Drei Worte
Jin sass an der prächtig gedeckten Tafel des großen Sonnensaals und blickte zufrieden in die Runde. Um sie herum war gerade die Hochzeitsfeier ihres Ältesten in schönstem Gange. Die Musik, das fröhliche Lärmen der Gäste, das helle Klingen von Gläsern, all dies vermengte sich zu einer sehr angemessenen Geräuschkulisse für das Schweigen an diesem speziellen Tisch.
Die Gefräßigkeit der Tatzus machte eben selbst vor hochoffiziellen Anlässen keinen Halt. Amüsiert beobachtete Jin ihre Kinder, die sich das Essen mit der gleichen Konzentration einverleibten, wie ihr Vater das tat.
„Sieh mal an, Zuko, Das ist schon Dein zweiter Sohn, der am Tag seiner Flammenzeremonie an der kompletten Feier teilnimmt.“
„Natürlich!“, meinte Lee und griff nach einer Weinkaraffe. „Sollte man das nicht? Und außerdem: wann sonst gibt´s solche Unmengen zu Essen?“
„Hm.“ Jin zuckte mit den Schultern. „ICH kenne das anders.“
„Ach ja?“
„Wie denn?“, fragte Kiram kauend.
Lu Ten, seinen Brüdern wie immer eine halbe Nasenlänge voraus, murmelte etwas wie Binnichtsicherobichdaswirklichwissenmöchte in seine Schüssel.
„Na ja,“ sagte Mylady. „Ich dachte damals es sei hier so üblich, dass das Brautpaar sofort ... äh ... verschwindet. Aber lassen wir das Thema!“, fügte sie hastig hinzu.
Lee spuckte geistesgegenwärtig seinen Wein in den Kelch zurück.
„Wie jetzt ..?“, hustete er. „Soll das heissen, Du und Papa habt sofort nach der Flammenzeremonie...“
Jetzt hielt Zuko es für angebracht sich einzuschalten.
„Natürlich NICHT.“, stellte er richtig und bediente sich an den Krebsen. „Die Glückwünsche haben wir noch ganz gesittet entgegen genommen.“
Lees Grinsen verhiess nichts Gutes. „Soso. Da war wohl jemand ungeduldig.“
Jin sass puterrot neben ihrem Gatten, der nur ungerührt nach einem Schüsselchen mit Sonnenpfeffer-Paste griff.
„Diese `Ungeduld´, mein Sohn, hatte einen triftigen Grund. WIR hatten nämlich bis nach der Hochzeit gewartet.“
„Stimmt!“ Jin nickte eifrig, froh, dass Zuko ihr den Rücken stärkte. „Wir waren brav.“
„ICH war brav, Kobold. Du hast nur ständig versucht, mich rumzukriegen.“
„Also ... ALSO ...!!!“
Zirah tat so, als hielte sie sich die Ohren zu.
„Ich hör nichts! Laaalalalalaaaaaaa!“
„Oh. Entschuldige, Floh.“, tröstete ihr Erzeuger sofort. „DICH hat natürlich der Kranich gebracht.“
„Ah. Gut!“
Pippa blickte etwas hilflos zu ihrem frischangetrauten Ehemann auf. Doch Lu Ten zuckte nur mit den Schultern und meinte.
„So sind sie immer, fürchte ich.“
„Pah! Nur weil Du in den Keller gehst, um das Grübchen unter Beweis zu stellen, müssen wir ja nicht auch solche Trauerklöße sein.“
„Das WAS?“, fragte Lu Ten indigniert.
„Grübchen.“, wiederholte Lee. „Das da!“ er zog den linken Mundwinkel hoch und tippte mit dem Finger auf die entstandene Falte.
Sein älterer Bruder schnaubte verächtlich.
„Sowas hast Du, aber ich nicht.“
„Bitte? Klar hast Du´s auch!“
Als Gäste sich näherten, musste die Zankerei leider vertagt werden.
Der Abend war schon recht weit fortgeschritten, als Lu Ten endlich die Gelegenheit fand, eine dringende Sache zu klären. Er fand, was er suchte, auf der großen Terrasse, die die Südseite des Sonnensaals flankierte
„Vater?“
Zuko beendete seine Betrachtung des Sternenhimmels und wendete sich um.
„Ja?“
„Störe ich?“
„Wie kommst Du darauf?“
„Vielleicht möchtest Du lieber alleine sein.“, murmelte der Kronprinz etwas vage.
Dieses untypische Verhalten veranlasste Mylord, seine Braue zu heben.
„Nein, ich möchte lieber wissen, was meinem Sohn auf dem Herzen liegt.“
„Ich ... habe mich noch nicht entschuldigt.“
„Entschuldigt? Wofür?“
„Für mein Verhalten. Nach meiner Rückkehr. Ich war ...“
„Unglücklich?“
„Das auch. Doch vor allem ... ich hätte mich nicht so verschanzen dürfen. Ihr alle habt versucht mir zu helfen, aber ...“ Er brach ab und zuckte mit den Schultern.
„Ich weiss.“, seufzte Zuko. „Wenn uns etwas plagt, verrammeln wir die Türen, nicht wahr? Deine Mutter hat lange gebracht, mir das auszutreiben. Und selbst heute gibt es Dinge, die ich mit mir allein ausmachen muss. Zumindest bilde ich mir das ein. Sie hat gelernt damit umzugehen, lässt mich wissen, dass sie da ist und wartet, bis ich soweit bin. Na ja ... meistens. Manchmal knackt sie die Austernschale auch mit Gewalt.“, fügte er mit einem halben Lächeln hinzu.
Dann wurde er wieder ernst.
„Dachtest Du wirklich, wir hätten einfach nur zugesehen, wie du immer unglücklicher wirst?“, fragte er und betrachtete Lu Ten eindringlich.
„Ich dachte, ich hätte es gut genug versteckt.“
„Gut? Mag sein. Gut genug für Deine Familie? Nein.“
„Dann ist es wohl mein Glück, diese Familie zu haben.“
„Ich hoffe. Aber es tat weh, zu sehen, dass wir die in dieser Situation keine Stütze sein konnten.“
„Aber ... das ward ihr! Auch wenn es nicht so gewirkt hat.“
„Ich weiss, dass Dich die Tatsache, mein Sohn zu sein, oft genug Deiner Entscheidungsfreiheit beraubt ...“
„Papa ...“
„Und ich weiss, dass es nicht leicht ist, mit dieser Verantwortung zu leben, Lu Ten. Wenn ich eine Wahl hätte, würde ich sie Dir nicht aufbürden. Aber ich kann sie an keinen anderen weitergeben. Und ich möchte es auch nicht. Ich kann mir niemanden vorstellen, der dieser Aufgabe ebenso gewachsen wäre, wie Du. Nur, zu sehen, wie sehr es Dich manchmal belastet ...“
„Das tut es nicht! Nicht über die Maßen. Manchmal ... Ja, manchmal würde ich gern etwas anderes machen. Manchmal gäbe ich alles darum, nur der Sohn einer Weberin und eines Kellners zu sein. Aber nur manchmal. Ich schätze, jeder hat mal die Schnauze voll. Mein Alltag sieht einfach etwas anders aus, als der der meisten. Doch ich mache meine Arbeit gern und ich mache sie gründlich. Schliesslich hatte ich den besten Lehrer. Du hast mich auf meine Aufgabe vorbereitet. Tust es jeden Tag. Du hast mir beigebracht, was es heisst Verantwortung zu übernehmen. Wenn ich Dir, oder euch, in der Zeit nach meiner Rückkehr das Gefühl gegeben habe, nicht mehr euer Sohn sein zu wollen, dann tut mir das schrecklich leid!“
„Nein.“, wehrte Zuko ab. „Mir tut es leid. Wenn ich könnte, liesse ich meinen Kindern die Freiheit, ihr Leben zu leben wie sie es wünschen. Denn das ist etwas, dass ihr mich gelehrt habt. Etwas, dass Du mich gelehrt hast. Und das ist wahrscheinlich die größte und wertvollste Lektion meines ganzes Lebens. Du hast mir beigebracht, dass ich ein Vater sein kann. Einfach so. Indem ich bin, wie ich bin. Ich hatte nämlich eine Höllenangst davor. Und jetzt? Ich kann ich Dir nur sagen: Es ist bei weitem mein Lieblingsjob!“
„Hm.“ Lu Ten lächelte und blickte seinem Vater in die Augen. „Neben der Kobold-Dressur?“
„Ah ... DAS ist ein Hobby!“
Als Zuko wenig später neben Jin trat, sah sie kurz auf, griff nach seiner Hand und drückte sie in stummem Einverständnis.
Es gab eben niemanden, der ihn so verstand, wie diese Frau.
„Ob die Kinder so glücklich werden, wie wir?“, murmelte er.
„Ich weiss nicht, ob überhaupt jemand so glücklich sein kann.“, antwortete sie leise und legte den Kopf an seine Schulter. „Die Hälfte macht einen ja schon ganz kirre.“
„Damit kann ich leben.“
„Du bist eben tapfer wie kein Zweiter!“
„Ob wir uns schon zurückziehen können?“
„Was ist das nur mit Dir und Hochzeitsfeiern?“
„Du denkst, ich bräuchte Hochzeitsfeiern dazu?“
„Äh ... nein. Ich weiss es schliesslich besser.“
„Ja, das tust Du!“
„Ja, das tu ich.“
„Kobold?“
„Ja?“
„Drei Worte.“
Sie sah ihn mit diesem speziellen Leuchten in den Augen an, das allein ihm vorbehalten war
„Und ich Dich!“, flüsterte sie.
Am nächsten Morgen
Da Zuko beschlossen hatte, sie hätten sehr wohl das Recht, sich frühzeitig zurückzuziehen, war das gut ausgeruhte Herrscherpaar am nächsten Morgen mutterseelenallein im Speisesaal.
Zuko verschwand, seiner morgendlichen Routine folgend, erst einmal mitsamt Teetasse hinter einer Zeitung.
Jin suchte ihrerseits eben eine Auswahl an Schinken, Ei und Pasteten zusammen, als ihr etwas in den Sinn kam.
„Findest Du es nicht auch komisch, dass Lu Ten nichts von seinem Grübchen gewusst hat?“, fragte sie beiläufig und schob ihm den voll beladenen Teller zu.
„Danke!“, brummte er. „Schon. Lee, Kiram und Aya haben schliesslich das gleiche.“
„Ja, nicht wahr? Und Du.“
Langsam senkte sich die Lektüre Seiner Lordschaft.
„Wie bitte?“
„Du auch! Was denkst Du denn, von wem die Kinder sie haben?“
„Das weiß ich doch nicht! Von mir jedenfalls nicht!“
„Zuko!“ Sie musste lachen. „Natürlich haben sie sie von Dir. Die drei Jungs und Aya haben exakt Dein Lächeln!“
Wie vom Donner gerührt starrte Zuko sein Weib an.
„Armer Schatz!“ Schnell erhob sich Jin, krabbelte auf seinen Schoß, nahm ihm die Zeitung aus der Hand und zog seinen Kopf zu sich. „Wie ich sehe, sitzt der Schock tief. Du hast Dich also noch nie im Spiegel angelächelt?“
„Warum sollte ich mein Spiegelbild angrinsen? Das wäre ... dämlich!“
Dafür bekam er einen langen Kuss.
„Ich hab wirklich ein LOCH in der Backe!?“, grummelte er dann.
„Ja, Drache, hast Du! Und diese vier Kinder von Dir gelten als überaus charmant. Fünf mal darfst Du raten, warum. Wegen des Lochs in der Backe, das sie von Dir geerbt haben.“
„Ach. Und mein fünftes Kind gilt als uncharmant?“
„Dafür, dass du bis eben noch nichts von Deinem Charme wusstest, klingst Du jetzt aber sehr gekränkt.“
„Na ... Also ICH mag auch das ohne Grübchen.“
Als Reaktion auf ihr ansteckendes Lachen, stellte er das Thema dieser Diskussion unter Beweis. Prompt legte Jin ihren Finger auf die Furche
„Da ist es ja.“, flüsterte sie und drückte zärtlich ihre Lippen darauf.
„Das ist ... Ein Feuerlord hat kein Grübchen zu haben.“
„Fein. Dann gehört es ab jetzt eben mir!“
„So?“
„Ja!“
„Das tut es doch sowieso.“
„Zuko!“ Sie umfasste sein Gesicht. „Du bist so s ...“
„Keine Adjektive mit S!“
„Üss?“
„Nein.“
„Exy?“
„NEIN!“
„Wundervoll?“
„Kann man gelten lassen.“, räumte er gnädig ein.
***ENDE***
Nachwort
So, das war´s mal wieder.
Wie immer geht mein Dank an Pe(tra), die sich geduldig stundenlange, wirre Plots anhören musste, an alle Kommentar und ENS-Schreiber. Und natürlich generell an alle, die ihre Freude an der Geschichte hatten (haben).
Vielen, vielen Dank für eure Treue und diesmal auch für eure Geduld,
Diese Story hat leider etwas gedauert.
Dafür wuchs parallel die nächste Geschichte um Aya auch schon ein bissl.
Der Prolog von "Der Wächter des Drachen" steht schon online, würde mich freuen, wenn ihr dort vorbeischaut, und auf meine Aya-Maus achtgebt!
Dann macht´s gut, bis hoffentlich bald!
Eure Alexandra
P.S.: Oh neeee! Jetzt hab ich doch glatt noch das wichtigste vergessen: Ihr alle dürft euch auch bei Chrissiem bedanken, denn ohne sie hättet ihr noch VIEL mehr Fehler vorgesetzt bekommen. ^^
Danke Chris!