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Strange Relationship

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Road Trip: Leg 6 – Österreich & Tschechien

Meine Güte, ich bin echt übelst langsam in letzter Zeit! Gomen! *verbeug*

In diesem Kapitel kommen einige Szenen, die schon in den letzten Beiden vorkommen sollten, da aber nicht mehr reinpassten. Und vor dieser Szene gegen Ende hab ich mich bis jetzt immer gezogen, obwohl ich sie unbedingt schreiben wollte... Nun denn, enjoy!
 

Sie beeilten sich, endlich weiterzukommen. Anscheinend hatte Chris mit seiner Vermutung Recht gehabt, dass die Autopanne am Tag davor ein Zeichen gewesen war, denn auch die Werkstatt hatte kein Problem gefunden und an diesem Tag fuhren sie ohne Zwischenfälle weiter. Weil sie so spät losgefahren waren, kamen sie erst ziemlich spät an ihrem Zielort an. „Wir können uns jetzt entweder ein Hotel suchen oder zu unserem Elternhaus fahren. Ich würde behaupten, die Entscheidung liegt bei meinem Bruder“, meinte Alex und sah den Jüngsten erwartungsvoll an. „Hm. Lass uns erstmal gucken, ob nicht eine bestimmte Person in unserem Haus zu Besuch ist. Wenn nicht, können wir von mir aus dableiben“, antwortete dieser entspannt. Er hatte nicht mehr so viel Angst vor dem Haus und seinen Erinnerungen, wenn die Beiden dabei waren. Sie parkten drei Straßen vom Haus entfernt. Alex ging nachsehen, wer da war und kam fünf Minuten später wieder zurück. „Onkel Frank nirgends zu sehen, aber Tante Betty ist anscheinend da“, meinte er grinsend. „Na, wenn die da ist, wird er sich nicht hierhin wagen“, antwortete Chris lächelnd. Betty war Frank´s ältere Schwester, mit der er sich schon auf der Beerdigung ihres gemeinsamen Bruders furchtbar gestritten hatte, und die in der ganzen Familie für ihre rigorose Art bekannt war. Aber zu den Kindern war sie immer gütig und lieb gewesen und sie war jedem eine Mutter, der eine brauchte. „Alles klar, dann können wir uns ja reintrauen“, sagte Rico. Er hatte besagte Tante auch mal kennen gelernt und sie auf Anhieb lieb gewonnen. Die Drei machten sich auf den Weg zum Haus und klingelten. Rico war schonmal da gewesen, aber es sah so anders aus als damals. Alles wirkte viel heller und freundlicher. Im Garten sang eine Kinderstimme ein Lied. „Wenn es hier bloß früher schon so schön gewesen wäre...“, murmelte Chris gedankenverloren und sah sich mit einem verträumten Lächeln um. Sie standen eine Zeit lang vor der Haustür und gingen dann Richtung Garten, weil niemand aufmachte. Die drei Männer stiegen über den Gartenzaun, gingen um die Hausecke und standen einem kleinen dunkelhaarigen Mädchen gegenüber, das gut gelaunt einer Katze ein Schlaflied sang. Sie verstummte augenblicklich als sie die Drei sah, lief verängstigt weg und rief nach ihrer Mutter, bevor einer von ihnen etwas sagen konnte. „Das... das war Lena, oder?... Sie, sie...“, stotterte Chris geschockt. „Ja, sie sieht genau aus wie du in dem Alter. Und wenn sie so eine hübsche Frau wird, wie du ein hübscher Mann bist, rennen uns die Verehrer die Tür ein“, sagte eine Frauenstimme hinter ihnen. Sie drehten sich blitzschnell um und vor ihnen stand die grinsende Betty, die sofort auf sie zukam. „Meine Jungs! Endlich seid ihr mal wieder als normaler Besuch hier. Und euren Freund habt ihr auch mitgebracht, wunderbar!“, sagte sie, während sie einen nach dem anderen umarmte und abküsste. „Hallo, Tante. Wir freuen uns auch, dich zu sehen“, meinte Alex belustigt und sah auf die kleine Frau herab. „Tut mir leid, ich muss kurz die Kleine wieder einfangen. Einen Moment...“, sagte sie und wuselte ans andere Ende des Gartens. „Was hat es mit dem Mädchen auf sich? Kennt sie euch nicht?“, fragte Rico neugierig. „Sie hat uns lange nicht mehr gesehen. Lena ist ziemlich schüchtern, weißt du. Sie läuft praktisch vor jedem weg und versteckt sich. Es ist echt krass, einen Moment lang dachte ich, wir wären in eine Zeitschleuse geraten und da würde der kleine Chris sitzen. Sie hat mittlerweile sogar blaue Augen...“, meinte Alex nachdenklich. „Und sie ist das Kind von eurer Cousine?“, fragte Rico weiter. „Ja, aber... keiner weiß, wer ihr Vater ist. Sabine weiß es mit Sicherheit, aber sie will kein Wort sagen... wir glauben, dass es unser Vater ist, was zumindest halbwegs diese Ähnlichkeit und die Regelungen beim Erbe erklären würde. Vielleicht sagt sie´s uns ja jetzt endlich“ Betty kam zurück; die Katze hatte sie gefunden, Lena nicht. „Wo kann sie nur hin sein? Sie ist nicht über den Zaun geklettert, das kann sie gar nicht. Dieses Mädchen treibt mich auf meine alten Tage noch in den Wahnsinn!“, sagte die Frau verzweifelt. Endlich kam Sabine in den Garten. Sie war offensichtlich am Baden gewesen, denn ihre Haare waren noch nass und sie sah verpeilt von einem zum anderen. „Was ist denn hier los?“, fragte sie dann und begrüßte erfreut ihren Besuch. „Sabine, Lena ist schon wieder weg...“, sagte Betty. „Mach dir keine Sorgen, Mama. Sie kommt wieder, wenn sie Hunger hat. Das müsstest du doch mittlerweile wissen“, antwortete die Angesprochene. Sie gingen ins Haus. Kurz bevor er durch die Tür trat sah Chris sich noch einmal um. Er entdeckte einen kleinen Schatten, der zwischen den Hecken umher huschte. Das war unglaublich; dieses Mädchen benutzte sogar seine alten Verstecke. Wenn er es nicht besser wüsste hätte er sofort geglaubt, dass sie seine Tochter wäre; nicht den kleinsten Beweis hätte er gebraucht. Sie saßen eine Weile in der Küche und unterhielten sich. „So langsam mach ich mir doch Sorgen um Lena. So lange bleibt sie normalerweise nicht weg. Wo kann sie nur sein?“, meinte Sabine irgendwann. „Ich weiß, wo sie ist. Ich geh sie holen“, sagte Chris und verließ das Haus. Alle starrten ihm verwirrt hinterher. Was hatte das nun wieder zu bedeuten? Sie sahen ihn vom Fenster aus zielstrebig auf das Ende des Gartens zugehen, wo er zwischen den Hecken verschwand. Alex musste grinsen, als er das sah. Es war genau die Stelle des Gartens, wo Chris sich immer verkrochen hatte und wo er ihn auch am Tag nach der Beerdigung ihres Vaters sturzbetrunken gefunden hatte.
 

Chris selbst wusste das am allerbesten. Er bahnte sich vorsichtig einen Weg durch die Hecke, bis er bei den Steinplatten angekommen war. Dort saß Lena und legte ein Muster aus Kieselsteinen. Sie bemerkte ihn und wollte schon aufspringen, als Chris sich auf dem Boden niederließ und sich ebenfalls ein paar Steine zusammensuchte. „Sag mal, Lena, erinnerst du dich noch an mich und meinen Bruder Alex?“, fragte er nach einer Weile. „Ja, du bist mein Onkel Chris. Meine Mama redet ganz viel von euch. Aber ich war noch ganz klein, als ihr uns besucht habt“, antwortete sie und wandte sich wieder ihren Steinen zu. „Warum bist du denn vorhin weggelaufen? Hattest du Angst vor uns?“, fragte er weiter. „Nicht so richtig. Aber dein Bruder... der hat mich an den Opa erinnert und den mocht´ ich nicht. Vor dem hatte ich immer Angst“, antwortete sie und sah ihn mit ihren großen blauen Augen an. Chris traf fast der Schlag. Wieso hatte sie Angst vor seinem Vater gehabt? Er überlegte einen Moment lang, zu beten, bevor er mit zitternder Stimme die nächste Frage stellte. „Hat dir dein Opa was getan, wo er noch da war?“ Sie sah wieder zu Boden und zerstreute das Steinmuster. „Du kannst es mir sagen, wirklich. Er kann dir ja jetzt nichts mehr tun, er ist weg“, versuchte er es wieder. Sie überwand sich offensichtlich und antwortete: „Er... war ganz gemein zu meiner Mama. Er hat sie geschlagen und sie hat immer geweint, wenn er bei uns war. Und er hat mich... er hat mich angefasst und er...“ Sie sprach nicht weiter, aber Chris wusste den Satz zu beenden. Das durfte nicht wahr sein! Sein Vater, das verdammte Dreckschwein, hatte das Leben dieses unschuldigen kleinen Mädchens zerstört! Einfach so, gewissenlos, rücksichtslos. „Weißt du jetzt, warum du ein Mädchen werden solltest?“, schallte die Stimme aus seiner Erinnerung. Nein, das durfte nicht wahr sein! Sie war es. Lena war die Tochter, die sein Vater sich immer gewünscht hatte. Und er hatte sie bekommen und genau das mit ihr getan, was er vorgehabt hatte. Das war einfach zu viel... „Onkel Chris, was hast du?“, fragte die leise Mädchenstimme. Jetzt erst fiel ihm auf, dass er die Hände vors Gesicht geschlagen hatte und verzweifelt vor sich hinstarrte. „Lena, meine Kleine, hör mir gut zu, das was ich dir jetzt sage ist wichtig. Dein Opa... er war ein böser Mann. Er war so böse, dass er gerne anderen Leuten wehgetan hat. Das war nicht deine Schuld. Aber er ist weg und du musst nie wieder Angst vor ihm haben. Und das, was er gemacht hat, ist vorbei. Er kommt nie wieder und macht das mit dir. Du kannst ohne Angst leben, weil er für seine Verbrechen bestraft worden ist. Hörst du, Lena? Leb einfach wieder, ohne über ihn nachzudenken. Dann wirst du bald wieder so fröhlich sein, dass die ganze Welt mit dir lacht. Und die Leute, denen du begegnest, die werden lächeln und sich freuen, weil du so ein glückliches kleines Mädchen bist, das keine Angst mehr hat“, sagte er und sah sie verzweifelt an; seine Halbschwester Lena mit den großen blauen Augen, in denen jetzt Tränen standen, die aber trotzdem wieder befreit strahlten. Sie stand auf und fiel dem Sitzenden um den Hals. „Danke, Onkel Chris. Jetzt bin ich nicht mehr traurig. Ich versprech´ dir, ein fröhliches Mädchen zu sein... Aber, sag, hat er das auch mit dir gemacht?“, meinte sie und sah ihn auf diese kindliche Art und Weise forschend an. „Ja, aber guck, ich bin auch erwachsen geworden und ich hab einen Freund, den ich liebe und der mich liebt. Es ist alles gut geworden“, antwortete er und wünschte sich, das wäre die Wahrheit. Aber wenn es Lena half, konnte er in dem Punkt ruhig lügen. „Komm, lass uns zum Haus gehen. Deine Mama macht sich schon Sorgen“, sagte er und sie machten sich auf den Weg. Sabine und Betty trauten ihren Augen kaum, als die Beiden aus der Hecke gekrochen kamen und Lena lachend und gut gelaunt Chris´ Hand ergriff und ihn zum Haus zog, wobei sie fröhlich durch das Gras hüpfte. „Das ist unglaublich... einfach unglaublich“, sagte Sabine, die vom Anblick ihrer lachenden Tochter zu Tränen gerührt war. „Tja, Chris hatte schon immer einen guten Draht zu Kindern. Wahrscheinlich, weil er selbst noch eins ist“, meinte Alex grinsend. Der Abend war danach nicht mehr lang. Obwohl es Lena wieder so gut ging lagen die unausgesprochenen Tatsachen wie ein Gewicht auf der Stimmung der Erwachsenen. Die drei Gäste gingen früh in ihr Zimmer (sie teilten sich eins). Alex und Rico wollten den deprimierten Chris fragen, was er hinter der Hecke erfahren hatte, aber sie trauten sich nicht. „Alex, sie ist unsere Schwester“, sagte Chris plötzlich in die Stille hinein. „Im Ernst jetzt? Woher weißt du das?“, fragte sein Bruder. „Früher... damals sagte Vater immer zu mir, er würde sich wünschen, dass ich ein Mädchen wäre... Er hat Sabine das Haus vererbt, weil sie dieses Mädchen für ihn war, zumindest eine Zeit lang... Sie bekam ein Kind von ihm. Ich weiß, dass sie damals keinen Freund hatte und ich hab gesehen, wie er sie nachts, ungefähr neun Monate vor Lena´s Geburt, in eins von diesen Gästezimmern gezerrt hat... Es liegt auf der Hand: Lena ist unsere Schwester“, erklärte Chris seine Theorie. „Und was willst du uns noch sagen?“, fragte Alex, der das alles nicht so recht glauben wollte. Sein kleiner Bruder atmete tief durch und sah ihn an, mit dieser tiefen Verzweiflung in seinen Augen. „Er... er hat Lena auch missbraucht... unser verfluchter perverser Vater“ Eine unangenehme Stille machte sich wieder im Zimmer breit. „Das darf nicht wahr sein...“, flüsterte Alex geschockt. Rico konnte gar nichts sagen. Er dachte an seine älteste Tochter, die im selben Alter war wie Lena. Wenn ihr sowas passieren würde, dann würde er ohne zu zögern den Verantwortlichen erschießen. Oder zuerst foltern und dann erschießen. „Ich wünschte... unser Vater wäre noch nicht tot... Dann könnten wir ihn jetzt eigenhändig umbringen“, sagte Chris nach einer Weile. „Wir müssen Sabine davon erzählen... ich geh schon“, meinte Alex, sprang auf und verschwand mal wieder. Chris ließ sich erledigt auf das Bett fallen, auf dem Rico saß. „Was ist das bloß für eine Welt...?“, fragte er seinen Freund, der auch ziemlich fassungslos wirkte. „Das frag´ ich mich auch oft. Und was sind das bloß für Menschen, die diese Welt zu dem gemacht haben, was sie ist?“, erwiderte Rico. Keiner von beiden konnte diese Fragen beantworten und so lagen sie wortlos da, bis sie schließlich einschliefen.
 

Rico erwachte am nächsten Morgen als Erster. Eine Weile beobachtete er die schlafenden Brüder, bis Alex schließlich auch wach wurde. Das war eine ganz komische Sache: Wenn man ihm beim Schlafen zusah, wachte er direkt auf und sah einen verwirrt an, als wollte er sagen: „Lass das bleiben“. Man musste ihn gar nicht wecken; es reichte schon, ihn anzusehen. „Wir sollten uns schon bald auf den Weg machen... denk ich“, meinte er während er sich streckte und aufstand. „Hm, ja das sollten wir. Es sei denn, Chris hat was dagegen. Hat er nicht gestern gesagt, er müsste noch was erledigen?“, antwortete Rico. „Na dann fragen wir ihn doch... Hey, Chris. Aufstehen!“ Alex pikste seinen kleinen Bruder in die Seite, woraufhin dieser nur ein genervtes Grummeln von sich gab und mit dem Kopfkissen nach ihm warf. Chris murmelte etwas von wegen „mitten in der Nacht“ und drehte sich wieder um. „Es ist nicht mitten in der Nacht. Wir haben schon zehn Uhr und wollen bald weiterfahren. Steh schon auf“, entgegnete Alex. „Nur noch fünf Minuten“, sagte der Kleinere verpennt, womit die beiden Anderen sich endlich zufrieden gaben und in die Küche gingen, um etwas Essbares und Kaffee aufzutreiben. „Ich würde wetten, wir müssen ihn noch mindestens fünfmal wecken, bis er endlich aufsteht... Das war früher immer ein Drama, wenn er in die Schule gehen sollte und einfach nicht aus dem Bett kam“, meinte Alex kopfschüttelnd. Aber zu ihrer Überraschung stand Chris tatsächlich fünf Minuten später in der Küchentür, ließ sich auf einen Stuhl fallen und legte müde den Kopf auf den Tisch. „Jetzt zufrieden?... Mann, du bist echt ein Sklaventreiber“, sagte er zu seinem Bruder. „Wieso? Das war doch noch harmlos...“, erwiderte dieser gut gelaunt. „Wolltest du heute nicht noch was erledigen?“, fragte Rico den müden Jungen, der schon fast wieder schlief. „Ja, ist ja auch wieder wahr“, sagte Chris wie vom Geistesblitz getroffen und setzte sich wieder auf. „Ich muss weg“ Er erhob sich und verschwand bevor einer etwas sagen konnte. „Er ist und bleibt ein seltsamer Vogel“, meinte Alex als sie allein waren. „Wahrscheinlich lieben wir ihn deswegen so sehr“, antwortete Rico. Sie sahen sich an und brachen in Kichern aus. Einige Zeit später kehrte Chris zurück. Er war in einer seltsam melancholischen Stimmung und sein Bruder befürchtete schon den nächsten Zusammenbruch, als er ihn vorsichtig fragte, wo er gewesen sei. „Auf dem Friedhof. Jessi und Johannes besuchen... und unsere Eltern“, antwortete der Jüngere und lächelte traurig. Sie beschlossen, dass es Zeit war, endlich weiter zu fahren. Sie wollten es, wenn möglich, an diesem Tag noch bis nach Prag schaffen, wo Chris schon genug mit seiner Vergangenheit konfrontiert würde. „Ich muss noch kurz was holen, dann können wir fahren“, sagte er, als sie ihre Sachen gepackt hatten und zur Abfahrt bereit waren. Er verschwand in Richtung seines alten Zimmers, das mittlerweile zum Abstellraum umfunktioniert worden war. Es war immer noch dunkel; da konnte auch die helle Glühbirne nichts dran ändern. Er suchte eine bestimmte Stelle in der Ecke und fing an, die Bodenbretter zu entfernen, was gar nicht so einfach war. Schließlich fand er das, was er gesucht hatte. Ein blaues und ein rotes Buch, wobei in dem blauen viel mehr geschrieben war. Seine Tagebücher, in denen er als Kind versucht hatte, seine Gefühle zu verarbeiten. In dem blauen standen die schlechten Dinge und in dem roten die guten. Er würde sie mitnehmen, vielleicht hatte er schon bald Verwendung dafür. „Was hast du da?“, fragte Rico, als er wieder in das Schlafzimmer kam und die Bücher in seine Tasche warf. „Ein Souvenir“, antwortete Chris bloß und verließ mitsamt seinen Sachen den Raum. Die beiden Anderen würden die Bücher noch früh genug zu sehen kriegen. Aber von seinem grünen Tagebuch wollte er ihnen erst später erzählen...
 

Sie machten sich auf den Weg. Die Grenze war nicht weit und sie überquerten sie ohne weitere Schwierigkeiten. Wenn sie durchsucht worden wären, hätten sie definitiv ein Problem gehabt, denn Rico hatte logischerweise seine Drogen bei sich. Und auch Chris hatte ein paar illegale Substanzen in seiner Tasche. Sie waren sehr erleichtert, als sie die Grenzposten hinter sich gelassen hatten und beflügelt von dieser Erleichterung waren sie den ganzen Tag bestens gelaunt. Auch wenn die schlechten Straßen und die irre Verkehrsführung sie teilweise fast in den Wahnsinn trieben kamen sie doch ziemlich gut voran und erreichten überraschenderweise am Abend die tschechische Hauptstadt. Sie wollten den nächsten Tag auch noch dort verbringen, weil es einfach so viel zu sehen gab und, weil Chris seinem alten Freund einen Besuch abstatten wollte, um ihm mal gut die Meinung zu sagen, was er sich nie getraut hatte, als er noch in seiner Gewalt gewesen war. Nachdem sie ihr Hotel bezogen hatten gingen sie noch in eine Kneipe. „Also, wenn ich irgendwas wirklich vermisst habe, dann ist es das hier. Die Kneipen, das Bier und die ganzen Leute, die so furchtbar viel davon trinken können, ohne umzufallen“, sagte Chris während er sich lächelnd umsah. Er hatte diese Stadt und auch dieses Land immer gemocht und mochte es auch jetzt noch, aber die schmerzlichen Erinnerungen hatten doch immer noch die Überhand über seine Gefühle. Die Männer tranken an diesem Abend nicht so viel wie sonst, wenn sie zusammen weggingen und als sie die Kneipe wieder verließen waren sie nur leicht beschwipst. Sie kehrten in ihr Hotel zurück und waren in einer ziemlich seltsamen Stimmung. Alle Drei wollten anscheinend etwas sagen, aber keiner wusste so genau, wie er das anstellen sollte. Als sie sich schließlich in ihrem Zimmer befanden ergriff Rico die Initiative und gab Chris einen Kuss, der seine Absichten ganz deutlich machte. „Darf ich heute Nacht über dich herfallen?“, fragte der Größere überflüssigerweise und bekam als Antwort nur ein dämonisches Grinsen. „Aber nur, wenn ich gleichzeitig über dich herfallen darf“, sagte eine Stimme hinter ihm und Alex legte die Arme um seine Taille. Der Angesprochene errötete leicht und bei der Vorstellung, was passierte, wenn er ja sagte wurde ihm ganz warm. „Natürlich darfst du das... ehrlich gesagt warte ich schon lange auf diese Gelegenheit“, murmelte er dann und sein Gesicht wurde noch dunkler rot. „Dann ist ja alles geklärt“, meinte Chris und küsste seinen Freund voller Verlangen, während sein Bruder sich daran machte den Mann in ihrer Mitte auszuziehen und seinen Körper entlang zu streichen. Rico wusste gar nicht wirklich wie ihm geschah und auch nicht, welchem Bruder er sich entgegenstrecken sollte. Die Beiden selbst hatten keine richtige Ahnung, was sie da eigentlich taten und wozu das noch führen sollte. Als sie schließlich nackt auf dem Bett landeten folgten sie einfach ihren Gefühlen und machten sich gegenseitig zu sehr zufriedenen (oder eher: befriedigten) Menschen.
 

Am nächsten Morgen erwachten sie praktisch gleichzeitig. Sie hatten sich die ganze Nacht, oder was davon übrig gewesen war, in den Armen gehalten und kuschelten sich auch jetzt ganz nah aneinander. „Sagt mal, kann man von Sex eigentlich einen Kater kriegen?“, fragte Rico heiser. Er wusste, dass sein schlechter Zustand an diesem Morgen nicht vom Alkohol kommen konnte. „Schon möglich. Aber ich hab keinen“, murmelte Alex gähnend. „Dann ist es was Anderes“, meinte sein Freund nur und schloss die Augen wieder. Nach einer Weile stand er auf und verschwand mit seiner Tasche im Badezimmer. Die Zurückgelassenen wussten genau, was er dort tat. Eine Zeit lang waren sie sehr still und hingen ihren Gedanken nach. „Ich hab sein Zittern gespürt“, flüsterte Alex plötzlich besorgt. „Ja, ich auch“, antwortete sein Bruder und warf einen unsicheren Blick in Richtung Badezimmer, „Meinst du, er ist okay? Vielleicht braucht er Hilfe da drinnen“ Der Ältere sah auch besorgt zur Tür und wusste diese Frage nicht zu beantworten. Er stand auf und klopfte an. „Rico? Ist alles okay?“, rief er und lehnte sein Ohr gegen die Tür, die sich mit einem Mal öffnete. „Klar ist alles okay. Wollte grade duschen gehen. Hättet ihr nicht Lust, mitzukommen?“, sagte der Mann im Badezimmer und grinste Alex an, der peinlich berührt vor ihm stand und sich dann lächelnd in den Raum hinter ihm begab. „Geht ihr zwei duschen. Für uns alle ist da kein Platz drin“, sagte Chris und rutschte wieder unter die Decke, um sich noch etwas auszuruhen. Schon bald hörte er eindeutige Geräusche aus dem Nebenzimmer. Hatte sein Bruder es etwa nicht bemerkt? Er hatte direkt vor Rico gestanden und den komischen Ausdruck in seinen Augen nicht gesehen? Eigentlich war da gar kein richtiger Ausdruck mehr gewesen, nur noch die abgestumpfte Leere, die von betäubten Gefühlen zeugte; von einer kaputten Seele, die nach Zuneigung und absoluter Aufmerksamkeit hungerte. Rico hatte auf jeden Fall etwas genommen, während er allein im Bad gewesen war. Aber was? Es war keine Droge, die Chris kannte, beziehungsweise selbst mal ausprobiert hatte. Natürlich hatten alle Drogen die unterschiedlichsten Wirkungen auf verschiedene Menschen, aber normalerweise nicht so eine Wirkung. Sie lösten, wenn auch nur kurzfristig, verschiedene Gefühle aus, aber sie räumten nicht vollkommen die Seele leer. Anscheinend war es irgendein körperliches Betäubungsmittel gewesen, das er wegen seiner Krankheit bekam, oder sich bei einem seiner nächtlichen Ausflüge illegal besorgt hatte, denn seinem Körper war es wohl besser gegangen, als er wieder aus dem Bad gekommen war. Diese psychischen Nebenwirkungen wiesen auf die zweite Möglichkeit hin. Kein vernünftiger Arzt hätte einem schwer-depressiven Mann wie Rico so ein Medikament verschrieben, auch nicht, wenn dieser Mann sowieso kurz vor dem Tod stand. Chris wusste nicht, was er tun sollte. Einerseits war es unverantwortlich, ihn weiter dieses Gift nehmen zu lassen; andererseits würde er es wohl vor Schmerzen kaum aushalten, wenn er es nicht nahm. Rico selbst würde wohl wieder damit argumentieren, dass er sein restliches Leben nicht in Schmerzen verbringen wollte und nur versuchte seine letzten Wochen zu genießen. Irgendwo hatte er ja auch Recht, aber was er sich selbst antat war einfach nur grausam. Die Geräusche von nebenan waren verstummt und man hörte nur noch das Rauschen der Dusche und ab und zu gedämpfte Stimmen, die liebevoll miteinander sprachen. Das rief bei Chris die Erinnerung an die letzte Nacht wach. Es war die Erfüllung seiner wildesten Träume gewesen. Die zwei Männer, die er über alles liebte, körperlich wie seelisch, gleichzeitig mit ihm in einem Bett und das auch noch freiwillig. Er hatte sie nicht hypnotisieren oder betrunken machen müssen, um endlich in diese Situation zu kommen. Das letzte Mal als er so etwas gemacht hatte, hatten sie ihn betrunken machen müssen und unter Drogen gesetzt. Es war in dieser Stadt gewesen, in dem alten, heruntergekommenen Haus in dem er gefangen gewesen war. An die zwei Kerle erinnerte er sich nicht mehr, aber an die Schmerzen und den Abscheu, den er dabei empfunden hatte, schon noch. Aber keins dieser Gefühle war letzte Nacht zurückgekehrt. Es war schön gewesen, hatte nicht wehgetan und er hatte pure Lust dabei gespürt. Letzte Nacht hatte er alles vergessen können, wirklich restlos alles. Die Vergangenheit und die Zukunft waren plötzlich weit weg gewesen. Es zählte nur der Moment und ihre Gefühle füreinander. Wenn ihnen doch nur mehr solche Momente gegeben wären...



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  feuerregen
2008-05-03T17:29:58+00:00 03.05.2008 19:29
wow, du tischt einem echt alle abgründe der menschlichen gesellschaft auf...
*lob*

auf jeden fall ein schönes kappi.
gut zu lesen und trotz der heftigkeit doch noch ziemlich romantisch. *g*
endlich hatten sie ihren dreier. *gg* *fähnchen schwenk*
darauf wart ich schon die ganze zeit! ^^
...aber ich war auch sofort für ne dreiecksbeziehung. ^^"
*schämt sich ihrer verschautheit kein stück*

lg, feuerregen


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