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Tango

Das Rosa Cama in Buenos Aires
von

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Der vierzehnte Tanz

Es hat lange gedauert, sehr lange.

Und ich möchte mich deswegen bei allen Lesern entschuldigen, bitte verzeiht mir!
 


 

Der Ball war schon im Gange, als sie herunterkamen.

Die Musik spielte, die Leute tanzten und tranken und unterhielten sich. Durch die Menge der Menschen schlängelten sich galant die Diener; stark geschminkt, auf dem Haupt Perücken und alle in einheitlicher Kleidung.

Carmen war wie gebannt von all dem Glanz.

Noch nie hatte sie so etwas Pompöses und Einzigartiges gesehen.

Allerdings wäre sie daraufhin, als Julio ihr behutsam die Hand ins Kreuz legte und sie weiter schob, beinahe die Treppe heruntergefallen, woraufhin er sie allerdings aufmerksam festhielt und ihr zuflüsterte: „Du solltest dich nun am besten unter die Damen mischen, Esperanza weiß ja, wie ich gekleidet bin und sollte ich mich zu lange bei ein und derselben Dame aufhalten könnte das unangenehm werden.“

Carmen nickte daraufhin etwas verwirrt, ließ sich noch von Julio die Treppe herunterbringen und ging dann in die entgegengesetzte Richtung zu ihm.

Wie sehr wünschte sie sich nun Emilie zu Hilfe, die hätte sicherlich gewusst, wie sie sich zu verhalten hatte. Doch selbst war sie ahnungslos. Was sollte sie mit den Leuten reden? Würden sie ihr an der Sprache anmerken, dass sie nicht hierher gehörte? An der Haltung, am Gang? Und was sollte sie tun, forderte sie jemand zum Tanzen auf?

Tango konnte sie tanzen, ja, aber Tango zu tanzen war einfach, man musste sich nur vom Mann und der Musik und der Leidenschaft führen lassen, sonst brauchte man nichts. Bei diesen Gesellschaftstänzen musste man auf Schrittfolgen achten, auf Laufbahnen, man war nicht ständig bei seinem Partner an der Hand, hatte keinen, der einen führte.
 

Unbehaglich stand sie einige Minuten später in einer Ecke, in der Nähe einer Tür; in der einen Hand hielt sie ein Glas Wein, die andere hatte sie in die Rocktasche gesteckt, um ihren Rosenkranz zu beten. Vielleicht konnte Gott ihr ja helfen.

Doch der meinte es an diesem Abend wohl weniger gut mit ihr, denn nun kam eine zierliche, wohl proportionierte Frau in einer zartgelben Robe á la Francais auf sie zu und lächelte. Und ebenjene Frau hatte sie diesen Abend schon in Julios Gelass sehen müssen.

„Meine Liebe, Sie sehen so zerknittert aus, ist Ihnen nicht wohl?“, fragte Esperanza und deutete zur Begrüßung einen Knicks an.

Carmen tat es ihr gleich und erwiderte: „Ich war noch selten bei den Sangres, das wird es wohl sein, hier ist es so prachtvoll, als wären sie Könige.“ Es war ihr voller Ernst gewesen. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass Könige es noch prachtvoller haben konnten, doch Esperanza lachte auf und sagte: „Oh, Sie haben einen köstlichen Humor. Sagen Sie, wie ist Ihr Name? Woher kommen Sie?“

Fieberhaft dachte Carmen über eine Ausrede nach, über einen Namen, den sie sich geben konnte, doch wahrscheinlich kannten sich hier sämtliche Adlige aus der Gegend. Sollte sie sagen, sie sei eine entfernte Verwandte aus Spanien?

Nein, dafür hatte sie einen zu starken argentinischen Dialekt; außerdem war es unwahrscheinlich, dass jemand so weit reiste, nur für eine Verlobungsfeier.

Was sollte sie also sagen?

„Einen wunderschönen guten Abend wünsche ich den werten Damen“, rettete sie Ramón, sie erkannte ihn an den Kleidern und der tiefen Stimme. Er war auf sie zugelaufen gekommen und nun knicksten Carmen und Esperanza beinahe zeitgleich und neigten das Haupt, als er ihnen die Hände küsste.

„Den wünschen wir Ihnen auch, werter Herr“, kam es nun von Esperanza und Carmen warf Ramón durch die Maske hinweg einen verzweifelten Blick zu.

„Nun, ich wollte mir einmal Ihre Freundin für einen Spaziergang ausborgen. Natürlich nur, wenn Sie nichts dagegen haben?“

Esperanza und Carmen schüttelten den Kopf und Carmen wäre ihm beinahe dankend um den Hals gefallen, da erinnerte sie sich wieder daran, dass sie hier in Gesellschaft waren. Esperanza erwiderte auf die höfliche Frage: „Natürlich habe ich nichts dagegen, borgen Sie sie nur, solange Sie sie wieder ganz zurückbringen.“

„Da machen Sie sich nur keine Sorgen, auf wertvolle Stücke passe ich immer sehr gut auf.“ Ein Lächeln umspielte seine Lippen. Er küsste Esperanza noch einmal die Hand, während sie knickste und setzte sich dann in Bewegung, dass Carmen ihm folgte. Während sie nebeneinander gingen, schwiegen sie.

Er führte sie in Richtung der Terrasse und der Gartenanlagen und erst als sie draußen standen und die letzten warmen Strahlen der Sonne ihre Haut berührten, ergriff Ramón das Wort: „Was muss denn deine erste Bekanntschaft Esperanza sein? Du bist doch eine Närrin!“

„Es war nicht meine Schuld, sie kam auf mich zu und fragte mich nach meinem Namen, was hätte ich ihr sagen sollen?“, fragte sie und sah sich argwöhnisch um. Sie wollte nicht, dass man sie so vertraut miteinander sprechen hörte.

„Dann bist du eben von jetzt an die Señorita Bellenoir, die hier ist, um ihren Verlobten zu treffen. So einfach ist das und sonst gibst du nichts preis! Du sagst, die Masken hätten sonst keinen Sinn.“

Carmen nickte.

„Danke für die Rettung“, flüsterte sie und sah auf ihren Rocksaum.

„Das ist schon in Ordnung.“ Einen Moment lang sah er sich um, ob sie jemand beobachtete, dann legte er ihr eine Hand an die unbedeckte Wange, streichelte zart darüber. „Dann habe ich hier wenigstens auch noch eine Aufgabe zu erfüllen.“ Trauer und Verbitterung schwangen in seiner Stimme mit und Carmen musste bei den Worten schwer schlucken. Er hatte es wohl nicht so leicht, wie man es von ihm immer dachte. Doch hatte sie nun einen anderen Mann im Sinn: Ihren Julio. So fragte sie also Ramón: „Sag, weißt du, wo dein Bruder ist? Ich will ihn sehen.“

„Du hast ihn doch vorher schon gesehen.“

„Das weiß ich, nur ist es der letzte Abend, den wir uns sehen können, darum will ich so viel von ihm haben als möglich.“ Ramón seufzte bei den Worten und nahm seine Hand von ihrer Wange. Dann allerdings lächelte er wieder und entgegnete: „Nun gut, ich werde ihn suchen und zu dir schicken, warte hier auf ihn.“

Und während er hineinging, rief sie ihm hinterher: „Ich danke Ihnen!“
 

Es vergingen quälend lange Minuten in denen sie auf Julio wartete, doch schließlich erkannte sie seinen roten Justaucorps.

Er blickte sich kurz um und als er sie erblickte kam er eiligen Schrittes auf sie zu.

Gerade wollte er sie in seine Arme schließen, da wurde sie sich der Blicke der Umstehenden bewusst und brachte ihn mit einem Knicks und einer ausgestreckten Hand zum Kuss davon ab. Verwirrt tat er, was sie damit von ihm verlangte und verbeugte sich höflich. Und während ihre Köpfe nahe beieinander waren, raunte sie ihm zu: „Lass uns dorthin gehen, wo man uns nicht findet!“

Sie erhoben sich wieder und Julio begann ein plumpes und oberflächliches Gespräch mit ihr, während er sie immer weiter in den Garten führte.

Nach einigen Minuten hatten sie die Lichter des Hauses hinter sich gelassen und fanden sich nur noch dem gleißenden Mondlicht und dem der Sterne ausgeliefert, welches sie sanft umhüllte.

„Nun sind wir wieder allein“, flüsterte Carmen und wollte gerade die Maske abnehmen, da hielt Julio ihre Hände fest, schüttelte vorsichtig den Kopf und sagte ebenso leise: „Nimm sie lieber nicht ab, es können immer noch Leute vorbeikommen.“ Etwas enttäuscht seufzte Carmen, doch sah sie es ein. Er hatte Recht, wenn sie jemand hier erkannte, konnte sie sich auch gleich selbst erhängen.

Wieder nagten Zweifel an ihr, ob sie wirklich das Richtige tat. War es wirklich richtig gewesen hierher zu kommen? Schließlich setzte sie hier nicht nur ihr Leben, sondern auch Julios guten Ruf aufs Spiel. Doch der riss sie mit einem zärtlichen Kuss auf die Lippen aus den Gedanken.

„Woran denkst du, meine Liebe?“, fragte er mit leiser und sanfter Stimme.

Sie saßen im Gras nebeneinander und seine Hand ruhte auf ihrer, sein Daumen streichelte leicht über ihren Handrücken.

„Ich weiß nicht, ob es richtig war, es zu riskieren und hierher zu kommen.“ Sie sah keinen Grund ihre Zweifel nicht mit ihm zu teilen. Doch er lachte verhalten auf und erwiderte freundlich lächelnd: „Ob es richtig war?“ Carmen nickte und sein Gesicht wurde mit einmal Mal ernst, als er sagte: „Nein. Es war nicht richtig.“ Schockiert sah sie auf. „Aber es fragt ja auch niemand ob es richtig oder falsch war, das Einzige, was zählt ist, dass es dir und mir all das wert ist und dass wir es riskieren, nur aus Liebe. Meine Carmen, hätte ich nur einen Wunsch frei, so wünschte ich, dass dieser Moment ewig dauern und die Ewigkeit überdauern würde. Mehr wünsche ich nicht, denn in diesem Moment bin ich so unbändig glücklich, dass man es nicht in Worte zu fassen vermag. Kein Dichter oder Poet oder sonst ein Schriftsteller kann es. Niemand kann dieses Glück nachempfinden und Gott schuf nicht genug Worte, denn Liebe kommt mir als Wort schon zu banal vor für das, was ich fühle. Es ist eine Pein, dass ich es dir nicht sagen kann und…“

Carmen hatte ihm einen Finger auf die Lippen gelegt.

„Sei still, ich weiß wie du fühlst und könnte man es mit Worten beschreiben, so wäre es schon wieder etwas Banales. Darum lass uns froh sein, dass es nicht genug dieser gibt.“

Er nahm ihre Hand bedächtig in seine und führte sie von seinem Mund.

„Wie Recht du hast, Carmen, wie Recht du doch hast.“ Damit legte er seine Arme um sie und zog sie an sich.
 

Der Augenblick war schon lange vorbei und inzwischen waren sie wieder im großen Festsaal. Man hatte Esperanza auf die Suche nach ihm geschickt und als er ihre Rufe vernommen hatte, war er aufgesprungen und hatte auch Carmen aufgeholfen, wieder ein triviales Gespräch mit ihr begonnen und ging der Stimme seiner Verlobten entgegen.

Nun stand er bei seinen Eltern, Esperanza und Ramón.

Carmen hielt sich abseits. Sie hatte noch immer Angst, dass die Señora Sangre ihr Kleid wieder erkannte. Doch bisher war dies nicht der Fall gewesen. Wahrscheinlich redete sie sich die skeptischen Blicke der Frau auch nur ein; oder?

„Ramón, wo hast du denn deine Begleitung gefunden? In einem der Bordelle im Hafen? Oder wo triffst du sonst noch Frauen?“, fragte nun sein Vater und der zynische Unterton war nicht zu überhören.

„Vater, du beleidigst sie. Ich traf sie auf dem Ball zwei Wochen zuvor.“ Ramóns Antwort viel ungewohnt nüchtern und ernst aus. Carmen hatte schon Angst gehabt sie hätte sich mit ihrer Reaktion auf den Vorwurf verraten, denn sie hatte etwas zu abrupt aufgeschaut. Doch Esperanza trat einen Schritt näher zu ihr und lächelte: „Machen Sie sich nichts daraus, es liegt nur daran, dass er Ramón nicht mag, Sie müssen wissen, er glaubt, er sei ein Bastard. Das ist nichts gegen Sie persönlich.“ Am liebsten hätte Carmen ihr eine gescheuert. Mit was für einer Beiläufigkeit dieses Weibsbild doch darüber sprach! Es war nicht auszuhalten.

Dennoch zwang sie sich zu einem Lächeln und nickte höflich.

„Nun, mein Sohn“, wandte sich der Vater jetzt an Julio. „Spätestens um Mitternacht werden wir die Verlobung bekannt geben und dann können wir auch bald einen Termin für die Hochzeit festlegen.“

„Entschuldigt mich“, hauchte Carmen, knickste kurz und drehte sich um, um fluchtartig auf den Balkon zu stürzen.

Es war in dem Moment zu viel. Auf einmal war ihr noch mal bewusst geworden, was es bedeutete, wenn Julio eine Andere heiratete.

Sie würden sich nie wieder sehen, waren für den Anderen wie tot, einfach unerreichbar. Konnten nicht mehr miteinander sprechen, sich nicht mehr berühren, sich nicht mehr küssen!

Es hatte kaum begonnen, da sollte es schon wieder zu Ende sein?

Das war doch grausam! Warum ließ Gott so etwas nur zu?

Sie lief auf der Terrasse aufgescheucht hin und her, kurz vor einem Nervenzusammenbruch.

Lieber wäre sie Tod, als dass sie ihn in den Armen einer Anderen wusste!

Aber Gott würde ihr wohl auch diesen Wunsch verwehren.
 

Jemand packte sie am Handgelenk und zwang sie dazu stehen zu bleiben.

Sie setzte sich zur Wehr und rief: „Lass mich los! Ich will jetzt nicht, egal wie viel du mir bezahlst!“ Sie wollte noch etwas rufen, da wurde sie sich ihrer Worte wieder bewusst. Sie hatte sich selbst vergessen und mit demjenigen, der sie festhielt, gesprochen wie mit einem Freier.

Stille war um sie herum ausgebrochen und sie spürte, wie alle Blicke auf ihr lagen.

„Lasst mich!“, rief sie noch einmal und schaffte es diesmal sich loszureißen und lief so schnell sie konnte.

Hätte sie ihre normalen Kleider und Schuhe getragen, wäre sie sicher entkommen, doch so holte der Mann sie mühelos ein, bekam sie wieder zu fassen und zog sie nun in seine Arme. Er drückte ihr einen um den anderen Kuss auf den Schopf und hob schließlich ihr Gesicht zwischen seinen Händen an und küsste sie auf die Lippen.

„Julio?“ Vernahm sie nun eine Stimme ganz nahe bei ihnen tonlos flüstern. Es war Esperanzas Stimme, doch wie aus Trotz drängte sie sich nun an ihren geliebten Julio und küsste ihn leidenschaftlich und französisch, so wie er es damals von ihr verlangt hatte.

Sie standen schon auf dem Kiesweg und Esperanza noch auf einer der letzten Stufen, Ramón und ihre Eltern etwas weiter oben.

„Carmen“, flüsterte Julio schließlich, als er den Kuss beendet hatte. „Carmen, beruhige dich, was ist denn in dich gefahren?“

„Du darfst sie nicht heiraten!“, schrie Carmen daraufhin schrill und zeigte mit dem ausgestreckten Zeigerfinger auf Esperanza, die einen Schritt zurück machte und stolperte, woraufhin sie auf ihren Hintern fiel. „Du liebst sie nicht! Nicht einmal annäherungsweise! Julio, du liebst mich! Und du kannst es nicht verleumden und mit ihr wirst du nicht glücklich!“

„Du liebst eine Andere?“, entfloh es Esperanzas Lippen, gerade noch laut genug, dass es Carmen und Julio verstanden. Eine Träne tropfte auf ihr Dekolleté.

Julio wollte sich von Carmen lösen und zu ihr gehen, während er sagte: „Esperanza, es tut mir leid. Ich kannte sie schon vor dir und ich kann nichts dagegen tun, ich wollte dich niemals verletzen.“

„Bleib hier!“, schrie Carmen und zog ihn zurück zu sich, um ihn daran zu hindern zu Esperanza zu gehen. „Sie verdient dich nicht! Sie hatte ihr ganzes Leben lang Glück! Sie hat es nicht verdient so etwas Wertvolles wie dich auch noch zu besitzen! So Menschen wie sie nehmen mir alles; mein Geld und meine Ehre und was sie mir zurücklassen sind ihre betrunkenen Ehemänner! Bleibe bei mir, Julio, ich bitte dich! Ohne dich kann ich nicht sein! Du bist alles was mir von meiner Selbst bleibt, geh nicht!“ Sie kniete sich nieder. Der Kies bohrte sich in ihre Knie, doch sie ignorierte es und küsste ihm die Hand. „Bitte, Julio, bitte!“ Ihre Stimme war leise geworden, kaum mehr als ein Flüstern.

„Wer bist du?“, fragte nun Esperanza mit erstaunlich fester Stimme. Sie hatte sich erhoben und nahm sich die Maske ab, sodass ihr wunderschönes Gesicht zum Vorschein kam. „Zeig mir dein Gesicht, wenn du mir schon meinen Verlobten stehlen willst.“

„Mein Gesicht willst du sehen?“, fragte Carmen herausfordernd und begann die Schleife, die die Maske über ihrem Gesicht hielt zu lösen.

Fast hatte sie sie ganz gelöst, da keuchte Julio atemlos: „Nein.“ Und dann verfiel er ins Brüllen: „Nein! Tu es nicht! Weißt du denn nicht, was dann mit dir passiert?“ Er war vor sie getreten und hatte ihr Gesicht an seine Brust gedrückt.

Doch sie schob ihn von sich und löste die Maske gänzlich. „Ich weiß genau, was mir blüht, aber sie soll wenigstens wissen, zu wem ihr Verlobter sich bekennt, wen er in Wahrheit liebt. Denn soviel bin ich ihr schuldig.“

Julio vergrub das Gesicht in den Händen, als die beiden Frauen sich gegenüberstanden und sich hasserfüllt in die Augen starrten.

Um sie herum hatte sich eine Menschentraube gebildet und nun entstand ein Raunen in der Menge und einer rief plötzlich: „Eine Hure! Ein dreckiges Hurenstück ist das! Die schafft doch unten im Hafen an!“

Zustimmende Rufe machten sich bemerkbar.

Julio war bei diesen Worten zusammengezuckt und sah hinauf zu seiner Familie, die noch immer dort auf den obersten Treppenstufen stand.

Seine Mutter krallte sich am Marmorgeländer fest und ließ sich langsam, das Gesicht Tränen überströmt, auf eine der Stufen sinken. Sein Vater schien einem Wutausbruch nahe und in Ramóns Gesichtsausdruck spiegelte sich eine Mischung aus Belustigung, Schock und Anerkennung wider.

„Elender!“, sagte sein Vater bedrohlich und kam langsam auf Julio zu. Die Masse teilte sich ehrfürchtig vor ihm, sodass er nicht einmal inne halten musste.

„Wie kannst du es wagen mich so dermaßen bloß zu stellen? Mit einer Hure! Du wagst es mit einer Hure zu deinem Verlobungsball zu kommen und besitzt auch noch die Frechheit zu sagen, dass du sie liebst?“

„Ja, Vater, ich liebe sie.“ Seine Stimme war ruhig.

Doch die Hand seines Vaters zitterte, als er sie zum Schlag hob und sie auf die Wange seines Sohns niedersausen ließ.

„Du heiratest Esperanza, ob du willst oder nicht! Deine Hure lasse ich erhängen und wenn ich sie eigenhändig aufknüpfen muss! Mir reicht doch schon Ramón, dieser verdammte Bastard, warum tust du mir das nun auch an?“

Julio stand da, noch immer mit gestrafften Schultern, nur das Gesicht vom Schlag noch abgewandt und sagte schließlich: „Ich sagte nie, dass ich sie nicht heiraten werde, aber wenn du Carmen aufknüpfst, so kannst du neben sie gleich einen zweiten Galgen stellen, denn stirbt sie, so lebe ich auch nicht länger.“

„Und du nennst dich mein Sohn?“, brüllte der Herzog und seine Stimme zitterte. „Erschießen sollte man dich! Dich und deine verdammte Hure! Warum ist die eigentlich noch da?“ Er sah sich zornig um. „Wachen! Bringt sie ins Gefängnis! Los! Ich will sie noch vor dem Ende der Woche gehängt wissen!“ Zwei Wachen setzten sich auf der Stelle in Bewegung, ergriffen Carmen unter den Armen und schleiften sie fort.

Doch die ließ das nicht so leicht mit sich machen, sondern trat und schlug um sich, schimpfte und fluchte.

Erst als sie endgültig erkannte, dass es keinen Zweck hatte, rief sie: „Julio! Julio ich liebe dich und ich werde dich immer lieben, bis in den Tod hinein! Hörst du? Ich liebe dich!“ Sie hatte kaum bemerkt, wie ihr die Tränen in Sturzbächen über die Wangen liefen und schließlich war sie nicht mehr zu sehen.

Daraufhin wandte Julio sich von seinem Vater ab und stürmte ins Haus und in sein Gelass.
 

Er schrie, raufte sich die Haare, fluchte und kauerte sich schließlich in eine dunkle Ecke seines Gelasses.

Wie hatte all das nur so schrecklich schnell geschehen können?

Eben hatten sie noch gemeinsam im Mondlicht gesessen und dann…
 

Sie war dem Tode geweiht, hatte keine Chance dem Henker zu entkommen!

Wenn sein Vater jemanden gerichtet wissen wollte, dann wurde das auch getan.

Wie hatte er nur zulassen können, dass man sie wegbrachte? Warum hatte er es nicht verhindert? Es hätte sicherlich einen Weg gegeben.

Er spürte, wie sich jemand neben ihn setzte und seinen Arm um ihn legte.

„Ramón?“, flüsterte er leise und rümpfte die Nase. Hatte er etwa auch geweint? Er hatte es nicht mitbekommen.

Dieser klopfte ihm vorsichtig auf die Schulter und sagte gar nichts, gab ihm nur ein Glas Wein.
 

Carmen wurde in ein dunkles Verließ geworfen.

Hier unten war es feucht und kühl.

Sie wollte sich gerade auf dem Boden zusammenkauern, das kam die Wache herein, packte sie bei den Händen und schleifte sie über den dreckigen Boden zur Wand, wo er ihre Hände festkettete.

„Das hast du nun davon, Hure!“ Er spuckte ihr zwischen die Füße und drehte sich um, um die Zelle zu verlassen.

Sie schluchzte auf.

Ja, das hatte sie nun davon. Nun saß sie in einer feuchten, dreckigen Zelle, ganz allein, niemand bei ihr.

Und noch nicht einmal ihre Hände hatte sie frei, um Emilies Rosenkranz zu beten. So begann sie unter schluchzen einige ihr bekannte Gebete aus der Kirche zu singen, vielleicht erhörte der Herr sie ja diesmal.
 


 

Nun, das nächste Kapitel wird das letzte sein. Danach kommt nur noch ein Extrakapitel zu Ramón auf Wunsch einer Leserin (und meiner einer, aber ich hab ja eigentlich nix zu sagen xD)

LG, Terrormopf



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von: abgemeldet
2008-08-09T14:39:13+00:00 09.08.2008 16:39
Ich habe überlegt, was ich schlaues schreiben könnte, aber mir fiel nichts ein. T_T Eigentlich sollte ich wohl etwas darüber schreiben, dass Carmen jetzt erhängt werden soll und dass das leicht ungeschickt von ihr war, aber ich denke die ganze Zeit nur daran, wie leid mir Ramón tut... u.û
Gut, das nächste Kapitel ist das letzte... Wie könnte es ausgehen? Irgendwie sind die menschen alle zu stur, damit es gut ausgehen kann... Es sei denn, Julio bindet ein Seil um die Gitterstäbe am Fenster des verließes und reist die Wand mithilfe eines schneeweißen Pferdes ein und dann reiten sie geschwind gen Horizont und in den Regenwald (das war in Argentinien oder? Gibt's da auch Regenwald? oO" Egal, sonst reiten sie so lange, bis sie Regenwlad finden! XD")und leben dort glücklich und zufrieden unter Kanibalen. ^^ Okay, ja, das ist ein komisches Ende. u.û Aber sonst gibt's doch gar nicht so viele Möglichkeiten... T__T Beide sterben oder nur Carmen stirbt und Julio bleibt unglücklich... Keiner stirbt aber sie können nicht zusammenbleiben und bleiben unglücklich...
Ich sollte aufhören immer Enden erraten zu wollen. u.û Ich freue mich schon sehr auf das Extra-Kapitel! ^^ Und auf das letzte natürlich auch... vielleicht. Kommt drauf an. Aber ich lese es auf jeden Fall (ist ja mein Job! xD)

Gut, ich schreibe dir morgen ganz früh auf jeden Fall (ich muss früh aufstehen, deshalb bleibe ich dieses mal nciht bis Mitternacht auf... u.û) Warum, wirst du dich jetzt sicher fragen, ich vergesse es auch immer, aber animexx hat mich heute erst wieder daran erinnert, dass wir morgen ja Geburtstag haben. (das ist irgendwie komisch, diese Geburtstags-ENS... oO" Ich weiß, wann ich geboren bin. T__T)

hdsmhdl *plüsch*
Steph
Von: abgemeldet
2008-07-27T10:00:04+00:00 27.07.2008 12:00
Hey,
ich freu mich wahnsinnig, endlich was neues von Tango lesen zu können!
Oh Mann, das musste ja so was von schiefgehen! (Man hofft ja immer, es ginge gut, und es sah ja auch fast danach aus, aber irgendwie wäre das dann doch zu einfach...)

Mann, wieso musste das damals alles so starr sein? Ich meine, gut, heute würde man sicherlich auch noch schräg angesehen werden, wenn man mit einer bekannten Hure zusammen wäre oder sie heiraten wollte, besonders wenn man aus gut situierten Kreisen kommt, aber deshalb gleich jemanden erhängen?
Das war echt übel damals...
Und Carmen... eigentlich ist es ja eine schöne Eigenschaft von ihr, dass sie sich von ihren Gefühlen hinreißen lässt, aber diesmal war das ziemlich fehl am Platze. Sie tut mir so Leid! Nicht nur, dass Julio Esperanza heiraten wird (er scheint dazu ja trotz allem entschlossen), jetzt soll sie auch noch aufgehängt werden. So kannst du das einfach nicht enden lassen! Das wäre so furchtbar...
Wenigstens bleibt er seiner Liebe treu. Ich fand das so schön, als er gemeint hat, sein Vater könne noch einen zweiten Galgen aufstellen, wenn er Carmen hängen lassen wollte! Schön und traurig zugleich.

Oh Mann, nur noch ein Kapitel. Es war ja klar, dass es auf das Ende zusteuert, aber das jetzt so zu lesen, ist irgendwie trotzdem seltsam. Ich find's wirklich schade, weil diese Geschichte eine der besten ist, die ich auf Animexx bis dato gelesen hab. Das kann ich nur betonen und unterstreichen!
Aber ich freu mich auf das Zusatzkapitel mit Ramón. *breit grins* Das wird sicher klasse, darauf freu ich mich ja schon seit ner Ewigkeit! XD
Jetzt bleibt mir nur noch zu hoffen, dass Carmen irgendwie die Flucht gelingt; auf Begnadigung braucht man ja leider nicht zu hoffen. (Ich hab letztens wieder Fluch der Karibik gesehen und jetzt schwebt mir die ganze Zeit eine Flucht à la Jack Sparrow vor dem Galgen vor. xD)
Ich freu mich auf das nächste und leider letzte Kapitel,
lG Pluie


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