Flut
Seichtes Mondlicht fiel in das kleine Zimmer.
Die Sterne leuchteten aus voller Kraft, den Vollmond unterstützend.
Du magst den Mond, oder?
Sanft streiche ich eine Strähne aus deinem Gesicht.
Setze einen seichten Kuss auf deine Stirn.
Eigentlich habe ich dir versprochen zu bleiben...
Aber ich kann nicht.
Es tut mir leid...
Ich kann deine Liebe nicht erwidern.
Dafür ist sie zu stark.
Diese Flut von Empfindungen, die du auslöst, ist zu viel für mich auf einmal.
Wirst du mir verzeihen wenn ich gehe?
Ich hoffe du wirst nicht weinen...
Das bin ich nicht wert.
Langsam schäle ich mich aus deinen Armen.
Noch einmal betrachte ich deinen schlafenden Körper.
Dein rotes Haar hängt in Strähnen in dein Gesicht.
Sonst schläfst du immer ganz ruhig.
Doch heute nicht.
Du drehst dich von einer auf die andere Seite und murrst leise.
Träumst du schlecht?
Bestimmt ein Traum von mir...
Es ist wohl wirklich besser wenn ich gehe.
Leise schleiche ich mich aus dem Zimmer.
Meine Nähe ist nicht gut für dich.
Ich verlasse deine Wohnung.
Oder ist es schon unsere Wohnung?
So oft und lange wie ich schon hier war oder bin.
Die Abendluft ist kühl.
Meine Jacke habe ich bei dir vergessen.
Sicher wirst du sie mir wiedergeben, wenn wir uns wiedersehen.
Noch weiß ich nicht, wann das sein wird.
Ich brauche Abstand.
Zumindest denke ich, das ich Abstand von dir brauche.
So gehe ich allein durch die Straßen.
Es sind kaum noch Leute da.
Die, die da sind, behagen mir nicht.
Aber ich kümmere mich nicht um sie.
Die haben ihre und ich meine Probleme.
Und mein Problem bist du.
Oder bin ich eher selber mein Problem?
Oder die eisernen Ketten an meinen Gefühlen?
Wahrscheinlich werde ich das nie wissen, ehe ich nicht einsehe, dass ich dich brauche.
Aber ich will nicht von jemandem abhängig sein.
Ich will dich auch nicht belästigen.
Du brauchst doch sicher auch deinen Freiraum.
So wie ich.
Dabei fällt mir ein...
Warum denn "wie ich"?
Du bist doch gar nicht wie ich...
Du bist vollkommen anders.
Groß.
Rothaarig.
Lebensfreudig.
Kannst verdammt gut Gitarre spielen.
Lächelst mich immer an.
Hast ständig gute Laune.
Trinkst gern und viel.
Und ich?
Klein.
Blond.
Grießgrämig.
Verschlossen.
Instrumente kann ich eher schlecht als recht.
Ein ehrliches Lächeln hab ich dir auch nie wirklich geschenkt.
Un trinken mag ich überhaupt nicht.
Wie passt das denn zusammen?
Oder lebst du nach dem Grundsatz, 'Gegensätze ziehen sich an'?
Schließlich ist Jaoru ja auch dein bester Freund.
Und er ist ja auch völlig anders als du.
Aber warum kann ich dann nicht auch einfach dein bester Freund sein?
Das hatte dir ja nicht mehr gereicht.
Du wolltest mehr.
Aber was du nicht merkst, ist, dass ich daran kaputt gehe.
Ich kann so viele Gefühle nicht erwidern.
Und damit zerstöre ich dich nur noch.
Hör bitte auf mich so zu drängen.
Vielleicht hätte ich es dir sagen sollen und nicht meinen Gedanken.
Aber ehe ich mit dir reden kann, müsste ich mich erst mal wieder unter deine Augen trauen.
In meinen Gedanken versunken laufe ich weiter durch die Straßen.
Gerade vernehme ich noch irgendwelche Laute, nehme sie nur kaum in mir auf.
Bis ich merke warum diese Laute da sind.
Spätestens bei dem Hupen.
Aber was ist denn los?
Ich realisiere es viel zu spät.
Die Lichter rasen auf mich zu.
Schmerz ist das letzte was ich sehe, bevor ich nur noch schwarz sehe.
"Kyo? Geht's dir gut?"
Nein...
Mir ist kalt und ich fühle mich allein gelassen...
Wenn du doch nur hier wärst...
Dann könnte ich dir endlich sagen, was ich nie einsehen wollte.
"Kyo? Wach doch bitte auf..."
Was?
Du bist hier?
Das ist doch deine Stimme, oder nicht?
"Kyo...bitte stirb nicht...ich kann nicht ohne dich leben..."
Weinst du etwa?
Du weinst um mich...
Ich tu dir eben doch nicht gut...
Aber...
Ich brauche dich.
Und du sagst, dass du mich brauchst.
Dann lass ich mich eben mitreißen, von deiner Empfingungsflut.
Suchend und zittrig taste ich nach deiner Hand.
Drücke sie fest.
"ich...liebe dich...Dai..."
Nur schwach und kratzig ist meine Stimme.
Aber ich wollte es dir unbedingt sagen.
Ich spüre deinen Körper, der mich fest umarmt.
"Kyo...du glaubst gar nicht was für eine Angst ich um dich hatte...
Ich hab schlecht geschlafen und als ich aufgewacht bin, warst du weg.
Da hab ich dich gesucht und gerade noch das Auto auf dich zu rasen sehen.
Du hast mich gar nicht gehört..."
Dai...
Hör doch bitte auf zu weinen.
Es tut mir so weh.
Wenn ich jetzt nicht merken würde, wie sehr wir uns brauchen wär ich verdammt dumm.
"Dai.. ich..."
"schon gut...sag nichts...Ruh dich lieber aus.."
"demo...bleib hier, hai? Ich brauche dich..."
Sanft lächelst du mich an.
Nickst kurz.
Dann legst du dich zu mir ins Krankenbett.
Friedlich schlafe ich in deinen Armen ein.
Jetzt wo die Flutwelle über mich geschwabt ist, fürchte ich sie nicht mehr.
-Owari-
