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Auryan

Das Leben einer Sklavin
von

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Kindheit ist ein Kampf

„Auryan?! Auryan!! Jetzt setzt dich in Bewegung, du faules Stück!“, schrie eine Frau und schlug grob gegen die morsche Holztür.

So wurde sie jeden Morgen vor Sonnenaufgang von ihrer Mutter geweckt. Sie hatte nie eine andere Behandlung erfahren. Die strenge Hand ihrer Mutter drohte Tag für Tag, wie ein bedrückender Schatten über ihrem Leben.

Und Auryan begriff nicht warum.

Sie schleppte ihre, von der Arbeit des gestrigen Tages, schmerzenden Glieder aus ihrer Schlafecke, welche in der Scheune lag und eher einem Hundeplatz glich.

Sie betrachtete ihr Spiegelbild im Wassereimer, ihr eingefallenes, dürres Gesicht

und den pochenden Bluterguss unter ihrem Auge.

Ihr Rücken schmerzte, als sie sich aufrichtete und langsam die Tür der Scheune öffnete.Die Gegend roch noch frisch vom Tau, der sich in der Nacht auf den Gräsern und Feldern angesetzt hatte. Für einen Moment gelang es ihr sich wohl zu fühlen, doch die dunkle Silhouette ihres Onkels ließ sie wimmernd zusammenzucken,als er drohend die Handfläche erhob, als wollte er sie schlagen.

„Steh hier nicht nutzlos in der Gegend herum, Brut!!“, brüllte er sie an, packte sie an ihrem dünnen Unterarm und zog sie halb schleifend hinter sich her, nur um sie dann neben dem Holzfällerbeil in den Dreck zu schmeißen.

Auryan schrie leise auf, als sie auch noch seinen Tritt in der Seite spürte und hielt sich die Rippen. Gleichzeitig versuchte sie eilig wieder auf die Füße zu kommen, um weiteren Scheltungen zu entgehen.

Jeder ihrer Muskeln und Knochen stachen schmerzhaft und sie keuchte angestrengt, als sie sich auf ihre wackeligen Füße hievte.

Sie erwartete die harte Stimme ihres Onkels oder ihrer Mutter, die jederzeit auf sie niedergebrüllt werden konnten, doch weder Er noch Sie waren in Sichtweite.

Auryan hielt inne und nahm zögernd das schwere Beil in die Hand. Sie kam auf die Idee, dass jetzt ein Augenblick der Flucht gekommen ist. Doch sie wusste, dass es hoffnungslos war, wieder fortzulaufen.

Nicht, dass sie es noch nie versucht hätte.

Aber ein fünftes Mal von den großen Hunden ihres Onkels wie Wild gehetzt zu werden, ihre Fangzähne in ihren Armen und Beinen zu spüren, wollte sie nicht erleben. Und nicht auszudenken, was für eine Tracht Prügel ihr dann drohen würde.

Ja. Daran war sie schon gewöhnt.

Seit sie zurückdenken konnte, hatte sie für jedes kleine Bisschen eine Ohrfeige bekommen.

Und wehren konnte sie sich nicht. Zu weh tat es, sich großartig zu bewegen.

Es wäre ja auch nur halb so schlimm gewesen, hätte sie Freunde gehabt. Aber die Nachbarsbauern hatten auch nur Spott für sie übrig.

Ihr Onkel und ihre Mutter waren mit denen sehr gut befreundet und hatten die Angewohnheit Auryan in deren Gegenwart aufs Schlimmste zu demütigen, so dass alle über sie lachten.

Ihr absolutes „Lieblingsspiel“ hieß „dumme kleine Auryan“.

Da sie nie gelernt hatte zu Rechnen, Lesen oder zu Schreiben, gefiel es ihnen ganz besonders ihr Fragen zu stellen, auf die sie natürlich keine Antwort wusste. Da war das Gelächter natürlich sehr groß. Irgendwann hatte sie dann aufgehört auch nur irgendetwas zu sagen. Sie versuchte den Spott zu ignorieren. Aber so kam das Gerücht auf, sie sei einfach zu dumm zum Sprechen.

Das kam ihrer Mutter und dessen Bruder gerade recht. Sie kamen auf die Idee ihr zu verbieten auch nur ein einziges Wort mit jemandem zu wechseln, wozu Auryan sowieso nie Lust hatte. Sie wusste aber auch, dass das einen ganz bestimmten Grund hatte. Niemand, außer ihr, ihrer Mutter und ihrem Onkel wusste, dass Auryan keine gewöhnliche Sklavin war, sondern zur Familie gehörte.

Oh, was für eine Schande käme über sie, wenn auch nur einer mehr erfuhr,

dass sie die einzige Erbin des Korber - Hofes war. Aber mit ihrer Sprache, verlor sie auch ihre Tränen. Ihre Familie fing so an, sie immer mehr, als ein Nutztier zu sehen. Weinen, so erfuhr sie, brachte nichts. Worum trauern, wenn man nichts verliert?

Auryan war ein vaterloses, gebranntes Kind. Von dürrer und kleiner Statur. Ihre braunen, ungepflegten Haare, welche ihr verschmutztes Gesicht umrahmten, wirkten, wie die wilde Rückenmähne eines Höhlenwolfes. Sie war unschön, wenn nicht, gar hässlicher anzusehen, als die anderen Jugendlichen in ihrem Alter. Nur eines an ihr war schön und dieses hasste Auryan am meisten an sich selbst. Sie hatte dieselben, reinbraunen, leuchtenden Augen, wie ihre Mutter.

Immer, wenn sie sich betrachtete, sah sie das grausame Funkeln vor Augen, welches ihre Mutter immer hatte, wenn sie ihren Blick auf sie richtete. Sie war immer so erfüllt von Hass,

wenn sie Auryan ansah oder über sie sprach. Warum? Hatte sie irgendetwas verbrochen?

Manch einer, der auch nur ein Fünkchen Mitleid gehabt hätte, hätte sich gefragt,

wo sie ihre Wut bloß hineinsteckte.

Es war die Arbeit. Diese knochenschwere Arbeit, die ihr von ihrem Onkel aufgehalst wurde, die ihr aber auch den letzten Funken Kraft nahm.

Von vier oder fünf Uhr in der Früh, bis spät nachts, wenn alle anderen schon längst schliefen, arbeitete sie.

Auryan war müde. Nicht nur von dem Holzhacken, sondern auch von ihrem Leben. Sie hatte nie etwas anderes kennen gelernt.

Oft, wenn niemand zusah, schweifte sie mit ihren sehnsüchtigen Blicken über die Ferne des Horizontes und versuchte sich vorzustellen, wie es sein könnte, wäre sie frei.

Aber Auryan weckte sich stets selbst aus diesen Tagträumen, denn wer so viel Pech am Hals hat, warum sollte ihn auf einmal das Glück treffen? Man könnte dann genauso gut einfach in der brennend heißen Glut des Sommers oder in der stechenden Eiseskälte des Winters vergehen.

Niemand würde sich darum scheren, niemand darum trauern. Der Leblose Körper würde einfach in den nächsten Fluss geworfen, verbrannt oder den wilden Tieren des Waldes zum Fraß vorgeworfen werden.

Denn das war eben das Leben eines Sklaven. Das war Auryan’s Leben! Und dennoch hoffte sie tief in ihrem wunden, geschundenen Herzen auf Erlösung. Bis dahin wollte sie sich an ihrem Leben festkrallen. Ihr Leben war das einzige, was sie hatte. Und ihr Stolz!
 

Auryan zog das Beil mit zitterndem Körper in die Höhe und ließ es immer wieder auf die Holzscheite niedersausen. Ihre Kräfte nahmen immer mehr ab, dass ihre Arme schmerzend schwerer wurden.
 

Keuchend blickte sie gen Himmel und kniff ihre Augen zusammen, die von den heißen Sonnenstrahlen brannten. Allzu lange würde ihr Körper diese Qualen nicht mehr durchhalten, wusste sie.

Einmal hätte sie schwören können die Glockenblumen klingen gehört zu haben. Ein Vorzeichen, dass man bald sterben würde.

Der Todesgott Boron würde bald seine Tochter Marbo schicken, die ihre Seele ins Jenseits begleiten würde. Bald würde ihr Leben vorbei sein. Auryans Keuchen stockte, als sie von der gähnenden Schwäche, die ihre Sinne lähmte übermannt wurde und alles um sie herum zu tanzen begann, bevor alles schwarz wurde.
 

Die Reiter erhellten das Dorf mit ihren Fackeln, die vom Weiten aussahen, wie viele tanzende Irrlichter.

Eigentlich war das noch nicht einmal ein richtiges Dorf. Es bestand ja nur aus fünf Gebäuden, die nah aneinander erbaut worden waren.

Nefret sah neben sich zu seinem Kameraden, der vom Rücken seines Pferdes aus die großen Feuer auf den Strohdächern begutachtete.

„Reiche Bauern?“, fragte Kargus seinen Kumpanen.

„Abermals, ja!“, gab Nefret leicht genervt zurück, während die noch überlebenden Bewohner des Dorfes von den reitenden Banditen gejagt und zusammengepfercht wurden.

Die beiden Freunde trabten ihre Pferde langsam an, wie bei einem gemütlichen Ausritt bei Mondschein.

„Ich bezweifle, dass es hier mehr, als Vieh und kreischende Weiber gibt!“, beschwerte sich Kargus enttäuscht.

„Es gibt Eintopf! Und außerdem sehe ich bei den Frauen und Viehherben keinen Unterschied.“, gab Nefret hämisch zurück.

Kargus grinste und begutachtete das letzte Haus, welches noch nicht lichterloh brannte.

Die Banditen halfen dem etwas nach, in dem sie ihre Fackeln an die Dächer hielten. Das Feuer fraß sich sofort gierig in die Höhe und verschlang auch den letzten kalten Holzfleck.

Die Familien dieser Häuser wurden von den Reitern wie Vieh zusammengetrieben und eingekesselt.

Kinder klammerten sich weinend an ihre wimmernden Mütter, von denen einige ihre Männer verloren hatten. Doch ein Paar stand ohne Kind da.

Eine hübsche und kräftige Frau hielt sich an einem jungen Mann fest, der ihr sehr ähnlich sah, wie Nefret erkannte, als er und Kargus näher herantrabten.

„Ihr widerlichen Banditen.“, zischte die Frau mit zusammengebissenen Zähnen und zitternder Stimme. Nefret beugte sich etwas vom Pferderücken und hielt sein Ohr hin.

„Wie bitte? Ihr müsst schon lauter reden, damit ihr Euch verstehen kann, Lady!“, höhnte er mit verschlagenem Blick. Die Banditen unterstützen seine Dreistigkeit mit ihrem grausamen Kichern.

„Verdammten Bastarde!“, beschimpfte die Frau sie nun etwas lauter und machte Anstalten auf Nefret loszugehen, wäre sie nicht von dem Mann festgehalten worden.

„Oho!“, er setzte ich wieder aufrecht in den Sattel und blickte auf sie hinab. „Solche Wörter gehören aber gar nicht in den Mund dieser jungen Dame, findet ihr nicht auch?“

Nefret lächelte sie an, was ihr sichtlich Angst einjagte. Sie fing an sich an den Mann zu klammern.

„Was machen wir mit ihnen?“, fragte Kargus nach einem Moment. Er machte sich keine Mühe leise zu sprechen.

Nefret sah kurz in jedes Einzelne Gesicht seiner Gefangenen, bevor er sich an seinen Stellvertreter, Kargus wandte.

„Bringt sie um. Die Kinder lasst ihr am Leben!“, befahl er und sofort holten seine Männer mit ihren Waffen aus.
 

Auryan blinzelte. Zuerst spürte sie eine seltsame Hitze auf ihrer dünnen Haut. Langsam richtete sie sich auf und versuchte zu verstehen, was geschah.

Bin ich tot? Fragte sie sich. Sie lag immer noch neben dem Holzfällerbeil und den Holzscheiten. Sie brannten. Auryan versuchte sich aufzurappeln.

Stickiger Rauch und Feuer. Sie hustete mit schmerzender Lunge den brennenden Qualm aus.

Sie setzte einen Fuß auf die Erde und torkelte zur Seite wieder auf die Knie. Noch ein Versuch.

Nun trat sie fester auf, da die Ohnmacht wieder versuchte sie zu Boden zu zwingen.

Es würde besser gehen, wenn du dich zusammenreißt. Sagte sie sich im Stillen und tat noch einen Schritt. Sie torkelte unbeholfen, um diese Benommenheit abzuschütteln, die ihre Ohren lähmte.

Sie hörte nichts. Sie war vollkommen taub.

Sie sah nur das Feuer auf dem Dach und die brennenden Zäune, spürte die heißen Winde, die kleine Funken mit sich trugen. Und alles war verschwommen und undeutlich.

Ich muss tot sein. Ja, ich bin tot.

Sie blieb stehen und wischte sich über die Wange, über ihre ebenso heiße Stirn. Alles drehte sich, doch sie blieb auf den Beinen. Sie wusste, wenn sie jetzt wieder stürzen würde, hätte sie nicht mehr die Kraft aufzustehen. Wieder zwang sie ihre schwachen Beine voran und weg vom Feuer. Plötzlich grollte etwas undeutlich hinter ihr, dann knackten ihre Ohren unangenehm und sie hörte nur, wie der Holzschuppen donnernd zu Boden krachte. Das wirbelte enorm viel Glut auf und sie schütze ihr Gesicht mit davor gehaltenen Armen. Sie torkelte zurück und versuchte sich schwer auf ihren Beinen zu halten.

Nun bemerkte sie die Schreie im Dorf.

Ich lebe noch! Es schoss ihr endlich in den Kopf.

Sie wusste nicht, ob sie sich freuen sollte, nachdem sie so viel Leid erfahren hatte. Im Moment dachte sie daran, dass ihr Zuhause nieder brannte.

Und ihre Mutter? Ihr Onkel? Wo waren sie? Ging es ihnen gut? Und nun krachte auch noch das Dach ihrer Scheune und stürzte in sich zusammen.

Wie vom Donner verschreckt rannte sie los. Um die Hausecke, wo sie dann alles mit ansehen musste.

Männer auf Pferden, mit Fackeln und sie schlugen und stachen auf die Menschen ein, die Auryan als die Bewohner des Dorfes erkannte. Sie weitete die Augen, die das Massaker, wie ein Spiegel wiedergaben.

Und plötzlich fing sie den Blick ihrer Mutter auf, die inmitten des Geschehens stand.

„Lauf weg!!“, rief sie ihr hysterisch und panisch zu.

Aber Auryan sprang erst, als sie den Reiter realisierte, der sich unmittelbar nach dem Ruf ihrer Mutter zu ihr umwandte und mit seinem Pferd auf sie zuhielt.

Auryan lief um ihr Leben, die Stimme ihrer Mutter immer noch in ihren Ohren. Das war das erste Mal, dass sie sich Auryan gegenüber wie eine richtige Mutter verhalten hatte und das sollte auch das Letzte gewesen sein. Sie wurde doch von ihr in irgendeiner Weise geliebt. Das junge Mädchen nahm diese Erinnerung mit sich mit.

Dennoch wurde Auryan von dem Reiter und von Furcht gejagt. Sie flüchtete über das abgeerntete Kornfeld so schnell sie konnte. Ihr Herz pumpte mit einer Kraft, die es gar nicht besaß, das Blut durch die Venen und sie hörte die donnernden Hufen des Tieres immer näher kommen.

Sie wagte nicht sich umzusehen. Tränen der Angst verschwommen ihre Sicht, worauf sie den Erdbrocken übersah, der ihr ein Bein stellte. Sie stürzte zu Boden und hörte nur, wie der Reiter an ihr vorbei drosch, sein Pferd zügelte und langsam zu ihr zurück schritt.

Auryan kauerte sich erschöpft zusammen, als würde sie jeden Augenblick den Todesstoß erwarten und schirmte ihr Gesicht mit den Armen ab.

Ihre Lunge pfiff schmerzhaft bei jedem gierigen Atemzug, welches ihre Erschöpfung preisgab. Sie wirkte, als sei sie seit Tagen gehetzt worden.

Ein Zu-Bodenstampfen zweiter Stiefel ließ sie noch mehr zusammenzucken.

Dann kam der Reiter langsam näher und hielt Inne. Scheinbar betrachtete er das Häufchen Elend zu seinen Füßen. Er hockte sich zu ihr hinab und Auryan wimmerte vor Angst.

Er wird mich töten, wie alle anderen! Erdachte sie sich und versuchte sich darauf vorzubereiten.

Aber was sollte ein Kind in ihrem Alter schon dem Tod entgegensetzten? Auryan war so müde, dass sie aufhörte zu zittern. Ihre Sinne ließen wieder nach.

Sie hörte eine männliche Stimme, doch sie verstand nicht, was sie sagte.

Dann spürte sie noch, wie sie jemand an der Schulter packte und auf den Rücken drehte.

Das Letzte, was sie noch mitbekam, war ein liebes und auch entsetztes Gesicht mit grünen Augen.
 

Nefrets hämisches Grinsen war verschwunden, als er die dürren Ärmchen des Kindes bemerkt hatte.

Seine Augen schweiften über den abgemagerten Körper. Über die Schultern, die Beine, die Hände.

Das Elend, was er da vor sich auf der Erde liegen sah, war völlig ausgehungert und nur noch Haut und Knochen. Er wunderte sich, wie es überhaupt vor ihm weglaufen konnte.

Die müden, schwachen Augen, die ihn zuvor angeschaut haben, weckten in ihm ein Gefühl von Mitleid.

Schrecklich.

Er nahm den zerbrechlichen Körper des Jungen in den Arm und trug ihn zu seinem Pferd. Es musste ein Junge sein. So hässlich war niemals ein Mädchen. Armes Kind.

Er spürte seine Körperhitze und betrachtete für einen Augenblick sein Gesicht. Der Hauptmann legte das Kind über den Rücken des Pferdes und stieg selber auf.

Er ahnte, dass der Kleine nicht lange durchhalten würde, wenn niemand ihm helfe.

Und so kehrte er zurück zu seinen Banditen, die schon auf ihn warteten.

Nefret blickte halb zufrieden, halb bereuend auf die blutigen Körper der toten Bauern und dann in das Gesicht von Kargus. Dieser wanderte nur zum dürren, bewegungslosen Körper auf Nefrets Pferd und kniff die Augen zu engen Schlitzen zusammen.

„Ähm, Nefret?“

Doch er ritt an ihm und seinen Mannen vorbei.

„Abmarsch!“, befahl dieser und ritt mit seinem Pferd voran, Kargus an seiner Seite.

„Nefret, was hast du da?“
 


 

Auryan schlug die Augen auf und blickte an eine Zeltdecke. Die Sonne schickte den durchlöcherten Schatten von Laubbaumästen auf das Leinenzelt. Sie brauchte mehrere Wimpernschläge, um zu verstehen, dass sie in einem Zelt lag. Dann, als ihr Verstand den benommenen Zustand verlor, schreckte sie hoch und sah verwundert in das hübsche und lächelnde Gesicht eines dunkelhäutigen Mädchens.

"Oh, du bist schon wach?", sie stellte einen Suppenteller neben Auryan, die leicht in sich zusammensank und ihre Fliesdecke an sich drückte.

"Du hast Glück gehabt, dass man dich gefunden hat. Dein Fieber war sehr stark.", fügte sie immer noch freundlich hinzu.

Glück? Ich? Das kann nicht sein.

Die Schwarzhaarige, die fast aus dem Kindesalter heraus war, blickte sie zuerst erwartungsvoll an, bevor sie wieder lächelte und ihr den Teller reichte.

"Hier. Du solltest etwas essen, damit du wieder zu Kräften kommst!"

Auryan aber wanderte nur mit ihren Augen auf den Inhalt des Tellers und zurück in das warme Lächeln des Mädchens.

"Na komm'. Nimm schon. Es ist nicht vergiftet!", versuchte sie es noch einmal und hielt ihr den Teller unter die Nase.

Auryan war verwirrt. Warum war sie so freundlich? Sie dachte nach. Selbst, wenn es Gift wäre. Es ist immer noch besser, als zu verhungern. Zögernd streckte sie die dürren Hände nach der Schüssel aus und blickte immer wieder fragend auf.

Auryan erntete einen mitfühlenden Gesichtsausdruck, als sie den Teller nahm und ausgehungert die Suppe Löffel für Löffel hinunter schlang.

"Wer hat dir das angetan?", fragte das Mädel leise und setzte sich neben Auryan.

Eine Weile herrschte eine unangenehme Stille, bis Auryan kurz ihrem Hunger Einhalt gebot.

"Meine Mutter." antwortete sie kurz angebunden mit krächzender Stimme. Das Mädchen schien leicht entsetzt, aber nicht sonderlich verwundert.

"Und dein Vater?"

Auryan sah vom Teller auf. Sie hatte recht. Was war mit ihrem Vater? Auryan hatte nie darüber nachgedacht und gefragt, wer und wo er ist, hatte sie sich auch noch nie. Auryan tat so, als wäre es ihr gleichgültig und zuckte mit den Schultern.

Als hätte das Mädchen ihre Reaktion durchschaut, nickte sie verständlich und ging nicht weiter darauf ein.

"Ich bin Marian!", stellte sie sich schließlich vor. "Marian Susann. Und du?"

"Auryan.", antwortete sie leise.

"Ein seltsamer Name."

"Findest du?", Auryan senkte noch mehr den Blick.

"Nimm es nicht persönlich. Aber er hört sich so weiblich an."

Auryan sah stumm auf ihre Suppe.

Wusste sie denn nicht, dass sie ein Mädchen war? Sah sie nicht wie ein Mädchen aus?

Auryan blickte schüchtern in Marians hübsches, gebräuntes Gesicht und in ihre grünen Augen.

Vielleicht ist es besser so, dachte Auryan und schwieg eine ganze Weile.

"Sehr gesprächig bist du nicht, hm?"

"Wie bin ich hier her gekommen?", fragte sie plötzlich und ging nicht auf Marians Äußerung ein.

"Na ja.", fing sie an zu erzählen. "Nachdem dein Dorf niedergebrannt ist, hat dich unser Hauptmann in unser Lager gebracht."

"Mein Dorf...", Auryan erinnerte sich an das Feuer und ihre Mutter.

"Wie lange ist es her?", sprach Auryan ihre Eingebung aus, dass sie wohl mehrere Tage geschlafen haben muss.

"Ungefähr fünf Tage.", antwortete Marian. "Wir haben zuerst daran gezweifelt, dass du es schaffen wirst. Du musst aber daran geübt sein, dich an dein Leben zu krallen."

Tu ich das?

Auryan sah sie verwundert an, dann musste sie leicht lächeln, was sie nicht oft in ihrem Leben getan hatte.

Sie sah auf ihre abgemagerten Hände und dann zu Marian.

"Was wird jetzt mit mir passieren?"

"Das weiß ich nicht.", gab Marian zu und nahm ihr den leer gegessenen Teller ab.

"Aber eines kannst du mir glauben. Nefret ist ein Realist! Er rettet keine halbe Leiche, ohne etwas Wichtiges von ihr zu wissen!"

Damit ließ sie Auryan in ihrem Bett sitzen und ging hinaus.



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von: abgemeldet
2008-05-13T12:10:19+00:00 13.05.2008 14:10
Du hast einen schönen Schreibstil, so dass es angenehm ist die Geschichte zu lesen.
Trotzdem musst du an einigen Stellen noch an der Grammatik arbeiten, zum Beispiel am Anfang "Das kam ihrer Mutter und dessen ('deren' muss es heißen) Bruder gerade recht."
Die Gefühle von Auryan hingegen und ihre Situation kannst du sehr gut rüberbringen.
Auch die Gegend, in der sie lebt beschreibst du gut vorstellbar.
Von: abgemeldet
2008-04-08T17:08:33+00:00 08.04.2008 19:08
Sehr schön geschrieben, man kann sich richtig in Auryan hineinversetzten und man leidet schon fast mit ihr mit. Ich bin gespannt wie es weiter geht, ich hoffe du schreibst doch weiter.

Und ich finde das Nefret ein verdammt cooler Name ist. Hört sich richtig geil an wenn man das auspricht *g*
Von: abgemeldet
2008-04-08T11:40:08+00:00 08.04.2008 13:40
okayyy wie fange ich nun an....
Erstmal finde ich die FF irgendwie richtig gut^^
Du beschreibst die Gedanken, Gefühle des Mädchens ebenso gut wie die Umgebung und Handlungs-mäßig fand ich es bisher sehr interessant und spannend.

Auryan tut mir sehr leid, für das, was sie in ihrer Heimat durchmachen musste....ich denke es ist nicht schlecht, dass sie nun da weg ist.
(Nur eins beschäftigt mich....ihre Mutter schrie, sie solle weglaufen...das heißt, sie hat sich zum Schluss noch um Auryan gesorgt?)
^^

Ich würde mich freuen wenn du weiterschreibst, ich bin neugierig :)


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