ramrod waren die besten Freunde, das war dem Vorsitzenden bereits bei der ersten Sitzung aufgefallen. Der eine würde für den anderen durchs Feuer gehen. Und auch das hatte der Vorsitzende bereits gesehen. Diese Einheit würde nämlich auch für Commander Eagle durchs Feuer gehen. Aber wie, wie konnte ein kommandierender Offizier und noch dazu ein guter Freund, einen verletzten Freund an Board gehen lassen? Der Vorsitzende verstand das überhaupt nicht, noch dazu, wo der Ausgang der letzten Schlacht alles andere als glücklich verlaufen war. Der Schaden für das Oberkommando war enorm, vom Imageschaden mal abgesehen. Dieses Mal hielt er auf Saber zu: „Sie können doch nicht einfach jemanden ein Schiff steuern lassen, der vor wenigen Monaten erst am Rücken operiert wurde. Offizier Rider, niemand hier ist Arzt, aber auch mir leuchtet es ein, dass Mister Hikari nichts an Board von Ramrod verloren hatte. Egal, ob General Whitehawks Zustimmung vorlag, oder nicht.“

Oh, ja, der Ausschuss wusste, wo es weh tat. Saber machte sich diese Vorwürfe selbst zur Genüge, dass der Vorsitzende nun genau dort ansetzte, tat Saber in der Seele weh. Die eigenen Vorwürfe, die ihn seit Jahren immer wieder heim suchten und in letzter Zeit wieder vehement lauter geworden waren, von fremden, unbeteiligten Menschen zu hören, riss dem Schotten das Herz aus der Brust. Obwohl, und da sank der Schotte noch weiter in sich zusammen, sein Herz konnte niemand mehr herausreißen. Es lag bereits auf dem Boden, wurde mit Füßen getreten und wartete nur noch auf den finalen Stoß. Wieder blickten die blauen Augen auf die Tischplatte, als Saber lediglich nickte und die Worte des Vorsitzenden bestätigte: „Ja, Sir.“

Die Freunde beobachteten mit Unbehagen, in welche Richtung der Ausschuss abzielte. Bislang war kein einziges Mal die Sprache auf Commander Eagle gefallen. Colt verzog grantig das Gesicht zu einer undefinierbaren Fratze und drehte sich vom Ausschuss weg. Er konnte kaum glauben, worauf die feinen Herren hinauswollten. Sein sechster Sinn, sein Gespür ließen ihn nicht im Stich, das taten sie nie. Colt schnaubte und fiel in den Stuhl zurück. Das durfte einfach nicht wahr sein! Er verschränkte die Arme vor der Brust und sagte sich immer wieder im Gedanken, dass er die Klappe halten musste, dass er sich beruhigen musste. Allerdings wurde der Ausschuss von Minute zu Minute mehr wie ein rotes Tuch für den Kuhhirten.

Die Blondine, die zwischen Saber und Fireball Platz genommen hatte, ließ ihre Arme unter dem Tisch verschwinden und richtete die Augen ebenfalls nach unten. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals. Sie fühlte sich nicht wohl hier, aber da war sie garantiert nicht die einzige. Sie riskierte einen kurzen Blick zu Colt und Fireball und stellte fest, dass sie unterschiedlichere Reaktionen nicht auf einmal hätte sehen können. Während Colt schon sichtlich Farbe im Gesicht hatte und im Begriff war, sich aufzuregen, saß Fireball stumm und blass neben ihr. Er schien nicht einmal zu atmen. Und Saber? Sah April nun ihren Boss an, rang sie mit den Tränen. Saber badete tapfer alles aus, was sie miteinander verbrochen hatten. Er nahm alles hin, nahm alle Schuld auf sich.

Plötzlich spürte sie eine Hand, die nach ihrer griff. Fireball hielt Aprils Hand unter dem Tisch, verschränkte seine Finger und zog sie auf seinen Oberschenkel hinüber. Erschrocken hatte April zuerst ihre Hand zurückziehen wollen, doch Fireballs Griff war zu fest gewesen. Nun war sie dankbar, seine Nähe spüren zu dürfen. Fireball war da, er hielt sie fest, wenn auch nur im Geheimen. Der Rennfahrer drückte Aprils Hand und schenkte seiner Freundin einen aufmunternden Blick. Der Heißsporn strahlte ungewöhnlich viel Ruhe an diesem Tag aus.

Genauso sicher, wie er Aprils Hand hielt, klang auch seine Stimme, als er sich dem Ausschuss zuwand: „Ist Ihnen noch nicht in den Sinn gekommen, dass ich freiwillig mit war? Saber hat mir weder befohlen noch mich gebeten, zu Ramrod zu kommen. De facto ist es meine Verantwortung und nicht seine.“

Saber schloss kurz die Augen und schüttelte leicht den Kopf. Der kleine Rennfahrer würde es niemals im Leben lernen. Immer würde er alle Schuld auf sich nehmen, nur um seinen Freunden zu helfen. Das selbstlose Blut von Captain Hikari strömte eindeutig auch durch die Adern seines Sohnes.

Das Argument ließ der Vorsitzende jedoch nicht gelten. Es schürte viel mehr seinen Ärger über die ganze Angelegenheit noch mehr: „Mr. Hikari, ich darf Sie daran erinnern, dass es seither Offizier Rider war, unter dessen Befehl und Verantwortung die Besatzung des Friedenswächters Ramrod stand. Die Hauptverantwortung liegt folglich bei ihm. Sie haben ihrem Vorgesetzten und Freund mit Ihrem Erscheinen einen schlechten Dienst erwiesen. Und er sich selbst auch. Er hätte Sie sofort wieder wegschicken müssen.“

Für den Vorsitzenden war der Fall klar. Das Oberkommando kam vor einer Freundschaft. Auch, wenn in diesem Fall beides nur einen einzigen Schluss zugelassen hätten. Nämlich Fireball wieder weg zu schicken. Als kommandierender Offizier hätte Saber an das Wohl der restlichen Mannschaft denken müssen, als Freund an das des verletzten Piloten. Doch der Anführer von Team Ramrod hatte weder das eine noch das andere getan. Er hatte den Rennfahrer an Board gehen lassen, was für den Vorsitzenden unverantwortlich war.

Colt fiel es in diesem Augenblick schwer, seinen Mund zu halten. Die Pappnase da vor ihm hatte ja keine Ahnung! Der kannte den Sturschädel des Japaners nicht, der wusste nicht, wie lange es gedauert hätte, Fireball von Board zu bekommen. Also warf der Scharfschütze dazwischen: „Als ob das so einfach wäre.“

Fireball ließ sich ironisch zu dieser Debatte vernehmen. Er war und blieb ein Sturkopf, in jeder Hinsicht. Beharrlich, aber dennoch ruhig unterstützte er Colt: „Klar doch... Ich würde den fähigsten Piloten auch sofort wieder wegschicken, wenn er schon mal da ist. Wäre sicher das Beste für das Neue Grenzland in dem Moment gewesen.“

Der Vorsitzende konnte nur noch mit dem Kopf schütteln. Da hatte er die Bande aber schnell gegen sich aufgehetzt. Er hätte nicht gedacht, dass es dafür nur weniger Worte bedurfte. Die Freunde unterstützten den kommandierenden Offizier, bestätigten seine Entscheidungen noch einmal mit Nachdruck. Jede andere Einheit hätte das nicht gemacht. Die hätten den Offizier alleine ausbaden lassen, was geschehen war. So gesehen hatte der Vorsitzende eine eingeschworene Mannschaft vor sich sitzen. Doch in diesem Moment missfiel ihm das ungemein. Erstens waren die beiden nicht nach ihrer Meinung gefragt worden und zweitens schrie der gesunde Menschenverstand danach, einen nicht einsatzfähigen Piloten am Boden zu belassen. Der Vorsitzende deutete funkelnd auf Fireball: „Ihr Gesundheitszustand war kein Geheimnis. Es war also Zeit genug eine Vertretung für Sie zu organisieren. Zumal Sie ohnehin nicht mehr im Dienst des Oberkommandos gestanden haben.“, es war schlicht und ergreifend verabsäumt worden, einen geeigneten Piloten für Ramrod zu suchen. Und das wiederum lag im Entscheidungsbereich des Anführers. Der Vorsitzende ging wieder auf Saber los: „Dieser Schritt hätte schon längst erfolgt sein müssen. Wieso haben Sie das versäumt?“

Saber schluckte schwer. Mit jedem Wort brannten sich die Vorwürfe tiefer in Sabers Bewusstsein. Saber hatte eine Reihe von Fehlern begangen. Beruflich wie privat. Heute war der Tag gekommen, an dem er sich verantworten musste, zumindest für die beruflichen Fehltritte. Das private Übel würde ihn in den nächsten Wochen und Monaten weiter den Boden unter den Füßen wegziehen. Vorerst allerdings sollte seine gesamte Aufmerksamkeit dieser Verhandlung gelten. Resignierend, weil Saber nichts so gelungen war, wie er es sich gewünscht hatte, unternahm er einen letzten Versuch, seine Entscheidungen vertretbar zu erklären: „Es gab keinen geeigneten Ersatz für Shinji, Sir. Wir konnten bis zur letzten Mission niemanden finden, der auch nur annähernd Shinjis Fähigkeiten als Pilot gehabt hätte. Ich weiß, wir hätten zu dritt starten sollen, Sir.“

Beinahe wäre der Viehtreiber von seinem Stuhl gefallen, als er Sabers letzten Satz vernommen hatte. Hatte der Schotte schon vergessen, was ihnen passiert wäre, wenn sie nur zu dritt gestartet wären? Saber war angeschossen worden, dieses heillose Durcheinander hatten sie zu viert kaum bewältigen können, wie wäre es erst ausgegangen, wenn ihnen auch noch der Pilot gefehlt hätte? Vielleicht wäre April dann nicht mehr bei ihnen, weil sie bei Ramrod hätte bleiben müssen. Es war gut möglich, dass die Blondine den Angriff des neuen Friedenswächters nicht überlebt hätte, das war Colt vollkommen bewusst. Deshalb rutschte er auch empört in seinem Stuhl nach vor und entkräftete Sabers Aussage: „Das ist doch Schwachsinn, Saber. Zu dritt hätten die uns unter die Erde befördert, bevor wir ‚Hi’ gesagt hätten.“

Die Besatzung von Ramrod war sich also einig darüber, dass die Schlacht ohne ihren Piloten nicht so glimpflich ausgegangen wäre. Gut, damit mochten sie Recht haben, das räumte ihnen der Ausschuss stillschweigend ein. Aber keinesfalls ließen sie diese Argumente gelten. Fireball hatte keinerlei Ausbildung zum Piloten, er konnte unmöglich besser sein, als ein Pilot der Kavallerie. Der alternde Commander, der für die Ausbildung mancher Kadetten verantwortlich war, ergriff nun das Wort. Er zweifelte an der Sinnlosigkeit einer fundierten Ausbildung: „Sie wollen mir nicht allen ernstes weis machen, Offizier Rider, dass keiner unserer Piloten, die einen Flugschein, den Nachweis einer abgeschlossenen Ausbildung, die teilweise mit Auszeichnung abgeschlossen haben, qualifiziert genug für den Posten des Piloten des Friedenswächters war?“

Colt fiel Saber schon wieder ins Wort. Da hatten er und April auch noch ein Wörtchen mitzureden. Auf Ramrod konnte nicht jeder x-beliebige arbeiten, wie es den Herren des Oberkommandos gerade passte. Der Cowboy trommelte mit den Nägeln auf die Tischplatte, harsch und ungeduldig. Mit der Ausbildung zum Piloten war es ja nicht getan. Er gab ihnen zu verstehen: „Sorry, Meister. Aber ins Team muss der Vogel ja auch passen.“

Nun meldete sich auch April zu Wort. Durch Fireballs zärtliche und aufbauende Geste bestärkt, teilte sie nun Colts Meinung. Niemals hätte sie einen anderen Piloten als Fireball akzeptiert, egal wie gut er auch gewesen sein mochte. Für sie stand ebenso fest: „Was hätten wir mit so einem Snob mit Auszeichnung sollen, Sir? Fireball war“, ihre Augen ruhten einen Moment auf ihrem ehemaligen Piloten, dann korrigierte sie sich energisch: „ist der einzige, der ein Schiff wie Ramrod mit einer solchen Präzision steuern kann, wie er es tut. Ein Jetpilot könnte das nicht.“

Und auch Saber fand Widerworte für die Theorie des Ausschusses. Der Schotte hätte zwar bei der letzten Mission ohne Fireball starten sollen, das wäre für alle Beteiligten das Beste gewesen, doch geeigneten Ersatz für ihn zu finden, war auf die Schnelle tatsächlich nicht möglich gewesen. Auch Saber vertrat die Ansicht seiner beiden Freunde. Fireball gehörte zu Ramrod: „Eine Auszeichnung macht noch lange keinen guten Piloten und Kameraden aus einem Menschen, Sir.“

Die Mitglieder des Ausschusses hatten ihre Augen überall und so war dem Vorsitzenden schnell aufgefallen, wo die Hände der beiden jüngsten Mitglieder des Team Ramrod hin verschwunden waren. Er griff Sabers Worte auf, um nun April ins Gebet zu nehmen: „Und der gute Pilot und Kamerad ist er, weil er eine Liaison mit Ihnen hat, Miss Eagle?“

Ertappt zog April sofort ihre Hand zurück. Sie lief feuerrot an. Die dämlichen Bemerkungen von Colt hätten nicht schlimmer für sie sein können. Nur, weil sie Fireballs Nähe gesucht hatte, war der Ausschuss wieder auf die Idee gekommen, dass es für April um mehr als nur einen guten Kameraden gehen könnte. Sie flüsterte peinlich berührt: „Sir...“

Schlagartig war es nun mit der Ruhe vorbei. Der kleine Japaner drückte die Finger, die Sekunden zuvor noch Aprils Hand umschlossen hielten, in den Oberschenkel und wischte wütend mit der zweiten Hand über die Tischplatte vor sich. Der Hitzkopf konnte lange ruhig bleiben, nicht jedoch, wenn es um April ging. Und das verflucht dreckige Grinsen, das der Vorsitzende an den Tag gelegt hatte, brachte Fireball zur Weißglut. Er schnauzte ihn deshalb ungehalten an: „Das gehört hier absolut nicht her!“

Das Grinsen wurde dadurch keineswegs schmäler. Die beiden hatten sich durch ihre Reaktion eindeutig verraten. Was bei der letzten Ausschusssitzung noch Andeutungen gewesen waren, war nun Wirklichkeit. Der Vorsitzende kannte die Gesten junger Verliebter. Oft genug hatte er schon Disziplinarverhandlungen genau deswegen geführt. In seinem Alter ließ ihn die Erfahrung nicht mehr im Stich. Mit einem selbstherrlichen Nicken deutete er wieder auf April und erklärte: „Leider doch. Verbindungen wie diese trüben das Urteilsvermögen von Miss Eagle in einem unangebrachten Maße.“ Den Triumph hatte der Vorsitzende nun zur Genüge genossen. Deswegen waren sie an diesem Vormittag nicht hierher gekommen. Er räusperte sich kurz und fuhr fort: „Nun, diese Vorkommnisse haben Konsequenzen. Nachdem Ihre Position im Oberkommando nicht ausreicht, um Sie zu belangen, Mister Hikari, kommen Sie in dieser Angelegenheit so davon. Mit Ihrem Fall werden wir uns allerdings noch einmal auseinander setzen und dann, und davon können Sie ausgehen, wird auch eine Arbeitserlaubnis von General Whitehawk keinen Wert mehr haben. Aber Sie, Offizier Rider, können und werden wir hierfür zur Verantwortung ziehen.“

Saber senkte ergeben den Blick. Damit hatte er schon gerechnet, als er vor zwei Wochen den drei Herren über den Weg gelaufen war. Trübsinnig nickte er wieder: „Ich weiß, Sir.“

Colt hingegen war nicht in der Lage, das so einfach hinzunehmen, wie Saber. Stinksauer polterte er ein weiteres Mal los. Wenn die mit Folgen drohten, konnte das der Scharfschütze schon lange. Er war nicht auf den Sauhaufen hier angewiesen: „Also ehrlich! Das wird Nachwehen geben, Meister!“

Für den Ausschuss allerdings war die Entscheidung bereits gefallen. Colt konnte wüten so viel er wollte, das änderte das Urteil auch nicht mehr. Der Vorsitzende schob Saber einen Zettel entgegen und erklärte ungerührt: „Der Ausschuss hat beschlossen Sie für ihr Fehlverhalten zu suspendieren und-“

„Das ist nicht euer Ernst! Das könnt ihr nicht machen, verdammt noch mal!“, in dem Augenblick war jegliche Raison bei Fireball den Bach hinunter gegangen. Das durfte nicht wahr sein! Der Japaner zitterte fast vor Wut. Wie konnten die nur ein solch ungerechtes Urteil fällen? Das war nicht fair. Saber war nicht Schuld an den Unannehmlichkeiten. Die sollten gefälligst froh sein, einen Offizier wie ihn zu haben. Ein weiteres Mal hatten sich die Worte seiner Mutter bestätigt. Fireball grämte sich: „Meine Mum hatte Recht, als sie vom Oberkommando behauptet hat, es wäre ein Haufen unmenschlicher und unfähiger Idioten. Wird bei euch jeder bestraft, der für den Frieden im Neuen Grenzland eintritt und alles dafür opfert?! Echt, das fass ich einfach nicht!“

Fireball war nicht der einzige, der aus der Haut hätte fahren können. Die Blondine legte ihre Hände auf den Tisch und kreischte den Ausschuss empört an: „Das ist nicht fair, Sir! Dann müssen Sie uns alle suspendieren. Saber fällt keine einzige Entscheidung, die Ramrod betrifft alleine. Wir tragen alle die Verantwortung dafür.“

Der Vorsitzende klopfte mit der Faust mahnend und energisch auf den Tisch: „Ruhe!“, ein tadelnder Blick auf die erhitzte Runde folgte. Der Vorsitzende wartete ab, bis die Einheit auch wirklich wieder den Mund hielt und gab dann das Urteil im vollen Ausmaß bekannt: „Offizier Rider wird für sein Fehlverhalten suspendiert und verzichtet damit für den folgenden Monat auch auf seine Bezüge. Wir behalten uns vor, diesen Zeitraum auszudehnen, sollten wir über weitere Vorfälle informiert werden, die gegen die Dienstvorschrift verstoßen.“

„Scheiße, Mann! Ihr habt sie doch nicht alle!“, diese polternde Stimme gehörte zu Colt, der sich nicht mehr beruhigen konnte. Sie waren ein Team, sie hatten als solches gehandelt und nur einer sollte die Strafe für ihr Verhalten kassieren? Also, vom Gleichbehandlungsgrundsatz hatten die im Oberkommando auch noch nie was gehört! Colt schnaubte wie ein Bulle, den man mit einem roten Tuch traktierte. Noch ein Wort von diesen unfähigen, unfairen Heinis da vorne und er verabschiedete sich für immer von diesem Zusammenschluss unfähiger Bürokraten. Das war doch nicht deren wirklicher Ernst, oder etwa doch?

Mit welcher Einheit hatten sie es hier nur zu tun bekommen? Der Vorsitzende war entrüstet über soviel Respektlosigkeit. Dauernd wurde er in seiner Befragung unterbrochen, kein einziges mal war er von Fireball und Colt mit ‚Sir’ angesprochen worden und zu allem Überfluss glaubte er nun auch noch, dass Commander Eagles Einträge gar nicht so unberechtigt gewesen waren. Der Vorsitzende sah Colt direkt an: „Mister Wilcox, es ist Ihr gutes Recht Beschwerde einzulegen. In angemessener Form. Sollten Sie sich noch einmal daneben benehmen, verlassen Sie diesen Raum.“

Colt schob seinen Stuhl ächzend zurück und stand auf. Er steckte die Hände in die Taschen und wandte sich von dem großen Tisch ab. Er hatte die Schnauze gestrichen voll. Der Ausschuss hatte eine Entscheidung gefällt, aber auch Colt hatte eine getroffen. Er ließ sich doch nicht von denen zum Heinz machen! Er kommentierte sein Handeln: „Das tu ich auch ohne Aufforderung. Das ist doch Schwachsinn. Ich hab’s Commander Eagle schon gesagt und euch sag ich es auch noch mal, zum Mitschreiben sozusagen.“, noch einmal drehte sich Colt um. Dabei deutete er auf seine drei Freunde, die ihm entgeistert nachsahen. Diese Worte hatte er Commander Eagle an den Kopf geworfen, bevor sie zur Mission nach New Witchita aufgebrochen waren. Und er meinte sie immer noch ernst. Colt gab sie leicht abgeändert wieder: „Kein Fireball an Board und kein Saber dabei, auch kein Colt mit von der Partie. Ihr könnt mir den Allerwertesten küssen, ich bin doch nicht lebensmüde, bin ich doch nicht!“

Da flog die Tür auch schon wieder in Schloss. Das war das definitiv letzte gewesen, was Colt zu der Debatte noch zu sagen hatte. Das war’s gewesen. Nie wieder setzte er sein Leben dafür aufs Spiel. Nie wieder!

April gab ihrem ehemaligen Kollegen ganz leise recht: „Wo er Recht hat.“

Es war ihr klar, dass das eben Colts Kündigung gewesen war. Den Kuhhirten hatten sie für immer aus dem Oberkommando vergrauelt. Er würde für diese Organisation nie wieder arbeiten. Und, wie April schon festgestellt hatte, der gute alte Cowboy hatte durchaus Recht.

Irritiert beobachteten auch die Ausschussmitglieder, wie Colt die Tür von außen schloss. Das war ein starkes Stück, aber das sollte den Ausschuss nun nicht mehr kümmern. Vielleicht, so war der Vorsitzende der Ansicht, war es ganz gut, Team Ramrod in dieser Konstellation aufzulösen. Der Vorsitzende wandte sich nach einer kurzen Schrecksekunde wieder der eigentlichen Sache zu. Nämlich dem blonden Anführer der ehemals besten Einheit: „Offizier Rider, Sie haben den Beschluss gehört? Auch Ihnen steht es zu, Beschwerde gegen diese Entscheidung einzulegen.“

Der Schotte nickte leicht. Damit hatte er gerechnet. Gezeichnet und bekümmert antwortete er schließlich: „Ich akzeptiere Ihre Entscheidung, Sir.“

Die Blondine war ansonsten ein sehr rationaler Mensch. Aber das schlug dem Fass den Boden aus. Sie konnte eins und eins zusammenzählen und nach Adam Riese blieb sie als einzige auf Ramrod übrig. Und das ging ihr komplett gegen den Strich. Ja, sie hatte Ramrod mitentwickelt und gebaut, aber ohne ihre Freunde würde sie keine Sekunde länger die Navigation des Friedenswächters übernehmen. April schob ihren Stuhl nach hinten, bedachte Fireball und Saber jeweils mit einem entschuldigenden Blick und folgte Colts Beispiel: „Sir, ich schlage vor, Sie suchen sich ein neues Team für den neuen Friedenswächter.“

Verwirrt beobachteten die drei Herren, wie nun auch die Navigatorin des Teams den Saal, freiwillig und mit einem bösen Kommentar, verließ. Es war nicht alltäglich für den Ausschuss, ein derart eingeschworenes Team vor sich zu haben. Die Freunde standen füreinander ein, das hatte nun auch der letzte begriffen. Mit Sabers Suspendierung war die Sitzung jedoch noch nicht beendet. Der Vorsitzende nickte nun dem Commander zu, der sich die ganze Zeit über zu keiner Aussage hatte hinreißen lassen. „Kommen wir zum zweiten Punkt dieses Zusammentreffens. Commander Eagle.“

Das war das Zeichen für Fireball, um Saber mit dem Zeigefinger leicht anzustoßen und ihm gequält lächelnd zu gestehen: „Spätestens jetzt sollte ich mich verkrümeln, Boss.“

Er hatte zwar leise gesprochen, doch ganz bestimmt war er laut genug gewesen, damit ihn jeder verstanden hatte. Fireball war nicht unbedingt in der Stimmung, auch Commander Eagles Strafmaß hautnah mit zu erleben. Charles hatte sich entschuldigt, mehr als einmal. Und Fireball hatte an dem Abend, an dem er sich die Arbeitserlaubnis im Büro geholt hatte, für sich entschieden, dem Commander zu verzeihen. Es würde nicht leicht werden, immerhin war viel zwischen ihnen vorgefallen, aber alleine schon wegen April wollte er versuchen, sich mit dem Vater seiner Freundin zu verstehen.

Commander Eagle meldete sich auf die Aufforderung des Vorsitzenden: „Sir.“

Team Ramrod bestand wohl nur aus Querulanten, wie der Vorsitzende verärgert feststellte. Zuerst verließen der Scharfschütze und die Navigatorin lautstark die Sitzung und nun meinte der ehemalige Pilot, gehen zu müssen. Der jedoch sollte nun unbedingt bleiben. Er warf Fireball einen tadelnden Blick zu: „Es war Ruhe geboten, Mister Hikari. Und Sie bleiben bitte. Dies wird für Sie interessant sein.“

Der Ausbildner ergriff nun das Wort und gab Aprils Vater ein paar Anhaltspunkte für die Entscheidung: „Commander Eagle, wir schätzen es überhaupt nicht, wenn Mitglieder des Oberkommandos, ganz besonders die Hochrangigen unter ihnen, ihre Kompetenzen überschreiten oder gar missbrauchen. So löblich Selbstanzeigen gewöhnlich sind, in Ihrem Fall sind sie schlichtweg beschämend. Ausgerechnet ein Mann Ihres Rufes und Formates lässt sich dazu hinreißen, seine Position auszunutzen um den nicht ganz so genehmen Verehrer seiner Tochter aus deren Umfeld zu entfernen. Diesem Gremium fehlen die Worte um dieses Verhalten angemessen zu beurteilen.“

Auch Commander Eagle war bewusst, was er sich geleistet hatte, so wie Saber. Leise bestätigte er dem Ausbildner: „Ich weiß, Sir.“

Seine müden Augen blickten zu den verbliebenen beiden des Team Ramrod. Er hatte nicht verhindern können, dass Saber suspendiert worden war. Es tat Charles leid, aber vielleicht war es so, wie es nun gelaufen war, das Beste gewesen. Der Commander war sich nicht sicher, wie lange es noch gut gegangen wäre, mit den vieren an Board von Ramrod. Ständig hatte er sich Sorgen um April gemacht, sie würde nicht wieder von einer Mission zurückkommen. Sollten sie lieber ein Team mit mehr Erfahrung in den Kampf schicken. Die Zeit der glorreichen Star Sheriffs und Ramrod war vorbei. Die Kinder sollten sich auf ihr Leben konzentrieren und nicht auf den Krieg, der draußen im Neuen Grenzland tobte.

Der Vorsitzende bedachte Commander Eagle mit einem abfälligen Blick. Der Befehlshaber wirkte abwesend. Aber, und das wusste der Vorsitzende, ihre Entscheidung diesbezüglich war sehr milde: „In diesem Fall sprechen nur zwei Dinge für Sie. Zum einen, dass Sie Ihr Fehlverhalten gestanden haben, zum anderen, dass der Vorfall verjährt ist. Sie haben, zu Ihrem Nachteil nun, sehr lange geschwiegen und unter Berücksichtigung aller Punkte aus der vorangegangenen Sitzung haben wir entschieden, dass sie dennoch nicht so ohne weiteres damit durchkommen werden.“

Der Schotte atmete tief durch. Er war auf eine seltsame Art erleichtert. Nicht nur er wurde für seine Versäumnisse bestraft, auch Commander Eagle sah einer Strafe entgegen. Saber hatte einen Moment lang gedacht, der Ausschuss hätte es sich noch einmal anders überlegt. Aber dem war nun nicht so gewesen. Saber schluckte wieder, als er die Augen auf Commander Eagle richtete. Hier und jetzt ging eine Ära zu Ende, das fühlte er.

Fireball hatte sich wieder von seinem Ausbruch erholt. Ruhig und geduldig wartete er nun auf das Urteil des Ausschusses. Gedanklich versuchte er noch einmal kurz zu umreißen, wie es so weit hatte kommen können. Niemand hätte jemals von seiner unansehnlichen Personalakte erfahren, wenn Mandarin und Allan nicht Freunde wären. Von einem solchen Moment hätte Jesse Blue immer geträumt. Wenn der inhaftierte Verräter wüsste, was sich eigentlich im Oberkommando abspielte, er hätte sich sabbernd die Hände gerieben. Genau das war immer Jesses Ziel gewesen: die Einheit Ramrod zu sprengen. Wer hätte gedacht, dass sie mal vom Oberkommando selbst auseinander genommen würden? Fireball seufzte langatmig: „Okay.“

Der Commander bestätigte lediglich durch ein Nicken seine Zustimmung. Er würde alles akzeptieren, schließlich hatte er sich eines Verbrechens Schuldig gemacht. Jede Strafe war gerechtfertigt.

Erhobenen Hauptes teilte der Vorsitzende mit: „Wir haben unter Berücksichtigung Ihrer vielen Dienstjahre hier und ihrer Tätigkeit entschieden, dass Sie es verdienen, etwas früher als geplant, in den Ruhestand zu treten. Ihre Pensionierung beginnt im kommenden Monat.“

Erleichtert wich die Anspannung von Commander Eagle. Ihm war bewusst, welch großen Gefallen ihm der Ausschuss damit tat. Sie ließen ihn in Ehren in den Ruhestand gehen. Er verlor sein Gesicht nicht. Überwältigt brachte Commander Eagle hervor: „Danke, Sir.“

„Die Suspendierung von Saber war schon Blödsinn, aber das ist schlichtweg dümmer als die Polizei erlaubt!“, Fireball schüttelte fassungslos den Kopf. Ab nächsten Monat gab es nicht nur eine völlig neue Besatzung des Friedenswächters, sondern auch noch einen neuen Commander der Sektion West. Fireball wusste nicht, ob sich die Herren darüber im Klaren waren, wie sehr sie sich damit schwächten. Im Moment mochte es ruhig im Neuen Grenzland sein, aber das konnte sich auf einen Schlag wieder ändern. Dem jungen Japaner war dabei allerdings nicht bewusst, wie milde die Urteile sowohl für Saber als auch für Commander Eagle gewesen waren. Das verlor er gerade aus den Augen.

Der Vorsitzende schüttelte tadelnd den Kopf. Die beiden Verurteilten akzeptierten ihr Schicksal, weshalb dann nicht auch ihre Freunde? Er nahm Fireball ins Gebet: „Ihrer Beschwerde fehlt die angemessene Form, Mister Hikari.“, mit einem kühlen Blick zu Commander Eagle fuhr er fort: „Ich entnehme Ihren Worten, dass Sie mit der Entscheidung einverstanden sind.“

Während Commander Eagle bestätigend nickte, muckte der ehemalige Rennfahrer noch einmal auf. Ungehalten bemerkte er: „Ich formulier’s anders. Bei der umsichtigen Entscheidung bleibt dem Neuen Grenzland nur noch zu wünschen, dass nicht eines Tages Nemesis zurückkommt.“ Wütend schnaubte Fireball weiter: „Jeder Outrider hat mehr in der Birne als-“

Saber unterbrach den Heißsporn, bevor er mit seinen Worten noch mehr Schaden anrichten konnte. Er griff Fireball bestimmt an die Schulter und sah ihn mahnend an: „Fireball!“

Fireball schlug Saber grantig die Hand von der Schulter und maulte: „Ist doch wahr, Herrgott! Falls es noch nicht aufgefallen sein sollte, Ramrod hat zumindest einen Monat lang gar keine Besatzung und nach dem Monat bist du alleine, Saber. Das ist doch Irrsinn!“

Der Sturschädel des jungen Mannes war sagenhaft, wie der Vorsitzende feststellte. Der Junge arbeitete noch nicht einmal mehr im Oberkommando und machte sich dennoch Sorgen um die Besatzung von Ramrod. Das war zwar löblich, aber angesichts des Tonfalles und der Wortwahl weder angebracht noch förderlich, was die Entscheidungen betraf. Der Vorsitzende versuchte Fireball in seine Schranken zu weisen, nachdem Saber schon versagt hatte: „Hier ist überhaupt nichts Irrsinn, Mister Hikari. Sollten Miss Eagle und Mister Wilcox ihre Kündigungen tatsächlich ernst meinen, nun denn, das Oberkommando hat noch mehr befähigtes Personal. Es steht außer Frage, dass wir einen solchen Austritt bedauern würden, dennoch sehen wir uns noch nicht dem Untergang geweiht.“

Fireball hielt nichts mehr auf seinem Stuhl. Das Wesentliche war besprochen worden. Die Entscheidungen stanken für den Japaner zum Himmel. Er konnte weder etwas Faires noch etwas Mildes daran erkennen. Und nun sah er sich auch noch zu einer Grundsatzdiskussion mit dem Vorsitzenden gezwungen: „Das Oberkommando nicht, aber das Neue Grenzland! Wie kann man nur wegen so einem…“, für so einen Schwachsinn fehlten Fireball die Worte, weshalb er nach einer kurzen Überlegung den Satz einfach fallen ließ und fort fuhr: „Ihr müsstet schon wesentlich mehr Mitarbeiter suspendieren oder in frühzeitige Rente schicken, wenn ihr hier jedem Pups nachgehen würdet. Verdammt, Commander Eagle war jahrzehntelang der gerechteste Befehlshaber, den ihr aufbringen konntet. Ihr gehört doch alle in die geschlossene Anstalt!“

Der Vorsitzende unternahm einen letzten Versuch, dem Rennfahrer seine Grenzen aufzuzeigen. Er tadelte Fireball ein weiteres Mal: „Mister Hikari, mäßigen Sie sich. Der Gerechtigkeitssinn von Commander Eagle hatte offenkundig seine Grenzen erreicht, als er Ihnen begegnete. Und ich muss ehrlich gestehen, ich kann ihn auch verstehen. Na ja, wie auch immer. Das Gremium hat entschieden und weder Offizier Rider noch Commander Eagle erheben Einspruch dagegen. Damit beenden wir die Sitzung.“

Ohne auf weitere Wortmeldungen zu warten erhoben sich die drei Ausschussmitglieder und verließen den Saal. Für sie war der Fall erledigt. Sie hatten ihre Urteile gefällt, befanden diese stellenweise zwar als zu milde, aber im Großen und Ganzen als gerecht. Sie hatten zum Wohle aller entschieden.



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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

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Von:  collie
2008-11-14T10:26:55+00:00 14.11.2008 11:26
Man, Sister
... du reizt eine ganz schöne Palette an Emotionen aus. Immer wieder ... tja, bewegend ... *g* ... das hält keinen auf dem Stuhl und weckt Mordgelüste auf den Ausschuss. Einfach perfekt.

*knuddels*


Von:  Misano
2008-11-12T19:36:02+00:00 12.11.2008 20:36
Mann, diese Schw... vom Oberkommando, du hast es so treffend beschrieben, das hätte ich auch nicht besser gekonnt: Die bekommen das hin, was Jesse nie geschafft hat!
Welche Hiobsbotschaft hat Saber am Frühstück bekommen? Sincias Scheidungsbrief?

...Unfassbar, ich habe es bis hierher geschafft! In den letzten Tagen habe ich deine gesamte ff gelesen und war süchtig. Und nun das...jetzt bin ich hier angekommen und warte sehnlichst darauf, dass es weiter geht!
Von:  Sannyerd
2008-11-08T19:15:39+00:00 08.11.2008 20:15
oh die hab eich ja nun ganz übersehen, das es weiter geht...
Auch wieder ein tolles Kapie!
Von: abgemeldet
2008-11-03T18:45:25+00:00 03.11.2008 19:45
Fast hätte ich es gar nicht gesehen, das es weitergeht.
Auf den Tag hab ich schon soooooooo lange gewartet. Das Kapitel war super und voll spannend. Das kann es doch jetzt nicht gewesen sein??? Ich kann Colt und April verstehen, ich hätte das auch für meine Freunde und Gerechtigkeit getan.

Bitte schreib so schnell es geht weiter. Ich weiß deine Zeit ist begrenzt, aber ich kanns kaum erwarten.

Gruß Mona


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