Now it's time for me to go home...
…it’s getting late and dark outside…
Need to be with myself and centre
Clarity, peace, serenity…
Es konnte nicht wahr sein.
Das alles musste ein Traum sein. Ein Alptraum, um genau zu sein.
Es war so unwirklich…
Wieder saß Maike auf einer Steinbank vor einem Pokémon-Center, wieder war ihr Traum direkt vor ihren Augen in sich zusammen gefallen… Vor drei Tagen – war es wirklich nur so kurz? – war es in Seegrasulb City gewesen, heute in Prismania City… aber letztendlich machte es keinen Unterschied.
Nur, dass sie diesmal keinerlei Zurückhaltung aufbringen konnte und ihre Tränen jetzt ungehemmt über ihr Gesicht strömten. Sie hatte stark sein wollen, sie hatte sich geschworen, nicht mehr zu weinen… sie konnte auf sich aufpassen, sie war selbstständig, sie konnte alles schaffen, was sie sich vornahm…
Wieder schluchzte sie auf und vergrub ihr Gesicht in ihren Händen.
Es war sinnlos…
Sie konnte also auf sich aufpassen? Warum war sie dann so einfach darauf hereingefallen? Natürlich… ein Wettbewerb aller Regionen… von dem sie auf ihrer ganzen Reise durch die Hoenn-Region kein Wort gehört hatte! Warum hatte sie nicht erkannt, dass da etwas faul sein musste? Wie hatte sie nur so naiv sein können?!
Nur wegen ihres Ego-Trips… Drew hatte sie gewarnt! Warum hatte sie nicht einfach auf ihn hören können? Weil sie unbedingt aus seinem Schatten treten wollte… und jetzt saß sie in Prismania City fest, ohne einen Cent oder einer Ahnung, wie sie wieder nach Hause kommen könnte. Das Große Festival konnte sie auch vergessen… sie würde ihm nicht einmal zusehen können…
Sie zog Drews Hemd noch enger um sich und suchte Trost in dem inzwischen extrem schwachen Geruch.
Natürlich machte das alles noch schlimmer.
Sie versuchte, sich an das Lied zu erinnern. „It’s time to be a big girl now…“, sagte sie laut, mit zitternder Stimme und unterbrochen von weiterem Schluchzen. „Big girls don’t cry!“
Aber genau das tat sie…
Und vielleicht musste auch das manchmal sein. “Ich bin ein großes Mädchen und kann auf mich aufpassen.“ Wie oft hatte sie das gesagt? Und wie oft hatte sich das bewahrheitet?
Wie oft war sie wieder aufgestanden, obwohl sie eigentlich nicht mehr weitermachen konnte?
Sie war stark, verdammt, und sie konnte auf sich aufpassen – aber es gab Situationen, in denen auch das stärkste Mädchen zusammenbrach. Und vielleicht war es manchmal auch… in Ordnung, zu weinen. Vielleicht brauchte sie es jetzt, all den Schmerz, die Scham und Selbstvorwürfe aus sich herauszuweinen, damit sie danach wieder aufstehen könnte, wieder aufstehen um alles wieder in Ordnung zu bringen…
Sie nickte leicht. Vielleicht sollte sie es einfach zulassen…
Es war fast befreiend… während die Tränen über ihr Gesicht strömten, fühlte sie sich so ruhig wie schon lange nicht mehr. Sie würde schon einen Weg zurück nach Hause finden. Und sie würde sich bei Drew entschuldigen und hoffentlich alles wieder in Ordnung bringen. Oh, und vor allem würde sie nicht mehr so verbissen auf ihrer Eigenständigkeit beharren… war nicht gerade das ein Zeichen von Schwäche? …und das, was sie überhaupt erst in diese Situation gebracht hatte?
Maike lachte leise unter ihren Tränen. Es klang gut.
Etwas kitzelte ihre Nase und sie blickte auf.
Eine Rose war vor ihrem Gesicht aufgetaucht. Ihre Augen weiteten sich, als sie sich fragte, ob dieses Déjà-vu nicht vielleicht doch Teil eines bizarren Traums war. Sie blickte auf in das Gesicht von Drew. Seine Stirn war gerunzelt und er sah besorgt auf sie hinab.
„Maike?“
Seine Stimme klang so unsicher… etwas, das sie von Drew überhaupt nicht gewohnt war.
„Drew…“, flüsterte sie.
Ein Teil von ihr schrie auf, es war nicht möglich, dass er hier war… Geistesabwesend nahm sie die Rose an, während sie ihn verwirrt betrachtete, in ihrem Gesicht tausend Fragen…
„Harley hat sich wohl etwas… verplappert.“, erklärte Drew. Dabei legte er eine Hand auf ihren Oberarm und zog sie sanft auf die Beine. „Komm, es ist Zeit für uns nach Hause zu gehen.“
„Aber wie…“, begann Maike.
Er lächelte, dieses selbstsichere, überlegene Lächeln, das sie so gut kannte. „Wusstest du, dass dein Vater ein Flugzeug hat?“, fragte er.
Maike konnte nur den Kopf schütteln. Erst langsam wurde ihr klar, was Drews Worte bedeuteten… er hatte herausgefunden, dass sie Harley mal wieder auf den Leim gegangen war… und er war hierher gekommen! Er hatte einen Weg gefunden, sie einzuholen und sie wieder nach Hause zu bringen… er war für sie nach Kanto gekommen!
Vergessen war jeder Gedanke an Selbstständigkeit und Stärke. Ohne nachzudenken fiel sie ihm um den Hals. „Danke!“, brachte sie heraus und wiederholte es zur Sicherheit noch drei Mal.
Es war fast amüsant, Drews Unsicherheit zu spüren, wie er sich versteifte, bevor er vorsichtig einen Arm um sie legte und sie an sich drückte. „Schon in Ordnung…“, murmelte er. „Ich kann dich doch nicht hier sitzen lassen.“
Sie löste sich wieder von ihm und lächelte ihn an. Das Lächeln wurde schnell zu einem Lachen.
„Du bist ja ganz rot…“, kicherte Maike, wodurch Drew natürlich noch röter wurde.
„Wie auch immer…“, sagte er, offensichtlich verlegen. „Komm, wir wollen doch zum Festival wieder in Blütenburg City sein. Mit etwas Glück schaffen wir es sogar noch zur Eröffnungszeremonie.“
Kurz verspürte Maike wieder einen Stich, als ihr klar wurde, dass sie diesmal nicht teilnehmen würde, aber sie ignorierte es.
„Du musst Harley unbedingt fertig machen.“, forderte sie.
Drew schüttelte den Kopf. „Wenn ich dazu komme, ja. Aber ich glaube nicht.“
„Was?!“, fuhr Maike ihn entgeistert an.
Wieder zeigte er ihr dieses siegessichere Lächeln, als er etwas aus der Tasche seiner Jeans hervorholte. Es war ein Band.
„Hier. Ich dachte, die Ehre sollte dir gehören.“, erklärte er.
„Aber… du… das Band… ich kann doch nicht…“, begann Maike, aber Drew winkte ab.
„Ich habe sechs Wettbewerbe gewonnen. Soledad hat am Letzten teilgenommen, von daher musste ich mitmachen, obwohl ich schon fünf hatte. Nimm es – wir wollten uns doch im Finale treffen… nachdem du Harley aus dem Turnier geworfen hast, versteht sich.“
Maike spürte, wie ihre Hand zitterte, als sie sie langsam nach dem Band ausstreckte. Einen Moment lang zögerte sie… sollte sie nur durch seine Hilfe in der Lage sein, am Festival teilzunehmen? Was bewies sie dann dadurch?
Als sie ihm aber noch einmal in die Augen sah, wurde ihr klar, dass es nicht darum ging.
Es ging nicht darum, irgendetwas zu beweisen. Er wollte ihr im Finale gegenüberstehen, mit ihr zusammen im Festival fiebern…
Und viel wichtiger: Harley mit seiner lächerlichen Intrige hatte es fast geschafft, sie und Drew zu entzweien. Es war… richtig, wenn die Verbindung zwischen ihnen Harley letztendlich schlagen würde!
Maike drückte fest Drews Hand, die das Band hielt.
„Zusammen.“, sagte sie ruhig.
Er erwiderte den Druck. „Komm, lass uns jetzt zum Flugzeug gehen.“, schlug er vor.
Maike nickte und folgte ihm, ohne seine Hand loszulassen.
„Das Hemd steht dir übrigens.“, bemerkte Drew, während sie zum Flugplatz von Prismania City gingen.
„Ich hab gar nicht mehr daran gedacht, dass ich es noch anhatte.“, begann Maike. „Ich wollte nicht…“
„Ich schenke es dir.“, unterbrach Drew. Dabei strich er kurz mit seinem Daumen über ihren Handrücken und verringerte den Abstand zwischen ihnen.
Sie lächelte, während sie ihren Kopf an seiner Schulter anlehnte. „Du hast noch mindestens ein Dutzend von denen, oder?“, fragte sie mit einem leichten Kichern in der Stimme.
„So ziemlich.“, meinte Drew grinsend.
Und zum ersten Mal seit langem fühlte Maike sich wieder wirklich zufrieden. Sie war ein großes Mädchen, sie konnte auf sich aufpassen… und war jetzt endlich dort, wo sie hingehörte.
…sometimes… big girls, too, cry.